TE OGH 1977/3/2 1Ob538/77

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.03.1977
beobachten
merken

Norm

ABGB §870
ABGB §872
ABGB §874
ABGB §1118
ABGB §1438
ABGB §1439
ABGB §1440
ZPO §182
ZPO §226
ZPO §391
ZPO §503 Z2

Kopf

SZ 50/35

Spruch

Der listige Irregeführte kann auch ohne Anfechtung des Vertrages das negative Vertragsinteresse als Schadenersatz beanspruchen

Der listige Irregeführte kann den Vertrag zwar unangefochten lassen, muß ihn dann aber auch seinerseits erfüllen; eine Vertragskorrektur kann er insoweit verlangen, als der andere Teil den Vertrag auch mit der Korrektur geschlossen hätte. Steht die vom Beklagten eingewendete Gegenforderung mit der Forderung des Klägers in rechtlichem Zusammenhang, schließt es die gemeinsame Wurzel beider Ansprüche aus, die sonst zulässige Gegenforderung nur mangels Liquidität nicht zu prüfen

Gegen ein Räumungsbegehren wegen Nichtzahlung des Zinses kann mangels Gleichartigkeit nicht mit Geldforderungen gegen den Bestandgeber prozessual aufgerechnet werden; der Bestandnehmer kann nur gegen die anerkannte Zinsforderung außergerichtlich aufrechnen und den Räumungsanspruch mit der Behauptung bestreiten, der behauptete Zinsrückstand bestehe damit nicht

OGH 2. März 1977, 1 Ob 538/77 (KG Wels R 613/76; BG Grieskirchen C 51/76)

Text

Der Erstkläger ist Wohnungseigentümer von im Hause S, B-Straße 393, befindlichen Räumlichkeiten im Gesamtausmaß von 110 m2 zuzüglich Kellerräumen, die er von der ISG zum Zwecke des Betriebes einer Imbißstube erworben hatte. Bei den Kaufgesprächen zwischen Josef T als Vertreter der ISG und dem Erstkläger wurde dieser darauf hingewiesen, daß eine Sperrstundenverlängerung über 20 Uhr nicht möglich sei, nur für Ausnahmefälle werde eine Verlängerung bis 21 Uhr in Kauf genommen. Mit Konzessionsurkunde der Bezirkshauptmannschaft G vorn 10. September 1973 wurde der Zweitklägerin die Konzession zum Betrieb des Gast- und Schankgewerbes mit dem Standort in S, B-Straße 393, mit den Berechtigungen des § 16 lit. b, c, e und f GewO und mit einer täglichen Sperrstunde um 20 Uhr in der Betriebsform einer Imbißstube mit Diätkost bewilligt. Da die Zweitklägerin jedoch erkrankte, fanden sodann Verpachtungsgespräche mit den Beklagten statt. Den Beklagten wurde mitgeteilt, daß die Sperrstunde mit 20 Uhr festgesetzt und in Ausnahmefällen eine Verlängerung bis 21 Uhr, unter Umständen aber auch bis 22 Uhr möglich sei; daß mit der ISG eine privatrechtliche Vereinbarung über die Sperrstunde bestand, verschwiegen die Kläger. Am 24. November 1973 schlossen die Streitteile einen Vertrag über die Verpachtung der Imbißstube unter Vereinbarung eines wertgesicherten monatlichen Pachtschillings von 4000 S zuzüglich anfallender Nebenkosten" worin es u. a. heißt: "Der infolge eines Versehens noch ausständige lit. d des § 16 der GewO kann nach Rücksprache mit der Kammer und der Bezirksverwaltungsbehörde einige Monate nach der Eröffnung durch den neuen Pächter in Form eines Antrages auf Erweiterung nachgereicht werden. Dieselbe trifft auch auf die Sperrstunde (bis 22 Uhr) zu."

