TE OGH 1978/10/19 7Ob642/78

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.10.1978
beobachten
merken

Norm

ABGB §418
ABGB §1038

Kopf

SZ 51/143

Spruch

§ 418 ABGB ist nur auf Bauwerke von selbständiger Bedeutung anzuwenden. Es gilt auch für Grenzüberbauten; in diesem Fall wird der Nachbar, wenn er sich seines Rechtes nicht verschwiegen hat, Eigentümer jenes Teiles des Gebäudes, der in sein Grundstück hineinragt. - Ein Anspruch auf Entfernung des Bauwerkes steht dem Gründeigentümer nur gegen den unredlichen Bauführer zu

OGH 19. Oktober 1978, 7 Ob 642/78 (OLG Wien 4 R 44/78; LGZ Wien 35 Cg 177/75)

Text

Die Kläger sind je zur Hälfte Eigentümer des Grundstückes Nr. 1165/7, EZ 968 der KG O. Das östlich daran angrenzende Grundstück Nr. 1172/5, EZ 980 derselben Katastralgemeinde, steht hingegen je zur Hälfte im Eigentum der Beklagten. Mit ihrer Vorderfront grenzen die Grundstücke der Streitteile an die G-Gasse.

Mit ihrer Klage begehren die Kläger, die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig zu erkennen, die auf ihrem Grundstück Nr. 1165/7 errichtete Begrenzungsmauer, den Sockel samt Gitter und den darauf befindlichen Garagenteil zu beseitigen. Die Beklagten hätten im Anschluß an ihr Grundstück Nr. 1172/5 einen Garagenbau errichtet. Im Zuge dieser Bauführung hätten die Kläger bei der Baubehörde Einspruch erhoben. Bei einer Vermessung des Ingenieurkonsulenten Dipl.-Ing. Raimund F habe sich schließlich herausgestellt, daß die Garage samt Sockel 21 cm und die von den Beklagten errichtete Begrenzungsmauer mit dem Zaun 16 cm in ihr Grundstück Nr. 1165/7 hineinragen. Verschiedene schon zu Beginn und während des Baues den Beklagten unterbreitete Lösungsvorschläge seien von diesen abgelehnt worden. Die Beklagten beantragten Klagsabweisung und bestreiten, daß die von ihnen errichteten Bauwerke in das Grundstück Nr. 1165/7 der Kläger hineinragen. Die strittige Garage sei allerdings von ihnen, anstatt mit der im Bauplan vorgesehenen Breite von 3 m in einer solchen von 3.25 m errichtet worden. Bei einer Bauverhandlung über die Änderung der Garagenbreite sei von den Klagern vorgebracht worden, daß die Garage 21 cm und die Begrenzungsmauer 16 cm in ihr Grundstück Nr. 1165/7 hineinragen. Dem Geometer Dipl.-Ing. Raimund F seien aber bei seiner Vermessung Fehler unterlaufen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen ergibt sich zwischen den Naturdaten und den Vermessungsdaten der Grundstücke Nr. 1165/7 und Nr. 1172/5 der Streitteile sowie den Grundstücken Nr. 1172/6 und Nr. 1165/6 ihrer jeweiligen Nachbarn eine Gesamtdifferenz von 2 cm. Bezogen auf die rückwärtigen (der G-Gasse gegenüberliegenden) Grenzen dieser Grundstücke ergibt sich eine Gesamtdifferenz von 24 cm. Die Ursache dieser Differenz liegt darin, daß die rückwärtige Frontbegrenzung des an die Parzelle Nr. 1172/6 anschließenden Grundstückes Nr. 1178/2 in der Natur um 24 cm breiter ist als im Teilungsplan. Die Frontlänge des Grundstückes der Kläger Nr. 1165/7 ist um 9 cm, die Frontlänge des Grundstückes der Beklagten hingegen um 29 cm kürzer als es den Vermessungsdaten entsprechen würde. Die jeweiligen Werte, bezogen auf die rückwärtige Begrenzungslinie, ergeben, daß das Grundstück der Kläger um 21 cm und das der Beklagten um 8 cm zu kurz ist. Diese Differenzen ergeben sich daraus, daß wohl die Gesamtfrontlänge der G-Gasse mit den Plandaten übereinstimmt, nicht jedoch die Länge der Grundstücksgrenzen im einzelnen. Ab dem Grundstück Nr. 1186/5 weisen die Frontmaße der nach Westen anschließenden Grundstücke außergewöhnliche Differenzen auf. Während das Grundstück 1178/2 um 20 cm zu breit ist, sind die Grundstücke 1165/7 und 1165/6 um 20 cm bzw. 2 cm zu schmal. Um einen Ausgleich herbeizuführen, müßten die Grenzen zwischen den Grundstücken 1178/2 und 1172/6, 1172/6 und 1172/5 wie auch 1172/5 und 1165/7 (der Streitteile) um zirka 20 cm verschoben werden. Geht man von der Grenze (Grenzpunkt) der Grundstücke der Streitteile in der G-Gasse aus und zieht man die kürzeste Verbindung zur Grenze (Grenzpunkt) der beiden Grundstücke auf der gegenüberliegenden Seite, so ergibt sich, daß die Garage und der Zaun der Beklagten von dieser Verbindungslinie in Richtung des Grundstückes der Kläger (1165/7) abweichen. Die der G-Gasse zugewendete Garagenecke weicht 3 cm und die andere Garagenecke 7 cm von der vorgenannten Verbindungslinie in Richtung des Grundstückes der Kläger ab. Flächenmäßig gesehen, bedeutet dies eine Gesamtabweichung von 1.19 m2. Das Flächenausmaß des Grundstückes der Kläger ist aber um 1 m2 und das der Beklagten um 2 m2 größer als im Teilungsplan vorgesehen. Nach Ansicht des Erstgerichtes verstoße das Klagebegehren gegen das Schikaneverbot. Durch die Bauführung der Beklagten sei nämlich das Grundstück der Kläger (1165/7) nur in einem Flächenausmaß von 1, 19 m2 betroffen. Das von keinem schutzwürdigen Interesse getragene Klagebegehren würde im Falle seiner Stattgebung für die Beklagten zu einem erheblichen Nachteil führen.

Das Berufungsgericht hob das angefochtene Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht zurück. Die Streitsache sei schon deshalb nicht spruchreif, weil das angefochtene Urteil keine Feststellungen darüber enthalte, wie weit die Westgrenze des Grundstückes der Beklagten Nr. 1172/5 (nach dem Teilungsplan) in westlicher Richtung gegen die Parzelle der Kläger Nr. 1165/7 verschoben sei. Dem für die Klagsabweisung herangezogenen Argument des Erstgerichtes, daß eine Differenz in den Flächenausmaßen der Grundstücke der Streitteile nicht vorhanden sei, komme keine entscheidende Bedeutung zu, weil die Verhältnisse an den von diesem Rechtsstreit nicht betroffenen Grundgrenzen der Nachbarn der Streitteile nicht zu untersuchen sei. Auch der den Beklagten durch das Abtragen der Baulichkeiten drohende Nachteil sei ohne rechtliche Bedeutung. Maßgebend für die Berücksichtigung der Interessen der Streitteile sei vielmehr ausschließlich die Regelung des § 418 ABGB, nach der es auf die Redlichkeit oder Unredlichkeit ankomme. Durch die Bestimmung des § 418 ABGB sollen außerdem nur Bauwerke geschützt werden, gegenüber welchen der Grund, auf dem sie errichtet wurden, an Bedeutung zurücktrete. Der von den Beklagten errichteten Mauer samt Sockel und Gitter, die nur zum Zwecke der Abgrenzung der Grundstücke der Streitteile errichtet worden sei, komme aber keine selbständige Bedeutung zu. Sollte sich daher im zweiten Rechtsgang herausstellen, daß die Mauer mit dem darauf befindlichen Zaun auf dem Gründe der Kläger errichtet worden sei, werde das Erstgericht in diesem Umfange dem Klagebegehren stattzugeben haben. Die Berechtigung der von den Klägern begehrten Entfernung des Garagenteiles hänge hingegen von der Redlichkeit der Streitteile sowie davon ab, ob die Kläger die Bauführung gleich untersagt hätten. Im Falle der Unredlichkeit der Beklagten bei ihrer Bauführung würde nämlich das von ihnen auf dem Grund der Kläger errichtete Gebäude an diese fallen, auch wenn sie von der Bauführung gewußt und ihr nicht sogleich widersprochen hätten. Wären hingegen die Beklagten redliche Bauführer gewesen und hätten die Kläger von deren Bauführung gewußt, so könnten sie von den Beklagten nur den gemeinen Wert ihres verbauten Gründes (einschließlich der zur bestimmungsgemäßen Nutzung des Bauwerkes erforderlichen Grundfläche) begehren. Die gleichen Rechtswirkungen würden auch dann eintreten, wenn sich die Kläger in einem unentschuldbaren Irrtum darüber, daß von der Bauführung der Beklagten ihr Grundstück Nr. 1165/7 nicht betroffen werde, befunden haben sollten. Ein solcher unentschuldbarer Irrtum der Kläger wäre auch dann anzunehmen, wenn sie zur seinerzeitigen Bauverhandlung trotz Ladung nicht erschienen sein sollten. Auch in diesem Falle hätten die Kläger ihr Eigentum an dem verbauten Grund durch Verschweigung verloren. Das Erstgericht werde daher auch ergänzende Feststellungen über den Gang der Bauverhandlung betreffend das Garagenobjekt der Beklagten sowie darüber zu treffen haben, ob diese als redliche oder unredliche Bauführer zu betrachten seien.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Ob die strittigen Bauwerke teilweise auf dem Grund der Kläger errichtet worden sind, ist ausschließlich nach dem im seinerzeitigen Teilungsplan vorgesehenen Grenzverlauf zu beurteilen. Ohne Bedeutung ist hingegen, daß im Hinblick auf die in westlicher Richtung erfolgte Verschiebung auch der Grenzen der Nachbargrundstücke der Streitteile die flächenmäßige Größe des Grundstückes der Kläger (Nr. 1165/7) gegenüber den im seinerzeitigen Kaufvertrag vorgesehenen Flächenausmaß keine wesentliche Veränderung erfahren hat. Die Kläger müßten nämlich damit rechnen, daß auch ihre Nachbarn eine Korrektur der Grundstücksgrenzen begehren könnten. Von einer schikanösen Klagsführung der Kläger kann daher schon aus diesem Gründe keine Rede sein. Das Erstgericht wird daher ergänzende Feststellungen darüber zu treffen haben, ob und wie weit die von den Beklagten errichteten Baulichkeiten über die im seinerzeitigen Teilungsplan festgelegte Grenzlinie in das Grundstück der Kläger Nr. 1165/7 hineinragen. Sollten sich die Baulichkeiten der Beklagten teilweise auf dem Grund der Kläger befinden, so greift die Regelung des § 418 ABGB Platz, nach der im Falle des Bauens auf fremdem Grund das Gebäude dem Gründeigentümer zufällt (§ 418 ABGB, erster Satz). Der redliche Bauführer kann jedoch vom Gründeigentümer den Ersatz seiner notwendigen und nützlichen Kosten begehren, während der unredliche Bauführer gleich einem Geschäftsführer ohne Auftrag behandelt wird (§ 418 ABGB, zweiter Satz). Hat hingegen der Eigentümer des Gründes von der Bauführung gewußt und sie nicht sogleich dem redlichen Bauführer untersagt, so kann er nur den gemeinen Wert für das Grundstück fordern (§ 418 ABGB, dritter Satz). Im Hinblick auf das Fehlen einer gesetzlichen Regelung des hier behaupteten Grenzüberbaues (Bauführung teils auf eigenem, teils auf fremdem Grund), wendet die herrschende Lehre die Bestimmungen des § 418 ABGB auch auf Grenzüberbauten an (Ehrenzweig[2] I/2, 279; Klang[2] II, 292; GlUNF 6472; SZ 20/131; anderer Meinung Gschnitzer, Sachenrecht, 62 f.). In diesem Falle wird der Nachbar, wenn er sich seines Rechtes nicht verschwiegen hat, nur Eigentümer jenes Teiles des Gebäudes, der in sein Grundstück hineinragt (Ehrenzweig[2] I/2, 279).

Die Kläger begehren jedoch mit ihrer Klage nicht die Feststellung ihres Miteigentums an den auf ihrem Gründe befindlichen Teilen der von den Beklagten errichteten Baulichkeiten, sondern deren Beseitigung. Entscheidend für die Berechtigung dieses Begehrens ist daher, ob die Beklagten redliche oder unredliche Bauführer waren. Waren sie nämlich bei ihrer Bauführung redlich, so fällt wohl der auf dem Nachbargrund befindliche Teil des von ihnen errichteten Bauwerkes den Klägern zu, die ihnen jedoch ihre notwendigen und nützlichen Kosten zu ersetzen haben. Ein gesetzlicher Anspruch auf Entfernung des auf ihrem Grund befindlichen Teiles der von den Beklagten errichteten Baulichkeiten stunde aber den Klägern in diesem Falle nicht zu. Waren hingegen die Beklagten unredliche Bauführer, so sind sie als Geschäftsführer ohne Auftrag zu behandeln und haben daher den Klägern volle Genugtuung zu leisten; diese können von ihnen folglich nach § 1038 ABGB auch die Zurückversetzung der Sache in den vorigen Zustand (hier: Herstellung des vor der Bauführung bestehenden Zustandes) begehren (Ehrenzweig[2] I/2, 277; Klang[2] II, 290). Nur in diesem Falle könnte daher dem Beseitigungsbegehren der Kläger hinsichtlich des Garagenbaues Berechtigung zukommen. Ob die Kläger bzw. deren Rechtsvorgänger von der Bauführung der Beklagten gewußt und diese nicht untersagt haben, ist hingegen nicht zu prüfen, weil die Frage, ob die Beklagten Eigentümer des verbauten Gründes nach § 418 ABGB, dritter Satz, geworden sind, nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist. Der Gründeigentümer (hier: Kläger) verliert außerdem durch Verschweigung sein Eigentumsrecht am verbauten Grund nur an den redlichen Bauführer. Waren aber die Beklagten redliche Bauführer, so ist das Beseitigungsbegehren der Kläger hinsichtlich des Garagenteiles im Hinblick auf die vorangehenden Ausführungen schon aus diesem Gründe nicht berechtigt.

Richtig hebt das Berufungsgericht hervor, daß die Bestimmungen des § 418 ABGB nur auf Bauwerke von selbständiger Bedeutung anzuwenden sind (EvBl. 1969/117). Ob diese Eigenschaft der von den Beklagten an der Grundstücksgrenze errichteten Mauer samt Sockel und Gitter fehlt, hängt aber davon ab, ob diese tatsächlich nur zur Abgrenzung der strittigen Grundstücksgrenze der Streitteile errichtet wurde. Sollte diese hingegen nur im Bereiche der Garage etwa als Stützmauer u. dgl. errichtet worden sein, so wird sie als Bestandteil des Garagenbaues zu betrachten sein, der auch dessen rechtliches Schicksal teilen würde.

Zur Frage, ob die von den Beklagten errichtete Mauer samt Sockel und Gitter eine bloße Grenzmauer darstellt, enthält das Ersturteil keine ausreichenden Feststellungen, dem auch nicht entnommen werden kann, ob die Beklagten als redliche oder unredliche Bauführer zu betrachten sind. Die Aufhebung des Ersturteiles durch das Berufungsgericht erweist sich somit als berechtigt. Das Erstgericht wird daher sein Verfahren im Sinne der vorangehenden Ausführungen zu ergänzen und sodann neuerlich zu entscheiden haben. Die vom Berufungsgericht angeordnete Verfahrensergänzung über den Gang der Bauverhandlungen hinsichtlich des Garagenbaues der Beklagten ist allerdings entbehrlich.

Anmerkung

Z51143

Schlagworte

Grenzüberbauten teils auf eigenem, teils auf fremden Grund und § 418, ABGB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1978:0070OB00642.78.1019.000

Dokumentnummer

JJT_19781019_OGH0002_0070OB00642_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten