TE OGH 1979/9/20 12Os97/79

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Veröffentlicht am 20.09.1979
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20.September 1979

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Kral, Dr. Steininger und Dr. Schneider als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Stach als Schriftführer in der Strafsache gegen Hermine A wegen des Verbrechens des Totschlages nach § 76 StGB über die von der Angeklagten sowie der Staatsanwaltschaft erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen gegen das Urteil des Geschwornengerichtes am Sitze des Kreisgerichtes Krems a.d. Donau vom 4.April 1979, GZ 11 Vr 651/78- 56, nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, der Ausführungen des Verteidigers, Rechtsanwalt Dr. Gerda Herzl, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Kodek, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden angefochtenen Urteil wurde die am 22.November 1936

geborene Hausfrau Hermine A des Verbrechens des Totschlages nach § 76 StGB schuldig erkannt, weil sie sich ab einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt im Juli 1978 in Gars am Kamp in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen ließ, ihren Ehegatten Franz A dadurch vorsätzlich zu töten, daß sie es unter Mißachtung ihrer ehelichen Beistandspflicht (§§ 90 ff. ABGB.) unterließ (§ 2 StGB), ihm Nahrung zu reichen und für die notwendige ärztliche Hilfe zu sorgen, sowie dadurch, daß sie Franz A zu einem gleichfalls nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt (von) Ende Juli bis Anfang August 1978 in seinem Zimmer einsperrte. Die Geschwornen hatten die im Sinne dieses Schuldspruches (für den Fall der Verneinung der Hauptfrage I) gestellte Eventualfrage (I) bejaht, nachdem sie die auf das Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB gerichtete Hauptfrage I verneint hatten. Damit entfiel eine Beantwortung der nur für den Fall der Verneinung der Hauptfrage I und der Eventualfrage I gestellten weiteren Eventualfrage (II) wegen Vernachlässigung eines Wehrlosen im Sinne des § 92 Abs 2 und 3 StGB Schließlich verneinten die Geschwornen die auf das Vorliegen des Schuldausschließungsgrundes der Zurechnungsunfähigkeit gemäß § 11 StGB gerichtete Zusatzfrage (I).

Den Schuldspruch wegen des Verbrechens des Totschlages bekämpfen sowohl die Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft mit Nichtigkeitsbeschwerde, den Strafausspruch mit Berufung. Hermine A macht die Nichtigkeitsgründe der Z 5 und 8, die Staatsanwaltschaft die Nichtigkeitsgründe der Z 8 und 12 des § 345 Abs 1 StPO geltend.

Rechtliche Beurteilung

Keiner der Beschwerden kommt Berechtigung zu.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Hermine A:

Eine den erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund verwirklichende Beeinträchtigung ihrer Verteidigungsrechte erblickt die Beschwerdeführerin in der Abweisung des von ihrem Verteidiger in der Hauptverhandlung gestellten Antrages (s. Bd. I, S. 550 d.A.) auf Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen aus dem Fache der Parasitologie zum Beweis dafür, daß auf Grund der Bedingungen im August 1978 und dem vom Sachverständigen Prof. Dr. B geschilderten Zustand der Maden der Tod des Franz A mindestens 14 - 16 Tage vor der Auffindung (der Leiche), keineswegs 'früher' eingetreten sein kann.

Dieser Beweisantrag wurde mit der Begründung abgewiesen, daß eine gegenüber den schlüssigen und widerspruchsfreien Ausführungen des gerichtsmedizinischen Sachverständigen UnivProf. Dr. B über den Zeitpunkt des Eintrittes des Todes des Franz A präzisere bezügliche Feststellung vom nunmehr beantragten Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Parasitologie nicht zu erwarten sei, wozu noch komme, daß die genaue Ermittlung des Zeitpunktes des Todes 'für den Tatbestand nicht erheblich ist' (Bd. I, S. 551 d.A.). Dieser Argumentation ist im wesentlichen beizupflichten. Die Angeklagte ventiliert mit ihrer Verfahrensrüge die Möglichkeit, daß schon vor dem Zeitpunkt, als sie nach ihrer Verantwortung am 30. Juli 1978 die Tür zum Zimmer des Franz A von außen verschloß, dieser schon tot gewesen sein könnte, wobei im Falle des (möglichen) Todeseintrittes bereits am 28.Juli 1978 ein kausaler Beitrag der Angeklagten hiezu durch Unterlassen der Nahrungsgabe und der Nichtverschaffung ärztlicher Hilfe, nach Lage des Falles ausscheide. Diesem Vorbringen ist jedoch, abgesehen davon, daß es über den Rahmen des in der Hauptverhandlung gestellten (nicht sehr klaren) Beweisantrages hinausgeht, folgendes entgegenzuhalten:

In seinem in der Hauptverhandlung erstatteten, insgesamt schlüssigen Gutachten (Bd. I, S. 522 ff. d.A.) gelangte der gerichtsmedizinische Sachverständige Univ. Prof. Dr. B (konform mit seinem schriftlichen Gutachten ON. 28) auf Grund der starken Fäulnis und Verwesung der aufgefundenen Leiche, ihres starken Madenbefalls und -fraßes und der zum Teil schon in Tonnen verpuppten Maden ohnedies zu dem Ergebnis, daß der Tod mindestens 14 bis (eher) 16 Tage vor der Auffindung der Leiche eintrat und er sah demgemäß als mindest frühesten wahrscheinlichen Todestag den 30.Juli 1978 an, allerdings hielt er auch den 28. oder 29. Juli 1978 als Todestag für durchaus möglich (Bd. I, S. 529; 536 d. A.), und schloß schließlich, unter Berücksichtigung der zu dieser Zeit herrschenden heißen Witterung und der 'günstigen' Bedingungen zur Madenentwicklung, auch den 2.August 1978 als (allerdings spätesten) Todeszeitpunkt nicht aus (Bd. I, S. 541 d.A.). Das Bemühen der Beschwerdeführerin, 'mindestens 14 - 16 Tage vor der Auffindung' des Toten als rekonstruierbaren Zeitraum für den Todeseintritt unter Beweis zu stellen, findet daher bereits im Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen UnivProf. Dr. B eine zureichende Stütze. Unter Berücksichtigung der Möglichkeit einer vom Sachverständigen erörterten Verkürzung der 14 Tage um 2 Tage auf 12 Tage (rückgerechnet vom Auffindungszeitpunkt der Leiche, in welchem Fall sich der /späteste / Zeitpunkt des Todeseintrittes auf den 2.August 1978 verschiebt) fällt in diesen Zeitraum aber auch der 30.Juli 1978, es kommt aber andererseits auch der 28.Juli 1978 - mit dem die Beschwerdeführerin operiert - als möglicher Todestag durchaus in Betracht (s. Bd. I, S. 536 d.A.).

Die Geschwornen hatten daher bei ihrem Wahrspruch jedenfalls auch zu prüfen, ob Franz A nicht schon ab dem 28.Juli 1978 und insbesondere in jenem Zeitpunkt tot war, als die Angeklagte (nach ihrer Verantwortung am 30.Juli 1978) die Zimmertür versperrte. Sie gaben einer solchen Hergangsversion mit ihrem Wahrspruch indes keinen Raum.

Durch das angestrebte Beweisergebnis - möglicher Todeseintritt vor dem 30.Juli 1978 - hätte sich somit keine Änderung der Beweislage ergeben, denn auch der Sachverständige Dr. B hat den 28. und 29.Juli 1979 noch als möglichen (frühesten) Tag des Todeseintrittes angesehen.

Die Verfahrensrüge erweist sich mithin als unbegründet. Mit Beziehung auf den Nichtigkeitsgrund der Z 8 des § 345 Abs 1 StPO macht die Beschwerdeführerin zunächst geltend, daß die Formulierung in der Hauptfrage I und in der Eventualfrage I, ob sie es 'unter Mißachtung ihrer (ehelichen) Beistandspflicht (§§ 90 ff. ABGB.)' unterlassen habe, ihrem Ehegatten Franz A Nahrung zu reichen und für seine ärztliche Betreuung zu sorgen, nur einen unzureichenden Hinweis über den Zweck und Sinn dieser in den genannten Schuldfragen zitierten Bestimmungen enthalte. Den Geschwornen sei hiedurch eine unrichtige bzw. unvollständige Rechtsbelehrung erteilt worden.

Auch dieser Einwand geht fehl.

Gesetzes- und Rechtsbegriffe sind nicht im Rahmen der Fragestellung an die Geschwornen (§§ 310 ff. StPO), sondern in der vom Vorsitzenden nach Beratung mit den übrigen Mitgliedern des Schwurgerichtshofes zu verfassenden schriftlichen Rechtsbelehrung auszulegen und zu erläutern (§ 321 StPO). Der Sache nach kann sich mithin das ausdrücklich auf den Nichtigkeitsgrund der Z 8 des § 345 Abs 1 StPO gestützte Vorbringen der Beschwerdeführerin nur gegen die schriftliche Rechtsbelehrung richten.

Diese enthält aber, was die Beschwerdeführerin übersieht, zur Hauptfrage I (lautend auf das Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB) durchaus zutreffende und nach Lage des Falles auch ausreichende Ausführungen zum Begriffsinhalt der sogenannten 'ehelichen Beistandspflicht', die sich aus den Bestimmungen der §§ 44, 90, 92 und 94 ABGB.

ergibt (siehe Leukauf-Steininger2 Anm. 18 zu § 2 StGB). Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung erlischt die aus der ehelichen Beistandspflicht (§§ 44, 90 ABGB.) resultierende Verpflichtung zur Hilfeleistung um eine drohende Lebensgefahr vom Ehepartner abzuwenden nicht durch ein ehewidriges Verhalten des anderen Ehegatten und kann auch nicht einseitig von einem der Ehepartner wirksam aufgehoben werden.

Auf diese Ausführungen (s. S. 2 der Rechtsbelehrung) wurden die Geschwornen mit dem in die Rechtsbelehrung zur Eventualfrage I (s. S. 5) aufgenommenen Hinweis, daß das den Gegenstand dieser Schuldfrage bildende Delikt des Totschlages nur ein besonderer (privilegierter) Fall vorsätzlicher Tötung sei, der sich von Mord lediglich auf der Ebene der Schuld, nämlich durch Handeln (Unterlassen) in schuldmilderndem, hochgradigem Affekt unterscheide - zulässig (EvBl. 1978/82) - verwiesen.

Die Rechtsbelehrung, die nach ihrem gesamten Inhalt und in ihrem inneren Zusammenhang, aber auch unter Berücksichtigung der Fragestellung zu beurteilen ist, war daher insoweit keineswegs rechtsirrig oder unvollständig.

Mit Berufung auf den Nichtigkeitsgrund der Z 8 des § 345 Abs 1 StPO rügt die Beschwerdeführerin schließlich noch, daß entgegen der Bestimmung des § 327 Abs 2 StPO

der Inhalt der den Geschwornen im Zuge ihrer Beratung über ihr Ersuchen vom Schwurgerichtshof erteilten ergänzenden Belehrung (s. Bd. I, S. 563 d.A.) nicht protokolliert worden sei, was eine Überprüfung dieser ergänzenden Belehrung auf ihre Richtigkeit hin unmöglich mache.

Auch diesem Vorbringen kommt im Ergebnis Berechtigung nicht zu:

Die von der Beschwerdeführerin bezogenen Bestimmungen des § 327 StPO regeln jene Fälle, in welchen bei den Geschwornen während ihrer Beratung Zweifel über den Sinn der ihnen gestellten Fragen, über das von ihnen bei der Abstimmung zu beobachtende Verfahren oder über die Fassung einer Antwort entstehen, weiters, wenn sie eine Ergänzung des Beweisverfahrens oder eine Änderung oder Ergänzung der an sie gestellten Fragen wünschen. In diesen Fällen erteilt der Vorsitzende den Geschwornen die erforderliche Belehrung, die zu Protokoll zu nehmen ist.

Inhaltliche Abweichungen oder Überschreitungen der Rechtsbelehrung (§ 321 StPO) hingegen sind im Sinne der Regelung des § 323 Abs 1 StPO in einem vom Vorsitzenden zu unterfertigenden Anhang zur Rechtsbelehrung festzuhalten und deren Niederschrift beizufügen; sie unterliegen als Bestandteil der schriftlichen Rechtsbelehrung einer zulässigen Anfechtung aus dem Nichtigkeitsgrund der Z 8 des § 345 Abs 1 StPO Die vorliegend von der Angeklagten gerügte und mit der Bestimmung des § 327 StPO

tatsächlich nicht in Einklang stehende Unterlassung der Protokollierung des Inhaltes der den Geschwornen erteilten (sonstigen) ergänzenden Belehrung hingegen begründet keine Nichtigkeit (vgl. Gebert-Pallin-Pfeiffer, Bd. III, Nr. 1 und 2 zu § 327 StPO).

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten

Hermine A war deshalb zu verwerfen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Gestützt auf den Nichtigkeitsgrund der Z 8 des § 345 Abs 1 StPO, bekämpft die Anklagebehörde die den Geschwornen zur Eventualfrage I erteilte Rechtsbelehrung, als - im Ergebnis - unrichtig. Obwohl bei der Darlegung des Begriffes einer schuldmindernden heftigen Gemütsbewegung im Sinne des § 76 StGB zutreffend darauf hingewiesen wurde, daß sie zur Tatzeit noch nicht abgeklungen sein dürfe, somit Tatentschluß und Tatausführung unmittelbar aufeinanderfolgen müßten, sei der anschließend gegebene Hinweis, 'ausnahmsweise könne auch ein länger andauernder Zustand der Gemütsbewegung gegeben sein, der zu einer spontanen Handlung führt', nicht ausreichend. Zwecks Vermeidung allfälliger Mißverständnisse der Geschwornen über die Rechtslage hätte durch an Hand von Beispielen erläuterte Ausführungen konkretisiert werden müssen, bei welcher Zeitspanne noch von einem solchen 'länger andauernden Zustand' gesprochen werden könne. Ein (Tat-)Zeitraum von zumindest einigen Tagen, wie vorliegend indiziert, könne darunter keinesfalls mehr verstanden werden. Daran anknüpfend vertritt die Staatsanwaltschaft sodann in ihrer aus dem Nichtigkeitsgrund der Z 12 des § 345 Abs 1 StPO erhobenen Rechtsrüge die Auffassung, daß bei Berücksichtigung des vorliegend einige Tage währenden Zeitraumes der strafrechtlich inkriminierten vorsätzlichen Tötung des Franz A durch Unterlassung des erforderlichen Beistandes seitens der Angeklagten § 76 StGB nicht in Betracht komme. Denn Totschlag erfordere eine zur Tatzeit andauernde heftige Gemütsbewegung. Die Staatsanwaltschaft vermeint daher, daß die Tat der Angeklagten rechtsrichtig als Mord im Sinne des § 75 StGB zu beurteilen gewesen wäre.

Die Beschwerde ist in keiner Richtung hin begründet:

Gegenstand der Rechtsbelehrung können nur rechtliche, nicht aber tatsächliche Umstände sein, die vor allem für die Beweiswürdigung in Betracht kommen; auf den Sachverhalt des Anlaßfalles ist daher in der Rechtsbelehrung grundsätzlich nicht einzugehen. Deshalb soll eine Bezugnahme auf (kasuistische) 'Beispielsfälle', die die Geschwornen zu Vergleichen mit dem in den ihnen vorgelegten Fragen konkretisierten Tatgeschehen anregen und insoweit (mittelbar) ihre Beweiswürdigung beeinflussen können, tunlichst unterbleiben (vgl. Melnizky, 'Fragestellung und Rechtsbelehrung im geschwornengerichtlichen Verfahren', JBl. 1973, 348 ff., insbes. S. 356).

In der Rechtsbelehrung zur Eventualfrage I./ wurde bei Erörterung des Begriffes des im Sinne des § 76 StGB

schuldmildernden Affektes - wie auch die Staatsanwaltschaft einräumt

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zutreffend darauf hingewiesen, daß sich in Ausnahmefällen die Zeitspanne zwischen dem affektbedingten Entschluß zur Tat und der Ausführungstat über eine gewisse Zeit erstrecken kann, soferne die heftige Gemütsbewegung noch zur Zeit des jeweiligen Tatentschlusses (zum Handeln bzw. Unterlassen) andauerte. Eine objektive Grenze hinsichtlich der zulässigen Dauer dieser Zeitspanne zu ziehen, ist jedoch, wie Moos in seiner Studie: 'Mord und Totschlag im neuen Strafrecht', StrP. 4, S. 34 ff., insbesondere S. 72, 73 überzeugend darlegt, nicht möglich und eine solche Grenze konnte daher auch in der Rechtsbelehrung nicht aufgezeigt werden. Die Vielfalt der Täterpersönlichkeiten und deren unterschiedliches Reaktionsvermögen schließen, ebenso wie die verschiedenartigen, oft exzeptionellen Sachverhalte, in welchen das tatauslösende Motiv und der affektbedingte Tatentschluß wurzeln, eine solche Relativierung aus. So können etwa sogenannte 'Verzweiflungstaten' durchaus Ausdruck und

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gegebenenfalls selbst mehrmaliger Ausbruch einer schon seit längerem aufgestauten Gemütsbewegung sein, die schließlich bei einer der Konfrontationen des Täters mit dem Opfer zu einer deliktischen Spontanreaktion führt (vgl. auch Dokumentation, 122 oben; Kienapfel, Grundriß I, RN. 45

zu § 76 StGB, Leukauf-Steininger2, Anm. 8 zu § 76 StGB, EvBl. 1976/87). Das Unterbleiben von Ausführungen darüber, bei welcher Dauer der Gemütsbewegung noch ein schuldmindernder Affekt im Sinne des § 76 StGB angenommen werden kann, bewirkte mithin keine Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung im Sinne einer Unrichtigkeit derselben. Der Nichtigkeitsgrund der Z 8 des § 345 Abs 1 StPO liegt daher insoweit nicht vor.

Nach dem Inhalt des Wahrspruches (in Ansehung der Eventualfrage I/) wurde ein sich über mehrere Tage erstreckender Tatzeitraum einer vor allem durch Unterlassen des gebotenen Beistandes und durch positives Tun, nämlich durch Einsperren in ein Zimmer, bewirkten vorsätzlichen Tötung eines Menschen (schon angesichts der angenommenen Ungewißheit des genauen Tatzeit- und Todeszeitpunktes) nicht festgestellt. Wenn die Staatsanwaltschaft bei der rechtlichen Subsumtion des Tatgeschehens von einer mehrtägigen Dauer des strafrechtlich inkriminierten Verhaltens und einer 'zwischendurch abgeklungenen Gemütsbewegung' ausgeht, weicht die Rechtsrüge von den Feststellungen im Wahrspruch der Geschwornen - daß die Gemütsbewegung sowohl bei der Unterlassung als auch beim aktiven Tun angehalten hat - ab und ist daher nicht gesetzmäßig ausgeführt. Mithin erweist sich die Nichtigkeitsbeschwerde der Anklagebehörde gleichfalls als unbegründet, sodaß auch sie zu verwerfen war. Hermine A wurde nach § 76 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Jahren verurteilt.

Bei der Strafbemessung wertete das Geschwornengericht als erschwerend die Vorstrafe wegen §§ 83 Abs 1, 84

Abs 2 Z 1 StGB, die wegen einer Aggression gegen ihren damaligen Gatten erfolgte, und als mildernd das Geständnis und den Schwachsinn der Angeklagten.

Mit ihrer Berufung begehrt die Angeklagte eine Herabsetzung der Strafe unter Anwendung des außerordentlichen Milderungsrechtes. Die Berufung des öffentlichen Anklägers hingegen strebt eine Erhöhung der Strafe an.

Die Berufungen sind nicht berechtigt.

Das Geschwornengericht hat die Strafbemessungsgründe richtig erfaßt und gewertet. Von einer Unbesonnenheit im Sinne des § 34 Z 7 StGB kann nicht die Rede sein. Das jahrelange Martyrium der Angeklagten, bedingt durch das Zusammenleben mit einem chronischen Alkoholiker, wurde vom Geschwornengericht bereits dadurch gewürdigt, daß nicht anklagekonform Mord angenommen, sondern die Tat als unter den Voraussetzungen des § 76 StGB begangen beurteilt wurde. Daß sich die Angeklagte in einer allgemein begreiflichen Gemütsbewegung zur Tat hat hinreißen lassen (§ 34 Z 8 StGB), kann beim Verbrechen des Totschlages nicht als mildernd herangezogen werden, da dieser Umstand Tatbestandsmerkmal ist. Nach dem Wahrspruch der Geschwornen hat die Angeklagte den Tod ihres Ehegatten nicht nur durch Unterlassung, sondern auch durch aktives Tun, nämlich durch Einsperren in das Zimmer, verschuldet, sodaß auch der Milderungsgrund des § 34 Z 5 StGB nicht herangezogen werden kann. Mit Rücksicht auf die einschlägige Vorstrafe wegen schwerer Körperverletzung ihres damaligen Gatten Franz A ist auch kein auffallender Widerspruch der Tat der Angeklagten mit ihrem sonstigen Verhalten zu erblicken. Die Geschwornen sind bei ihrem Wahrspruch auch keineswegs davon ausgegangen, daß die Angeklagte ihrem damaligen Gatten nur deswegen nicht half, weil sie der Meinung war, jede Hilfe wäre sinnlos und er wolle selbst keinen Arzt, sie haben vielmehr, dem Geständnis der Angeklagten folgend, Haß und Zorn als Triebfeder ihres Verhaltens angenommen. Von einem (beträchtlichen) Überwiegen der Milderungsgründe kann somit nicht gesprochen werden. Eine außerordentliche Strafmilderung, die nur in atypisch leichten Fällen in Frage kommt (siehe Leukauf, Steininger2 Anm. 4 zu § 41 StGB), ist somit nicht möglich. Da die Angeklagte durch ihre Aussage wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen hat, kommt ihr der Milderungsgrund des § 34 Z 17

StGB zugute. Mit Rücksicht auf ihren Schwachsinn ist eine fünfjährige Freiheitsstrafe schuldangemessen.

Beiden Berufungen war somit ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung beruht auf der zitierten Gesetzesstelle.

Anmerkung

E02235

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1979:0120OS00097.79.0920.000

Dokumentnummer

JJT_19790920_OGH0002_0120OS00097_7900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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