TE OGH 1974/6/6 7Ob72/74

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Veröffentlicht am 06.06.1974
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Norm

ABGB §881
ABGB §1169
ABGB §1313a
ABGB §1315

Kopf

SZ 47/72

Spruch

Im Wege objektiver Vertragsauslegung ist für den regelmäßig nicht vorbesprochenen Fall von Störungen aus Anlaß von Erfüllungshandlungen anzunehmen, daß die Parteien des (Werk-Vertrages einander zum Schutz und zur Sorgfalt auch gegenüber jenen dritten Personen und Sachen verpflichten wollten, deren räumlicher Kontakt mit der vertraglich zu erbringenden Hauptleistung beim Vertragsabschluß voraussehbar war, die also der vertraglichen Leistung nahestehen und an denen der Vertragspartner beim Werkvertrag der Besteller ein sichtbares eigenes Interesse hat oder hinsichtlich welcher ihm selbst offensichtlich eine Fürsorgepflicht zukommt

OGH 6 Juni 1974, 7 Ob 72/74 (KG Wels R 556/73; BG Wels 2 C 187/73)

Text

Der Kläger begehrt den Ersatz für Wertminderung seines PKWs, der Anfang Juni 1972, auf einem Parkplatz im Werksgelände der VÖEST abgestellt, durch in der Nähe durchgeführte Sandstrahlarbeiten der Beklagten beschädigt worden sei.

Das Erstgericht wies die Klage zur Gänze ab. Nach seinen Feststellungen stellte der Kläger als Arbeiter der VÖEST sein Fahrzeug immer auf dem Parkplatz östlich der Halle der Maschinenbauabteilung II ab. In der Zeit vom 5. bis 7. Juni 1972 führte die Beklagte für diese Abteilung der VÖEST etwa 65 m östlich des Parkplatzes Sandstrahlarbeiten durch, die der Maschinenbauingenieur W einmal täglich und der Vorarbeiter und Baustellenleiter S ein- oder zweimal täglich durch eine Viertel- bis halbe Stunde kontrollierten. An der Baustelle selbst arbeitete der Vorarbeiter S mit zwei bis drei jugoslawischen Arbeitern. S hätte im Falle einer Gefahr die Einstellung der Arbeiten anordnen müssen; auch der auf Sandstrahlarbeiten eingeschulte S hätte die Arbeiten bei zu starkem Wind einstellen können. Die Sandstrahlarbeiten wurden in der Weise durchgeführt, daß die in nordsüdlicher Richtung liegenden Lagerböcke auf eine Länge von 20 m aufgestellt und dann mit Sand bestrahlt wurden. Als Streugut wurde Hüttengranulat verwendet, ein Abfallprodukt der Schlacke. Mit dem Sandstrahl wurde auf den Lagerböcken die Oberfläche von Gegenständen bestrahlt und dabei gereinigt bzw. entzundert. Die Gegenstände wurden von allen Richtungen bestrahlt, wobei auch die Oberfläche "nach oben" der zirka 3 1/2 bis 4 m hohen Gegenstände bestrahlt wurde. Bei diesen Sandstrahlarbeiten kommt der Sand maximal mit einem Druck von 6 atü aus der Sandstrahldüse mit einer Bohrung von 9 mm. Bei Windstille kann das Strahlgut maximal 10 m wegfliegen. Vom 5. bis 7. Juni 1972 herrschte ziemlich starker Ostwind, aber kein Sturm. Auch bei diesem starken Ostwind wurden die Sandstrahlarbeiten normal weitergeführt. Am 5. und 6. Juni 1972 fiel dem Kläger und anderen Fahrzeugeigentümern auf, daß Staub auf ihren Fahrzeugen lag. Am 7. Juni 1972 sahen die Fahrzeugeigentümer Beschädigungen an den Fahrzeugen und meldeten dies beim Werkschutz der VÖEST. Am nächsten Tag war der Parkplatz gesperrt. Die Beschädigung am Fahrzeug des Klägers bestand aus kleinen Einschlägen an der Motorhaube, am Dach und am Kofferraumdeckel. Diese Einschläge waren so tief, daß sie durch Polieren nicht zu beseitigen waren. Auch die Scheiben des Fahrzeugs waren vorne und hinten zerkratzt. Die Beschädigungen haben ihre Ursache darin, daß infolge des starken Ostwindes Streugut von den Sandstrahlarbeiten der Beklagten mit solcher Wucht gegen das Fahrzeug des Klägers geschleudert wurde, daß die kleinen Einschläge und Zerkratzungen entstanden. Die Wertminderung des Fahrzeugs des Klägers beträgt 2000 S.

Nach der Rechtsansicht des Erstgerichtes haftet die Beklagte nicht für den eingetretenen Schaden, weil sie ein allfälliges Verschulden ihrer Arbeiter nach § 1313a ABGB mangels eines Vertragsverhältnisses mit dem Kläger nicht zu vertreten und dieser nicht behauptet und bewiesen habe, daß die Beklagte sich einer untüchtigen oder wissentlich einer gefährlichen Person zur Besorgung ihrer Angelegenheit (§ 1315 ABGB) bedient habe. Eine Erfolgshaftung für die durch den Betrieb eines Unternehmens verursachten Schäden sei dem österreichischen Recht ebenso fremd wie eine allgemeine Haftung des Unternehmens für seine Angestellten gegenüber jedermann. Der Ausnahmsfall eines gefährlichen Betriebes liege nicht vor, weil die Sandstrahlarbeiten unter normalen äußeren Bedingungen keine allgemeine Gefährdung hervorriefen.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger gegen die Abweisung der Klage hinsichtlich des Teilbetrages von 2000 S erhobenen Berufung Folge und änderte das Ersturteil in diesem Umfang im Sinne der Klage ab. Es übernahm die von beiden Parteien teilweise bekämpfen Feststellungen des Erstrichters als unbedenkliches Ergebnis eines mangelfreien Verfahrens, ergänzte sie aber "nach allgemeinem Erfahrungswissen" dahin, daß im Bereich des Städtevierecks Linz-Wels-Steyr-Enns starke Winde zu der sich normalerweise wiederholt ergebenden Wetterlage zählen, und bejahte die Haftung der Beklagten sowohl wegen Vorliegens eines gefährlichen Betriebes, wegen Organisationsverschuldens und Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, als auch nach § 1313a und § 1315 ABGB.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Zwar ist nach § 1313 ABGB in der Regel niemand für fremde, widerrechtliche Handlungen verantwortlich, an denen er nicht teilgenommen hat. Wer einem anderen zu einer Leistung verpflichtet ist, hafte ihm jedoch nach § 1313a ABGB für das Verschulden seines gesetzlichen Vertreters sowie der Personen, deren er sich zur Erfüllung bedient, wie für sein eigenes. Dies gilt auch für die Erfüllung der jedem Vertrag auch ohne ausdrückliche Vereinbarung innewohnenden Nebenverpflichtung, alle Rechtsgüter des Gläubigers, mit denen der Schuldner bei Bewirkung der Hauptleistung in Berührung kommt, nach Tunlichkeit vor Schaden zu schützen. Nach herrschender Rechtsansicht bestehen derartige vertragliche Schutzpflichten aber auch zugunsten Dritter. Im Wege objektiver Vertragsauslegung ist für den regelmäßig nicht vorbesprochenen Fall von Störungen aus Anlaß von Erfüllungshandlungen anzunehmen, daß die Parteien des (Werkvertrages einander zum Schutz und zur Sorgfalt auch gegenüber jenen dritten Personen und Sachen verpflichten wollten, deren räumlicher Kontakt mit der vertraglich zu erbringenden Hauptleistung beim Vertragsabschluß voraussehbar war, die also der vertraglichen Leistung nahestehen, und an denen der Vertragspartner (beim Werkvertrag der Besteller) ein sichtbares eigenes Interesse hat oder hinsichtlich welcher ihm selbst offensichtlich eine Fürsorgepflicht zukommt (Gschnitzer in Klang; IV/1, 236.; Bydlinski, JBl. 1960, 359 und 364, sowie die Entscheidung JBl. 1960, 386; JBl. 1963, 570; EvBl. 1974/98 u. a.).

