TE OGH 1978/5/11 7Ob25/78

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Veröffentlicht am 11.05.1978
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Norm

Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung Art3 Abs1
ABGB §1325
ABGB §1326
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §332
Eisenbahn- Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §15 Abs2
Kraftfahrzeuggesetz 1967 §59 Abs3
Versicherungsvertragsgesetz §155
Versicherungsvertragsgesetz §156
ZPO §272
ZPO §482
ZPO §503 Z2

Kopf

SZ 51/63

Spruch

Zuspruch eines Schmerzengeldes von 900 000 S und einer Verunstaltungsentschädigung von 200 000 S

Aus der Kfz-Haftpflicht - Versicherungssumme ist vorweg das Schmerzengeld zu berichtigen. Sodann haben im Rahmen der Mindestversicherungssumme Kapitalsforderungen ohne Rücksicht auf das Vorhandensein mehrerer Gläubiger Vorrang gegenüber Rentenforderungen. Sonst sind alle Forderungen gleichrangig. - Renten sind periodische Leistungen, die weder der Teilabtragung eines Kapitals in Raten dienen noch Nebenleistungen einer Kapitalsschuld sind. Regelmäßiger Verdienstentgang ist ohne Rücksicht auf die Fälligkeit als Rente zu behandeln; die bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung fällig gewordenen Raten unterliegen aber nicht der Kürzung nach § 155 Abs. 1 VersVG. - Eine andere Verteilung der Versicherungssumme ist mit Zustimmung aller Betroffenen möglich

Im Direktprozeß des Geschädigten genügt die allgemeine Einwendung des Schädigers, daß der Schaden des Klägers durch Leistungen des Sozialversicherungsträgers verringert werde

OGH 11. Mai 1978, 7 Ob 25/78 (OLG Graz, 3 R 157/77; LGZ Graz, 6 Cg 96/75)

Text

Der Erstbeklagte war am 15. April 1974 mit seinem PKW bei der Zweitbeklagten gegen Haftpflicht versichert. Die Versicherungssumme für Personenschäden betrug 2 000 000 S. An diesem Tage verschuldete er mit dem PKW einen Verkehrsunfall, bei dem die damals 18jährige Klägerin als seine Beifahrerin schwere Verletzungen erlitt. Sie erlitt neben zahlreichen Brüchen eine Querschnittslähmung. Sie kann die Gliedmaßen nicht bewegen, ist ständig an den Rollstuhl gefesselt und kann weder die Nahrungsaufnahme noch die Körperreinigung und - pflege selbst vornehmen. Der Unfall hatte mehrere langfristige Spitalsaufenthalte zur Folge. Ferner werden immer wieder Geschwüre auftreten, die operativ entfernt werden müssen, so daß auch in Zukunft ständig Spitalsaufenthalte notwendig sein werden. Die Klägerin muß in Zukunft stets mit spastischen Muskelkrämpfen, die über das vegetative Nervensystem sehr schmerzhaft empfunden werden, rechnen. In den ersten beiden Wochen nach dem Unfall hatte die Klägerin dauernd qualvolle Schmerzen, in den folgenden Zeiträumen waren wochenlang sehr starke und während der stationären Behandlung mittelstarke Schmerzen durch Harnweg-Infekte, Geschwürbildungen und Spasmen zu erdulden. Zwischendurch und anschließend bis jetzt traten mittelstarke und leichte Schmerzen auf und werden auch künftig auftreten. Pauschalisiert können die bisherigen qualvollen Schmerzen mit 14 Tagen, die starken Schmerzen mit 7-8 Wochen, die mittelstarken mit 12-14 Wochen und die leichten Schmerzen mit 12 Monaten angenommen werden. Durch die Voraussehbarkeit künftiger Schmerzen und das Bewußtsein der völligen Versehrtheit und verkürzten Lebenserwartung ist jedoch eine weit über die bloßen körperlichen Schmerzen hinausgehende psychische Alteration gegeben.

Vor dem Unfall war die nunmehr zur Gänze arbeitsunfähige Klägerin in der Landwirtschaft ihres Vaters tätig, wo sie neben freier Station auch einen monatlichen Nettolohn von 3000 S bezog. Außerdem hatte ihr ihr Vater ab Mai 1975 eine Erhöhung dieses Lohnes auf netto 5000 S zugesagt.

In der Zeit, in der sich die Klägerin nach dem Unfall nicht in stationärer Behandlung befand, mußte für sie ein Pflegeaufwand gemacht werden, der bisher insgesamt 85 205.08 S betrug. Aus Anlaß des Unfalles wurde ihr von der Sozialversicherungsanstalt der Bauern eine Invaliditätspension zuerkannt, deren jeweilige Höhe ab 1. August 1974 das Erstgericht in seinem Urteil festgestellt hat, ohne jedoch Sonderzahlungen zu berücksichtigen. Ferner erhält die Klägerin zu der Pension ab 1. August 1974 eine Ausgleichszulage. Bei Gegenüberstellung des festgestellten Einkommens von monatlich 3000 S bzw. ab Mai 1975 von 5000 S und der Pensionsleistungen des Sozialversicherungsträgers (Pension und Ausgleichszulage samt Zuschlag, jedoch ohne Sonderzahlung) verbleibt eine ungedeckte Differenz für die Zeit vom 15. April 1974 bis 30. April 1975 von 24

899.90 S, für Mai und Juni 1975 eine monatliche Differenz von 3488.10 S, für die Zeit von Juli bis Dezember 1975 eine solche von 3419.10 S und ab 1. Jänner 1976 von 2852.80 S.

Bei Gegenüberstellung des Pflegeaufwandes von 85 205.08 S für die Zeit vom 23. September 1974 bis 31. Mai 1976 und des vom Sozialversicherungsträger für dieselbe Zeit gewährten Hilflosenzuschusses von 20 450 S verbleibt ein ungedeckter Aufwand von 64 755.08 S.

Zu 15 Cg 104/74 des Landesgerichtes für ZRS Graz hat die Klägerin gegen die Beklagten ein Anerkenntnisurteil über einen Schmerzengeldteilbetrag von 20 000 S und über einen Kleiderschaden von 1600 S sowie die Feststellung der Pflicht zur Deckung künftiger Unfallsschäden erwirkt.

Mit der vorliegenden Klage begehrte die Klägerin letztlich 933

651.47 S. Sie geht hiebei von folgenden Schäden aus:

Schmerzensgeld ......................................  1 000 000.00

S, Verunstaltungsentschädigung .........................    200

000.00 S, Diverse Ansprüche ...................................

100 334.52 S, Kleiderschäden ......................................

1 600.00 S Kosten für Pflegeperson .............................

70 246.35 S Verdienstentgang vom 15. April 1974 bis April 1975 bis

April 1975 ......................................     33 405.60 S, -

-------------- 1 405 586.47 S.

Dem stehen Zahlungen von 320 000 S auf das Schmerzengeld, 1600 S für Kleiderschäden, 50 000 S auf die Verunstaltungsentschädigung und 100 335 S für verschiedene Ansprüche gegenüber, so daß als offener Schaden der Klagsbetrag verbleibt. Schließlich begehrt die Klägerin ab 1. Mai 1975 eine monatliche Rente von 4220.40 S.

Die Beklagten anerkannten den Anspruch der Klägerin nur im Ausmaß der bereits geleisteten Zahlungen. Den behaupteten Verdienstentgang bestritten sie. Die Zweitbeklagte machte zusätzlich die Unzulänglichkeit der Versicherungssumme auch im Hinblick auf den Regreßanspruch des Sozialversicherungsträgers geltend, weshalb die Verdienstentgangs- und Rentenansprüche der Klägerin zu kürzen seien.

Das Erstgericht erkannte beide Beklagten schuldig, der Klägerin 819 654.98 S sowie für Mai und Juni 1975 eine Rente von je 3488.10 S, für Juli bis Dezember 1975 von je 3419.10 S und ab 1. Jänner 1976 von monatlich 1242.80 S zu zahlen. Der Erstbeklagte allein wurde darüber hinaus zur Zahlung einer weiteren monatlichen Rente von 1610 S ab 1. Jänner 1976 verpflichtet. Das Mehrbegehren (Kapital 113 996.49 S sowie Rentenmehrbegehren) wies das Erstgericht ab. Die Abweisung des Rentenmehrbegehrens und eines Kapitalbetrages von 13 996.49 S blieb unangefochten.

Das Erstgericht erachtete ein Schmerzengeld von 1 000 000 S und eine Verunstaltungsentschädigung von 100 000 S für angemessen. Der Differenzaufwand für Pflege betrage 64 755.08 S. Unter Abzug der Sozialversicherungsleistungen vom Einkommen der Klägerin (monatlich 3000 S bzw. ab Mai 1975 5000 S) ergebe sich der Verdienstentgang, den beide Beklagten bis einschließlich April 1975 mit einem Gesamtbetrag von 24 899.90 S und ab 1. Mai 1975 in Form einer monatlichen Rente zu bezahlen hätten. Ab 1. Jänner 1976 sei jedoch die Rentenleistung der Zweitbeklagten zu kürzen, weil die Versicherungssumme nicht ausreiche. Nach den §§ 155 Abs. 1 und 156 Abs. 3 VersVG müßten die Pensionsleistungen des Sozialversicherungsträgers in Relation zum verbleibenden Verdienstentgang der Klägerin gesetzt werden. Der sich aus dieser Relation für die Klägerin ergebende Anteil ihrer kapitalisierten Gesamtforderung sei um die geleisteten und zugesprochenen Kapitalszahlungen zu kürzen. Auf der Basis des verbleibenden Deckungskapitals sei jener Teil der Rente zu errechnen, den auch die Zweitbeklagte zahlen müsse. Nach dem Ergebnis dieser Rechnung könne die Klägerin von der Zweitbeklagten nur 43.5637% ihres Verdienstentganges von 2852.80 S monatlich ab 1. Jänner 1976 verlangen, sohin monatlich 1242.80 S.

Von den Beklagten wurden in ihren Berufungen folgende Beträge anerkannt:

Schmerzengeld .........................................  600 000.00

S, Verunstaltungsentschädigung ...........................  100

000.00 S, Verschiedenes .........................................

100 334.42 S, Pflegeperson

..........................................   61 035.00 S, ----------

--- 861 369.52 S.

Unter Berücksichtigung geleisteter Zahlungen von 470 335 S blieb demnach der Zuspruch von 391 034.52 S unbekämpft. Gegen den restlichen Zuspruch (Kapital von 428 620.06 S und Rente) richteten sich die Berufungen der Beklagten.

Das Berufungsgericht bestätigte mit Teilurteil den Kapitalzuspruch des Erstgerichtes insoweit, als es die Beklagten schuldig erkannte, unter Einbeziehung des unangefochtenen Teilzuspruches 691 035 S zu zahlen. Der Erstbeklagte wurde darüber hinaus zu einer Zahlung von 100 000 S verurteilt. Den zu Lasten der Zweitbeklagten erfolgten Zuspruch eines weiteren Betrages von 28 619.98 S und eines Betrages von 100 000 S sowie die Rentenentscheidung hob das Berufungsgericht unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es hielt ein Schmerzengeld von nur 900 000 S, dagegen eine Verunstaltungsentschädigung von 200 000 S für angemessen. Letztere sei jedoch bezüglich der Zweitbeklagten ebenfalls der sich aus § 156 Abs. 3 VersVG ergebenden Kürzung zu unterziehen. Das gleiche gelte von den Pflegekosten, doch könne hier der von der Rechtskraft erfaßte Betrag von 61 035 S nicht mehr reduziert werden. Ob darüber hinaus ein weiterer Pflegeaufwand von 3720.08 S gebühre, hänge davon ab, ob bei der Berechnung der Differenz zwischen Aufwand und kongruenten Leistungen des Sozialversicherers Sonderzahlungen berücksichtigt worden seien. Dies könne den Feststellungen des Erstgerichtes nicht entnommen werden. Desgleichen seien die weiteren Differenzen zum Klagebegehren und das Rentenbegehren noch nicht spruchreif, weil der Verdienstentgang im Hinblick auf fehlende Feststellungen über Sonderzahlungen noch nicht einwandfrei feststehe.

Der Oberste Gerichtshof gab den Revisionen sämtlicher Parteien und dem Rekurs der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

A. Zu den Revisionen.:

Die Klägerin hat nach den getroffenen Feststellungen die schwersten nur denkbaren Verletzungen erlitten. Diese waren mit unvorstellbaren physischen Schmerzen verbunden und haben die Klägerin lebenslang in einen Zustand äußerster Hilflosigkeit versetzt. In Zukunft werden immer wieder neue Schmerzen auftreten und Operationen notwendig werden. Da jedoch die Schmerzempfindlichkeit der Klägerin ebensowenig beeinträchtigt wurde wie ihre Fähigkeit, ihren hoffnungslosen und qualvollen Zustand zu erkennen, muß ihr weiteres Leben als eine ständige Kette auch psychischer Schmerzen angesehen werden. Dieser Zustand der Klägerin ist derart arg, daß ein Vergleich mit anderen Verletzungsfolgen ausgeschlossen ist. Der Zuspruch eines außergewöhnlich hohen Schmerzengeldes ist sohin gerechtfertigt. Von diesem Gesichtspunkt aus können daher die zugesprochenen 900 000 S nicht als überhöht angesehen werden. Andererseits erscheint nach der besonderen Schwere des Falles der Zuspruch eines weiteren Schmerzengeldbetrages nicht gerechtfertigt.

Daß die völlige Hilflosigkeit der Klägerin an sich schon eine besonders hohe Entschädigung nach § 1326 ABGB rechtfertigt, dürften auch die Beklagten erkennen. Sie vertreten lediglich den Standpunkt, der Wegfall der Eheschließungsmöglichkeit könne nicht nach § 1326 ABGB entschädigt werden, weil er lediglich psychische Schmerzen verursache. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Unter Behinderung des besseren Fortkommens im Sinne der genannten Gesetzesstelle ist nicht nur der mögliche Entgang eines beruflichen Aufstieges, sondern überhaupt die Gefahr zu verstehen, daß durch eine nachteilige Veränderung der äußeren Erscheinung eine sonst mögliche Verbesserung der Lebenslage entfallen könnte (SZ 49/60; ZVR 1977, 216 u, a.). Eine Verunstaltung kann sowohl bei der Bemessung des Schmerzengeldes wie auch nach § 1326 ABGB berücksichtigt werden (ZVR 1976, 19; ZVR 1961, 250 u. a.). Insbesondere rechtfertigt die Verminderung der Aussicht auf eine Eheschließung den Zuspruch einer solchen Entschädigung (ZVR 1977, 77; 8 Ob 88/77 u. a.).

Da die Heiratsaussichten der Klägerin ebenso wie ihr berufliches Fortkommen nicht nur vermindert, sondern zur Gänze zunichte gemacht worden sind, erscheint auch der Zuspruch einer außergewöhnlich hohen Entschädigung nach § 1326 ABGB berechtigt. Gegen den vom Berufungsgericht diesbezüglich festgesetzten Betrag von 200 000 S bestehen daher keine Bedenken.

B. Zum Rekurs der Klägerin:

Zu Unrecht erblickt die Klägerin in dem Hinweis der Beklagten auf Sonderzahlungen aus der Pensionsversicherung eine im Rechtsmittelverfahren unzulässige Neuerung. Es ist zwar richtig, daß im allgemeinen Prozeßparteien, die für die Beurteilung ihres Begehrens bzw. die zur Bekämpfung des gegnerischen Begehrens erforderlichen Tatsachen genau behaupten müssen. Bei Prozessen aus einem Unfall, die auch die Berücksichtigung der Forderungen der Sozialversicherungsträger notwendig erscheinen lassen, wären die Schädiger und ihre Versicherer jedoch überfordert, würde man von ihnen verlangen, die zu erwartenden Leistungen des Sozialversicherungsträgers an den Geschädigten im einzelnen genau anzugeben. Zwar wird der Schädiger in der Mehrzahl der Fälle kaum unverschuldet die Unkenntnis der zu erwartenden Legalzession nach § 332 ASVG für sich in Anspruch nehmen können, doch kann ihm andererseits die Höhe jener Forderungen, die auf den Sozialversicherungsträger übergegangen sind, vor deren Geltendmachung durch letzteren nicht bekannt sein, weil er nicht Beteiligter im Leistungsstreitverfahren ist. Demnach kann vom Schädiger im Direktprozeß des Geschädigten nur die allgemeine Einwendung erwartet werden, durch Leistungen des Sozialversicherungsträgers an den Geschädigten sei im Umfang der dadurch bewirkten Legalzession dessen Schaden verringert worden. Da Auskunft über die Höhe der Leistungen des Sozialversicherungsträgers nur dieser selbst geben kann, wird man in derartigen Fällen ausnahmsweise einen Erkundungsbeweis durch Einholung einer Auskunft des Sozialversicherungsträgers zulassen müssen. Steht aber fest, daß der Sozialversicherungsträger Leistungen zu erbringen hat, dann muß berücksichtigt werden, daß deren Umfang gesetzlich geregelt ist. Zuschläge zu diesen Leistungen, die sich einwandfrei aus dem Gesetz ergeben, müssen diesfalls auch ohne ausdrückliches Vorbringen berücksichtigt werden. Da gemäß § 47 des Bauernpensionsgesetzes zu den Invaliditätspensionen Sonderzahlungen zu leisten sind, dürfen diese, falls die Gewährung einer Pension nach dem genannten Gesetz an den Geschädigten feststeht, auch dann nicht außer Betracht gelassen werden, wenn die Auskunft des Sozialversicherungsträgers diesbezüglich erkennbar unvollständig ist und wenn der Schädiger nicht ausdrücklich auf diese offenkundige Unvollständigkeit verwiesen hat.

Mit Recht hat demnach das Berufungsgericht das Verfahren für ergänzungsbedürftig erachtet, weil klar ist, daß eine höhere Pensionsleistung des Sozialversicherungsträgers den Verdienstentgang der Klägerin mindern muß. Eine Einbeziehung des Wertes der an die Klägerin von ihrem Vater erbrachten Naturalleistungen in die Berechnung ihres Verdienstentganges wurde allerdings dem Erstgericht zu Unrecht aufgetragen, weil die Klägerin deren Ersatz nicht begehrt hatte.

Über diese Erwägungen hinaus stellt sich lediglich bezüglich der Zweitbeklagten zusätzlich die Frage, welche Auswirkungen die Bestimmungen der §§ 155 Abs. 1 und 156 Abs. 3 VersVG haben. Nach der erstgenannten Bestimmung kann der Versicherungsnehmer, falls die Versicherungssumme der dem Dritten zu gewährenden Rente deren Kapitalwert nicht erreicht, nur einen verhältnismäßigen Teil der Rente verlangen. Sind mehrere Dritte vorhanden und übersteigen ihre Forderungen aus der die Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers begrundenden Tatsache die Versicherungssumme, so hat nach § 156 Abs. 3 VersVG der Versicherer die Forderungen nach dem Verhältnis ihrer Beträge zu berichtigen. Hiebei sind mehrere Gläubiger nicht nur mehrere verletzte Personen, sondern auch, sofern nur ein Verletzter vorhanden ist, die beteiligten Sozialversicherungsträger untereinander und im Verhältnis zum Verletzten (Stiefel - Wussow - Hofmann, KfzVers [10], 477; Wussow, AHB[6], 296; RZ 1976, 103 u. a.). Ferner ergibt sich aus § 336 ASVG, daß das Schmerzengeld gegenüber allen anderen Forderungen Vorrang genießt, weshalb es vorweg von der Versicherungssumme in Abzug zu bringen ist (EvBl 1978/12; RZ 1966, 102 u. a.).

Das Erstgericht hat nach Abzug des von ihm zugesprochenen Schmerzengeldes die verbleibende Versicherungssumme von 1 000 000 S verhältnismäßig auf die Forderungen der Klägerin und des Sozialversicherungsträgers aufgeteilt, von dem für die Klägerin verbleibenden Deckungskapital die an die Klägerin zu erbringenden Kapitalleistungen abgezogen und auf Grund des nunmehr verbleibenden Restkapitals die Rente berechnet. Das Berufungsgericht ist von dieser Art der Berechnung insofern abgegangen, als es den Standpunkt vertrat, die auf die Klägerin entfallende Deckungssumme sei nicht vorweg um die gesamten Kapitalsforderungen zu reduzieren, vielmehr erfasse die Kürzung anteilsmäßig auch diese Forderungen, ausgenommen das Schmerzengeld.

Die Vorgangsweise des Erstgerichtes würde in Art. 3 Abs. 1 AKHB Deckung finden, weil diese Bestimmung eine Bevorrangung der Kapitalforderungen gegenüber Rentenforderungen vorsieht. Daß dies eine absolute Bevorrangung ist, ergibt sich aus § 15 Abs. 2 EKHG, für die Art. 3 Abs. 1 AKHB indirekt über § 59 Abs. 3 KfG die Ausführungsbestimmung darstellt. Demnach sind die Kapitalforderungen zunächst ungekürzt zu befriedigen. Die Rente ist mit jener Quote der jährlichen Rentenversicherungssumme zu decken, die dem Verhältnis der Summe der Kapitalsforderungen zu dem Versicherungskapital entspricht (Kunst, ZAS 1970, 131). Allerdings spricht Art. 3 Abs. 1 AKHB nur von der Kapital- bzw. Rentenmindestversicherungssumme, was jene Summe ist, für die nach dem KfG eine Haftpflichtversicherung zwingend vorgeschrieben ist. Dieser Betrag ergibt sich aus § 15 EKHG. Dies wäre zum Zeitpunkt des Unfalles (15. April 1974) für Personenschäden ein Betrag von 600 000 S gewesen, doch haben die Versicherungen durch mit Erlaß des Bundesministeriums für Finanzen vom 29. Juni 1971, Zl. 382 153-19/71, genehmigte geschäftsplanmäßige Erklärung diese Kapitalsumme auf 1 000 000 S erhöht. Demnach kann unter Berufung auf Art. 3 Abs. 1 AKHB von einer Versicherungssumme bis zu 1 000 000 S ausgegangen werden. Für die darüber hinausgehende Summe fehlt es an einer entsprechenden Bestimmung, die eine Bevorzugung der Kapitalforderungen vor den Rentenforderungen schaffen würde. Eine solche Privilegierung sehen zwar andere Haftpflichtversicherungsbedingungen betraglich unbeschränkt vor (Art. 23 Abs. 3 ABH 1970, Art. 5 I Abs. 3 AHVB 1963), doch lassen sich diese Bedingungen nicht analog auf den vorliegenden Fall anwenden, weil Versicherungsbedingungen immer nur einzelne Versicherungsverhältnisse regeln und daher nicht auf die vertraglichen Beziehungen zwischen einem Versicherungsnehmer und einem Versicherer, denen sie nicht zugrunde gelegt wurden, angewendet werden können. Die Bestimmungen der §§ 155 Abs. 1 und 156 Abs. 3 VersVG enthalten keinerlei Rangordnung der einzelnen Forderungen untereinander. Demnach kann aus ihnen nur eine Gleichbehandlung der Forderungen abgeleitet werden. Die abweichende deutsche Lehre (Wussow, AHB[6], 295; Stiefel - Wussow - Hofmann, KfzVers[10], 476) wird damit begrundet, daß die einschlägigen deutschen Versicherungsbedingungen eine Privilegierung der Kapitalforderungen vor den Rentenforderungen eingeführt haben. Im Gegensatz zu Art. 3 Abs. 1 AKHB enthält jedoch keine der deutschen Versicherungsbedingungen eine Einschränkung ihrer Gültigkeit auf Mindestversicherungssummen.

Gerade die in den AKHB verfügte Einschränkung läßt demnach erkennen, daß die dort festgesetzte Privilegierung im Rahmen der Kfz - Haftpflichtversicherung nur für die sich aus dem EKHG bzw. der geschäftsplanmäßigen Erklärung der Versicherer ergebende Mindestversicherungssumme gelten soll. Mangels einer gleichlautenden Bestimmung für darüber hinausgehende Versicherungssummen in der Kfz-Haftpflichtversicherung müssen diesbezüglich alle Forderungen gleich behandelt werden. Was die Aufteilung nach § 156 Abs. 3 VersVG anlangt, so wurde dies im übrigen auch für den deutschen Rechtsbereich von der Lehre anerkannt (Stiefel - Wussow - Hofmann, KfzVers[10], 476; Wussow, AHB[6], 295).

Aus diesen Erwägungen ergibt sich folgendes:

Nach Abzug des Schmerzengeldes von 900 000 S verbleibt auf die Kapitalmindestversicherungssumme ein Betrag von 100 000 S. Ungeachtet der Bestimmung des § 156 Abs. 3 VersVG ist dieser Teil der Versicherungssumme vorrangig durch Kapitalforderungen abzudecken, weil die Spezialbestimmung des § 15 Abs. 2 EKHG grundsätzlich einen Vorrang von Kapitalforderungen gegenüber Rentenforderungen ohne Rücksicht darauf anordnet, ob dadurch etwa das Verhältnis der Forderungen mehrerer Gläubiger untereinander zugunsten eines von ihnen verändert werden sollte. Die gegenteilige deutsche Lehre (Bruck - Möller - Johannsen[8] IV, 309; Wussow, AHB[6], 296; Prölß - Martin[21], 797), die den Standpunkt vertritt, der in Versicherungsbedingungen festgesetzte Vorrang der Kapitalforderungen vor den Rentenforderungen habe keine Änderung eines Gesetzes, nämlich des § 156 Abs. 3 VersVG, bewirken können, weshalb er nur für verschiedene Forderungen desselben Gläubigers gelte, wird damit begrundet, daß die Versicherungsbedingungen nicht Gesetze sind und daher ein Gesetz nicht abändern können. In Österreich ist die Rechtslage insofern anders, als der Vorrang der Kapitalforderungen bis zur Mindestversicherungssumme in einem Gesetz (EKHG) angeordnet wird, demgegenüber der allgemeinen Bestimmung des § 156 Abs. 3 VersVG Spezialcharakter zukommt. Da das Spezialgesetz keine Einschränkung auf mehrere Forderungen desselben Gläubigers enthält, vielmehr schlechthin Kapitalforderungen den Vorrang vor Rentenforderungen zuweist, ist auch bei der Aufteilung auf mehrere Gläubiger so vorzugehen, daß die Kapitalforderungen im Rahmen der Mindestversicherungssumme voll zu befriedigen und bei der Berechnung des verbleibenden Rentendeckungskapitals ebenso abzuziehen sind wie bei der Aufteilung auf die verschiedenen Gläubiger (vgl. Kunst in ZAS 1970, 131). Allerdings kann über die Mindestversicherungssumme hinaus nicht so vorgegangen werden, weil das EKHG sich nur auf die Mindestversicherungssumme bezieht.

Im vorliegenden Fall bewirkt dies, daß die nach Abzug des Schmerzengeldes auf die Mindestversicherungssumme verbleibenden 100 000 S in erster Linie zur Befriedigung von Kapitalforderungen heranzuziehen sind. Da Kapitalforderungen des Sozialversicherungsträgers bisher nicht konkret geltend gemacht worden sind, kommen nur derartige Forderungen der Klägerin in Frage. Auch gegenüber der Zweitbeklagten wurde der Klägerin rechtskräftig eine Verunstaltungsentschädigung von 100 000 S zugesprochen, die sohin als bevorrangte Kapitalforderung zu befriedigen ist. Hiedurch ist die Mindestversicherungssumme erschöpft. Für die Aufteilung nach § 156 Abs. 3 VersVG verbleibt demnach nur noch eine restliche Summe von 1 000 000 S. Selbstverständlich ist bei dieser Aufteilung die oben genannte Forderung der Klägerin von 100 000 S nicht mehr zu berücksichtigen, weil sie bereits in voller Höhe zuerkannt worden ist.

Bei der Aufteilung könnte sich die Frage ergeben, inwieweit es sich bei den in bestimmten Beträgen ausgedrückten Forderungen um Kapital- und inwieweit um Rentenforderungen handelt. Das Gesetz gibt nämlich darüber keinen eindeutigen Aufschluß. Keinesfalls werden, wie dies die Beklagten wünschen, die Pflegekosten Rentenforderungen sein. Rente ist nämlich eine periodische Leistung, die weder Teilabtragung eines Kapitals (in Raten) noch Nebenleistung zu einer Kapitalschuld (Zinsen) ist, neben der also eine Kapitalschuld überhaupt nicht besteht (Kunst, ZVR 1978, 65). Keine Rentenverpflichtung im Sinne des § 155 Abs. 1 VersVG liegt vor, wenn ein Anspruch periodisch abgerechnet und dabei stets wieder neu überprüft wird (Stiefel - Wussow - Hofmann, KfzVers[10] 474)

Nach den getroffenen Feststellungen muß die Klägerin immer wieder mit Spitalsaufenthalten unbestimmter Dauer und in unregelmäßigen Abständen rechnen. Nur während der übrigen Zeit werden Pflegekosten anfallen. Demnach handelt es sich hiebei um Forderungen, deren Entstehen und Höhe jeweils von ungewissen Ereignissen abhängig sind. Keinesfalls werden hier periodische regelmäßige Zahlungen begehrt.

Was den kapitalisierten Verdienstentgang für die Vergangenheit anlangt, so muß davon ausgegangen werden, daß bei der Aufteilung auf mehrere Gläubiger im Sinne des § 156 Abs. 3 VersVG Rentenschäden im "technischen" Sinn als Rente zu behandeln sind. Rentenschäden im "technischen" Sinn sind regelmäßige Verdienstentgangsleistungen ohne Bedachtnahme auf die Fälligkeit der Forderung (Kunst, ZVR 1978, 66 und 79). Demnach muß bei der Aufteilung der Verdienstentgang als Rentenschaden behandelt werden, und zwar sowohl bezüglich bereits geleisteter Zahlungen als auch bezüglich noch zu leistender Renten (ZVR 1976, 331).

Wie bereits ausgeführt, sind in Ansehung des für die Klägerin verbleibenden Restbetrages grundsätzlich alle Forderungen gleich zu behandeln, weshalb die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes bezüglich einer anteiligen Kürzung grundsätzlich richtig ist. Allerdings ergibt sich für den Verdienstentgang in der Vergangenheit, im Gegensatz zu der Aufteilung nach § 156 Abs. 3 VersVG, bei der Kürzung nach § 155 Abs. 1 VersVG insofern eine andere Art der Berechnung, als Verdienstentgangsansprüche für die Vergangenheit nicht mit dem Rentenbetrag,sondern mit dem Kapitalbetrag zu bewerten sind. Maßgeblich ist hiebei der Schluß der Verhandlung erster Instanz. Bis zu diesem Zeitpunkt angefallene Verdienstentgangsbeträge sind bei der Kürzung nach § 155 Abs. 1 VersVG als Kapitalsforderungen und nicht als Rentenforderungen zu behandeln (Kunst, ZVR 1978, 68; ZVR 1975, 196).

Freilich kann es durch die neue Berechnung der Kürzung keinesfalls zu einer Verminderung bereits rechtskräftig zugesprochener Beträge kommen. Ferner ist zu beachten, daß es sich bei § 155 Abs. 1 VersVG nicht um zwingendes Recht handelt (Bruck - Möller - Johannsen, VVG[8] IV 308; Prölß - Martin, VVG[21], 713), weshalb durch Parteienvereinbarung eine andere Vorgangsweise eingehalten werden könnte, beispielsweise eine Bevorzugung sämtlicher Kapitalsforderungen gegenüber den Rentenforderungen. Da jedoch hier kein bloßes Zweiparteienverhältnis, sondern ein Dreiecksverhältnis, gebildet aus der Klägerin, dem Erstbeklagten als Versicherungsnehmer und der Zweitbeklagten als Versicherer vorliegt (Kunst, ZVR 1978, 78), könnte eine Abweichung von der gesetzlichen Bestimmung nur durch Zustimmung aller dieser drei Personen erreicht werden. Was den rechtskräftigen Zuspruch bzw. die unwidersprochen erfolgte Bezahlung diverser Schäden anlangt, muß von einer einvernehmlichen Zustimmung sämtlicher Beteiligter dazu, daß dieser Betrag vorrangig zu behandeln ist, ausgegangen werden, weil der Erstbeklagte trotz seiner Beteiligung am Verfahren der gänzlichen Berichtigung dieser Teilforderung durch die Zweitbeklagte nicht widersprochen und die Klägerin diese Zahlung angenommen hat. Das gleiche hat auch für die Pflegekosten, zumindest im bisher geltend gemachten Ausmaß zu gelten, weil hier nur die Nichtberücksichtigung der Sonderzahlungen gerügt worden, der sonstige Zuspruch dieser Kosten in voller Höhe jedoch unbekämpft geblieben ist. Da hinsichtlich dieser beiden Forderungen demnach eine von der gesetzlichen Bestimmung abweichende einvernehmliche Regelung anzunehmen ist, sind diese Beträge zur Gänze von dem für die Klägerin verbleibenden Deckungskapital vor Berechnung der Rente in Abzug zu bringen. Bezüglich der Verunstaltungsentschädigung und allfälliger Verdienstentgangsforderungen für die Vergangenheit liegt eine solche eindeutige einvernehmliche Regelung derzeit nicht vor, doch kann aus dem prozessualen Vorgehen der Klägerin geschlossen werden, daß sie auch hier einer bevorzugten Befriedigung der Kapitalforderungen den Vorzug geben würde. Es wird sich daher im fortgesetzten Verfahren empfehlen, die beiden Beklagten zu befragen, ob sie einer solchen bevorrangten Befriedigung zustimmen oder nicht. Stimmen sie zu, dann wären auch diese Kapitalforderungen zur Gänze von dem für die Klägerin verbleibenden Deckungskapital vor Errechnung der auf sie entfallenden Rente abzuziehen. Selbstverständlich könnte dies immer nur das der Klägerin verbleibende Kapital betreffen und keinesfalls die Aufteilung nach § 156 Abs. 3 VersVG beeinflussen, weil von dieser auch noch eine am Verfahren nicht beteiligte Partei, nämlich der Sozialversicherungsträger, berührt wird.

Anmerkung

Z51063

Schlagworte

Bauernpensionsgesetz, § 47, Befriedigungsrang aus Kfz- Haftpflichtversicherung, Direktprozeß des Geschädigten, Schmerzengeld

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1978:0070OB00025.78.0511.000

Dokumentnummer

JJT_19780511_OGH0002_0070OB00025_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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