Tatsächlich ist die gesetzliche Sperrstunde für Lokale in der genehmigten Betriebsform grundsätzlich bis 22 Uhr festgesetzt. Die Verpachtung wurde von der Bezirksverwaltungsbehörde genehmigt. In der Folge kam es bald zu Beanstandungen wegen Sperrstundenüberschreitungen. Am 7. Juli 1974 schrieb die Zweitbeklagte an die Kläger, daß Hand in Hand mit der Abwicklung des geplanten Kaufes des Unternehmens auch die Frage der Sperrstunde geklärt werden müsse, um zusammen eine Verlegung der Sperrstunde bis 22 Uhr zu erreichen. Einen Antrag auf Verlängerung der Sperrstunde hätte nur die Zweitklägerin als Konzessionsinhaberin stellen können, tat dies jedoch nicht. Seit Jänner 1976 zahlen die Beklagten keinen Pachtschilling und entrichteten auch die anfallenden Betriebskosten nicht. Der gesamte Rückstand am 23. August 1976 (Schluß der Verhandlung I. Instanz) betrug 66 145 S.

Die Kläger begehren die Feststellung, daß der Bestandvertrag vom 24. November 1973 aufgehoben und die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig seien, die gepachteten Räumlichkeiten zu räumen und den Klägern geräumt zu übergeben. Die Beklagten wendeten ein, daß ihnen eine aufrechenbare Gegenforderung in der Mindesthöhe der Zinsforderung zustehe, da die Kläger den Beklagten versichert hätten, daß ihnen die Sperrstundenverlängerung bis 22 Uhr auf ihr Ansuchen ohne weiteres von der zuständigen Behörde erteilt werden würde. Bei Abschluß des Vertrages habe der Zweitbeklagte auch den Klägern erklärt, daß eine Sperrstundenregelung lediglich bis 20 Uhr nicht interessant wäre. Die Kläger hätten geantwortet, daß eine Sperrstundenverlängerung bis 22 Uhr eine reine Formsache wäre und ein Antrag an die Gewerbebehörde sofort Erfolg haben würde. Die Kläger hätten die Vereinbarung mit der ISG verschwiegen, daß das Lokal nur bis 20 Uhr betrieben werden dürfe. Die Gewerbebehörde würde der Verlängerung der Sperrstunde ohne weiteres zustimmen, wenn ihr nicht die privatrechtliche Vereinbarung des Erstklägers entgegenstunde. Durch die bewußte Irreführung hätten die Beklagten einen Schaden in der Mindesthöhe der offenen Pachtzinsschuld erlitten, so daß das Räumungsbegehren nicht gerechtfertigt sei. Den Beklagten stunde außerdem wegen dieser Irreführung eine angemessene Vergütung (Zinsminderung) von monatlich mindestens 1000 S zu, die ebenfalls compensando eingewendet werde. Später wurde noch vorgebracht, daß auf Grund des Umsatzes der Beklagten zwischen 20 und 22 Uhr stundlich 300 S netto verdient werden könnten, welcher Betrag als Schadenersatz und angemessene Vergütung begehrt werde.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und sprach im Urteil auch aus, daß die Einwendung einer Geldforderung der Beklagten in der Höhe des rückständigen Pachtschillings abgewiesen werde. Der Zinsrückstand sei unbestritten. Da ein Teilurteil schon begrifflich nicht denkbar und damit die Vorschrift des § 391 ZPO nicht anwendbar sei, könnte das Gericht nur auf liquide Gegenforderungen Bedacht nehmen. Die Schuld müsse entweder anerkannt oder durch rechtskräftiges Urteil erwiesen sein oder aber keiner weiteren Beweisführung bedürfen. Gegen eine unbestritten bestehende Pachtschillingforderung könne eine schwer beweisbare Gegenforderung aufrechnungsweise nicht geltend gemacht werden. Die Gegenforderung sei daher mangels Aufrechenbarkeit abzuweisen. Eine Zinsminderung setze voraus, daß die Bestandsache eine bei Vertragsabschluß nicht berücksichtigte Unbrauchbarkeit aufweise; den Beklagten sei aber klar gewesen, daß die Sperrstunde auf 20 Uhr festgesetzt gewesen sei. Die Voraussetzungen für eine Zinsminderung seien daher nicht gegeben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, 5000 S übersteige (die Klage war vor dem 1. April 1976 erhoben worden). Es trat die Auffassung des Erstgerichtes bei und ergänzte, daß selbst dann, wenn den Beklagten eine Vergütung (Herabsetzung des Bestandzinses) nach § 872 ABGB von 1000 S monatlich seit Beginn des Bestandverhältnisses (1. April 1974) zustunde, dies nur einen Betrag von 29 000 S ergäbe, dem ein Pachtzinsrückstand von 66 145 S gegenüberstehe.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Kläger verlangen mit der von ihnen erhobenen Klage von den Beklagten eine bestimmte Leistung, die Räumung der von ihnen auf Grund eines Unternehmenspachtvertrages innegehabten Räume und deren Übergabe an sie. Die Beklagten rechnen gegen diesen Anspruch "compensando" Geldansprüche aus dem Titel des Schadenersatzes und der angemessenen Vergütung (§ 872 ABGB) aus dem bestehenden Pachtverhältnis auf.

Im Prozeß kann die Aufrechnung als Schuldtilgungseinwand, der sich auf eine (vor oder während des Prozesses) bereits vollzogene (außergerichtliche) Aufrechnung stützt, oder durch prozessuale Aufrechnungseinrede geltend gemacht werden (EvBl. 1972/187 u. a.; Novak in JBl. 1951, 504 ff.). Zwischen der außergerichtlichen Aufrechnung und prozessualen Aufrechnungseinrede muß unterschieden werden; erstere wird unbedingt und ohne Rücksicht auf den Bestand der Hauptforderung erklärt, setzt also die Anerkennung der Hauptforderung voraus und setzt ihr nur die Gegenbehauptung entgegen, daß sie wegen Schuldtilgung nicht mehr bestehe; die Aufrechnungseinrede im Prozeß ist hingegen eine - nicht einmal Streitanhängigkeit zur Folge habende (SpR 40 = SZ 28/25 u. v. a.) - bedingte Erklärung, die erst und nur für den Fall wirksam wird, daß das Gericht den Bestand der Hauptforderung bejaht; ob eine Aufrechnung außerhalb des Rechtsstreites erklärt wurde und eingetreten ist, bildet eine Vorfrage für die Entscheidung des Klagebegehrens und kommt im Spruch der Entscheidung nicht zum Ausdruck; die Aufrechnungseinrede im Prozeß bildet hingegen im Falle des Bestandes der Hauptforderung und der Aufrechenbarkeit den Gegenstand der spruchmäßigen Entscheidung des Gerichtes (Fasching III, 574). Schon wegen der verschiedenen Rechtslagen im einen und im anderen Fall muß der Beklagte im Prozeß klarstellen, von welcher der gegebenen rechtlichen Möglichkeiten er Gebrauch macht. Wenn er außergerichtliche Aufrechnung behauptet, muß er die Aufrechnungserklärung dartun, weil das Gegenüberstehen gleichartiger Forderungen zunächst nur ein Aufrechnungsverhältnis schafft und erst dann allerdings auf jenen Zeitpunkt, zu dem Forderung und Gegenforderung einander aufrechenbar gegenübertraten, zurückwirkend - zur Schuldtilgung führt, wenn die Aufrechnungshandlung hinzutritt (RZ 1973/85; EvBl. 1972/187; SZ 43/60 u. v. a.; Koziol - Welser[4] I, 221 f.; Gschnitzer in Klang[2] VI, 494; Ehrenzweig[2] II/1, 341).

Voraussetzung jeder (prozessualen oder außergerichtlichen) Aufrechnung ist die Gleichartigkeit der beiderseitigen Forderungen (§ 1440 ABGB). Forderung und Gegenforderung müssen auf Gegenstände gleicher Art gerichtet sein, denn ungleichartige Forderungen lassen sich nicht voneinander abziehen; der Gegenstand der Gegenforderung muß so beschaffen sein, daß damit die Forderung des Klägers befriedigt werden kann; gleichartig sind vor allem beiderseitige Geldforderungen, aber auch sonstige Schulden gleicher Art und Güte (Gschnitzer a. a. O., 506; Koziol - Welser a. a. O., 222; Ehrenzweig a. a. O., 333). Gewiß kann einer Mietzinsklage ein auf Geld lautender Anspruch des Bestandnehmers aus dem Bestandverhältnis (Klang in Klang[2] V, 49), aber auch eine andere Geldforderung entgegengesetzt werden. Nicht aufrechenbar sind hingegen Sachen gegen Handlungen (Gschnitzer a. a. O., 506). Nicht möglich ist es daher auch, der Räumungsklage nach § 1118 ABGB, einer Klage auf eine Handlung aufrechnungsweise Geldforderungen entgegenzusetzen.

Der erkennende Senat will allerdings nicht übersehen, daß der OGH trotzdem mehrfach die Auffassung vertreten hat, daß der Bestandnehmer auch im Räumungsprozeß in Geld bestehende Gegenforderungen einwenden kann (EvBl 1972/74; MietSlg 17 218; SZ 34/102). Er hat hiebei aber zwischen außergerichtlicher und prozessualer Aufrechnung nicht unterschieden und die Frage der Gleichartigkeit der gegenseitigen Ansprüche nicht berührt; wenn er (EvBl. 1972/74) auf Klang a. a. O. verwies, war er nicht im Recht, weil jener nur zu Aufrechenbarkeit von Geldforderungen des Bestandnehmers gegen die Zinsforderung des Bestandgebers, also einen Anspruch auf Geldleistung, Stellung genommen und sie anerkannt hatte. Soweit der OGH die Frage der Gleichartigkeit berührte, verlangte er sie richtigerweise ohnehin (MietSlg. 2446/62). Ist eine Räumungsklage erhoben, hat der beklagte Bestandnehmer also nicht die Möglichkeit, zwischen außergerichtlicher und prozessualer Aufrechnung zu wählen. Er kann nur unter Anerkennung der behaupteten Bestandzinsschuld eine unbedingte außergerichtliche Aufrechnungserklärung gegen die behauptete nicht eingeklagte Zinsforderung abgeben und sodann im Räumungsprozeß behaupten, daß keine Bestandzinsschuldigkeit bestehe, da infolge außergerichtlicher Aufrechnungserklärung der Zins als entrichtet zu gelten habe. Dann wird der Anspruch mit der Behauptung bestritten, daß die geltendgemachte Voraussetzung für die Erhebung der Räumungsklage nach § 1118 ABGB nicht bestehe.

