TE OGH 1975/3/20 6Ob33/75

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Veröffentlicht am 20.03.1975
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Norm

ABGB §1321

Kopf

SZ 48/34

Spruch

Die Schadenersatzpflicht des Vieheigentümers nach § 1321 ABGB ist eine Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast

OGH 20. März 1975, 6 Ob 33/75 (LG Klagenfurt 2 R 53/75; BG Völkermarkt C 363/73)

Text

Der Kläger begehrte im vorliegenden Prozeß einen Betrag von 2000 S samt Anhang und brachte vor, am 19. Juni 1973 seien sieben Rinder der Beklagten infolge mangelhafter Verwahrung von der Weide der Beklagten in die Kulturen des Klägers eingedrungen; die Hafersaat und eine Kleewiese des Klägers seien stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Der Kläger habe durch das Vieh der Beklagten einen Schaden von 2000 S erlitten. Die Beklagte habe den Anspruch dem Gründe nach anerkannt.

Die Beklagte stellte außer Streit, daß am 19. Juni 1973 vier ihrer Kälber trotz ordnungsgemäßer Verwahrung und Beaufsichtigung von ihrer Weide kurzfristig auf die Wiese des Klägers gelangt seien. Die Weide der Beklagten sei ordnungsgemäß eingezäunt gewesen. Sofort nach der Verständigung durch den Kläger habe der Sohn der Beklagten die Kälber zurückgeholt; er habe trotz genauer Besichtigung der Wiese und des Getreideackers keinerlei Schaden feststellen können. Die Beklagte bekämpfte auch die Berechnung des angeblich entstandenen Schadens und bestritt ein Anerkenntnis. "Vorsichtshalber" wendete die Beklagte eine Gegenforderung von 3000 S bis zur Höhe der Klageforderung mit der Behauptung ein, das Vieh des Klägers habe an den Fluren der Beklagten Schaden in dieser Höhe verursacht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte fest:

Am 19. Juni 1973 gegen 9 Uhr wurde die Familie der Beklagten verständigt, daß sich ihr Vieh auf der Liegenschaft des Klägers aufhalte. Der Sohn der Beklagten, Andreas K, begab sich sofort dorthin und stellte fest, daß sich eine Kalbin und drei Kälber seiner Mutter auf der Grünfläche des Klägers befanden. Das Vieh war durch das offene Gatter aus der "oberen Weide" herausgekommen. Der Sohn der Beklagten trieb das Vieh bis etwa 9.15 Uhr auf die Weide zurück und entschuldigte sich anschließend bei der Gattin des Klägers, ohne jedoch eine Schadenersatzverpflichtung anzuerkennen.

Das Erstgericht traf auch Feststellungen über die Einzäunung der Weide der Beklagten und über Zäune zwischen den Liegenschaften der Streitteile, deren Darstellung entbehrlich ist, und stellte weiter fest: Das Gatter wurde am fraglichen Tag nicht von einem Familienangehörigen der Beklagten, sondern offensichtlich von einem ihrer Gäste offengelassen. Das Jungvieh war acht bis zehn Tage zuvor auf die ihm vorbehaltene obere Weide getrieben worden. Im Jahre 1973 hatte die Beklagte ständig einen ihrer Söhne mit der Beaufsichtigung ihres Viehs beauftragt; diesem Auftrag wurde auch entsprochen. Andreas K hatte am 19. Juni 1973 noch um 7 Uhr die obere Weide kontrolliert.

Rechtlich beurteile das Erstgericht die Sache dahin, die Beklagte habe den Nachweis erbracht, daß sie für eine gehörige Verwahrung und Beaufsichtigung des Viehs gesorgt habe, so daß die Tierhalterhaftung nach § 1320 ABGB nicht Platz greife. Für ein Offenlassen des Gatters durch eine betriebsfremde Person hafte die Beklagte nicht.

