TE OGH 1974/12/12 7Ob246/74

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Veröffentlicht am 12.12.1974
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Norm

ABGB §861
ABGB §862
ABGB §871

Kopf

SZ 47/148

Spruch

Wird ein Anbot unter Anwesenden nicht sogleich angenommen, so ist ein nachfolgender Irrtum des Antragstellers, der sodann in Folge dieses Irrtums die verspätete Annahme seines Antrages hinnimmt, unter den Voraussetzungen des § 871 ABGB beachtlich

Zur Abgrenzung von Motiv- und Geschäftsirrtum beim Kauf einer Eigentumswohnung

OGH 12. Dezember 1974, 7 Ob 246/74 (OLG Linz 1 R 84/74; LG Salzburg 7 Cg 9/74)

Text

Die Klägerin begehrt die Zahlung des Eigenmittelanteiles des Kaufpreises für die Eigentumswohnung top. Nr. 3 des Bauvorhabens B Haus III samt Abstellplatz in der Höhe von zusammen 182.260 S sowie weitere 156.310 S als auf diese Objekte entfallende Nachzahlungen und für die Beklagte geleistete Zinsenvorschüsse. Die (in der Bundesrepublik Deutschland ansässige) Beklagte wendete berechtigten Rücktritt vom Vertrag und hilfsweise unverschuldete Unmöglichkeit der Leistung ein.

Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil, daß die Forderung der Klägerin gegen die Beklagte auf Bezahlung "des Kaufpreises" für die Eigentumswohnung samt Abstellplatz dem Gründe nach zu Recht bestehe. Nach seinen - hier auf das wesentliche gekürzten - Feststellungen erfuhr die Beklagte durch eine Anzeige, daß die Voreigentümerin des Baugrundes namens S über das Bauobjekt der Klägerin B Auskunft erteilte, und erhielt von ihr den Prospekt Beilage 3, der eine Baubeschreibung, Ausstattungsliste, Gesamtansichten, einen Grundriß, Baupläne für sämtliche Stockwerke und eine Übersichtsskizze enthält und bis auf den Umstand, daß in diesem Prospekt im Erdgeschoß noch eine Badeabteilung vorgesehen war, mit dem später von der Klägerin den Vertragsverhandlungen zu Gründe gelegten Prospekt Beilage 5 übereinstimmt. In der gleichfalls von Frau S übergebenen Preisliste war die nun strittige Wohnung top. Nr. 3 als im Erdgeschoß gelegen ausgewiesen. Als die Beklagte das erstemal die Baustelle besichtigte, standen das Haus I und II bereits im Rohbau, während vom Haus III nur die tragenden Säulen und die betonierten Geschoßflächen errichtet waren. Die Beklagte erkannte, daß der Zugang zu den Wohnungen über einen Innenhof erfolge. Obwohl der Prospekt einwandfrei erkennen ließ, daß im Kellergeschoß unter dem Innenhof ein Garagenbau für etwa 18 PKW und auf dessen Dach im Innenhof ein Parkplatz für etwa 12 PKW sowie ebenfalls in der Höhe des Erdgeschoßes eine Durchfahrt zum rückwärtigen Teil des Hauses vorgesehen waren, interessierte sich die Beklagte nicht für diese aus dem Plan ersichtlichen Umstände und zog auch keinen Fachmann zu Rate, sondern verließ sich auf den bei der Besichtigung des Rohbaues in der Natur gewonnenen Eindruck, daß die Fenster der Wohnung Nr. 3 - infolge des noch fehlenden Garagenbauwerkes - etwa 3 m über dem natürlichen Niveau des Geländes lagen und der Innenhof gegenüber dem Keller zugemauert war, so daß dort hinein keine Einfahrt für Fahrzeuge bestand. Aus dem Prospekt Beilage 3 hatte die Beklagte überdies entnommen, daß im Hause Thermalbäder untergebracht sein würden. Über die tatsächliche Einrichtung derselben hat sich die Beklagte bei niemandem erkundigt.

Zu Hause besprach die Beklagte die Angelegenheit auf Grund des Prospektes Beilage 3 in aller Ruhe mit ihrem Mann. Sie entschloß sich, vor allem wegen der im Haus vorgesehenen, wie ihr bekannt war, aber nicht zur Wohnung gehörenden Thermalbäder schließlich für die Wohnung top. Nr. 3. Im Mai 1972 fuhr sie neuerlich nach B und besichtigte wiederum die Baustelle. Sie erhielt dadurch Kenntnis, daß (durch eine seitliche Einfahrt) Postautobusse in die Garage unter ihrer Wohnung einfahren würden. Die Beklagte begab sich dann zur Klägerin und verhandelte dort mit dem Zeugen O. Dabei stützte sie sich auf den Plan Beilage 3, während der Zeuge den Prospekt Beilage 5 benützte. Die beiden Pläne stimmten miteinander bis auf die Badeabteilung überein, auf beiden waren auch die Ausmaße der Wohnung erkennbar. Über die Höhe des Fensters im Kabinett wurde nicht gesprochen. Die Beklagte entschloß sich zum Ankauf der Wohnung Nr. 3 und eines Abstellplatzes und unterfertigte das Kaufanbot. Nachdem sie bereits unterschrieben hatte, brachte sie gesprächsweise zum Ausdruck, sie habe sich besonders wegen der Thermalbäder im Hause auf diese Wohnung gefreut. Hierauf teilte O ihr mit, daß zufolge einer Änderung der Pläne die Bäder wegfallen und folgte den nunmehr gültigen Prospekt aus, in dem die Bäderabteilung gestrichen war. Ein folgendes Gespräch über Grünanlagen verstand die Beklagte, ohne daß O jedoch eine derartige Behauptung aufgestellt hatte, dahin, daß im Innenhof statt der Autoabstellplätze nunmehr Grünanlagen vorgesehen seien. Nach diesem Gespräch über eine Grünanlage im Innenhof wurde das von der Beklagten unterfertigte Anbot in keiner Weise mehr in Frage gestellt. Die Beklagte hielt ungeachtet des Fortfalls der Thermalbäder an ihrem Kaufanbot fest, war jedoch der Annahme, im Innenhof werde statt der Garage ein Stockwerk tiefer eine Grünanlage errichtet werden, so daß die Wohnung einen Stock höher über eine Stiege erreichbar sein werde. Sie kaufte die Wohnung entsprechend der Preisliste als im Erdgeschoß liegend. Die Verzeichnung im Bauplan für das Kellergeschoß ergibt sich bloß daraus, daß das Erdgeschoß im Haus III dem ersten Kellergeschoß des Hauses 1 entspricht.

Am 30. Mai 1972 nahm die Klägerin das Kaufanbot der Beklagten vom 29. Mai 1972 an, die Vereinbarung war allerdings mangels vorausgegangener Parifizierung noch nicht verbücherungsfähig.

Bei einer neuerlichen Besichtigung der Baustelle am 5. Juli 1972 erkannte die Beklagte, daß das Kabinett der Wohnung Nr. 3 nur ein kleines, höher gelegenes Fenster enthält, und sie war auch mit den zu schmalen Zwischenwänden nicht einverstanden. Überdies erfuhr die Beklagte nun, daß im Innenhof eine Garage und ungefähr auf Höhe des Fußbodens der Wohnung Nr. 3, somit auf dem Dach der Garage, eine Autoabstellfläche errichtet werde. Sie wollte nun vom Kauf Abstand nehmen, doch kam es zu keiner Einigung. Die Beklagte hätte die Wohnung nicht gekauft, wenn sie von der aus den Plänen erkennbaren Tatsache, daß im Innenhof ungefähr auf der Höhe dieser Wohnung Autoabstellplätze vorgesehen waren, Kenntnis gehabt hätte. Das Bauprojekt wurde im wesentlichen so errichtet, wie es in den Plänen vorgesehen war.

Mit Kundmachung DE 11/71 der Österreichischen Nationalbank vom 16. Juni 1971 wurde die Bewilligung gemäß § 12 DevG über den Erwerb inländischer Liegenschaften zugunsten devisenrechtlicher Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen generell erteilt. Mit Kundmachung DE 3/72 vom 27. November 1972 ist zwar mit Wirksamkeit ab 29. November 1972 ein Widerruf dieser generellen Bewilligung erfolgt, doch bleibt die generelle Bewilligung für bereits geschlossene Kaufverträge aufrecht.

Nach der Rechtsansicht des Erstgerichtes ist der Motivirrtum der Beklagten über das Vorhandensein von Thermalbädern im Hause unbeachtlich und in anderen Punkten weder eine Irreführung durch die Klägerin noch ein Irrtum der Beklagten erwiesen, der von der Klägerin veranlaßt worden wäre oder ihr auffallen mußte oder rechtzeitig aufgeklärt worden wäre. Da der Kauf wirksam zustande gekommen sei, bevor die generelle Devisenbewilligung der Nationalbank widerrufen wurde, sei das Rechtsgeschäft auch nicht nach den Vorschriften des Devisengesetzes nichtig.

Das Berufungsgericht gab der von der Beklagten erhobenen Berufung nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstrichters als unbedenkliches Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und trat seiner rechtlichen Beurteilung bei. Zum Teil liege ein Irrtum der Beklagten überhaupt nicht vor, zum anderen Teil mangle es an den Anfechtungsvoraussetzungen. Hinsichtlich der Badeanlage sei der Willensmangel saniert, weil die Beklagte auch nach Aufklärung der wahren Verhältnisse weiterhin zum Kaufvertrag gestanden sei. Ein gemeinsamer Irrtum der Parteien sei nicht gegeben.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhebt die Beklagte die Revision; sie beantragt, das angefochtene Urteil im Sinne der Abweisung der Klage abzuändern oder es aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision Folge, hob die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

In der Rechtsrüge wird die zutreffende Ansicht des Berufungsgerichtes über die Anwendung österreichischen Rechtes nach dem Schuldstatut nicht bekämpft.

Der Rechtsansicht der Revisionswerberin, daß durch die Annahme des Kaufanbotes bloß ein Vorvertrag zustandegekommen sei, was das Fehlen einer devisenbehördlichen Genehmigung für den noch ausstehenden Hauptvertrag zur Folge habe, kann nicht gefolgt werden. Wie die Revisionswerberin selbst erkennt, hat sie der Klägerin das unwiderrufliche Anbot "zum Abschluß nachstehenden Kauf- und Wohnungseigentumsvertrages" gestellt, und die Klägerin hat dieses Anbot angenommen. Der nach den §§ 861, 862 ABGB auf diese Weise durch Anbot und Annahme zustande gekommene Vertrag enthält nach dem als richtig anerkannten Text der Beilage 2 alle wesentlichen Punkte eines Kaufvertrages, nämlich die Bezeichnung des Gegenstandes des Vertrages und des Kaufpreises sowie eine Reihe weiterer Vertragsbedingungen eines Vertragsmusters. Wohl hätte nach § 936 ABGB auch ein Vorvertrag die wesentlichen Vertragspunkte zu enthalten; wie die Revisionswerberin aber selbst erkennt, läge das Wesen eines Vorvertrages in der Verpflichtung, erst künftig einen Vertrag abzuschließen (SZ 34/169 u. a.). Bei Konsensualverträgen wie auch beim Kauf einer Liegenschaft bleibt dafür in aller Regel schon deshalb kein Platz, weil der Kauf zustande gekommen ist, sobald die Parteien über Ware und Preis einig sind (Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 573). Im Gegensatz zur Meinung der Revisionswerberin ist daher im Zweifel ein bindender Kaufvertrag und nicht ein Vorvertrag anzunehmen. Der vorliegende Fall bietet nicht einmal Zweifel in dieser Richtung, zumal das Anbot auf "Abschluß" nichts anderes bedeutete, als daß die Klägerin ihn durch Annahme des Anbots abschließen könnte (SZ 43/152). Da die Revisionswerberin wiederum selbst erkennt, daß eine Zahlung des Kaufpreises als Folge des generell bewilligten Erwerbes im vorliegenden Fall möglich ist, wenn es zu einem rechtsgültigen Kaufvertrag gekommen ist, geht der Einwand der devisen-rechtlichen Unmöglichkeit der Leistung fehl.

In ihren weiteren Ausführungen gesteht die Revisionswerberin zu, daß ihr der Beweis nicht gelungen ist, von Organen der Klägerin in Irrtum geführt worden zu sein. Sie meint jedoch, die Klägerin müsse sich aus dem gesamten Verkaufsgespräch darüber bewußt gewesen sein, daß sie von falschen Voraussetzungen ausging; als seriöse Verkäuferin hätte die Revisionsgegnerin sie darüber aufklären müssen, statt sie in ihrem Irrtum zu belassen oder darin zu bestärken.

Der Revisionswerberin ist beizupflichten, daß der Irrtum einer Partei auch durch das Schweigen des Gegners beachtlich werden kann. Dieses kann sogar Arglist beinhalten, wenn der Schweigende eine ihm obliegende Aufklärungspflicht verletzt (SZ 37/76 u. v. a.), obwohl er weiß, daß der andere irrt (7 Ob 42/64). In gleicher Weise genügt zum "Veranlassen" im Sinne des § 871 ABGB erster Fall jedes für die Entstehung des Irrtums ursächliche Verhalten, so daß der Irrtum auch durch die Unterlassung einer nach der Verkehrsanschauung erforderlichen Aufklärung veranlaßt werden kann (SZ 28/103 u. v. a.). In beiden Fällen ist auch das Verhalten des Vertreters einer Partei dieser anzurechnen (Gschnitzer, 129, 132; SZ 42/112; SZ 44/59).

In der Sache selbst ist die Revisionswerberin im wesentlichen in zwei Punkten einem Irrtum unterlegen. Zunächst wurde sie durch den Prospekt Beilage 3 zur Annahme verleitet, daß das anschließende Haus II der Wohnbauanlage Thermalbäder enthalten werde. Da dieser Irrtum durch einen von der Klägerin stammenden Bauplan veranlaßt war, hätte der Willensmangel die Beklagte zur Anfechtung des Vertrages unter der Voraussetzung berechtigt, daß es sich um einen wesentlichen Geschäftsirrtum handelte. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes wäre dieses Anfechtungsrecht nicht unter allen Umständen dadurch verloren gegangen, daß die Revisionswerberin nach Aufklärung über die wahren Verhältnisse (in Bezug auf die Bäderanlage) am Kaufvertrag festhielt. Wäre nämlich die Beklagte nach erfolgtem Vertragsabschluß nur infolge eines zweiten, die Voraussetzungen des § 871 ABGB ebenfalls erfüllenden Irrtums zur Unterlassung der Anfechtung des Vertrages aus dem ersten Irrtumsgrund veranlaßt worden, dann dürfte sich die Klägerin nicht auf einen Verzicht der Beklagten auf die Anfechtung wegen des ersten Irrtums berufen. Bei gegenteiliger Rechtsansicht würde ein zur Anfechtung geeigneter Irrtum nur infolge eines zweiten, gleich qualifizierten Irrtums unbeachtlich, also der doppelte Irrtum zum Grund der Unbeachtlichkeit des einfachen Irrtums. Richtigerweise wird der erste Irrtum dadurch wiederum beachtlich, weil die Unterlassung der Anfechtung des Vertrages aus dem ersten Grund bloß infolge des neuen Willensmangels erfolgte und durch diesen gegenstandslos wird. Der Beklagten stunde demnach die Anfechtung neuerlich offen.

Dies nützt allerdings der Revisionswerberin im Ergebnis nichts, weil der Oberste Gerichtshof die Meinung des Erstgerichtes teilt, daß die getäuschte Erwartung der Revisionswerberin, im Nachbarhaus eine Bäderanlage vorzufinden, nicht das Kaufgeschäft selbst, sondern nur die Motive zu ihrer Willensbildung betrifft und deshalb Motivirrtum im Sinn des § 901 ABGB ist, der zur Vertragsanfechtung nicht berechtigt (vgl. Gschnitzer, Allgem. Teil, 175 ff.;, Gschnitzer in Klang[2]IV/1, 117; Ehrenzweig[2] I/1, 227; SZ 42/155 u. a.). Die von der Beklagten vermutete Eigenschaft (nahe gelegene private Thermalbadeanlage) wurde nicht erkennbar zum Vertragsinhalt gemacht (vgl. Koziol - Welser[3] I, 93), weil zwar in beiden Prospekten der Klägerin auf die Nähe der Wohnbauanlage zum Felsenbad G und sonstige Vorzüge der Eigentumswohnungen (mit allem Komfort, Aufzug, Garagen und PKW-Abstellplätzen) verwiesen, aber weder in diesen Prospekten die private Badeanlage im Haus angepriesen wurde, noch das Kaufanbot einen derartigen Hinweis enthält. Aus der bloßen Verzeichnung von Bädern in den im Prospekt enthaltenen Plänen des zweiten Kellergeschoßes für das Nachbarhaus II konnte daher ein Kaufinteressent sichere Erwartungen über bestimmte, aus dem Wohnungseigentum abzuleitende Nebenrechte auf Benützung einer solchen Badeanlage nicht ableiten.