Einer außergerichtlichen Aufrechnung gegen die Zinsforderung könnten die Kläger entgegen der Auffassung der Untergerichte auch nicht den Einwand mangelnder Liquidität entgegensetzen. Nach herrschender Auffassung wird nämlich, wie der Revision an sich beizupflichten ist, für die Zulässigkeit der Geltendmachung einer Gegenforderung Liquidität, d. h. deren leichte Erweislichkeit (vgl. dazu Gschnitzer a. a. O., 503), nicht verlangt (SZ 43/60; SZ 30/45; SZ 26/200 u. a.; Koziol - Welser a. a. O., 222). In dem von der Revision zitierten Fall MietSlg. 8695 = SZ 34/102, in dem die Räumung eines Geschäftslokals wegen Nichtzahlung des Bestandzinses begehrt worden war, war sogar zu prüfen, ob der vorn Kläger behauptete Bestandzinsrückstand deswegen durch Aufrechnung erloschen sei, weil der Beklagten als Mutter eines angeblich vom Kläger gezeugten unehelichen Kindes wegen ihrer Aufwendungen zu dessen Unterhalt Ansprüche nach § 1042 ABGB zustunden, obwohl als Vorfrage erst zu klären war, ob der Kläger überhaupt der uneheliche Vater des Kindes war. Die von den Untergerichten herangezogene Rechtsprechung aus der Zeit vor dem Jahre 1938 kann daher nicht mehr als herrschend angesehen werden. Es soll allerdings nicht übersehen werden, daß das Wegfallen der Forderung der Liquidität der Gegenforderung vor allem aus dem § 391 ZPO abgeleitet wurde, in einem Fall wie dem vorliegenden aber weder ein Teilurteil ergehen kann noch überhaupt die prozessuale Aufrechnung einer Geldforderung möglich ist. Es muß aber jedenfalls der Auffassung Gschnitzers a. a. O., 504 beigepflichtet werden, daß dann, wenn die Gegenforderung im rechtlichen Zusammenhang mit der Hauptforderung steht, schon die gemeinsame Wurzel beider Ansprüche es ausschließt, eine sonst zulässige Gegenforderung nur mangels Liquidität nicht zu prüfen. Im vorliegenden Fall behaupten die Beklagten Gegenforderungen aus dem Unternehmenspachtverhältnis, so daß der rechtliche Zusammenhang zwischen der Zinsforderung der Kläger, deren Bestehen Grundlage der Räumungsklage ist, und der Gegenforderung der Beklagten außer Frage steht. Hätten die Kläger also eine außergerichtliche Aufrechnung gegen die Bestandzinsforderung behauptet, könnte dem Klagebegehren nicht ohne Prüfung der Gegenansprüche der Beklagten nur mangels Liquidität stattgegeben werden, wenn bei Berechtigung ihrer Geldansprüche im Zeitpunkte des Schlusses der Verhandlung erster Instanz kein Zinsrückstand bestehen könnte.

Aus dem Vorbringen der Beklagten ist allerdings nicht erkennbar, daß sie im Prozeß behaupteten, sie hätten jemals eine außergerichtliche Aufrechnungserklärung abgegeben. Es kann aber nicht übersehen werden, daß die Berufung auf einen Pachtzinsminderungsanspruch gar keine Kompensationseinrede sein kann, sondern in Wahrheit die Behauptung darstellt, daß der Anspruch der Kläger in der behaupteten Höhe nicht zu Recht bestehe. Eine "außergerichtliche" Aufrechnungserklärung kann darüber hinaus auch in der Form abgegeben werden, daß der Beklagte während der Gerichtsverhandlung, wenn auch nicht in Form einer Prozeßeinwendung, eine solche Erklärung abgibt und damit Schuldtilgung in einem (zurückbezogenen) Zeitpunkt vor Anbringung der Räumungsklage behauptet. Das Vorbringen der Beklagten könnte auch dahin verstanden werden, daß sie die Höhe des Anspruches (mit der Behauptung der Minderung des Bestandzinses von 1000 S monatlich) teilweise bestreiten und im übrigen mit einer Schadenersatzforderung aufrechneten. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß sie auch außergerichtlich aufrechnen wollten und (oder) nur im Hinblick auf die oben wiedergegebene Rechtsprechung glaubten, sich mit einer prozessualen Aufrechnungseinrede begnügen zu können. Handelte es sich also allein um die Frage, in welcher Weise die Beklagten aufrechnen wollten, müßten die Urteile der Untergerichte aufgehoben werden, da das Gericht die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen darf, die sie nicht beachtet haben und auf die sie vom Gericht nicht aufmerksam gemacht wurden (SZ 42/28; EvBl. 1964/161; der einschränkenden Meinung von Sprung - König in JBl. 1976, 7 könnte, wenn sie auch Fälle wie den vorliegenden im Auge gehabt haben sollten, nicht beigepflichtet werden, da sie vor allem dann, wenn sich eine Partei mit ihrer Auffassung auf veröffentlichte Rechtsprechung berufen kann, zu unbilligen Ergebnissen führen müßte). Die Aufhebung der untergerichtlichen Urteile hat im vorliegenden Fall nur deswegen zu unterbleiben, weil der Standpunkt der Beklagten, ihre Gegenforderungen überstiegen die offene Pachtzinsforderung, schon aus rechtlichen Gründen nicht berechtigt ist.