Das Berufungsgericht hob das Urteil erster Instanz unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es führte aus:

Entgegen der Meinung des Erstgerichtes sei die Haftung der Beklagten für die von ihrem Vieh angerichteten Feldschäden nicht nach § 1320 ABGB, der eine Verschuldenshaftung des Tierhalters mit umgekehrter Beweislast vorsehe, zu beurteilen; sie ergebe sich vielmehr aus § 1321 ABGB, der eine vom Verschulden unabhängige Haftung des Eigentümers des Tieres enthalte. Danach habe der Gründeigentümer, der auf seiner Liegenschaft fremdes Vieh antreffe, das Recht, dieses zu pfänden, falls er durch sein Verhalten Schaden erlitten habe. Er könne das Recht der Privatpfändung über so viele Stück Vieh ausüben, als zu seiner Entschädigung hinreiche, müsse sich aber in diesem Fall binnen acht Tagen mit dem Eigentümer abfinden oder die Klage erheben, widrigenfalls er das gepfändete Vieh zurückzustellen habe. Da das Pfändungsrecht bei verschuldeten und unverschuldeten Schädigungen bestehe, sei zu schließen, daß auch der zugrunde liegende Schadenersatzanspruch gegen den Eigentümer des Viehs von einem Verschulden des Eigentümers unabhängig sei. Bei Beschädigung von Feldgut durch fremde Tiere hafte also der Eigentümer auch ohne Pfändung, dies auch dann, wenn ihn kein Verschulden treffe. Der Eigentümer hafte hier ohne Rücksicht darauf, ob er oder ein anderer Tierhalter sei.

Diesen Standpunkt habe auch die MV vom 30. Jänner 1860, RGBl. 28, vertreten (§ 27) und ausgesprochen, daß der Eigentümer für den Viehschaden hafte, gleichgültig, ob die in § 1321 ABGB vorgesehene Pfändung stattgefunden habe oder nicht. Das in Kärnten an die Stelle der MV getretene FeldschutzG vom 28. März 1875 LGBl. 22 i.d.F. des LG vom 26. Jänner 1925, LGBl. 12, habe an der Haftung nach § 1321 ABGB nichts geändert (§§ 26 und 34 verwiesen auf § 1321 ABGB; §§ 16 und 37 sprächen vom "verursachten" Schaden). Die Beklagte habe nicht bestritten, Eigentümerin des Viehs zu sein, das nach den Feststellungen des Erstgerichtes den Schaden auf den Fluren des Klägers angerichtet habe und hafte demnach grundsätzlich für diesen Schaden. Da das Erstgericht, von einer verfehlten Rechtsansicht ausgehend, keine Feststellungen über die Höhe des eingetretenen Schadens und über Bestand und Höhe der von der Beklagten aufrechnungsweise geltend gemachten Gegenforderung getroffen habe, sei das Verfahren mangelhaft geblieben.

