TE OGH 1972/12/5 5Ob229/72

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Veröffentlicht am 05.12.1972
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Norm

ABGB §364
ABGB §364b
ABGB §1302

Kopf

SZ 45/132

Spruch

Ein Ausgleichsanspruch nach § 364b ABGB kann gegen den Liegenschaftseigentümer auch dann erhoben werden, wenn die Einwirkung nicht von ihm selbst, sondern von einer Person verursacht wurde, von der er die Unterlassung dieses schädigenden Verhaltens erwirken konnte

Der Gründeigentümer kann in diesem Fall zum vollen Ersatz der nachteiligen Auswirkungen auf das Nachbargrundstück zur ungeteilten Hand mit demjenigen herangezogen werden, der infolge eines schuldhaften Verhaltens für den Ersatz des Schadens haftet

OGH 5. 12. 1972, 5 Ob 229/72 (OLG Wien 7 R 127/72; KG Korneuburg 3 Cg 352/71)

Text

Die Kläger sind je zur Hälfte Miteigentümer der Liegenschaft mit dem Hause G, H-Straße 89; die Erstbeklagte ist Eigentümerin des Nachbarhauses Nr 91. Sie ließ auf Grund der Baubewilligung vom 11. 7. 1967 durch Baumeister Franz W auf ihrer Liegenschaft einen Wohnhausneubau errichten. Mit der Vornahme des Erdaushubes wurde Baumeister Johann L beauftragt,der durch seinen Baggerführer Ferdinand A das Ausheben der Baugrube besorgen ließ. A entfernte dabei am 25. 3. 1970 entgegen dem Auftrage des Baumeisters W auf Verlangen des mitarbeitenden Gatten der Bauführerin und des Maurers Josef B den zur Stützung des Nachbarhauses der Kläger in der Baugrube verbliebenen Erdkegel. Daraufhin kam es zum Einsturz der Feuermauer des Hauses der Kläger, was die Beschädigung weiterer Teile dieses Hauses und von Einrichtungsgegenständen nach sich zog.

Mit der am 12. 7. 1971 eingebrachten Klage begehrten die Kläger den Ersatz des mit S 89.170.76 bezifferten Schadens zur ungeteilten der Eigentümerin der Nachbarliegenschaft gemäß § 364b ABGB (Erstbeklagte) sowie von ihrem Gatten (Zweitbeklagter), dem Baggerführer Ferdinand A (Drittbeklagter) und dem Maurer Josef B (Viertbeklagter) wegen schuldhafter Herbeiführung.

Das Erstgericht erkannte die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei S 85.960.48 sA zu zahlen. Das Mehrbegehren von S 3210.28 wurde (unbekämpft) abgewiesen. Auf der Grundlage des eingangs dargelegten Sachverhaltes erachtete das Erstgericht bezüglich der Erstbeklagten die Haftung als Auftraggeberin und Gründeigentümerin für allen Schaden der Nachbarn auf der Grundlage des § 364b ABGB als gegeben.

