TE OGH 1978/7/7 1Ob588/78

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Veröffentlicht am 07.07.1978
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Norm

ABGB §140 Abs1
ABGB §141

Kopf

SZ 51/110

Spruch

Die subsidiäre Unterhaltspflicht der Großeltern tritt ein, wenn die Eltern trotz Anspannung ihrer Kräfte nicht in der Lage sind, den ihren Kindern geschuldeten Unterhalt zu leisten

OGH 7. Juli 1978, 1 Ob 588/78 (KG Krems an der Donau R 65/78; BG Waidhofen an der Thaya P 71/66)

Text

Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 22. Jänner 1976 wurde Franz M als Großvater der am 5. Mai 1965 geborenen Claudia M, des am 26. April 1968 geborenen Markus M und der am 20. Dezember 1969 geborenen Petra M schuldig erkannt, zum Unterhalt der Kinder ab 28. November 1975 bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit monatlich einen Betrag von je 940 S, insgesamt sohin von 2820 S zu Handen der Bezirkshauptmannschaft Waidhofen an der Thaya zu bezahlen. Das Erstgericht führte aus, der Aufenthaltsort des Vaters, des am 23. Oktober 1945 geborenen Günter M sei unbekannt, es sei bisher nicht gelungen, vom Vater Unterhaltsbeträge einzutreiben. Die Mutter der Kinder Christa M sei auf Grund der Vergleiche vom 22. August 1973 zur Bezahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von 600 S je Kind verpflichtet; sie sei in Berlin wohnhaft und komme ihrer Unterhaltspflicht nicht nach; der Unterhalt sei uneinbringlich. Der Großvater Franz M verdiene als Vertragsbediensteter des Landesinvalidenamtes Niederösterreichs monatlich (einschließlich Sonderzahlungen) 10 423 S; unter Berücksichtigung seiner Sorgepflichten für die nicht berufstätige Ehegattin und seine beiden ehelichen Kinder Marlies M (13 Jahre alt) und Markus M (9 Jahre alt) sei die Leistung des Unterhaltsbetrages von 2820 S monatlich für die Enkelkinder zumutbar.

Mit seinem am 16. Dezember 1977 beim Erstgericht eingelangten Antrag begehrte Franz M ihn von der Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinen Enkelkindern mit Wirksamkeit vom 1. Jänner 1978 zu entheben. Beide Elternteile seien imstande, für den Unterhalt der Kinder zu sorgen. Günter M sei im Juli 1977 aus der Strafhaft entlassen worden und derzeit unbekannten Aufenthaltes; nach seinem erlernten Beruf als Schriftsetzer müßte er imstande sein, für den Unterhalt seiner Kinder zu sorgen.

Das Erstgericht enthob den Großvater Franz M mit Wirksamkeit vom 1. Jänner 1978 von seiner Verpflichtung, für die minderjährigen Enkelkinder Claudia, Markus und Petra M Unterhalt zu bezahlen. Das Erstgericht stellte aber fest, daß der Vater der Kinder seit zirka Juli 1977 in Wien 15 gemeldet war, von Beruf Schriftsetzer ist, jedoch keiner Beschäftigung nachging. Seinen Lebensunterhalt bestritt er durch Gelegenheitsarbeiten. Am 30. September 1977 meldete er sich nach K ab; dort war er bis 27. November 1977 bei der Firma G, Buchdruckerei, beschäftigt und bezog in vier Wochen ein Entgelt von zirka 6136.25 S. Derzeit ist der Vater wieder unbekannten Aufenthaltes. Aus seinem Verhalten sowie aus dem Akteninhalt, insbesondere dem Bericht des Bezirkspolizeikommissariates Schmelz, geht hervor, daß der Vater seine Heranziehung zur Unterhaltsleistung vereitelt. Er ist vollerwerbsfähig und offenbar imstande, für den Unterhalt der Kinder aufzukommen. Die Mutter der Kinder Christa M ist in Berlin wohnhaft und auf Grund der Vergleiche vom 22. August 1973 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 600 S pro Kind verpflichtet. Nach dem Akteninhalt ist die Mutter voll erwerbsfähig und ebenfalls imstande, für den Unterhalt ihrer Kinder aufzukommen. Die Hereinbringung der Unterhaltsbeträge wird durch den Aufenthaltsort der Mutter im Ausland erschwert.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß nach § 141 ABGB die Großeltern zur Unterhaltsleistung für die Enkelkinder nur dann verpflichtet seien, soweit die Eltern nach ihren Kräften zur Leistung des Unterhaltes nicht imstande seien. Im vorliegenden Fall müsse davon ausgegangen werden, daß die voll erwerbsfähigen Eltern den Unterhalt für ihre Kinder leisten könnten. Demzufolge fehle aber für die Unterhaltspflicht des Großvaters die gesetzliche Grundlage.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Bezirkhauptmannschaft Waidhofen an der Thaya als Amtsvormund der Kinder Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und verwies die Rechtssache zur neuen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Nach der Neufassung des § 141 ABGB seien die Großeltern zur Unterhaltsleistung heranzuziehen, soweit die Eltern nach ihren Kräften zur Leistung des Unterhalts nicht imstande seien. Der hier vorliegende Fall, wonach der Vater zu einer Unterhaltsleistung überhaupt nicht herangezogen werden könne, weil er unbekannten Aufenthaltes sei, müsse im Sinne der bisherigen Rechtsprechung dahin beurteilt werden, daß die subsidiär Unterhaltspflichtigen in der gesetzlichen Reihenfolge zur Unterhaltsleistung heranzuziehen seien, weil doch von einem Vater, der unbekannten Aufenthaltes sei und dessen Unterhaltsverpflichtungen aus diesem Gründe nicht einmal festgelegt werden könnten, keineswegs gesagt werden könne, er sei zur Leistung des Unterhaltes imstande. Es sei dann aber als nächstes die Unterhaltspflicht der Mutter einer näheren Prüfung zu unterziehen. Es seien Ermittlungen darüber erforderlich, ob die Mutter nicht jetzt zu höheren Unterhaltsleistungen imstande sei. Zweckmäßigerweise werde auch versucht werden müssen, den Vater auszuforschen, damit eine Überprüfung in der Richtung stattfinden könne, ob und in welchem Umfang der Vater zu einer Unterhaltsleistung herangezogen werden könne. Erst nach Durchführung dieser Erhebungen sei über den Enthebungsantrag des väterlichen Großvaters zu entscheiden.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Franz M, dem Berechtigung zukommt.

Über den Revisionsrekurs des Großvaters Franz M hob der Oberste Gerichtshof den Beschluß des Rekursgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Rekursgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Was zunächst die Zulässigkeit des Revisionsrekurses betrifft, so ist davon auszugehen, daß im außerstreitigen Verfahren gegen aufhebende Beschlüsse des Rekursgerichtes, sofern im Gesetz nichts anderes bestimmt wird, der Revisionsrekurs an den OGH zulässig ist (JBl. 1971, 138; JBl. 1974, 41; zuletzt 5 Ob 513/78). § 14 Abs. 2 AußStrG erklärt freilich Rekurse gegen Entscheidungen der zweiten Instanz über die Bemessung der gesetzlichen Unterhaltsansprüche für unzulässig. Zur Bemessung gehört (vgl. JB 60 neu = SZ 27/177) die Bemessung der Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten, der zur Deckung dieser Bedürfnisse vorhandenen Mittel und der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen. Um eine bloße Unterhaltsbemessungsfrage handelt es sich demnach, wenn der Streit um das Ausmaß, das Mehr oder Weniger einer Unterhaltsverpflichtung betrifft (SZ 45/87; JBl. 1976, 546). Der OGH vertritt freilich auch in ständiger Rechtsprechung die Rechtsansicht (vgl. EFSlg. 19 020, 21 322 und die dort zitierten weiteren Entscheidungen), daß die Frage, ob und inwieweit die subsidiär Unterhaltspflichtigen mit Rücksicht auf die Leistungen oder mangelnden Leistungen des Vorverpflichteten zu Beitragsleistungen herangezogen werden können, dem Bemessungskomplex zuzuordnen sei. Dabei ist aber von der Beurteilung des OGH nur die Frage ausgeschlossen, ob die Bedürfnisse des Berechtigten und die dem primär Unterhaltspflichtigen zur Verfügung stehenden Mittel die Heranziehung der subsidiär Unterhaltspflichtigen rechtfertigen, nicht aber die davon verschiedene und auf den Grund des Anspruchs betreffende Frage, unter welchen Voraussetzungen das Subsidiaritätsprinzip überhaupt zum Tragen kommt (vgl. EFSlg. 19 029). Im vorliegenden Fall ist jedoch primär darüber zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen gemäß § 141 ABGB die Unterhaltspflicht der Großeltern wirksam wird. Es liegt demnach aber eine Frage vor, die den Grund des Anspruchs betrifft, so daß der Revisionsrekurs als zulässig zu erachten ist.

In der Sache selbst ist davon auszugehen, daß gemäß § 141 ABGB i. d. F. des Bundesgesetzes über die Neuordnung des Kindschaftsrechtes, BGBl. 403/1977, die Großeltern den Unterhalt nach den Lebensverhältnissen der Eltern angemessenen Bedürfnissen des Kindes schulden, soweit die Eltern nach ihren Kräften zur Leistung des Unterhalts nicht imstande sind. Dabei gilt § 140 ABGB sinngemäß. Bei einer am Wortlaut der Bestimmung haftenden Auslegung könnte freilich die Unterhaltspflicht der Großeltern überhaupt nicht eintreten. Gemäß § 140 ABGB haben nämlich die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes nach Kräften anteilig beizutragen. Andererseits sieht § 141 ABGB vor, daß die Großeltern den Unterhalt nach den den Lebensverhältnissen der Eltern angemessenen Bedürfnisse des Kindes schulden, soweit die Eltern zur Leistung des Unterhalts nicht imstande sind. Würde der Unterhalt strikt nach den Lebensverhältnissen der Eltern bemessen, müßten diese also jedenfalls nur soviel leisten, als ihren Lebensverhältnissen entspricht - also unter Umständen gar nichts, wenn sie beide erwerbsunfähig sind - und würde weiters auch die Unterhaltspflicht der Großeltern nach diesen Lebensverhältnissen der Eltern bemessen, müßte dies dazu führen, daß auch die Großeltern - wie die Eltern - zur Unterhaltsleistung nicht verpflichtet wären. Was tatsächlich gemeint ist, legen die Erläuterungen des Justizausschusses (AB 587, XIV GP.) dar. Dort wird ausgeführt:

"Durch die Wendung des ersten Satzes (des § 141 ABGB),Soweit die Eltern nach ihren Kräften zur Leistung des Unterhaltes nicht imstande sind- wird ausgedrückt, daß die Unterhaltspflicht der Großeltern nur bei Leistungsunfähigkeit der vorrangig verpflichteten Eltern, nicht aber dann eintritt, wenn der Unterhalt von diesen nicht rechtzeitig oder vollständig hereingebracht werden kann; in einem solchen Fall springt der Staat mit seinen Vorschußleistungen ein, und es erübrigt sich insoweit die Heranziehung der Großeltern. Damit soll der gegenwärtigen Rechtsprechung der Gerichte, daß die Unterhaltspflicht der Großeltern schon eintritt, wenn die Hereinbringung des Unterhalts von den Eltern auf Schwierigkeiten stößt (vgl. OGH 27. August 1952, EvBl. 432), die Grundlage entzogen werden. Die Großeltern sollen künftig nur noch zu Unterhaltsleistungen an ihre Enkel herangezogen werden, wenn und insoweit die Eltern nicht in der Lage sind, ihrer Unterhaltspflicht zu genügen. Sind also die Eltern gänzlich erwerbsunfähig oder nicht mehr am Leben, so tritt die Unterhaltspflicht der Großeltern grundsätzlich im vollen Umfang ein. Können die Eltern nur einen Teil der Bedürfnisse des Kindes decken, besonders wegen Teilerwerbsunfähigkeit, so haben die Großeltern für den Rest aufzukommen. Diese Regelung kann auch zu einem Nebeneinander von Vorschüssen für die von den Eltern nicht einzubringenden, aber geschuldeten Teilunterhaltsleistungen und von Unterhaltsleistungen der Großeltern führen." Auch die Debatten im Plenum des Nationalrates zeigen, daß die gesetzgebende Körperschaft bei der Neuregelung der Unterhaltspflicht von dieser Zielsetzung geleitet war (vgl. etwa die Ausführungen des Abg. Dr. Hauser in der 62. Sitzung des Nationalrates am 30. Juni 1977). Der OGH hat dann aber keine Bedenken, im Sinne der Ausführungen im Bericht des Justizausschusses davon auszugehen, daß die subsidiäre Unterhaltspflicht der Großeltern nur insoweit eintritt, als die vorberufenen unterhaltspflichtigen Eltern unfähig sind, ihrer Unterhaltspflicht nachzukommen, was nicht schon dann der Fall ist, wenn die erwerbsfähigen Eltern nur faktisch ihrer Unterhaltspflicht nicht entsprechen, etwa weil sie unbekannten Aufenthaltes sind oder wenn nur die exekutive Hereinbringung des geschuldeten Unterhaltes unmöglich ist, verzögert wird oder sonst auf Schwierigkeiten stößt. Der Rechtsmeinung des Rekursgerichtes, der Fall, daß der Vater zu einer Unterhaltsleistung überhaupt nicht herangezogen werden kann, weil er unbekannten Aufenthaltes ist, sei im Sinne der bisherigen Rechtsprechung dahin zu beurteilen, daß damit die subsidiäre Unterhaltspflicht der Großeltern Platz greife, kann nicht gefolgt werden.

Die Beurteilung der weiteren Frage aber, ob die Eltern bei Anspannung ihrer Kräfte in der Lage sind, den ihren Kindern gemäß § 140 ABGB geschuldeten Unterhalt zu leisten, hängt aber weiters davon ab, in welcher Höhe der Unterhaltsanspruch der Kinder zu bemessen ist, welche Mittel den Eltern zur Deckung dieser Bedürfnisse zur Verfügung stehen oder doch bei Anspannung "nach Kräften" (§ 141 ABGB) erzielt werden könnten. Diesbezüglich liegen auch Verfahrensergebnisse vor, eine Beurteilung dieser Fragen ist jedoch, als dem Bemessungskomplex zugehörig, der Kognition des OGH entzogen. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes sind jedenfalls beide Eltern voll erwerbsfähig und in der Lage, für den Unterhalt ihrer Kinder voll aufzukommen. Das Rekursgericht wird demnach zu beurteilen haben, ob bei der gegebenen Sachlage, allenfalls bei Berücksichtigung eines von den Eltern fiktiv erzielbaren Einkommens, diese in der Lage sind, den ihren Kindern gebührenden Unterhalt ganz oder doch zum Teil zu leisten.

Anmerkung

Z51110

Schlagworte

Unterhaltspflicht, subsidiäre der Großeltern, Eintreten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1978:0010OB00588.78.0707.000

Dokumentnummer

JJT_19780707_OGH0002_0010OB00588_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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