Infolge Rekurses der Beklagten hob der Oberste Gerichtshof den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung unter Abstandnahme von dem gebrauchten Aufhebungsgrund an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Berufungsgericht ist sehr weitgehend den Gedankengängen der Entscheidung JBl. 1958, 312 gefolgt, doch vermag der Oberste Gerichtshof an dieser Rechtsprechung - die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung ZBl. 1918, 660 enthält nur ein "obiter Dictum" nicht festzuhalten. Dabei übersieht er keineswegs, daß die Ansicht des Berufungsgerichtes die von ihm zitierten Literaturquellen für sich hat, also zumindest ein Teil der Literatur davon ausgeht, daß bei Zufügung von Feldschäden der Eigentümer des schadenstiftenden Viehs ohne Rücksicht auf sein Verschulden und ohne daß es auf die Haltereigenschaft ankäme, für den Schaden persönlich - also ohne sachliche Haftungsbeschränkung - haftet. Mit Recht weist aber der Rekurs darauf hin, daß diese Meinung auch in der Literatur keineswegs einheitlich ist. Was die u. a. herangezogene Lehrmeinung Wolffs betrifft, so fällt auf, daß der Autor in Klang[2] VI, 113 - die Textstelle betrifft den Kommentar zu § 1320 ABGB - wohl im Sinne der Ansicht des Berufungsgerichtes davon spricht, daß die Beschädigung von Feldgut durch Vieh einer jener Fälle sei, in denen der Eigentümer des Viehs ohne Rücksicht auf Verschulden hafte, daß aber der nämliche Autor im nämlichen Werk (117) - diese Textstelle gehört zum Kommentar zu § 1321 ABGB - sagt: "Ist die Pfändung rechtmäßig erfolgt, so haftet der Eigentümer des Tiers - nicht der Tierhalter als solcher - dem Beschädigten auch ohne Verschulden mit dem Pfand. Mit dem übrigen Vermögen haftet er nur im Rahmen des § 1320". Hier wird also § 1321 ABGB dahin ausgelegt, daß ohne Verschulden nur eine Sachhaftung des Eigentümers mit dem gepfändeten Vieh bestehe, eine darüber hinausgehende Haftung aber nur unter den Voraussetzungen des § 1320 ABGB. Im vorliegenden Fall hat eine Pfändung des Viehs gar nicht stattgefunden, so daß von einer Sachhaftung nicht weiter zu sprechen ist. Doch kann die Lösung der schuldrechtlichen Frage, ob überhaupt und unter welchen Voraussetzungen der Eigentümer in dieser seiner Eigenschaft für den von seinem Vieh verursachten Feldschaden unbeschränkt haftet, nicht davon abhängen, ob eine Pfändung stattgefunden hat oder nicht. Mit Recht verweist die Revision auf die Ansicht Zeillers (Komm. III, 753 ff.) eines zur Auslegung des ABGB zweifellos besonders berufenen Autors -, der ausdrücklich zu § 1321 ABGB sagt, es gebühre dem Geschädigten ein Ersatz nur dann, wenn dem Eigentümer des Viehs ein Verschulden zur Last falle (§ 1320 ABGB).

Der Oberste Gerichtshof knüpft hier an die Gedankengänge der (in JBl. 1958, 312 nicht erwähnten) Entscheidung vom 14. November 1877 GlU 6654 an, in der ausgeführt wurde: "Durch diese gesetzlichen Bestimmungen (gemeint sind §§ 1321, 1322 ABGB) wurde vorzugsweise ein besonderer Schutz des Eigentümers gegen Beschädigungen seines Gründes und Bodens sowie die Sicherstellung und beschleunigte Erzielung der ihm von dem Eigentümer des Viehs, durch welches die Beschädigung erfolgte, allenfalls gebührenden Entschädigung beabsichtigt, andererseits aber auch der Zweck verfolgt, daß letzterer sein gepfändetes Vieh sobald als möglich zurückerhalte. Es ergibt sich jedoch schon aus dem Sinne und der Absicht der obigen Bestimmungen, daß der beschädigte Gründeigentümer zur Geltendmachung seines Pfand- und Retentionsrechtes zwar sowohl die Beschädigung als auch den Betrag des ihm zugefügten Schadens, jedoch nicht auch ein besonderes Verschulden des Eigentümers des gepfändeten Viehs im Sinne des vorausgehenden § 1320 ABGB zu erweisen hat, da schon das Antreffen des Viehs auf fremdem Grund und Boden eine Nachlässigkeit des Besitzers vermuten läßt, welch letzterem entweder unmittelbar oder bezüglich der Auswahl des etwa mit der erforderlichen Obsorge über das Vieh Betrauten zur Last fällt. Nur bleibt es selbstverständlich dem Eigentümer vorbehalten, sich von der angesprochenen Entschädigung durch den Beweis eines sein Verschulden ausschließenden Zufalls zu befreien oder nach etwa geleisteter Entschädigung sich an den etwa Regreßpflichtigen zu halten ..."