In der Sache selbst ist ein solches sichtbares Eigeninteresse der VÖEST als des Bestellers der Arbeit der Beklagten und gleichzeitig Dienstgebers des Klägers an dem im Naheverhältnis zur Arbeit der Beklagten stehenden PKW des Klägers anzuerkennen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob geradezu eine Fürsorgepflicht des Dienstgebers für dieses offensichtlich zur Erleichterung der Zufahrt von der Wohnung zum Arbeitsplatz eingebrachte, während der Arbeitszeit außerhalb der Aufsichtsmöglichkeit des Dienstnehmers stehende Fahrzeug bestand (vgl. hiezu Strasser, RdA 1954, H 10, 15; Edlbacher, ZAS 1967, 144, und Ribnitz, ÖJZ 1968.511). Dem Dienstgeber mußte nämlich erkennbar daran gelegen sein, daß nicht fremde Personen etwa bei der Durchführung bestellter Arbeiten im Werkgelände solches Eigentum von Dienstnehmern der VOEST schuldhaft beschädigten, weil im gegenteiligen Fall die Begünstigung der Zufahrtsmöglichkeit mit dem eigenen Fahrzeug für den Dienstnehmer mit unnötigen Risken verbunden und in ihrem Wert gemindert würde und dieser Anreiz für die Beschäftigung beim Dienstgeber, in der heutigen Zeit des Mangels an Arbeitskräften auch zum Nachteil des letzteren, fortfiele. Dem Werkvertrag zwischen der VOEST und der Beklagten ist daher, mangels Behauptung einer gegenteiligen Vereinbarung, die Nebenverpflichtung der Revisionswerberin beizulegen, daß sie ihre Arbeiten nicht nur unter möglichster Schonung der Sachwerte der Bestellerin selbst, sondern auch unter gleichartigem Schutz des in das Werksgelände im üblichen Rahmen und im Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis eingebrachten Eigentum der Dienstnehmer der Bestellerin durchzuführen habe.

Diese Verpflichtung hat die Beklagte nach der zutreffenden Ansicht des Berufungsgerichtes verletzt. Zwar war der Baustellenleiter beauftragt, die Sandstrahlarbeiten "bei Gefahr' einzustellen, und auch der Vorarbeiter am betreffenden Arbeitsplatz "konnte" dies veranlassen.

Es beweist jedoch allein der eingetretene Schaden, daß diese Anweisung entweder nicht genügend deutlich war (die Beklagte bringt in ihrer Revision selbst vor. Anweisungen über bestimmte Verhaltensweisen bei starkem Wind hätten die Erkennbarkeit der Schadensmöglichkeit vorausgesetzt) oder von den Arbeitsaufsehern schuldhaft nicht erfüllt wurde. Denn der starke Wind ist im vorliegenden Fall nicht kurzzeitig und überraschend aufgetreten, sondern wehte alle drei Arbeitstage hindurch, und der Beklagten konnte die dadurch entstandene Gefahr eines Vertrages des Strahlgutes über größere Entfernungen hinweg bei gehöriger Aufmerksamkeit und Anwendung des zu diesem Gewerbe erforderlichen Fachwissens nicht entgehen. Den Mangel der letzteren müßte die Revisionswerberin nach § 1299 ABGB vertreten. Ihr wäre auch der Gegenbeweis mangelnden Verschuldens nach § 1298 ABGB oblegen. Die Beklagte hat jedoch keine besonderen Umstände nachweisen können, die den Schadenseintritt als einen mit zumutbaren Mitteln nicht abwendbaren Zufall erscheinen lassen könnten. Vielmehr hätte das Fehlen einer verläßlichen Abschirmung des Gefahrenraumes bei Vornahme entsprechender Proben durch die Aufseher der Arbeit erkannt werden müssen. Der vom Berufungsgericht - nur zur allgemeinen Gefährlichkeit des Betriebes der Beklagten - angestellten Überlegung über die sonstige Häufigkeit von starken Winden im örtlichen Bereich kommt dabei ebensowenig Bedeutung zu wie die Frage, ob die Oberfläche der zu behandelnden Objekte geradezu von unten bestrahlt wurde.

Schließlich kann der Revisionswerberin auch nicht dahin gefolgt werden, daß der von ihr behauptete im voraus erklärte Verzicht der Arbeiter der VÖEST gegenüber der letzteren auf Ersatz von Schäden bei der Abstellung von Fahrzeugen im Werksgelände ihr zugute komme. Das betreffende Vorbringen beinhaltete keinerlei Behauptung eines ausdehnenden Vertragswillens der Dienstvertragspartner zugunsten eines dritten Schädigers, den ein Eigenverschulden trifft.

Anmerkung

Z47072

Schlagworte

Schutzpflicht dritten Personen gegenüber, die der Leistung nahestehen, beim Werkvertrag, Vertragliche Leistung, Schutzpflicht dritten Personen gegenüber, die, der - nahestehen, Werkvertrag, Schutzpflicht dritten Personen gegenüber, die der Leistung, nahestehen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1974:0070OB00072.74.0606.000

Dokumentnummer

JJT_19740606_OGH0002_0070OB00072_7400000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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