Den Berufungen sämtlicher Beklagter war kein Erfolg beschieden. Hinsichtlich der Erstbeklagten billigte das Berufungsgericht die allein bekämpfte rechtliche Beurteilung. Die Bestimmung des § 364b ABGB solle nach der Absicht des Gesetzgebers Sicherheit darüber geben, wieweit eine Haftung für Einwirkungen einer Tätigkeit von einem Grundstück auf die Nachbargrundstücke eine privatrechtliche Verantwortung nach sich ziehe. Diese Haftung gelte im besonderen auch für Schäden, die durch eine Bauführung auf dem Nachbargrund entstunden (Klang[2] II 177; SZ 11/233). Dabei komme es auf die behördliche Baugenehmigung nicht an. Auch mit einer solchen erfolge die Bauführung zwar nicht schuldhaft, der Bauführer baue aber auf seine eigene Gefahr und nicht auf die des Nachbarn. Er hafte ohne Rücksicht auf ein allfälliges Verschulden für den Schaden, der durch seine Bauführung verursacht werde. Der Anspruch nach § 364b ABGB sei demnach kein Schadenersatzanspruch, sondern ein im Nachbarrecht begrundeter Ausgleichsanspruch (SZ 24/312; SZ 25/67). Es beweise dabei schon der Eintritt des Schadens, daß die Vorsorge ungenügend gewesen sei. Die Haftung finde also statt, wenn der Einsturz auf die Vertiefung zurückzuführen gewesen sei und die von der Baufirma angewendeten Befestigungsmaßnahmen nicht ausreichend waren, um den Einsturz zu hindern (SZ 24/312). Soweit die Auffassung vertreten werde (Klang[2] II 169; EvBl 1966/48), daß der Gründeigentümer für die von einem Dritten ausgehenden Immissionen nur dann hafte, wenn er sie dulde, obwohl er sie zu hindern berechtigt und imstande sei, könne unter solchen dritten Personen, für die der Gründeigentümer nur beschränkt hafte, der von ihm selbst mit der Vertiefung des Gründes beauftragte Baumeister ebensowenig verstanden werden wie die vom Bauunternehmer oder von den Gründeigentümern unmittelbar beschäftigten Arbeiter; der Gründeigentümer bediene sich dieser Personen ja nur zur Durchführung seiner Bauabsicht. Er müsse daher im Rahmen der nach § 364b ABGB gegebenen reinen Erfolgshaftung auch schuldhafte Eigenmächtigkeiten seiner Gehilfen vertreten, die sich im Zuge der von ihm gewollten Abgrabung ereignet hätten. Die nachbarrechtliche Haftung trete zwecks Sicherung des Geschädigten zur Verschuldenshaftung der unmittelbaren Schädiger hinzu.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Erstbeklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revisionswerberin stützt sich erneut auf die Rechtsauffassung, wonach daraus, daß sich auf seinem Gründe die Ursache der von einem Dritten ausgehenden Einwirkung befinde, für sich allein noch nicht die Passivlegitimation des Gründeigentümers abgeleitet werden könne. Dieser wäre vielmehr nur dann legitimiert, wenn er die Immission geduldet hätte, obwohl er sie zu hindern berechtigt und imstande gewesen wäre. Im vorliegenden Falle wären aber die von der beauftragten Baufirma vorgesehenen Befestigungsmaßnahmen an sich genügend gewesen; der Einsturz sei ausschließlich auf die schuldhafte Beseitigung des errichteten Schutzkegels durch Dritte zurückzuführen gewesen. Es könne daher die Spezialvorschrift des § 364b ABGB gegen die Erstbeklagte nicht angewendet werden. Zudem könne die Erstbeklagte, ohne daß ihr ein Verschulden angelastet werde, mit den aus Verschulden haftenden Zweit- bis Viertbeklagten nicht gleichgestellt und mit diesen gemäß § 1302 ABGB solidarisch haftbar gemacht werden.

Derartige Einwendungen hat schon das Berufungsgericht in der eingehenden und voll zutreffenden Begründung des angefochtenen Urteiles hinlänglich widerlegt. Es hat auch mit Recht darauf hingewiesen, daß insoweit, als eine Beschränkung der Haftung des Gründeigentümers für ein störendes und schädigendes Verhalten eines Dritten von Lehre und Rechtsprechung in Betracht gezogen wurde, dies den Fall betroffen hat, daß ein Dritter die Liegenschaft, von der die Störung ausgeht, auf Grund eines Rechtsverhältnisses zum Gründeigentümer für eigene Zwecke benützte (Dienstbarkeitsberechtigte, Bestandnehmer).

