TE OGH 1979/3/27 9Os190/78

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Veröffentlicht am 27.03.1979
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. März 1979

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Faseth, Dr. Steininger und Dr. Horak als Richter, sowie des Richteramtsanwärters Mag. Umlauft als Schriftführer in der Strafsache gegen Adolf A wegen des Verbrechens des versuchten schweren Raubes nach § 15, 142 Abs. 1, 143 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Jugendschöffengericht vom 14. September 1978, GZ. 2 Vr 995/78-33, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Gottfried Peloschek und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Strasser, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gemäß § 290 Abs. 1 StPO wird aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde das angefochtene Urteil, das somit im übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch über die Unterbringung des Angeklagten in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung in diesem Umfang an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 13. Dezember 1960 geborene, zuletzt beschäftigungslose Angeklagte Adolf A 1. des Verbrechens des versuchten schweren Raubes nach § 15, 142 Abs. 1, 143 StGB /Punkt A) des Schuldspruches/, 2. des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach § 127 Abs. 1, Abs. 2 Z 1, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 und 2 StGB /Punkt B) des Schuldspruches/ und

3. des Vergehens des teils vollendeten, teils versuchten unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach § 136 Abs. 1 und 2 sowie 15 StGB /Punkte C) und D) des Schuldspruches/ schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. überdies wurde ausgesprochen, daß der Angeklagte die unter den Punkten A), B)I), C) und D) des Urteilsspruches angeführten Taten unter dem Einfluß einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad begangen habe, und gemäß § 21 Abs. 2 StGB seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

Nach den auf Grund der Gutachten zweier psychiatrischer Sachverständiger getroffenen Feststellungen handelt es sich beim Angeklagten Adolf A um eine schwer neurotisch verwahrloste Persönlichkeit mit Selbstmordphantasien und ernsten Neigungen zur Selbstverstümmelung, bei der zu befürchten ist, daß sie unter dem Einfluß dieser geistigen bzw. seelischen Abartigkeit höheren Grades eine Tat begehen werde, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist. Nach den Urteilsannahmen ist der Angeklagte nur von 'leichtergradigen' Medikamenten abhängig. Diese 'leichtergradige' Abhängigkeit 'spielt' bei den Straftaten des Angeklagten zwar 'eine Rolle', ist aber nicht von entscheidender Bedeutung.

Gegen dieses Urteil richtet sich die ziffernmäßig auf die Nichtigkeitsgründe der Z 4 und 9 lit. c des § 281 Abs. 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, mit der er das Unterbleiben weiterer Erhebungen zur Klarstellung des Grades seiner Drogenabhängigkeit als Verfahrensmangel bekämpft und im Hinblick auf eine seines Erachtens stärker als die bei ihm bestehende Abnormität ins Gewicht fallende Drogenabhängigkeit seine Einweisung in eine Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher (§ 22 StGB) statt in eine solche für geistig abnorme Rechtsbrecher (§ 21 Abs. 2 StGB) anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Durch das den Antrag des Beschwerdeführers auf Vernehmung des Zeugen Dr. Wilhelm B zum Beweise dafür, daß er (der Angeklagte) 'unter dem Einfluß von Medikamenten gestanden habe (sei), derzeit eine Entziehungskur in Form einer Psychotherapie durchgeführt werde und die Fortführung zum Entzug notwendig sei' (S. 367 f) abweisende Zwischenerkenntnis wurden Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt; denn es wurden ein Einfluß von Medikamenten auf die Tatverübung und die Notwendigkeit einer Entziehungskur vom Erstgericht ohnedies als erwiesen angenommen (S. 383 d. A). Im übrigen aber fehlte diesem Beweisantrag schon deswegen jegliche Relevanz, weil die vom Beschwerdeführer selbst für erforderlich erachtete und durch den Antrag auf Unterbringung in einer Anstalt gemäß § 22 StGB angestrebte Fortführung der Entziehungstherapie auch in einer Anstalt für geisteskranke Rechtsbrecher vorgenommen werden kann (vgl. Foregger-Serini StGB2 § 22 Erl. II c).

Insoweit der Beschwerdeführer in seinen auf den Nichtigkeitsgrund der 'Z 9 lit. c' des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Ausführungen (auch) von einer seine Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Drogenabhängigkeit ausgeht, ist seine Rechtsrüge nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt.

