TE OGH 1979/5/4 11Os57/79

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Veröffentlicht am 04.05.1979
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Borutik und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Dienst, Dr. Kießwetter, Dr. Schneider und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Schifter als Schriftführer in der Strafsache gegen Gottfried A wegen des Vergehens des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach dem § 136 Abs 1 bis Abs 3 erster Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung mit Zustimmung bzw. nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 22. Jänner 1979, GZ 4 Vr 2431/78-12, und die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluß dieses Gerichtes vom 22. Jänner 1979, GZ 4 Vr 2431/78-11, betreffend die Bestellung eines Bewährungshelfers

Spruch

I.) zu Recht erkannt:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung

verwiesen.

II.) den Beschluß gefaßt:

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluß aufgehoben.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 19. Mai 1963 geborene (Sonder-)Schüler Gottfried A (richtig: B - s. S. 13 d. A) des Vergehens des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach dem § 136 Abs 1

bis Abs 3 erster Fall StGB und des Vergehens der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach dem § 298 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 30. Juli 1978 in Schloßberg (Steiermark) 1.) vorsätzlich den PKW Opel-Rekord 1900, pol. Kennzeichen T 102.752, ohne Einwilligung des Berechtigten Franz

C in Gebrauch nahm, indem er sich die Gewalt über das Fahrzeug durch Eindringen in den PKW mit einem widerrechtlich erlangten Schlüssel (§ 129 Z 1 StGB) verschaffte und wobei der durch die Tat (infolge Unfalles) verursachte Schaden am Fahrzeug mindestens S 7.000,-- betrug;

2.) dadurch, daß er (nach der zu 1 bezeichneten Tat und dem Fahrzeugunfall) gegenüber Franz C angab, gesehen zu haben, daß zwei unbekannte Burschen den PKW gestohlen hätten und damit in Richtung Staatsgrenze davongefahren seien, zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Beamten die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung wissentlich vortäuschte.

Gemäß dem § 13 JGG schob das Erstgericht den Ausspruch der verwirkten Strafe für eine Probezeit von drei Jahren vorläufig auf und unterstellte den Angeklagten mit in der Hauptverhandlung verkündetem Beschluß 'gemäß den § 50 ff StGB und § 17 JGG' der Bewährungshilfe.

Die Schuldsprüche bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9

lit a und b StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die Dauer der Probezeit mit Berufung und den Beschluß auf Bestellung eines Bewährungshelfers mit Beschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Die Nichtigkeitsbeschwerde ist schon insoweit begründet, als darin die Nichtigkeitsgründe der Z 4 und 9

lit b des § 281 Abs 1 StPO geltend gemacht werden.

Im erstinstanzlichen Verfahren sind nämlich Umstände hervorgekommen, durch die die Reife des jugendlichen Angeklagten und damit seine strafgerichtliche Verantwortlichkeit unter dem Gesichtspunkt des § 10 JGG ('verzögerte Reife'), allenfalls sogar wegen erheblichen Schwachsinns im Sinne des § 11 (zweiter Fall) StGB, in Frage gestellt scheint, weshalb der Angeklagte durch die Ablehnung des von seinem Verteidiger in der Hauptverhandlung gestellten Psychiatrierungsantrages (s. S. 28 ff d. A) in seinen Verteidigungsrechten verletzt wurde.

Den Urteilsfeststellungen zufolge weist der Angeklagte einen weit unterdurchschnittlichen Intelligenzquotienten von (nur) ca. 59 auf, was bereits einer Debilität schweren Grades entspricht; vor dem erkennenden Jugendschöffensenat erweckte er einen körperlich und geistig reduzierten Eindruck (S. 34/35 d. A). In den Urteilsausführungen zur Straffrage verweist das Erstgericht überdies auf eine sich aus der (von der Verteidigung in der Hauptverhandlung vorgelegten) psychologischen Stellungnahme des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung vom 13. Dezember 1978 (Beilage I/ zu ON 11) ergebende Verhaltensstörung des Jugendlichen. Aus dieser Stellungnahme in Verbindung mit den in der Hauptverhandlung verlesenen Jugenderhebungen (s. S. 18 - 20 d. A) ergibt sich weiters, daß die ae. Mutter des zur Tatzeit erst knapp über 15 Jahre alt gewesenen Angeklagten wegen Geistesschwäche entmündigt ist, er selbst in den Jahren 1976 und 1977

in einem Heim untergebracht war, zur Zeit (erst) die sechste Klasse Sonderschule besucht und als geistig schwach (zurückgeblieben) und in seinem Verhalten gestört sowie in der (Sonder-)Schule als schwierig bezeichnet wird.

Angesichts dieser Umstände, die beim Angeklagten das Vorliegen deutlicher Entwicklungshemmungen vorwiegend psychischer Art indizieren und die auch bei Bedachtnahme darauf, daß er, worauf das Erstgericht hinweist, in der Hauptverhandlung in der Lage war, folgerichtige Antworten zu geben und den Hergang der ihm angelasteten Straftaten entsprechend zu schildern, erhebliche Zweifel an seiner geistigen Gesundheit bzw. seiner Reife im Sinne des § 10 JGG (und zwar jeweils im Zusammenhang mit den in Rede stehenden strafbaren Handlungen) aufkommen lassen, wäre daher vom Erstgericht in Stattgebung des bezüglichen Beweisantrages der Verteidigung gemäß dem § 134 Abs 1 StPO die psychiatrische Untersuchung des Angeklagten zu veranlassen gewesen (Gebert-Pallin-Pfeiffer, III/1, Nr. 10 ff zu § 134 StPO und III/3, Nr. 30 ff zu § 10 JGG).

Die Abweisung des in Rede stehenden Beweisantrages bewirkte sohin einen vom Angeklagten zutreffend mit dem Nichtigkeitsgrund der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO relevierten Verfahrensmangel, dessen Behebung die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung erforderlich macht. Eine Verfahrenserneuerung ist aber auch wegen eines dem Schuldspruch wegen des Vergehens nach dem § 298 Abs 1

StGB anhaftenden und vom Beschwerdeführer mit dem Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO der Sache nach zutreffend geltend gemachten Feststellungsmangels geboten.

Zwar fällt unter den Tatbestand des § 298 Abs 1

StGB - und von dieser Rechtsansicht ging an sich auch das Erstgericht aus - nicht nur die unmittelbare Vortäuschung einer (in der behaupteten Art und Weise nicht begangenen) Straftat (vgl. SSt 47/19 und EvBl 1978/208) gegenüber einer Strafverfolgungsbehörde im Sinne des § 151 Abs 3 StGB oder gegenüber einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Beamten, sondern es reicht hiefür auch aus, wenn die unrichtige Behauptung (Erklärung) gegenüber einer Privatperson erfolgt, soferne der Täter hiebei mit dem - zumindest bedingten (vgl. § 5 Abs 1 StGB und Foregger-Serini, Kurzkommentar zum StGB2, 481) - Vorsatz handelt, daß diese dann die Behörde bzw. einen Beamten vom behaupteten Vorfall in Kenntnis setzen werde (Leukauf-Steininger, StGB, 1174).

In dieser Beziehung enthält das angefochtene Urteil jedoch keinerlei Feststellungen, was umso mehr (nachteilig) ins Gewicht fällt, als angesichts der psychischen Verfassung des Angeklagten vorliegend nicht ohne weiteres angenommen werden kann, daß er bei seiner gegenüber dem Farzeugeigentümer Franz C in den Abendstunden des 30. Juli 1978 vorgebrachten falschen Behauptung eines angeblichen PKW-Diebstahls durch zwei Unbekannte davon ausging (und dies billigte), C werde - wie allerdings geschehen - die Gendarmerie verständigen. Da das Erstgericht mithin diesen für die subjektive Tatseite im Sinne des § 298 Abs 1 StGB wesentlichen Umstand unberücksichtigt ließ - ihn möglicherweise infolge einer insoweit unrichtigen Rechtsansicht für bedeutungslos hielt - und in dieser Hinsicht keine Tatsachenkonstatierungen traf, war, da solche nach den bisherigen Verfahrensergebnissen nicht schon vorweg auszuschließen sind (SSt. 36/51), auch wegen dieses wesentlichen Feststellungsmangels (§ 288 Abs 2 Z 3 Schlußsatz StPO) in Ansehung des Schuldspruches laut Punkt 2.) des Urteilssatzes die Sache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Sollte im erneuerten Verfahren nach Anhörung eines psychiatrischen Sachverständigen die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Gottfried B - jeweils deliktsbezogen - nach eingehender Prüfung unter dem Gesichtspunkt des § 10 JGG bzw. des § 11 (zweiter Anwendungsfall) StGB neuerlich bejaht werden, so wird das Erstgericht auch zureichend begründete Feststellungen darüber zu treffen haben, ob der Angeklagte bei seiner gegenüber dem Fahrzeugeigentümer vorgebrachten Falschbehauptung mit dem (zumindest bedingten) Vorsatz handelte, daß solcherart auch eine Strafverfolgungsbehörde bzw. ein Beamter derselben vom Inhalt der Behauptung Kenntnis erlange.

Da sich zeigt, daß wegen der vorliegenden Verfahrensund Feststellungsmängel die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist und eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst nicht einzutreten hat, war, ohne daß es eines Eingehens auf die weiteren Ausführungen in der Rechtsmittelschrift bedurfte, gemäß dem § 285 e StPO - mit Zustimmung der Generalprokuratur - bereits in nichtöffentlicher Sitzung das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Im zweiten Rechtsgang wird aber auch noch zu prüfen sein, ob und inwieweit der Angeklagte über die bloße Behauptung, die Tat sei - nicht von ihm, sondern - von zwei Unbekannten verübt worden, hinaus ein dem Begriff des 'Vortäuschens' (§ 298 Abs 1 StGB) entsprechendes Lügengebäude (vgl. Foregger-Serini, Kurzkommentar zum StGB2, 480) errichtet hat, was etwa dann bejaht werden müßte, wenn er durch den zusätzlichen Hinweis, die Unbekannten seien mit dem PKW 'in Richtung Staatsgrenze' gefahren, die (erwarteten) behördlichen Ermittlungen in eine falsche Richtung lenken wollte. Mit seiner durch die Urteilsaufhebung gegenstandslos gewordenen Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen. Damit erweist sich aber auch die bereits an früherer Stelle erwähnte Beschwerde des Angeklagten als berechtigt.

Denn mit der Urteilsaufhebung wurde dem auf die § 50 StGB, 17 (Z 1) JGG gegründeten angefochtenen Beschluß der Boden entzogen. Mithin war insgesamt wie im Spruche zu entscheiden.

Anmerkung

E01934

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1979:0110OS00057.79.0504.000

Dokumentnummer

JJT_19790504_OGH0002_0110OS00057_7900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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