§ 364b ABGB regelt einen Sonderfall der mittelbaren Einwirkung auf nachbarlichen Grund (Klang[2] II 177). Die Bestimmungen der §§ 364 f ABGB dienen dem Schutz der Nachbarn vor übermäßigen Einwirkungen, die von einem anderen Grundstück ausgehen. Daß dessen Eigentümer dabei ein schädigendes Verhalten des von ihm mit einer Bauführung beauftragten Baumeisters und seiner Leute zu vertreten hat, ergibt sich schon aus der Natur des nachbarrechtlichen Anspruches, der keinen Schadenersatz darstellt und sich auch nicht auf unerlaubte Handlungen stützt, sondern ein Ausgleichsanspruch ist (vgl 5 Ob 23/71; 5 Ob 337/71; SZ 43/139). Ein solcher Anspruch kann gegen den Liegenschaftseigentümer auch dann erhoben werden, wenn die Einwirkung nicht durch ihn selbst, sondern durch eine Person verursacht wurde, von der er die Unterlassung des die Beeinträchtigung verursachenden schädigenden Verhaltens erwirken konnte (JBl 1965, 417). Es ist den Untergerichten auch darin beizupflichten, daß schon der eingetretene Erfolg erkennen läßt, daß der Besitzer des Grundstückes es unterlassen hat, durch die mit der Durchführung der Arbeiten beauftragte Baufirma für eine genügende anderweitige Befestigung des abgegrabenen und vertieften Gründes Vorsorge zu treffen. Zu seinen Lasten muß es daher auch gehen, wenn eine unsachgemäße Erweiterung der Baugrube erfolgt ist, weil den Arbeitern das händische Abgraben und stückweise Abmauern an der Grundgrenze zu mühsam gewesen sein dürfte und sie daher auftragswidrig die Entfernung des stützenden Erdreiches durch den Bagger erwirkt haben. Haftungsbegrundendes Moment ist die vom Eigentümer und seinem Handeln in der Richtung einer Baufirma ausgehende Gefahr.

Soweit sich die Revisionswerberin auf Herz, Gedanken zum nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch, ÖJZ 1967, 6 ff, bezieht, geht gerade das dort zitierte Beispiel von ganz anderen Voraussetzungen als der vorliegende Fall aus. Demnach würde der Gründeigentümer nicht für einen Dritten haftbar zu machen sein, der von seinem Grundstücke aus einen Stein in das Fenster des Nachbarhauses wirft und es beschädigt, ohne daß dies der Gründeigentümer zu hindern imstande gewesen wäre. Auf der anderen Seite hat der selbe Autor aber sehr wohl für die Ausdehnung des Nachbarrechtes aus Billigkeitsgrunden plädiert (Ausdehnung des Nachbarrechtes, ÖJZ 1968, 343).

Kann die erstbeklagte Partei nach den dargelegten Erwägungen aber zum vollen Ersatz der nachteiligen Auswirkungen auf das Nachbargrundstück in Anspruch genommen werden, so kann sie sich nicht mit Grund dadurch als beschwert erachten, daß sie zu dieser Leistung zu ungeteilter Hand mit anderen Personen herangezogen wird, die zufolge eines schuldbaren Verhaltens für den Ersatz dieses Schadens haften, da der den Klägern zustehende Ausgleichsanspruch jedenfalls in voller Schadloshaltung besteht (JBl 1971, 571).

Da dem angefochtenen Urteil sohin eine rechtliche Fehlbeurteilung nicht angelastet werden kann, muß der Revision ein Erfolg versagt werden.

Anmerkung

Z45132

Schlagworte

Gesamthandschuld, nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch, Nachbargrundstück, Ausgleichsanspruch nach § 364b ABGB, Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch, Passivlegitimation, Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch, Solidarschuldverhältnis, Passivlegitimation, Ausgleichsanspruch nach § 364b ABGB, Solidarschuldverhältnis, nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1972:0050OB00229.72.1205.000

Dokumentnummer

JJT_19721205_OGH0002_0050OB00229_7200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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