Die Beklagten behaupten, von den Klägern listig irregeführt worden zu sein, und sind wohl der Auffassung, daß es sich um die Irreführung über einen wesentlichen Umstand handelte, wollen sie doch dadurch, daß sie die Pachträume schon um 20 Uhr statt um 22 Uhr sperren müssen, täglich 600 S, also monatlich rund 18 000 S, an Nettoeinkommen verlieren. Ihnen wäre bei Richtigkeit ihrer Auffassung das Recht zugestanden, den Vertrag nach § 870 ABGB als nichtig anzufechten; dann hätten sie allerdings auch den Gegenstand des von ihnen angefochtenen Vertrages sofort zurückstellen müssen und nur das Recht gehabt, von den Klägern Schadenersatz zu begehren (§ 874 ABGB). Sie konnten aber auch von einer Anfechtung des Vertrages absehen und immer noch den Ersatz des Schadens begehren, der auch durch Anfechtung des Vertrages nicht beseitigt worden wäre, unter Umständen auch anderen aus der Irreführung entstandenen Schadens (Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 150 f.). Selbstverständlich ist es aber, daß sie ab Entdeckung der Irreführung bei Nichtanfechtung des Vertrages diesen für die Zukunft als gültig anerkennen und auch ihrerseits erfüllen (Gschnitzer a. a. O., 144), also auch den vereinbarten Bestandzins bezahlen müßten. Mit Recht wird nur die Auffassung vertreten, daß bei Aufrechterhaltung (und damit Gültigkeit) des Vertrages durch Nichtanfechtung und Vorliegen nur unwesentlicher Mängel auch der listig Irregeführte das Recht hat, vom Irreführer angemessene Vergütung (§ 872 ABGB), bei einem Dauerschuldverhältnis gegen Bezahlung eines monatlichen Zinses, also Zinsminderung (SZ 18/99), zu verlangen, da es keine vernünftige Erklärung dafür gäbe, warum zwar der Irrende, nicht aber der Betrogene, der ohne die Irreführung den Vertrag mit anderem Inhalt geschlossen hätte, vom Partner, der auch mit der Änderung des Vertrages einverstanden gewesen wäre, diese fordern dürfte (Iro in JBl. 1974, 233; Gschnitzer a. a. O., 143). Eine Vertragskorrektur wird auch bei einem wesentlichen Irrtum für zulässig erachtet, aber, wie mit Recht hervorgehoben wird, nur dann, wenn der andere Teil den Vertrag auch mit dem angepaßten Inhalt geschlossen hätte, also die Korrektur für sich nicht als wesentlich erachtet (1 Ob 721/76; 1 Ob 197/75; ähnlich EvBl. 1976/125; SZ 45/38; Koziol - Welser a. a. O., 107; Koziol in JBl. 1967, 66, 68; vgl. SZ 18/99; Jabornegg in JBl. 1976, 193). Mit der Forderung nach Vertragskorrektur gibt der Irregeführte aber zu erkennen, daß er den Vertrag, wäre er nicht irregeführt worden, mit dem korrigierten Inhalt geschlossen hätte. Wenn die Beklagten daher unter Berufung auf § 872 ABGB eine Herabsetzung des Pachtschillings um monatlich 1000 S begehren, können sie auf keinen Fall außerdem den Ersatz des Schadens beanspruchen, der ihnen dadurch entsteht, daß sie durch die frühere Sperre des Lokals einen geringeren Verdienst als erwartet erzielen.

Darüber hinaus wäre ein solcher Anspruch auch für sich allein nicht möglich. Da ein unter listiger Irreführung geschlossener Vertrag grundsätzlich nichtig ist, also als nicht zustandegekommen gilt, kann der Irregeführte nur das sogenannte negative Vertragsinteresse, den Ersatz des Schadens, den er dadurch erlitten hat, daß er auf die Gültigkeit der rechtsgeschäftlichen Erklärung seines Partners oder eines Vertrags vertraute und dementsprechend seine Dispositionen traf (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I, 30), begehren. Zu ersetzen ist nur der Schaden, der durch die widerrechtliche Einwirkung auf den Willen des Betrogenen verursacht wurde; der Schaden kann dadurch entstehen, daß der Betrogene den ihm nachteiligen Vertrag geschlossen oder unter dem Einfluß des Irrtums einen für ihn vorteilhaften anderen Vertrag nicht geschlossen hat (Gschnitzer a. a. O., 146); in diesem Sinne kann es sich um positiven Schaden und um entgangenen Gewinn handeln (EvBl. 1956/149; JBl. 1955, 276). Hingegen ist der Nachteil, den der Betrogene dadurch erleidet, daß die Wirklichkeit seiner irrigen Vorstellung nicht entspricht, durch den Vertrag nicht veranlaßt, da der Mangel der Eigenschaft nicht durch die Vorspiegelung ihres Vorhandenseins verursacht wurde. Insbesondere kann der Käufer (oder Pächter) eines Unternehmens nicht Ersatz des Mehrertrages verlangen, den das Unternehmen im Falle der Richtigkeit der betrügerischen Angaben des Verkäufers (oder Verpächters) abgeworfen hätte (Gschnitzer a. a. O., 146; vgl. GlÜNF 7236). Gerade einen solchen Schadenersatz beanspruchen aber die Beklagten mit dem Hinweis auf einen Verdienstentgang von 600 S täglich. Ein solcher Anspruch auf das positive Vertragsinteresse, also so gestellt zu werden, wie wenn ordentlich erfüllt worden wäre (Koziol a. a. O. I, 29), steht ihnen aber nach dem Gesetz nicht zu. Nach Kenntnis der Irreführung hatten die Beklagten nur die Möglichkeit, den Vertrag anzufechten oder ihn voll bzw. korrigiert aufrechtzuerhalten und den durch die Irreführung verursachten Schaden im obigen Sinne zu beanspruchen, konnten aber selbstverständlich nicht, wie sie es sich anscheinend vorstellen, den Vertrag aufrecht und sich von den Klägern laufend jeden Nachteil ersetzen lassen, den sie durch die Notwendigkeit, das Lokal um 20 Uhr statt, wie erwartet, um 22 Uhr zu sperren, erleiden. Wie wenig akzeptabel eine solche Auffassung wäre, zeigt gerade der vorliegende Fall, in dem die Beklagten einen monatlichen laufenden Schaden von 18 000 S behaupten und sich anscheinend auf den Standpunkt stellen, für die ursprünglich vereinbarte Vertragsdauer das Lokal behalten zu können, wegen der Höhe ihrer Ersatzschadenansprüche keinen Zins bezahlen zu müssen und darüber hinaus noch weitere Ansprüche (die Differenz auf 18 000 S) geltend machen zu können. Die Eröffnung solcher Möglichkeiten war, wie die Revisionsbeantwortung richtig hervorhebt, natürlich nie die Absicht des Gesetzes. Zulässige Schadenersatzansprüche machen die Beklagten aber nicht geltend. Da der Zinsminderungsanspruch allein aber nicht annähernd den im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung geschuldeten Zins auf Null senken könnte, ist das Räumungsbegehren wegen Nichtzahlung des Zinses berechtigt.

Anmerkung

Z50035

Schlagworte

Aufrechnung, Geltendmachung der außergerichtlichen - im Prozeß ist eine, unbedingte Erklärung, Aufrechnungseinrede im Prozeß ist eine nicht einmal Streitanhängigkeit, zur Folge habende bedingte Erklärung, Aufrechnungserfordernis, Liquidität, Aufrechnung, Voraussetzung der Gleichartigkeit, Gleichartigkeit, Aufrechnungserfordernis, Gleichartigkeit fehlt bei Räumungsbegehren und Geldforderung, Liquidität, Aufrechnungserfordernis, Streitanhängigkeit, nicht bei prozessualer Aufrechnungseinrede

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1977:0010OB00538.77.0302.000

Dokumentnummer

JJT_19770302_OGH0002_0010OB00538_7700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten