TE OGH 1978/7/7 1Ob642/78

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Veröffentlicht am 07.07.1978
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Norm

ABGB §878 Abs1
ABGB §1295 Abs1
ABGB §1313a Abs1
ABGB §1315

Kopf

SZ 51/111

Spruch

Den Inhaber eines Geschäftes trifft gegenüber einer Person, die das Geschäft in Kaufabsicht betritt, die vorvertragliche Pflicht, für die Sicherheit des Geschäftslokals zu sorgen; für das Fehlverhalten eines Gehilfen haftet er nach § 1313a ABGB

OGH 7. Juli 1978, 1 Ob 642/78 (LG Innsbruck 1 R 50/78; BG Innsbruck 13 C 279/77)

Text

Der Kläger begehrt einen Betrag von 16 598 S samt Anhang und zwar 16 000 S an Schmerzengeld und 598 S als Ersatz für eine beschädigte Hose. Er brachte zur Begründung seines Begehrens vor, er sei am 19. Oktober 1976 im Kaufhaus der beklagten Partei in einen offenen und unzureichend abgesicherten Montageschacht der Rolltreppe gestürzt und habe dabei schwere Verletzungen an beiden Beinen sowie den geltend gemachten Sachschaden erlitten.

Die beklagte Partei wendete ein, daß das Alleinverschulden am Unfall den Kläger treffe, der trotz einer Absperrung versucht habe, zur Rolltreppe zu gelangen. Die Arbeiten an der Rolltreppe seien im Auftrage der beklagten Partei von der Firma F durchgeführt worden; für das Verschulden der Arbeiter dieser Firma habe die beklagte Partei nicht einzustehen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil den Kläger das alleinige Verschulden am Unfall treffe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte das Urteil dahin ab, daß es mit Zwischenurteil die eingeklagte Forderung im Betrag von 16 598 S als dem Gründe nach mit zwei Drittel zu Recht und mit einem Drittel als nicht zu Recht bestehend erkannte. Das Berufungsgericht stellte nach Durchführung einer Beweiswiederholung fest: Im Kaufhaus der beklagten Partei befinden sich im Parterre zwei der Benützung durch das Käuferpublikum freistehende Rolltreppen, welche in den ersten Stock bzw. das Kellergeschoß des Kaufhauses führen. Vor den Rolltreppen sind zwei Abdeckplatten im Ausmaß von 64 cm X 140 cm angebracht. Im Bereich der Rolltreppen befindet sich eine Tafel mit Hinweisen auf die einzelnen Abteilungen des Kaufhauses. Am 19. Oktober 1976 nahm die Firma F während der Geschäftsstunden im Auftrage der beklagten Partei eine Reparatur an der in den ersten Stock führenden Rolltreppe vor. Die Reparatur wurde vom Angestellten der vorgenannten Firma, Peter M durchgeführt, der hiebei vom Hausmeister der beklagten Partei Peter W unterstützt wurde. Zunächst wurde die Reparatur am oberen Ende der Rolltreppe ausgeführt. Am unteren Ende hatte Pater W eine Tafel mit der Aufschrift "Wegen Überprüfung gesperrt" angebracht. In der Folge wurde die Reparatur am unteren Ende in Angriff genommen; hiezu mußte der Montageschacht durch Entfernung der Abdeckplatte freigelegt werden. Um die Abdeckplatte entfernen zu können, war es erforderlich, die Absperrtafel zur Seite zu schieben, was Peter W auch tat. Der Zugang zur Rolltreppe war nun ungehindert möglich. Der Kläger, ein 65jähriger Pensionist, hatte das Kaufhaus als Kunde betreten und hatte sich an der etwa 3.70 m von der Abdeckplatte entfernten Kassa bei einer Angestellten nach der Elektroabteilung erkundigt. Die Angestellte verwies den Kläger in den ersten Stock, also örtlich in Richtung der in den ersten Stock führenden Rolltreppe. Der Kläger ging in gerader Richtung zur Rolltreppe; er wurde hieran durch keine Absperrung behindert. Er blickte auf seinem Weg zur Rolltreppe auf die Hinweistafel und in den ersten Stock und bemerkte, daß die Rolltreppe stillstand. Er beabsichtigte, zu Fuß über die Rolltreppe zu gehen. Da er nicht auf den Boden blickte, stürzte er in den geöffneten Montageschacht. Durch den Sturz zog er sich Verletzungen an beiden Unterschenkeln zu, seine Hose wurde durch den Sturz zerrissen.

Rechtlich bejahte das Berufungsgericht die Haftung der beklagten Partei, hielt jedoch ein Mitverschulden des Klägers im Ausmaß von einem Drittel als gegeben, weil er zur Aufmerksamkeit verpflichtet gewesen wäre. Im Hinblick darauf, daß die beklagte Partei die primäre Unfallsursache gesetzt habe, erachtete das Berufungsgericht eine Schadensteilung im Verhältnis 1: 2 zum Nachteil der beklagten Partei als angemessen.

Der Oberste Gerichtshof gab den Revisionen der Parteien nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die beklagte Partei führt aus, daß sie nicht für das Verschulden des Peter W einzustehen habe. Möge auch ein Geschäftsinhaber verpflichtet sein, alle Gefahrenquellen auszuschalten, so beziehe sich § 1313a ABGB nach der Rechtsprechung doch nur auf schuldrechtliche Verpflichtungen, die gegenüber einer bestimmten Person bestehen. Eine solche schuldrechtliche Beziehung habe im vorliegenden Fall zwischen den Streitteilen nicht bestanden. Die beklagte Partei treffe gegenüber dem Kläger keine vertragliche Haftung für die Sicherheit des Lokals, womit auch ihre Haftung für das Verhalten des Peter W unter dem Gesichtspunkte des § 1313a ABGB entfalle. Im übrigen sei aber der Montageschacht ohnehin ausreichend abgesichert gewesen.

Diesen Ausführungen kann jedoch nicht beigepflichtet werden. Richtig ist, daß der OGH in der Entscheidung EvBl. 1974/109 unter Berufung auf die Vorentscheidungen SZ 28/133 und EvBl. 1958/19 ausgesprochen hat, den Geschäftsinhaber treffe gegenüber Kunden, die das Geschäft in Kaufabsicht betreten, oder es nach Vertragsabschluß verlassen, keine vertragliche Haftung für die Sicherheit des Geschäftslokales. Damit entfalle aber auch die Haftung des Geschäftsinhabers für das Verhalten desjenigen, der eine Leuchte im Geschäftslokal montiert hatte, durch deren Absturz der Kläger zu Schaden gekommen war. Im konkreten Falle wurde aber die Haftung gemäß § 1315 ABGB als gegeben erachtet, weil davon ausgegangen wurde, daß demjenigen, der die Leuchte montiert hatte, ein auffallender Mangel an Gewissenhaftigkeit anzulasten, diese Person daher als untüchtig zu qualifizieren sei. Diese Entscheidung wurde von Koziol (Haftpflichtrecht II, 65) mit dem Hinweis abgelehnt, daß bei Anbahnung geschäftlichen Kontaktes nicht nur (allgemeine) Verkehrssicherungspflichten, sondern auch schon vorvertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten bestunden. Nun hat der OGH in seiner neueren Rechtsprechung das Bestehen solcher vorvertraglicher Sorgfaltspflichten bejaht und ausgesprochen, daß ein vorvertragliches Schuldverhältnis, das Schutz- und Aufklärungspflichten umfasse, unabhängig davon bestehen könne, ob es später zu einem Vertragsabschluß kommt (vgl. SZ 48/102 mit weiteren Nachweisen; EvBl. 1976/193; 5 Ob 535/76; vgl. auch EvBl. 1970/312). In der Entscheidung SZ 48/100 wurde ausgesprochen, daß der Veranstalter eines Festes die seiner Verfügung unterliegenden Anlagen, die er seinen Gästen zur Benützung überläßt, in verkehrssicherem und gefahrlosem Zustand zu erhalten hat; eine solche vorvertragliche Pflicht bestehe gegenüber jedem Besucher des Festes als potentiellem Vertragspartner des Veranstalters. Auch im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, daß den Geschäftsinhaber gegenüber einer Person, die sein Geschäft in Kaufabsicht betritt, die vorvertragliche Pflicht trifft, für die Sicherheit des Geschäftslokales zu sorgen (vgl. Koziol a. a. O., 63.65; Welser in ÖJZ 1973, 286). Für die Verletzung dieser Schutzpflicht hat der Geschäftsherr nach Vertragsgrundsätzen einzustehen, er haftet demnach aber für das Fehlverhalten eines Gehilfen gemäß § 1313a ABGB und nicht bloß nach § 1315 ABGB. Daß die beklagte Partei ihrer Verpflichtung, für die Sicherheit im Geschäftslokal zu sorgen, im vorliegenden Falle nicht entsprochen hat, kann nicht zweifelhaft sein. Ein offenstehender Schacht stellt, zumal in einem Warenhaus, in dem die Aufmerksamkeit der Kunden durch ausgestellte Waren und dergleichen in Anspruch genommen wird, eine Gefahrenquelle dar, die besondere Sicherheitsvorkehrungen erfordert. Üblicherweise geschieht dies durch die Aufstellung eines Schutzgitters, das den Zutritt zum Reparaturschacht hindert. Die Aufstellung einer Tafel, die dann noch zur Seite geschoben wird und den Zugang zum Schacht in keiner Weise behindert, genügt zweifellos nicht. Im vorliegenden Fall war die Firma F damit beauftragt, die Rolltreppe zu reparieren, eine Arbeit, die sie durch ihren Bediensteten Peter M ausführen ließ, der seinerseits bei dieser Tätigkeit durch den Angestellten der beklagten Partei Peter W unterstützt wurde. Für das Fehlverhalten dieser Bediensteten hat die beklagte Partei aber nach dem Vorgesagten gemäß § 1313a ABGB einzustehen.

Zutreffend ging das Berufungsgericht allerdings davon aus, daß auch dem Kläger eine Mitverantwortung am eingetretenen Schaden anzulasten ist. Auch von dem Besucher eines Warenhauses muß gefordert werden, daß er der einzuschlagenden Wegstrecke Aufmerksamkeit zuwendet. Zwar muß er nicht mit offenstehenden Schächten rechnen, eine Beachtung des Weges wird aber z. B. schon wegen Kleinkindern, die sich im Warenhaus aufhalten und bei unaufmerksamen Gehen verletzt werden können, geboten sein. Im Hinblick auf den Umstand, daß die beklagte Partei eine besondere Gefahrenquelle geschaffen hat, mit deren Vorhandensein nicht gerechnet werden mußte, fällt ihr das überwiegende Verschulden am eingetretenen Unfall zur Last. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Verschuldensteilung im Verhältnis 1: 2 zum Nachteil der beklagten Partei erweist sich als zutreffend.

Anmerkung

Z51111

Schlagworte

Vorvertragliche Schutzpflichten eines Geschäftsinhabers

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1978:0010OB00642.78.0707.000

Dokumentnummer

JJT_19780707_OGH0002_0010OB00642_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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