TE OGH 1978/6/28 8Ob73/78

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Veröffentlicht am 28.06.1978
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Norm

ABGB §1295
ABGB §1297
ABGB §1304
3. Novelle zum Kraftfahrzeuggesetz ArtIII

Kopf

SZ 51/104

Spruch

Die Höhe der Mitverschuldensquote wegen Verletzung der Pflicht zur Anlegung von Sicherheitsgurten hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Die Gesetzesverfasser betrachteten die Verletzung dieser Pflicht im Regelfalle offensichtlich als leichten Verstoß mit geringem Schuldgehalt

OGH 28. Juni 1978, 8 Ob 73/78 (OLG Wien 9 R 198/77; KG St. Pölten 6 Cg 265/77)

Text

Auf dem Heimweg von einem Heurigenbesuch geriet E R am 28. August 1976 gegen 0.30 Uhr auf der Bundesstraße 43 am westlichen Ortsende von Traismauer mit dem PKW der Erstbeklagten - offenbar infolge überhöhter Geschwindigkeit - von der Fahrbahn ab und prallte gegen einen am linken Fahrbahnrand stehenden Baum. Er starb noch an der Unfallstelle. Der damals 17jährige Kläger, der unangegurtet neben dem Lenker saß, erlitt schwere Verletzungen. Die Zweitbeklagte war Haftpflichtversicherer des PKWs der Erstbeklagten.

Der Kläger begehrte zuletzt - nach Teilzahlungen der Zweitbeklagten - ein restliches Schmerzengeld von 183 333.33 S und Ersatz eines Verdienstentganges von 7767.85 S, zusammen 191 101.18 S samt Anhang und die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden des Klägers, hinsichtlich der Zweitbeklagten beschränkt bis zur Höhe der bestehenden Haftpflichtversicherungssumme.

Die Beklagten bekämpften das begehrte Schmerzengeld von rechnungsmäßig 250 000 S als überhöht und wendeten ein Mitverschulden des Klägers von einem Drittel wegen Unterlassung des Gebrauches des Sicherheitsgurtes ein.

Das Erstgericht sprach dem Kläger auf der Grundlage eines Schmerzengeldes von rechnungsmäßig 120 000 S und eines Mitverschuldens von einem Drittel restlich 13 333.33 S an Schmerzengeld und 7767.85 S an Verdienstentgang, zusammen 21 101.18 S samt Anhang zu,. gab dem Feststellungsbegehren, hinsichtlich künftiger Schmerzengeldansprüche allerdings nur zu zwei Drittel, statt und wies das Mehrbegehren ab.

Das Berufungsgericht ging von einem Schmerzengeld von rechnungsmäßig 140 000 S und einem Mitverschulden des Klägers von einem Viertel aus und sprach ihm daher an Schmerzengeld restlich 38 333.33 S und an Verdienstentgang 7767.85 S zusammen also 46 101.18 S samt Anhang zu. Dem Feststellungsbegehren gab es - mit Ausnahme eines Viertels eines in Zukunft entstehenden Schmerzengeldanspruches - statt. Das Mehrbegehren verfiel der Abweisung.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Im Revisionsverfahren ist nur die Mitverschuldensquote des Klägers wegen Nichtgebrauchs des Sicherheitsgurtes strittig.

Die Untergerichte gingen von folgenden, für diese Frage noch bedeutsamen Feststellungen aus:

Der Kläger war beim Unfall nicht angegurtet. Darauf läßt nicht nur das Fehlen der typischen Gurtverletzungen, sondern auch die Vielzahl der schweren Verletzungen schließen, die durch einen Anstoß an vordere Formelemente des Wageninneren eingetreten sein müssen.

Dem Kläger ist der Beweis, daß seine Verletzung in gleicher Weise auch bei Anlegung des Gurtes eingetreten wäre, nicht gelungen. Auch bei angelegtem Gurt wäre der Kläger nicht unerheblich verletzt worden, doch wären die Verletzungen nach Anzahl und Schwere deutlich geringer gewesen; eine nähere konkrete Aussage (gemeint offenbar: über das Ausmaß der Verringerung) ist nicht möglich.

Mit Rücksicht auf diese Feststellungen hielt das Erstgericht ein Mitverschulden im Ausmaß von einem Drittel für begrundet.

Das Berufungsgericht war der Ansicht, daß dem Kläger der ihm obliegende Beweis, daß die Verletzungen in dieser Schwere auch bei Gebrauch des Sicherheitsgurtes eingetreten wären, nicht gelungen sei. Ein Mitverschuldensanteil von einem Drittel erscheine zu hoch; aus dem Umstand, daß der Lenker oder die beförderte Person bei Nichtgebrauch des Sicherheitsgurtes nicht einmal bestraft werden könne, ergebe sich, daß die Verletzung dieser Verpflichtung vom Gesetzgeber selbst nicht als schwerwiegend angesehen werde. Da die Rechtsprechung eine Mitverschuldensquote von einem Drittel nur bei schwerwiegenden Verstößen gegen gesetzliche Vorschriften annehme, erscheine ein Mitverschulden von einem Viertel angemessen.

Die Revision widerspricht dieser Auffassung mit der Begründung, für die Schwere des im Nichtgebrauch des Sicherheitsgurtes liegenden Verschuldens sei es völlig belanglos, ob der Gesetzgeber die Nichteinhaltung dieser Verpflichtung auch unter Strafsanktion gestellt habe oder nicht. Für die Unterlassung einer Strafsanktion seien praktische Erwägungen, nämlich die Schwierigkeit , die Einhaltung dieser Verpflichtung überwachen zu können, maßgebend gewesen. Der Zweck des Gesetzes, die Kraftfahrer zur Anlegung des Gurtes zu bewegen, könne nur durch eine erhebliche Kürzung des Schmerzengeldanspruches erreicht werden. Eine Mitverschuldensquote von einem Viertel werde der im Nichtgebrauch des Gurts liegenden Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten nicht gerecht.

Den Ausführungen der Revision kann nicht beigepflichtet werden:

Gemäß Art. III Abs. 1 der 3. KfG-Novelle, BGBl. 352/1976, sind der Lenker und die beförderten Personen, die einen Sitzplatz benützen, der nach kraftfahrgesetzlicher Anordnung mit einem Sicherheitsgurt ausgerüstet ist, je für sich zum bestimmungsgemäßen Gebrauch des Sicherheitsgurtes verpflichtet. Die Verletzung dieser Pflicht begrundet, jedoch nur soweit es sich um einen allfälligen Schmerzengeldanspruch handelt, im Fall der Tötung oder Verletzung des Benützers durch einen Unfall ein Mitverschulden im Sinne des § 1304 ABGB. Das Mitverschulden ist soweit nicht gegeben, als der Geschädigte (sein Rechtsnachfolger) beweist, daß die Folge in dieser Schwere auch beim Gebrauch des Sicherheitsgurtes eingetreten wäre.

Der Gesetzgeber hat damit klargestellt, daß er den Gebrauch des Sicherheitsgurtes für ein zweckmäßiges Mittel zur Schadensverhütung (Schadensverringerung) hält und daher derjenige, der dieses Mittel vorsätzlich oder fahrlässig nicht anwendet und damit einen Schadenseintritt oder eine Schadensvergrößerung begünstigt, in Ansehung des Schmerzengeldanspruches an jenem eigenen Schaden mitzutragen hat, der durch die Nichtverwendung des Sicherheitsgurtes entstanden ist, also durch "Anschnallen" vermieden worden wäre. Die Größe des Mitverschuldens bestimmt sich, wie in allen anderen Fällen, in denen der Geschädigte bei der Entstehung des Schadens aus einem Straßenverkehrsunfall schuldhaft mitgewirkt hat, nach der Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das Verschulden des einen und des anderen Teiles bewirkten Gefahr und der Bedeutung der verletzten Vorschriften für die Verkehrssicherheit. Schon diese Gegenüberstellung der den Unfallbeteiligten anzulastenden Verstöße erlaubt auch in jenen Fällen, in denen ein Teil nur ein Verschulden aus dem Unfall selbst und der andere Teil als beförderte Person nur den Nichtgebrauch des Sicherheitsgurtes zu vertreten hat, keine allgemeine Aussage über die Höhe der wegen Nichtgebrauch des Sicherheitsgurtes anzurechnenden Mitverschuldensquote. Hinzu kommt aber noch, daß die Unterlassung dieser Verpflichtung als solche auch bei Anlegung des objektiven Sorgfaltsmaßstabes des § 1297 ABGB nicht immer den gleichen Schuldgehalt haben muß; es kann z. B. Fälle geben, in denen zwar keine der im Art. III Abs. 2 des zitierten Gesetzes normierten Ausnahmen in Frage kommen, die Unterlassung des - gerade noch zumutbaren - Gebrauches des Sicherheitsgurtes aber ein besonders leichtes Versehen darstellt.

Die Höhe der nach Art. III Abs. 2 3. KfG-Novelle festzusetzenden Mitverschuldensquote hängt sohin von den Umständen des Einzelfalles ab (zum gesamten Problemkreis s. Messiner, Schadensteilung bei Nichtbeachtung der Gurtenanlegepflicht, ZVR 1978, 140 f.). Die Gesetzesverfasser betrachteten die Verletzung dieser Pflicht im Regelfalle offensichtlich als leichten Verstoß mit geringem Schuldgehalt. Die EB zur RV (57 BlgNR, XIV. GP, 51) führen als einen der Gründe für eine ausdrückliche Regelung des im Nichtgebrauch des Sicherheitsgurtes liegenden Verschuldens an: "Außerdem ist es geboten, durch die ausdrückliche Unterstellung eines Mitverschuldens eine Berufung auf eine bloße culpa levissima auszuschalten" (vgl. hiezu auch Edelbacher, VJ 1974, 26). Der AB (295 BlgNr, XIV. GP, 2) begrundete die Beschränkung der Anspruchskürzung auf den Schmerzengeldanspruch mit dem "in der Unterlassung der Benützung des Sicherheitsgurtes liegenden geringen Schuldgehalt".

Zieht man diese Ansicht der Gesetzesverfasser in Betracht, so kann unter Berücksichtigung der Schwere des Verstoßes, der dem getöteten Lenker zur Last fällt, in der Ausmessung des Mitverschuldens durch das Berufungsgericht ein Rechtsirrtum nicht erkannt werden.

Anmerkung

Z51104

Schlagworte

Sicherheitsgurten, Anlegepflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1978:0080OB00073.78.0628.000

Dokumentnummer

JJT_19780628_OGH0002_0080OB00073_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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