TE OGH 1975/9/24 1Ob161/75

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.09.1975
beobachten
merken

Norm

ABGB §37
ABGB §970

Kopf

SZ 48/97

Spruch

Für die Haftung aus dem Gastaufnahmevertrag ist das Recht des Betriebssitzes maßgebend

Aus dem Gastaufnahmevertrag ist für den Schaden, den der Gast durch einen Einsteigdieb erlitt, der nachts durch die offen gelassene Balkontüre des im ersten Stock eines Hotels gelegenen Gastzimmers gelangte, zu haften; den Gast, der die Balkontüre offen ließ, trifft kein Verschulden

OGH 24. September 1975, 1 Ob 161/75 (LG Innsbruck 2 R 260/75; BG Kitzbühel C 347/74)

Text

Der Kläger bewohnte gemeinsam mit Anton S als Gast in der Nacht vom

5. zum 6. September 1972 ein im ersten Stock der Pension des Beklagten gelegenes Balkonzimmer. Seine Geldbörse mit einem Geldbetrag von über DM 1000 hatte er in der rückwärtigen Tasche seiner Hose verwahrt, die er vor dem Zubettgehen über einen Stuhl gehängt hatte. Da der Kläger und Anton S gewohnt waren, im Sommer bei offenem Fenster zu schlafen, blieb die Tür zum Balkon des Zimmers angelehnt; die auf den Gang führende Tür des Zimmers wurde versperrt. In der Nacht zum 6. September 1972, als der Kläger und Anton S schliefen, stieg ein unbekannter Täter mit Hilfe einer Leiter, die er sich von einer unweit gelegenen Baustelle beschafft hatte, über den Balkon in das Zimmer ein und stahl dort die Geldbörse des Klägers samt deren Inhalt. Er begab sich sodann in das Innere der Fremdenpension und verließ diese wieder auf dem gleichen Wege, auf dem er eingestiegen war. Der Kläger meldete am 6. September 1972 früh den Diebstahl in der Rezeption der Pension des Beklagten und erstattete gleichzeitig auch fernmündlich Anzeige beim Gendarmeriepostenkommando. Der Wert der gestohlenen Geldbörse beträgt 170 S. Der Kläger begehrt einen Betrag von 1690 S (1500 S für den Verlust des Bargeldes und 190 S für den Verlust der Geldbörse) und stützt sein Begehren auf die Gastwirtehaftung des Beklagten.

Der Beklagte bestritt das Klagebegehren und wendete ein, daß er für den Schaden des Klägers deshalb nicht hafte, weil der Verlust der Geldbörse auf das gewaltsame Eindringen eines Dritten zurückzuführen sei. Die Gefahr der offenen Tür, die er, Beklagter, zu tragen habe, umfasse derartige Schadensfälle nicht. Der Kläger habe darüber hinaus die zu seinem Zimmer führende Balkontür unversperrt gelassen, weshalb ihn ein Mitverschulden am eingetretenen Schaden treffe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren hinsichtlich eines Betrages von 1670 S statt, das Mehrbegehren von 20 S wies er ab. In rechtlicher Hinsicht führte er aus, daß der Beklagte als Gastwirt dem Kläger als einem aufgenommenen Gast für den Diebstahl durch einen Einsteigdieb zu haften habe. Ein Mitverschulden des Klägers, das die Haftung des Klägers ausschließen oder mindern würde, liegt nicht vor, weil es einem Gast nicht verwehrt werden könne, in einem im ersten Stock des Hauses gelegenen Zimmer bei offenem Fenster oder offener Balkontür zu schlafen. Die Haftung des Beklagten entspreche der durch Bundesgesetz BGBl. 259/51 normierten Haftungshöhe.

Das Berufungsgericht gab der gegen den klagsstattgebenden Teil dieses Urteils erhobenen Berufung des Beklagten Folge und änderte es im Sinne der Klagsabweisung ab. Es fand das durchgeführte Verfahren mängelfrei und führte zur rechtlichen Beurteilung aus, daß der Gastwirt gemäß § 970 ABGB für die im Hause aus- und eingehenden Personen zu haften habe. Zu diesem Personenkreis könnten solche Personen, die sich erst durch Überwindung eines Hindernisses Zutritt zu den Räumen des Gastwirtes verschaffen, nicht gezählt werden. Der Umstand, daß der Täter im vorliegenden Falle keine Gewalt anwenden mußte, um in das Zimmer zu gelangen, könne die Haftung des Beklagten deshalb nicht begrunden, weil der Diebstahl mit besonderer Kühnheit ausgeführt worden sei; der Diebstahl sei demnach nicht durch eine dem Personenkreis des § 970 Abs. 1 ABGB zuzuzählende Person verursacht worden.

In Stattgebung der Revision des Klägers stellte der Oberste Gerichtshof in Abänderung des Urteiles des Berufungsgerichtes das Urteil des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Weder die Parteien noch die Unterinstanzen haben bisher die Frage des anzuwendenden Rechts aufgeworfen. Ob österreichisches oder ein fremdes Recht anzuwenden ist, muß jedoch bei Vorhandensein entsprechender Anhaltspunkte von Amts wegen geprüft werden (SZ 34/134; ZfRV 1965, 113; JBl. 1971, 39). Nun ist der Klage zu entnehmen, daß der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaft ist, so daß in Ermangelung anderweitiger Feststellungen angenommen werden kann, daß er die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Im vorliegenden Fall stützt der Kläger seinen Anspruch auf die Gastwirtehaftung, die an die Gastaufnahme, nicht notwendigerweise an einen Gastaufnahmevertrag anknüpft. Es handelt sich dabei um eine Verantwortlichkeit des Gastwirtes aus einem kraft Gesetzes entstehenden Rechtsverhältnis (Koziol - Welser, Grundriß[3] I 250). Daneben können freilich unter Umständen Ansprüche aus dem Beherbergungsvertrag, allenfalls auch der Deliktshaftung des Gastwirtes geltend gemacht werden. Da der Kläger die Haftung des Beklagten gemäß § 970 ABGB in Anspruch nimmt, erscheint es angemessen, an das Recht am Ort des Betriebssitzes anzuknüpfen (Reithmann, Internationales Vertragsrecht[2], 49 mit weiteren Nachweisen; Schnitzer, Handbuch II 730). Der Rechtsfall ist daher nach österreichischem Recht zu beurteilen.

Entscheidende Bedeutung kommt hier dem Umstand zu, ob der Täter im vorliegenden Fall zum Kreise der im Hause des Gastwirtes "aus- und eingehenden Personen" (§ 970 ABGB) gerechnet werden kann. Die vorgenannte Gesetzesbestimmung erhielt ihre heutige Fassung durch die III. Teilnovelle zum ABGB. Wie den Materialien zur III. Teilnovelle zum ABGB zu entnehmen ist, sollte den Gastwirt nicht nur - wie sonst den Verwahrer - die Haftung für Verschulden treffen; man wollte vielmehr dem Reisenden auch die Gefahr wirklicher Zufälle abnehmen, ohne daß dem Gastwirt dadurch aber die Haftung für jeden Zufall aufgebürdet werden sollte (177, 178). Die gewählte Fassung des Gesetzes wurde dem Artikel 1953 code civil nachgebildet (des etrangers allant et venant dans l'hotellerie). Ausgeschlossen werden sollte durch die gewählte Fassung, wie die Materialien ausdrücklich hervorheben, die Haftung des Gastwirtes für den gewaltsamen Einbruch (soweit kein Verschulden des Gastwirtes oder seiner Leute vorliegt). Hingegen müsse nach den Materialien jedem Gastwirt zugemutet werden, die spezifischen Gefahren seines Betriebes zu tragen und für die Gefahr des offenen Hauses einzustehen. Nun sind aber Diebstähle grundsätzlich eine im Gastgewerbe typische Gefahr. Eine Ablehnung der Haftung für den speziellen Fall des Einsteigdiebstahls wäre unter Bedachtnahme auf den dargestellten Zweck der Haftungsregelung dann gerechtfertigt, wenn gesagt werden könnte, daß es sich bei solchen Diebstählen um keine spezifische Gefahr des Hotelbetriebes handelte. Dies trifft aber nicht zu. Erfahrungsgemäß sind Einsteigdiebstähle gerade in Hotels häufig, zumal sie für den Dieb ja vielfach ein geringeres Risiko mit sich bringen als Einschleichdiebstähle, für welche die Haftung aber unbestrittenermaßen bejaht wird. Die Richtigkeit dieser Auffassung kann auch durch den Hinweis auf die deutsche Lehre und Judikatur untermauert werden. Die Regelung der §§ 701 bis 704 dBGB beruht gleichfalls auf dem Gedanken der Haftung des Gastwirts für die typischen Gefahren, denen die Sachen der Gäste im Hotel ausgesetzt sind (vgl. Fikentscher, Schuldrecht 510). Die Haftung für Einsteigdiebstähle wird aber im deutschen Rechtsbereich nicht in Zweifel gezogen und damit ebenfalls dem typischen Gefahrenbereich des Beherbergungsbetriebes zugerechnet (vgl. BGHZ 32, 149 ferner RGRK-BGB[12], § 701 Anm. 5). Bei dieser Sachlage kann aber dem Wortlaut des Gesetzes, das von ein- und ausgehenden Personen spricht und damit nur auf den für den Gesetzgeber offenbar im Vordergrund stehenden Fall des Einschleichdiebstahls abstellt, keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden. Es ist daher Ehrenzweig, System II/1, 389 jedenfalls darin beizupflichten, wenn er ausführt, daß das Gesetz auf dritte Personen, die in das Haus gelangen, überhaupt abstelle, Gschnitzer führt in Klang[2] IV/1, 667 aus, unter fremden, im Haus aus- und eingehenden Personen seien alle Personen zu verstehen, die auch dem Beschädigten fremd sind und dem Betrieb dienende Räumlichkeiten betreten und verlassen, ohne hiezu ein Hindernis körperlich z. B. durch Einbruch, Gewaltanwendung überwinden zu müssen. Gschnitzer zählt zum Personenkreis des § 970 ABGB vor allem die anderen Gäste, Einschleicher und Einsteiger. Derselbe Autor vertritt in seinem Lehrbuch, Schuldrecht Besonderer Teil und Schadenersatz 12, die Meinung, der Wirt hafte für die dem Gasthof eigene Gefahr des offenen Hauses bis zur Grenze der höheren Gewalt. Der Wirt werde daher positiv beweisen müssen, der Schaden sei vom Beschädigten selbst oder in dessen Sphäre, zum Beispiel durch seine Angehörigen, seine Person, durch die verderbliche Beschaffenheit der Sache oder durch vis major verursacht worden. Auch in der Rechtsprechung wurde die Haftung des Gastwirtes für Einstiegdiebe bejaht (so ausdrücklich EvBl. 1968/56). Ausgeschlossen wurde lediglich die Haftung für jene Personen, die durch Einbruch in das Haus gelangen oder sich den Eintritt durch Gewalt erzwingen (so schon SZ 21/49; weiters JBl. 1963, 152). Dabei wurde in der zuletzt genannten Entscheidung im Ausheben eines Fensters und dem darin gelegenen Beiseiteschaffen eines dem Eindringen entgegenstehenden Hindernisses eine gewaltsame Überwindung eines Hindernisses erblickt, die dem Falle des Einbruchs gleichzusetzen sei.

Im vorliegenden Falle konnte der Täter ohne Gewaltanwendung in das vom Kläger bewohnte Zimmer eindringen, weil die Balkontüre nicht versperrt war. Es kann daher die Frage der Gastwirtehaftung in Fällen, wo sich der Dieb unter Anwendung von Gewalt Zutritt zum Gastwirtsbetrieb verschafft hat, offen bleiben. Die bloße Tatsache, daß der Täter nicht den Hoteleingang benützte, sondern sich mit Hilfe einer Leiter Zutritt zum Zimmer verschaffte, kann die Haftung des Beklagten nach dem Vorgesagten aber nicht ausschließen. Der Schaden fällt vielmehr noch unter die Betriebsgefahr des Hotelbetriebes, für die einzustehen ist.

Was aber die Frage der Mitverantwortung des Klägers betrifft (§ 1304 ABGB), so ist sie zu verneinen. Sie wäre grundsätzlich nur dann anzunehmen, wenn der Kläger gegenüber eigenen Gütern sorglos gewesen wäre (vgl. Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I, 185). Der anzuwendende Sorgfaltsmaßstab richtet sich dabei nach den Umständen des Falles, darf aber jedenfalls nicht überspannt werden. Vom Gast können eben nur übliche Vorkehrungen zum Schutze der eingebrachten Sachen gefordert werden. Nun ist es insbesondere in den Sommermonaten üblich, bei offenem Fenster, bzw. offener Balkontüre zu schlafen. Vom Gast zu fordern, Fenster und Balkontüren eines im ersten Stock gelegenen Zimmers zu schließen und die Türe zu versperren, wurde eine unzumutbare Überspannung der Sorgfaltsanforderung bedeuten.

Anmerkung

Z48097

Schlagworte

Gastaufnahmevertrag, für die Haftung aus dem - ist das Recht des, Betriebssitzes maßgebend, Gastaufnahmevertrag, Haftung für den Sachschaden, den der Gast durch, einen Einsteigdieb erleidet

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1975:0010OB00161.75.0924.000

Dokumentnummer

JJT_19750924_OGH0002_0010OB00161_7500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten