TE OGH 1976/7/1 7Ob616/76

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Veröffentlicht am 01.07.1976
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Norm

ABGB §186

Kopf

SZ 49/93

Spruch

Ein (bloßer) Kostkindervertrag unterliegt nicht der gerichtlichen Bestätigung nach § 186 ABGB. Es können vielmehr die Erziehungsberechtigten von diesem Vertrag nach ihrem Belieben abgehen

OGH 1. Juli 1976, 7 Ob 616/76 (KG Leoben R 223/76; BG Liezen P 25/73)

Text

Die Mutter des mj. Andreas N verstarb bei dessen Geburt am 24. November 972. In der durch den Tod seiner Gattin entstandenen Notsituation gab der eheliche Vater August N seinen Sohn Andreas im Alter von drei Wochen zunächst in die Pflege seiner Schwester Theresia C in Graz. Vom April bis August 1973 befand sich der mj. Andreas im Haushalte seines Vaters in Liezen und wurde von dessen Schwester betreut. Als sich diese in die Schweiz begab, wurde das Kind an dem 24 jährigen in Graz wohnhaften Neffen des ehelichen Vaters Erich C und dessen 22 jähriger Gattin Maria C in Pflege genommen. Nach der Verehelichung des August N mit Frieda T kam der mj. Andreas wieder in den Haushalt seines Vaters in Liezen, der sich jedoch nach einer längeren Aussprache zum Jahresende 1973 bereit erklärte, das Kind neuerlich den Ehegatten Erich und Maria C in Graz, die seit 1. Oktober 1974 selbst ein Kind haben, zur Pflege zu überlassen. Der zwischen dem ehelichen Vater August N und den Ehegatten Erich und Maria C abgeschlossene Pflegschaftsvertrag vom 13. Dezember 1974 (S. 79) hat folgenden Wortlaut: "Der Kindesvater, August N, die Kindesmutter ist verstorben, und das Ehepaar Erich und Maria C sind zur einvernehmlichen Lösung gekommen, daß das Kind Andreas N, das den bisher größten Teil seines Lebens beim Ehepaar C aufgewachsen ist und auch an deren Wohnanschrift gemeldet ist, vom Ehepaar C bis zu seiner Großjährigkeit in Pflege genommen wird. Außerdem soll und wird ab 1. Jänner 1975 das Ehepaar C amtlich als Pflegepartei aufscheinen, die dafür vorgesehenen Steuerfreibeträge, sowie die Kinder- und Familienbeihilfen in Anspruch nehmen und das von der Fürsorge zu zahlende Pflegegeld nach dem derzeitigen Richtsatz in Höhe von 1365 S (eintausenddreihundertsechzigfünf) beziehen dürfen." Am 24. Jänner 1975 wurde entsprechend dem sogenannten Pflegschaftsver- Antrag zwischen dem Magistrat der Stadt Graz-Jugendamt und den Pflegeeltern auf Grund der erteilten Pflegebewilligung (§ 5 JWG) der Pflegevertrag vom 24. Jänner 1975 (S. 183 f.) mit folgendem Wortlaut abgeschlossen: "Auf Grund der erteilten Pflegebewilligung übernimmt die Pflegepartei vom Magistrat Graz, Jugendamt, obiges Kind gegen ein Pflegegeld von monatlich 1520 S (in Worten: eintausendfünfhundertzwanzig) ab 1. Jänner 1975 in Pflege. Das Pflegegeld wird vom Tage der Übernahme des Kindes durch den Magistrat Graz, Sozialamt, monatlich im vorhinein, bei kurzfristiger Unterbringung im nachhinein, ausgezahlt. Der Anspruch erlischt spätestens mit der Abgabe oder Abnahme des Kindes. Ein Überbezug (wegen Krankenhausaufenthalt, Ferienheimaufenthalt, Beendigung der Lehrzeit usw.) muß rückerstattet werden. Bei begrundeter Notwendigkeit kann für Bekleidung, Schulsachen und Arbeitsbehelfe über die zuständige Fürsorgerin des Jugendamtes eine Sonderzahlung beantragt werden. Die Pflegepartei verpflichtet sich, das anvertraute Kind sachgemäß zu pflegen, liebevoll zu behandeln und gewissenhaft zu erziehen, so daß es sich körperlich, geistig, seelisch und sittlich gut entwickelt, und ein charaktervoller, tüchtiger Mensch wird. Die Pflegepartei hat alle im Merkblatt angeführten Pflichten genau zu erfüllen. Das Merkblatt bildet einen eigenen Bestandteil des Pflegevertrages. Ferner ist die Pflegepartei verpflichtet, das Kind polizeilich zu melden. Außerdem hat die Pflegepartei dafür zu sorgen, daß das Kind den gesetzlich vorgeschriebenen Impfungen zugeführt wird. Während des Pflegeverhältnisses ist die Pflegepartei Stellvertreter der Erziehungsberechtigten, deren Rechte zu achten sind. Das Kind darf nur jenen Personen übergeben werden, die einen vom Magistrat Graz, Jugendamt ausgestellten und mit Amtssiegel versehenen Übernahmeschein vorweisen.

Der Pflegevertrag tritt sofort außer Kraft, wenn das Jugendamt gezwungen ist zum Wohle des Pflegekindes die erteilte Pflegebewilligung gemäß § 16 des Steiermärkischen Jugendwohlfahrtsgesetzes, LGBl. Nr. 35/1958, zu widerrufen und das Pflegekind sofort abzunehmen." Auf Grund des vorgenannten Vertrages wurde den Pflegeeltern ein monatliches Pflegegeld von 1520 S überwiesen, dessen Ersatz der Magistrat der Stadt Graz vom ehelichen Vater im Regreßwege begehrte. Dieser beantragte am 19. Juni 1975, die Pflegeeltern zur Herausgabe des mj. Andreas zu verpflichten. Im Hinblick auf die durch seine Wiederverehelichung bedingte Veränderung in seinen persönlichen Verhältnissen habe er den Pflegschaftsvertrag vom 13. Dezember 1974 aufgekundigt. Die Pflegeltern sprachen sich gegen die Übergabe des Kindes an seinen Vater aus, weil sowohl dieser als auch seine Gattin für eine Kindererziehung ungeeignet seien. Mit dem Wohle des psychisch labilen Kindes sei es daher unvereinbar, dieses aus seiner gewohnten Umgebung herauszureißen und seinem Vater zu übergeben. Über Anregung des Erstgerichtes begehrten schließlich die Pflegeltern Erich und Maria C, den Pflegschaftsvertrag vom 13. Dezember 1974 nachträglich zu genehmigen (gerichtlich zu bestätigen). Hingegen erklärte der eheliche Vater August N, eine pflegschaftsbehördliche Genehmigung dieses Vertrages nicht zu beantragen und wiederholte seinen Antrag, den Ehegatten Erich und Maria C die Herausgabe seines Sohnes Andreas aufzutragen.

Das Erstgericht genehmigte den Pflegschaftsvertrag vom 13. Dezember 1974 und versagte gleichzeitig der vom ehelichen Vater ausgesprochenen Kündigung dieses Vertrages die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung. Das Rekursgericht hob hingegen den erstgerichtlichen Beschluß auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Das Rekursgericht war der Ansicht, daß der Pflegschaftsvertrag vom 13. Dezember 1974 dem Erfordernis der gerichtlichen Bestätigung nach § 186 zweiter Satz ABGB unterliege.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Eheleute C Folge und änderte den angefochtenen Beschluß dahin ab, daß er wie folgt zu lauten hatte: "Der Antrag des Erich und der Maria C, den Pflegschaftsvertrag vom 13. Dezember 1974 gerichtlich zu bestätigen, wird abgewiesen."

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Rekurs ist zulässig, weil einerseits den Pflegeeltern Erich und Maria C im Verfahren zur Bestätigung des mit ihnen abgeschlossenen Pflegschaftsvertrages Beteiligtenstellung zukommt (SZ 24/222; EvBl. 1974/25), andererseits im Außerstreitverfahren auch bei Aufhebungsbeschlüssen des Gerichtes zweiter Instanz ein weiterer Rechtszug an den OGH zulässig ist (JB 203 u. a. m.). Der Rekurs ist auch berechtigt.

Nach § 186 zweiter Satz ABGB bedarf die Übernahme eines Kindes in Pflege nur insofern der gerichtlichen Bestätigung, als die Rechte des Pflegekindes geschmälert oder diesem selbst Verbindlichkeiten auferlegt werden sollten. Dies ist dann der Fall, wenn das zu entrichtende Pflegegeld aus dem Vermögen des Pflegekindes zu entrichten ist oder wenn durch den Vertrag die Pflegeeltern ein Recht auf Erziehung erlangen, das den Erziehungsrechten (bzw. Pflichten) der leiblichen Eltern vorgeht (Wentzel - Plessl in Klang[2] I/2, 287). Eine solche Beschränkung wird dann anzunehmen sein, wenn das Rückforderungsrecht des ehelichen Vaters beträchtlich eingeschränkt und dadurch ein Ruhen seines Erziehungsrechtes zugunsten der Pflegeeltern bewirkt wird (Wentzel - Plessl, 287; SZ 7/274; EvBl. 1974/25). Soll hingegen durch den zwischen den erziehungsberechtigten bzw. unterhaltspflichtigen Personen und den Pflegeeltern abgeschlossenen Vertrag nur die Verbindlichkeit der letzteren zur Pflege und Erziehung eines (ehelichen) Kindes gegen ein zu leistendes Entgelt begrundet werden, so sind die Pflegeeltern nur Erfüllungsgehilfen der Erziehungsberechtigten und üben nur deren Erziehungsgewalt aus. Ein solcher Vertrag (auch Kostkindervertrag genannt) unterliegt daher nicht der gerichtlichen Bestätigung nach § 186 ABGB. Es können vielmehr die Erziehungsberechtigten von diesem Vertrag nach ihrem Belieben abgehen (Wentzel - Plessl in Klang[2] I/2, 286). Auch der zwischen August N und Erich und Maria C abgeschlossene Pflegschaftsvertrag vom 13. Dezember 1974 enthält nur die Verpflichtung der Vorgenannten zur Pflege (und Erziehung) des mj. Andreas. Hingegen fehlt im Vertrag eine Bestimmung, die auf eine Beschränkung der Erziehungsrechte des ehelichen Vaters zugunsten der Pflegeeltern schließen läßt. In dem Umstand, daß die Pflege von den Ehegatten Erich und Maria C bis zur Großjährigkeit des mj. Andreas übernommen wird, liegt nur eine zeitliche Begrenzung der von ihnen übernommenen Verpflichtung zur Pflege und Erziehung, nicht aber eine Beschränkung der Rechte des Vaters. Auch vom Magistrat der Stadt Graz, Jugendamt, wurde der vorgenannte Pflegschaftsvertrag so verstanden und die Pflegebewilligung nach § 5 JWG nur in diesem Umfang erteilt. Dies ergibt sich aus dem vom Magistrat der Stadt Graz, Jugendamt, mit den Pflegeltern abgeschlossenen Pflegevertrag vom 24. Jänner 1975, in dem ausdrücklich hervorgehoben wird, daß während des Pflegeverhältnisses die Pflegeltern nur Stellvertreter der Erziehungsberechtigten sind und daher deren Rechte zu achten haben. Der Pflegschaftsvertrag vom 24. November 1975 bedurfte daher entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes nicht der gerichtlichen Bestätigung. Die vom Rekursgericht zitierte Entscheidung EvBl. 1974/25 betraf einen anders gelagerten Fall, in dem das Recht des ehelichen Vaters, die jederzeitige Rückgabe seines Kindes in seine Pflege und Erziehung zu verlangen, zugunsten der Pflegemutter eingeschränkt war. Der Pflegschaftsvertrag vom 13. Dezember 1974 ist daher durch die vom August N begehrte Herausgabe des mj. Andreas außer Kraft getreten. Die Pflegeltern sind sohin nicht mehr berechtigt, die Herausgabe des Kindes nur mit dem Hinweis auf diesem Pflegschaftsvertrag zu verweigern. Deren Antrag, diesen Vertrag gerichtlich zu bestätigen, wäre daher vom Erstgericht abzuweisen gewesen. Da die vom ehelichen Vater bewirkte Aufhebung des Pflegschaftsvertrages ebenfalls keiner pflegschaftsbehördlichen Genehmigung bedurfte, hatte auch die vom Erstgericht der Kündigung des Vertrages durch den ehelichen Vater versagte pflegschaftsgerichtliche Bestätigung zu unterbleiben. Die vom Rekursgericht angeordnete Verfahrensergänzung (für die Frage der gerichtlichen Bestätigung des Pflegschaftsvertrages vom 13. Dezember 1974) ist demnach entbehrlich.

Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben und an Stelle des rekursgerichtlichen Aufhebungsbeschlusses die richtige Sachentscheidung zu treffen (SZ 25/51; 3 Ob 554/76; zuletzt 6 Ob 543/76).

Über den Antrag des August N, den Ehegatten Erich und Maria C die Herausgabe seines Sohnes Andreas aufzutragen, wird das Erstgericht noch zu entscheiden haben. Hiezu sei nur erwähnt, daß gegen den Willen des erziehungsberechtigten Vaters die Unterbringung seines Kindes auf einem Pflegeplatz nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 26 JWG (im Rahmen der gerichtlichen Erziehungshilfe) angeordnet werden kann (5 Ob 44/60; 5 Ob 90/69; zuletzt 4 Ob 540/72, ähnlich bereits SZ 23/236).

Anmerkung

Z49093 7Ob616.76

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1976:0070OB00616.76.0701.000

Dokumentnummer

JJT_19760701_OGH0002_0070OB00616_7600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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