Erst nach der Unterfertigung des Kaufanbotes durch die Beklagte entstand auf ihrer Seite ein zweiter Irrtum betreffend eine Grünanlage im Innenhof infolge des an die Abgabe ihrer Unterschrift anschließenden Gespräches. Wie dieser zweite Irrtum entstehen konnte, ist den Feststellungen des Erstgerichtes nicht zu entnehmen. Da aber ein "Gespräch über eine Grünanlage im Innenhof" feststeht, ist nicht abzusehen, ob der Irrtum der Revisionswerberin durch den Zeugen O in dem eingangs angeführten Sinn durch bloßes Stillschweigen veranlaßt worden ist oder ihm aus den Umständen offenbar auffallen mußte.

Auch diese Frage ist nicht schon deshalb unwesentlich, weil die Klägerin im Zeitpunkte des zweiten Irrtums das Kaufanbot bereits unterfertigt hatte. Richtig ist nämlich zwar, daß Willensmängel, die der rechtsgeschäftlichen Willenserklärung zeitlich nachfolgen, unbeachtlich bleiben müssen, weil sie die Willensbildung nicht beeinflußt haben. Auch blieb die Revisionswerberin nach § 862 dritter Satz ABGB durch ihre Unterschrift für die Dauer der Annahmefrist an ihren Antrag gebunden. Aber die untergerichtlichen Feststellungen reichen auch nicht zur abschließenden Beurteilung aus, ob der zweite Irrtum der Revisionswerberin noch in diese Bindungsfrist fällt. Bisher (vgl. EvBl. 1971/123) steht nämlich unbestritten fest, daß die Klägerin das Kaufanbot der Beklagten erst am folgenden Tag angenommen hat. Diese Annahme wäre nicht mehr innerhalb der gesetzlichen Annahmefrist erfolgt, wenn der Antrag im Sinn des § 862 ABGB zweiter Satz erster Halbsatz einem anwesenden Vertragspartner gestellt worden wäre. In diesem Falle wäre die Gebundenheit des Antragstellers durch eine nicht "sogleich" erfolgte Annahme erloschen (vgl. Gschnitzer in Klang [2] IV/1, 64, 67). Dies würde allerdings mit Rücksicht auf den Zweck der Vorschrift (daß der Offerent eine verspätete Annahme nicht gelten lassen muß), nicht bedeuten, daß es durch eine spätere, unwidersprochen gebliebene Annahme nicht doch noch zum Vertragsabschluß kommen konnte. Aber der Vertrag konnte in diesem Fall nicht mehr gegen den Willen des Antragstellers zustandekommen, und sein Antrag behielt Geltung nur, soweit er weiterhin vom Willen des Offerenten getragen wurde (Klang, 67). Wenn daher die Vertragsgespräche unter Anwesenden nach einem nicht sogleich angenommenen Anbot fortgesetzt werden, ist auch ein erst bei diesen Zwischengesprächen entstandener Irrtum unter den Voraussetzungen des § 871 ABGB beachtlich, weil die Unterlassung eines Widerspruchs gegen die verspätete Annahmeerklärung infolge des Fortfalles der Bindung an den Antrag nur mehr als Zustimmung mit den durch die Zwischengespräche erfolgten Änderungen verstanden werden kann.

Ob ein Anbot unter Anwesenden gestellt wird, hängt davon ab, ob den Personen, die den Vertragswillen fassen und die Erklärungen abgeben sollen, die Möglichkeit der Kenntnisnahme ihrer Äußerungen in solcher Art geboten ist, daß Äußerung und Vertragsabschluß durch Bevollmächtigte regelmäßig unter Anwesenden, bei dem durch Boten unter Abwesenden verhandelt (Klang, 64; ZAS 1968/15 u. a.); Ausnahmsfälle sind mangels entsprechender Behauptungen nicht zu untersuchen. Wäre also der Zeuge O - wie er selbst ausgesagt hat, aber nicht festgestellt wurde - auch zu Verhandlungsabschlüssen über die Eigentumswohnungen berechtigt gewesen, dann hätte er das Anbot der Revisionswerberin sogleich annehmen müssen und sie wäre mangels einer solchen sofortigen Annahme im Zeitpunkte des nachfolgenden Gesprächs über die Grünanlage im Innenhof nicht mehr an ihr Anbot gebunden gewesen, so daß nach dem oben Gesagten auch ein Irrtum über nun zur Sprache gekommene weitere Eigenschaften des Kaufgegenstandes unter den Voraussetzungen des § 871 ABGB beachtlich wäre.

Daß ein Irrtum der Revisionswerberin über die Verwendung der unmittelbar vor ihrer ebenerdigen Wohnung gelegenen Fläche als Abstellplatz für etwa 12 PKWs als Geschäftsirrtum über wesentliche Umstände anzusehen wäre, ist entgegen der Meinung des Erstrichters nicht zu bezweifeln. Wenn auch die Lage einer Wohnung zur Umwelt nicht in jedem Fall und nicht hinsichtlich jedes Details ein wesentlicher Inhalt des Geschäftes ist, sondern im Einzelfall bloßes Motiv zum Kauf darstellen oder unwesentliche Nebenumstände betreffen kann, so liegt doch offenkundig eine ungewöhnliche Belästigung des Eigentümers einer Wohnung m einem Neubau eines Kurortes vor "wenn unmittelbar vor seinem zu einem Innenhof gelegenen Balkon fast in gleicher Höhe eine größere Zahl von Autos abgestellt wird. Ein solcher Umstand verändert die Beschaffenheit des Kaufgegenstandes selbst (vgl. Koziol - Welser I, 93) und stellt nach objektiver Verkehrsanschauung (Klang, 124; EvBl. 1971/117) eine wesentliche Abweichung vom Normalfall dar. Anders wäre es bloß, wenn schon der Kaufpreis auf diesen Nachteil abgestellt worden wäre.

Der genaue Inhalt des Gesprächs über die Grünanlage im Innenhof kann letztlich auch noch für die weitere rechtserhebliche Frage von Bedeutung sein, ob bei dieser Gelegenheit ein - nach den bisherigen Feststellungen des Erstgerichtes zu vermutender - Irrtum der Revisionswerberin darüber, daß zwar nicht eine Grünanlage, aber immerhin keine Autoabstellplätze im Innenhof vorgesehen seien, rechtzeitig aufgeklärt worden ist. Letzteres wäre bei erst später erfolgter Annahme des Kaufanbots nicht zu bezweifeln, weil ein Irrtum rechtzeitig aufgeklärt ist, wenn der Gegner noch nicht im Vertrauen auf die Erklärung des Irrenden gehandelt und noch keine rechtliche oder wirtschaftliche Verfügung getroffen oder versäumt hat (Klang, 133; SZ 42/121 u. v. a.). Auch ein eigenes Verschulden der Beklagten an dem ihr unterlaufenen Irrtum würde das Anfechtungsrecht nicht beeinträchtigen (Klang, 118; SZ 26/71; JBl. 1972, 469 u.a.).

Es liegen somit zusammengefaßt Feststellungsmängel sowohl darüber vor, welche Vollmachten O hatte (oder behauptete), als auch darüber, ob bei dem der Unterschrift der Revisionswerberin nachfolgenden Gespräch über eine Grünanlage im Innenhof ein Irrtum auf ihrer Seite durch O im oben genannten Sinn veranlaßt wurde oder ihm wenigstens jetzt auffallen mußte.

Hingegen kommt weiteren Einwänden der Revisionswerberin gegen die rechtliche Beurteilung der Untergerichte Berechtigung nicht zu. Falsche Vorstellungen der Revisionswerberin über die Lage und Größe des Kabinettfensters sowie über die Beschaffenheit der Zwischenwände wären unbeachtlich, weil sie nicht eine wesentliche Beschaffenheit der Hauptsache im Sinne des § 871 ABGB beträfen und diese Umstände auch nicht ausdrücklich zum wesentlichen Vertragsinhalt erhoben wurden, so daß es Sache der Revisionswerberin gewesen wäre, sich über die Erfüllbarkeit solcher Wünsche rechtzeitig zu erkundigen. Ebenso kann es auf das Ausmaß der Unannehmlichkeiten, die für die Revisionswerberin mit der Abstellung von Autos auf dem Innenhof vor den Fenstern der gekauften Wohnung verbunden sind, nicht ankommen, wenn die Voraussetzungen der Irrtumsanfechtung nach § 871 letzter Satz ABGB nicht vorliegen sollten. Die Behauptung der Revisionswerberin schließlich, daß sich die Wohnung im Kellergeschoß statt wie vereinbart im Erdgeschoß befinde, weicht von den für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Feststellungen der Untergerichte und sogar von ihrer eigenen Aussage als Partei ab.

Anmerkung

Z47148

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1974:0070OB00246.74.1212.000

Dokumentnummer

JJT_19741212_OGH0002_0070OB00246_7400000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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