Diese Entscheidung ist zwar aus Anlaß eines Falles privater Tierpfändung ergangen und spricht deshalb primär von der Geltendmachung des Pfand- und Retentionsrechtes, aber sie enthält darüber hinaus eine allgemein gehaltene Begründung dafür, daß es auf die Verschuldensfrage sehr wohl ankommt, allerdings im Sinn einer Umkehrung der Beweislast. Dabei ist bemerkenswert, daß diese Entscheidung, die bei Ehrenzweig[2] zwar nicht in II/1, 677, wohl aber in I/2, 421 als von seiner Meinung abweichend angeführt wird, aus der Zeit nach Erlassung der in JBl. 1958, 312 herangezogenen und auch vom Berufungsgericht zitierten MV vom 30. Jänner 1860, RGBl. 28, stammt. Wenn sie Randa (Schadenersatzpflicht[3], 176) zur Stützung seiner Auffassung heranzieht, der Eigentümer habe auch ohne eigenes Verschulden für den von seinem Tier verursachten Schaden aufzukommen, so ist das nur in dem Sinn richtig, daß den Eigentümer nicht gerade ein persönliches Verschulden treffen muß, sondern auch die Haftung für das Verschulden seiner Leute Platz greifen kann; der Sinn der Entscheidung GlU 6654 ist jedenfalls der, daß sich aus der Anwesenheit des Viehs auf fremdem Grund prima facie ein Verschulden in der Rechtssphäre des Vieheigentümers annehmen läßt, gegen welche Vermutung ihm der Gegenbeweis offen steht. Ehrenzweig leitet denn auch die von ihm für richtig gehaltene Erfolgshaftung des Vieheigentümers in II/1, 677 gar nicht aus § 1321 ABGB ab, sondern aus den Feldschutzgesetzen, die an die Stelle der zitierten MV getreten sind, in Kärnten übrigens auch noch vor der Entscheidung GlU 6654 (LG vom 28. März 1875, LGBl. 22, jetzt i. d. F. des LG vom 26. Jänner 1925, LGBl. 12). Diese Lehrmeinung wird von Ehrenzweig aber nicht weiter begrundet; sie ist nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes auch nicht stichhältig. Die Feldschutzgesetze haben, ebenso wie die zitierte MV, zivilrechtlich an § 1321 ABGB nichts geändert; es handelt sich dabei um öffentlich-rechtliche Maßnahmen zum Schutz des Feldgutes, wobei in diesen Normen auch verschiedene Bestimmungen des ABGB, darunter auch jene des § 1321 ABGB, zitiert erscheinen. Materiell-rechtliche Ergänzungsbestimmungen oder gar Bestimmungen, die das ABGB abändern sollten, können darin nicht erblickt werden. Randa, auf dessen Lehre sich das Berufungsgericht gleichfalls stützt, versucht zwar, seine Auffassung mit der ratio legis und der historischen Entwicklung zu begrunden, gibt aber selbst zu, daß die Lehrmeinungen schon damals in diesem Belang nicht einhellig waren. Aus § 1321 ABGB selbst, der mutatis mutandis mit § 1101 Abs. 2 ABGB vergleichbar ist, läßt sich eine reine Erfolgshaftung des Vieheigentümers nicht ableiten; auch hier ist die Rechts- bzw. Beweislage nicht anders zu beurteilen als im Rahmen des § 1320 ABGB.

Da das Berufungsgericht zufolge seiner vom Obersten Gerichtshof nicht gebilligten Rechtsansicht einen Teil der geltend gemachten Berufungsgrunde unerledigt gelassen hat, war dem Berufungsgericht in Stattgebung des Rekurses aufzutragen, über die Berufung unter Abstandnahme von dem gebrauchten Aufhebungsgrund neuerlich zu entscheiden.

Anmerkung

Z48034

Schlagworte

Schadenersatzpflicht, die - des Vieheigentümers nach § 1321 ABGB ist, eine Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast, Vieheigentümer, Schadenersatzpflicht des - nach § 1321 ABGB ist eine, Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1975:0060OB00033.75.0320.000

Dokumentnummer

JJT_19750320_OGH0002_0060OB00033_7500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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