Denn das Erstgericht hat, wiewohl es seiner Entscheidung ersichtlich die Annahme zugrunde legte, daß der Beschwerdeführer eine schwer neurotisch verwahrloste Persönlichkeit mit Selbstmordphantasien und ernsten Neigungen zur Selbstverstümmelung ist und die Straftaten unter dem Einfluß von Drogen begangen hat (S. 382, 383), dennoch ausdrücklich als erwiesen angenommen, daß er zur jeweiligen Tatzeit seiner Diskretions- oder Dispositionsfähigkeit nicht beraubt war (S. 381/382 d. A).

Der Beschwerdeführer ist aber auch nicht im Recht, wenn er sich (sachlich aus dem Nichtigkeitsgrund der Z 11 des § 281 Abs. 1 StPO) gegen die Anordnung seiner Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs. 2 StGB mit der Begründung wendet, es lägen im Hinblick auf die seiner Ansicht nach die geistige Abnormität überwiegende Drogenabhängigkeit die Voraussetzungen für seine Einweisung in eine Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher gemäß § 22 StGB vor. Er übersieht hier zunächst die Subsidiaritätsbestimmung des § 22 Abs. 2 StGB, wonach von einer Unterbringung in einer Entwöhnungsanstalt u.a. abzusehen ist, wenn die Voraussetzungen für die Einweisung des Rechtsbrechers in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher vorliegen. Im übrigen mußte vom Gericht nicht entschieden zu werden, welche Komponente (geistige oder seelische Abartigkeit, Mißbrauch eines berauschenden Mittels oder Suchtmittels bzw. Gewöhnung daran) eines gestörten, aber zurechnungsfähigen Täters bei Begehung einer Straftat anteilsmäßig kausal im Vordergrund steht; genug daran, daß bei ihm eine die Einweisung nach § 21 Abs. 2 StGB begründende geistige oder seelische Abnormität besteht, die faßbaren Einfluß auf die Tatverübung nahm (13 Os 33/77, 9 Os 96/78).

Es war sohin der zur Gänze unbegründeten Nichtigkeitsbeschwerde der Erfolg zu versagen.

Das Erstgericht verurteilte den Angeklagten nach dem ersten Strafsatz des § 143 StGB unter Anwendung des § 28 StGB und des § 11 JGG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren. Dabei nahm es als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen, die Wiederholung der Straftaten und die einschlägigen Vorstrafen an. Als mildernd wertete es hingegen das Geständnis des Angeklagten, den Umstand, daß es zum Teil beim Versuch geblieben war, sowie die Tatsache, daß der Angeklagte, bei dem es sich um eine 'gestörte Persönlichkeit' handelt, in ungünstigen häuslichen und erzieherischen Verhältnissen aufgewachsen ist.

Mit der nicht näher ausgeführten Berufung strebt der Angeklagte eine Herabsetzung der über ihn verhängten Strafe an.

Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.

Das Erstgericht hat die Strafzumessungsgründe richtig und vollständig festgestellt und auch durchaus zutreffend gewürdigt. Die von ihm ausgesprochene Strafe entspricht dem Verschulden des Täters und dem Unrechtsgehalt der von diesem zu verantwortenden Taten. Sie wird sohin den Strafzumessungsregeln des § 32 StGB gerecht, sodaß eine Herabsetzung des Strafmaßes nicht in Erwägung zu ziehen war. Aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde konnte sich jedoch der Oberste Gerichtshof davon überzeugen, daß das Erstgericht das Gesetz durch den Ausspruch über die Unterbringung des Angeklagten in einer Anstalt gemäß § 21 Abs. 2 StGB zum Nachteil des Angeklagten verletzt hat.

Diesbezüglich führte es (lediglich) im Urteilsspruch aus, daß der Angeklagte 'ohne zurechnungsunfähig zu sein, die unter den Punkten A), B) I), C) und D) des Urteils angeführten strafbaren Handlungen unter dem Einfluß seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grade begangen hat'. über die Wiedergabe des Gesetzestextes hinausgehende, den Sachverhalt konkretisierende und damit eine überprüfung der Rechtsanwendung überhaupt erst ermöglichende Tatsachenfeststellungen traf es (im Spruch und auch) in den Entscheidungsgründen nicht. Sein Hinweis auf die Gutachten der Sachverständigen OA. Dr. C und Prof. Dr. D (ON 13 und 22) ersetzt derartige Feststellungen (und die Begründung derselben sowie der im Spruch enthaltenen Tatsachenannahmen) nicht; denn in ihren Gutachten bezogen die Sachverständigen primär zur Frage der Haftfähigkeit des Angeklagten Stellung, bei dem nach der Einlieferung ins Gefangenenhaus massive präsuicitale Einengungen und (möglicherweise auch) eine geringfügige Entzugssymptomatik nach Medikamentenabusus aufgetreten waren. Insbesondere unter diesem Gesichtspunkt, weil nämlich der Angeklagte 'durch sein psychisches Zustandsbild bzw. seine Auffälligkeit unter fachärztlicher Kontrolle stehen müsse' (S. 184 und 217 d. A), aber auch weil er 'möglicherweise' bzw. 'mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit' auf Grund dieser Abartigkeit 'eine mit ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Handlung' bzw. eine 'mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen' begehen werde (S. 369 d. A), bejahten die Gutachter, solcherart unsubstantiiert eine vage Zukunftsprognose erstellend, die Notwendigkeit einer Unterbringung des Angeklagten in einer Anstalt gemäß § 21

StGB, die nach dem Gesetz jedoch ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit zur Voraussetzung hat (12 Os 117/78;

Leukauf-Steininger 181). Davon, daß der Beschwerdeführer die von ihm verübten strafbaren Handlungen unter dem Einfluß seiner geistigen Abnormität begangen hat, sprachen die Sachverständigen nicht (siehe dazu ON 13 und 22 sowie S 369 d. A). Diesbezüglich verwies vielmehr der Sachverständige OA. Dr. C in der Hauptverhandlung lediglich auf eine Abhängigkeit des Angeklagten von leichtgradigen Medikamenten, die 'bei seinem Verhalten mit eine Rolle spielt' (S. 369 d. A). Dabei ließ er - und damit auch das Urteil, das sich in diesen Belangen mehrfach auf die Sachverständigengutachten bezieht (S. 378, 381, 383 d. A) - allerdings offen, ob er solcherart auf eine ins Gewicht fallende Einflußnahme der aufgezeigten Medikamentenabhängigkeit, auf das (abnorme) Verhalten des Angeklagten im Gefangenenhaus (Selbstmordversuch, Drohung mit Selbstverstümmelung usw.) oder aber auf die Bereitschaft des Angeklagten zur Begehung von strafbaren Handlungen in Vergangenheit und/oder Zukunft verweist.

Da sohin die für die Beurteilung der angeordneten Einweisung des Angeklagten in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs. 2 StGB maßgeblichen Tatsachen im Urteil nicht festgestellt sind, war dieses im betreffenden Umfang gemäß § 290 Abs. 1 StPO aufzuheben und diesbezüglich die Erneuerung des Verfahrens anzuordnen.

Von diesen Feststellungsmängeln des Urteils abgesehen, läßt die für den Ausspruch über die Unterbringung des Angeklagten in einer Anstalt für abnorme Rechtsbrecher gegebene Begründung aber auch erkennen, daß das Gericht bei der Erstellung der Prognose von einer irrigen Rechtsansicht ausgegangen ist. Es erachtete nämlich, wie sich aus den Entscheidungsgründen zweifelsfrei ergibt (S. 382 d. A), die Voraussetzungen für die Einweisung in eine Anstalt nach § 21 Abs. 2 StGB schon dann für gegeben, wenn beim Täter die Befürchtung besteht, er werde unter dem Einfluß einer Abartigkeit höheren Grades eine Tat begehen, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist. Das trifft jedoch nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes nicht zu; denn dieses setzt sowohl für die Einweisung nach § 21 Abs. 1 StGB als auch für jene nach § 21 Abs. 2 StGB die eminente Befürchtung voraus, der Rechtsbrecher werde sonst, also ohne die Unterbringung, eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen.

Ob solche vorliegen, ist nicht nach der Strafdrohung zu beurteilen, wie das Erstgericht vermeint, sondern nach dem Gesamtgewicht aller konkreten Auswirkungen der befürchteten Tat in der gesellschaftlichen Wirklichkeit (Dokumentation zum StGB, S. 76, Bertel im 1. Heft der Zeitschrift 'Forensia', S. 29 ff, Entsch. des OGH vom 20.1.1977, GZ 13 Os 4/77-4 = EvBl. 1977/180). Diesbezüglich läßt das Urteil nicht einmal erkennen, welche Art von Delikten das Gericht vom Angeklagten befürchtet.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Anmerkung

E01875

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1979:0090OS00190.78.0327.000

Dokumentnummer

JJT_19790327_OGH0002_0090OS00190_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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