TE OGH 1979/10/23 11Os124/79

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Veröffentlicht am 23.10.1979
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Oktober 1979 unter dem Vorsitz des Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr.Dienst in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Hörburger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Winter als Schriftführer in der Strafsache gegen Alois A wegen des Verbrechens des versuchten Totschlages nach den §§ 15, 76 StGB über die von der Staatsanwaltschaft und vom Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 29. Mai 1979, GZ 10 Vr 3648/78-44, erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, der Ausführungen des Verteidigers, Rechtsanwalt Dr. Kaltenbäck, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Kodek, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Der Angeklagte wird mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung, die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 19. Juni 1938 geborene Hilfsarbeiter Alois A auf Grund der von der Staatsanwaltschaft wegen des Verbrechens des versuchten Totschlages nach den §§ 15, 76 StGB gegen ihn erhobenen Anklage des Verbrechens der versuchten Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach den §§ 15, (zu ergänzen: 83 Abs. 1), 85 Z. 2 StGB und des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ (zu ergänzen: 83 Abs. 1), 84 Abs. 2 Z. 1 StGB schuldig erkannt.

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen wollte der Angeklagte am 11. Dezember 1978 in der ehelichen Wohnung in Brodersdorf seine Ehegattin Rolanda A davon abhalten, ihn zu verlassen. Als diese sich ablehnend verhielt, stürzte sich der Angeklagte, der schon vorher die Zimmertür versperrt hatte, auf sie, riß sie zu Boden, ergriff eine leere Einliter-Coca-Cola-Flasche und schlug damit auf den Kopf der auf dem Boden liegenden Frau ein. Beim zweiten Schlag traf er deren zur Abwehr erhobenen linken Arm, wodurch Rolanda A einen Bruch der Elle erlitt und die Flasche zersplitterte. Nunmehr ergriff der Angeklagte ein Bajonett und führte mit der rechten Hand von vorne einen Stich gegen die linke Brustseite der Rolanda A. Damit verursachte er eine leichte Anstichverletzung.

Das Erstgericht kam zu dem Ergebnis, das (im Urteil mit dem Wort 'Absicht' bezeichnete) innere Vorhaben des Angeklagten sei nicht auf Tötung seiner Ehegattin gerichtet, sondern von dem Bestreben bestimmt gewesen, diese zumindest für lange Zeit so zu verunstalten, daß andere Männer an ihr nicht mehr Gefallen finden. Deshalb habe er zwei Schläge mit einer Colaflasche gegen ihren Kopf geführt. Als diese Flasche aber bei dem zweiten Schlag zersplitterte, habe er befürchtet, durch weitere Verwendung der Flasche seiner Frau - von ihm keineswegs beabsichtigte - lebensgefährliche Verletzungen zuzufügen. Deshalb habe er zum Bajonett gegriffen, um mit diesem seiner Frau 'allenfalls' Schnittverletzungen im Gesicht zuzufügen, wobei er aber zuerst einen Stich gegen ihre Brustgegend führte. Bei dieser Stichführung sei darauf zu verweisen, daß diese 'nicht unbedingt' in der 'Absicht', eine Verunstaltung im Sinne des § 85 StGB zuzufügen, erfolgt sein mußte.

Dieses Urteil bekämpfen die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte jeweils mit Nichtigkeitsbeschwerde, welche die Erstgenannte auf die Nichtigkeitsgründe der Z. 5 und 10, der Angeklagte auf die der Z. 5, 9 lit. b und 10 des § 281 Abs. 1 StPO. stützt. Überdies bekämpfen beide den Schuldspruch mit Berufung.

Die Staatsanwaltschaft führt ihre Nichtigkeitsbeschwerde dahin aus, daß abgesehen von Begründungsmängeln die Tatsachenfeststellungen für eine verläßliche rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes nicht ausreichen.

Der Angeklagte macht unter Berufung auf die Z. 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO. geltend, auf Grund des Sachverständigengutachtens Dris. Zigeuner wären Feststellungen zu treffen gewesen, die einen Freispruch wegen Vorliegens des Schuldausschließungsgrundes der Zurechnungsunfähigkeit zur Tatzeit nach dem § 11 StGB nach sich gezogen hätten. Überdies sei die rechtliche Beurteilung des festgestellten Verhaltens auf Grund mangelhaft begründeter Feststellungen getroffen worden und verfehlt, worin der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z. 10 StPO zu erblicken sei; die Tat wäre nämlich den §§ 83, 84 Abs. 1 StGB zu unterstellen gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Schon dem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft kommt Berechtigung zu:

Das Erstgericht vertritt dem Wortlaut der Urteilsbegründung zufolge (s. S. 364 ff.d.A.) die Rechtsansicht, das Tatbild des Totschlages erfordere Absicht im Sinne des § 5 Abs. 2

StGB. Ausgehend von dieser unrichtigen Rechtsansicht - nach dem klaren Gesetzestext kann Totschschlag (ebenso wie Mord) selbst mit dem sogenannten bedingten Vorsatz (§ 5 Abs. 1 StGB) begangen werden - hat es zwar die Tötungsabsicht verneint, jedoch Feststellungen zum Vorliegen oder Nichtvorliegen anderer Vorsatzformen unterlassen. Schon wegen dieses die rechtliche Beurteilung hindernden Feststellungsmangels ist das Urteil im Sinne des § 281 Abs. 1 Z. 10 StPO nichtig.

Darüber hinaus sind auch die vom Erstgericht zur subjektiven Tatseite hinsichtlich der seiner Ansicht nach verwirklichten Tatbilder getroffenen, oben wiedergegebenen Feststellungen durch den Akteninhalt nicht gedeckt. Sie sind deshalb zwar nicht, wie die Beschwerdeführerin meint, aktenwidrig (davon kann nur gesprochen werden, wenn ein Urteil den Inhalt eines Aktenbestandteiles in seinem wesentlichen Teil unrichtig oder unvollständig wiedergibt), wohl aber widersprüchlich und unzureichend begründet. Der Angeklagte hat sich - was den Bajonettstich anlangt - in der Hauptverhandlung damit verantwortet, er wisse davon überhaupt nichts, er habe erst von der Gendarmerie erfahren, daß er seine Frau gestochen habe (S. 313 d.A.). Er könne sich in keiner Weise erinnern, auch zu einem Bajonett gegriffen und mit diesem seiner Frau einen Stich in die Brust versetzt zu haben (S. 317, so auch nach Vorhalt des Sachverständigengutachtens S. 318). Aber auch seine Angaben im Vorverfahren (insb. S. 246, 247) - die entgegen der in der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten vertretenen Meinung im Hinblick auf die Verlesung der Anzeige in der Hauptverhandlung gemäß dem § 252 Abs. 2 StPO (S. 341) und den mündlichen Vortrag des dem Angeklagten auch vorgehaltenen Sachverständigengutachtens ohne Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit verwertbar waren - enthalten keine speziellen Angaben über die Motivation der Verwendung des Bajonetts. Das Erstgericht wäre daher verpflichtet gewesen, deutlich anzugeben, wie es zu den zitierten Feststellungen über den Sinneswandel bei der Verwendung des Bajonetts kam, zumal die Annahme, ein Täter führe deshalb einen Bajonettstich gegen die Brust seines Opfers, um diesem nicht durch (weitere) Schläge mit einer zerbrochenen Glasflasche lebensgefährliche Verletzungen zuzufügen, nicht von selbst einleuchtet.

Auch diese fehlende Begründung einer für die rechtliche Beurteilung entscheidenden Feststellung stellt einen Nichtigkeit bewirkenden Mangel des Ersturteils dar.

Der Beschwerdeführerin ist aber auch in ihren dem angefochtenen Urteil Subsumtionsirrtum im Sinne des § 281 Abs. 1 Z. 10 StPO vorwerfenden Ausführungen zu folgen:

Das Verbrechen der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach den §§ 83, 85 Z. 2 StGB begeht, wer einen anderen mit Verletzungs- oder Mißhandlungsvorsatz (§ 83 Abs. 1 und 2 StGB) dergestalt am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt, daß die Tat die im § 85 Z. 2 StGB bezeichneten schweren Dauerfolgen nach sich zieht. Zur Verwirklichung des Tatbildes genügt es, wenn der Täter diese besonderen Folgen seiner Tat fahrlässig herbeigeführt hat (§ 7 Abs. 2 StGB), ihr Eintritt ihm also vorhersehbar war.

Der Eintritt der vom Täter zumindest fahrlässig verschuldeten schweren Dauerfolgen stellt ein Qualifikationsmerkmal der Körperverletzung dar.

Hat der Täter aber den schweren Verletzungserfolg geradezu gewollt, d. h. kam es ihm darauf an, ihn zu verwirklichen, hat er somit insoferne absichtlich im Sinne des § 5 Abs. 2 StGB gehandelt, so liegt das Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach dem § 87 StGB vor. Geht man von den Urteilsannahmen aus, der Angeklagte sei 'beim Versetzen der Schläge mit der Coca-Cola-Flasche von der Absicht getragen gewesen, seiner Frau zumindest für lange Zeit andauernde Verunstaltungen im Gesicht oder am Kopf zuzufügen, welches Vorhaben lediglich aus Zufall bzw. auf Grund der Abwehrbewegung ..... nicht verwirklicht werden konnte', so wäre die Tat rechtsrichtig als absichtliche schwere Körperverletzung nach dem § 87 Abs. 1 StGB zu beurteilen, zumal eine lang andauernde auffallende Verunstaltung jedenfalls (auch) einer schweren Körperverletzung im Sinne des § 84 Abs. 1 StGB gleichkommt. Das Erstgericht fügt freilich der zitierten Feststellung bei, dem Angeklagten sei 'diesbezüglich bei der Absicht der Verunstaltung seiner Frau wohl eine damit verbundene Verletzungsabsicht, nicht jedoch die Absicht, seine Frau auf alle Fälle nur schwer verletzen zu wollen, nachzuweisen' (S. 368 d.A.). Diese widersprüchlichen und undeutlichen Feststellungen des Erstgerichtes zur inneren Tatseite machen es unmöglich, auf ihrer Grundlage die Tat abschließend rechtlich zu beurteilen.

Ebenso reichen die zum Urteilsfaktum 2 getroffenen Feststellungen für eine Einordnung der Tat (als Vergehen der schweren Körperverletzung) unter die §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z. 1 StGB nicht aus.Dieses Delikt begeht, wer einen anderen mit Verletzungs- oder Mißhandlungsvorsatz (leicht oder gemäß dem § 84 Abs. 1 StGB schwer) mit einem solchen Mittel und auf solche Weise, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist, am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt. Voraussetzung ist - wie auch der Angeklagte in seiner Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - das Zusammentreffen eines lebensgefährlichen Mittels mit dessen lebensgefährlichem Gebrauch (EvBl. 1977/

33 = RZ. 1977/5), wobei der Täter diese Momente in seinen Vorsatz aufgenommen haben muß. Schon nach dem Wortlaut des § 84 Abs. 2 Z. 1 StGB (arg. 'und') ist klar, daß die Verwendung eines an sich (abstrakt) lebensgefährlichen Mittels unabhängig von dessen Anwendungsweise für sich allein zur Herstellung dieser Qualifikation nicht genügen kann. Nun steht nach dem vornehmlichen Verwendungszweck eines Bajonetts außer Frage und es wurde auch vom Erstgericht auf Grund der insofern übereinstimmenden Gutachten der gerichtsärztlichen Sachverständigen Dr. Zigeuner und Univ.Doz.Dr.Maurer festgestellt, daß dieses ein lebensgefährliches Mittel ist. Was aber die Anwendung dieses Mittels auf lebensgefährliche Weise anlangt, so begnügt sich das Erstgericht mit der Wiedergabe der dem Gutachten Dris. Zigeuner teilweise widersprechenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. Maurer, dessen Auffassung es anscheinend folgt (S. 358, S. 367 d.A.). Während Dr. Zigeuner den Standpunkt vertritt, der Bajonettstich habe deshalb nur zu einer Anstichverletzung im Bereich der linken Brust geführt, weil er in der Rippen-Brustbeinregion abgeglitten sei, wobei der Gutachter allerdings einräumt, daß sich eine besondere Gewaltanwendung bei der Zufügung der Verletzung nicht beweisen lasse (S. 117 f.), meinte Univ.Doz.Dr. Maurer, er halte eine Ablenkung des Stiches durch die Rippen der Verletzten für unmöglich, sodaß der Stich (eben schon durch seine Führung) in den äußeren Weichteilen verblieb. Ob diese Stichrichtung zufällig erfolgte oder das Bajonett bewußt so geführt wurde, konnte er freilich nicht beurteilen (S. 338 f.). Das Erstgericht, das anscheinend von der verfehlten Rechtsansicht ausging, es genüge schon, wenn ein lebensgefährliches Mittel verwendet werde, nimmt zur Art der Verwendung des Mittels nicht eindeutig Stellung. Dadurch leidet die bekämpfte Entscheidung an einem weiteren die richtige rechtliche Beurteilung hindernden Feststellungsmangel.

Das angefochtene Urteil ist somit in Ansehung der subjektiven Tatseite mit Begründungs- und Feststellungsmängeln im Sinne der Z. 5 und 10 des § 281 Abs. 1 StPO behaftet, die eine neuerliche Verhandlung vor dem Gerichtshof erster Instanz notwendig machen (§ 288 Abs. 2 Z. 1 und 3 StPO), weswegen in Stattgebung der von der Staatsanwaltschaft erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde spruchgemäß zu entscheiden war.

Auf die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten brauchte somit nicht näher eingegangen zu werden. Im übrigen waren der Angeklagte mit seiner und die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen.

Sollte das Schöffengericht im erneuerten Verfahren zur Feststellung kommen, daß der Angeklagte einen tödlichen Erfolg seiner Handlungen nicht gewollt und auch nicht etwa (bloß) die Verwirklichung eines solchen Erfolges ernstlich für möglich gehalten und sich mit diesem abgefunden hat,vielmehr von der Absicht (§ 5 Abs.2 StGB) bestimmt war, seine Ehegattin schwer (§§ 84 Abs. 1, 85 StGB) zu verletzen, etwa weil es ihm darauf ankam, sie für lange Zeit so zu verunstalten, daß sie für andere Männer keinen Anreiz biete, so läge das Verbrechen nach dem § 87 Abs. 1 StGB vor, und zwar nicht im Stadium des Versuches, weil sein Tun ja zu einem schweren Verletzungserfolg führte (Trümmerbruch der linken Elle), wenn es auch nicht gerade der (weitergehende) Eintritt von Dauerfolgen war, zu deren Zurechnung im Falle ihres tatsächlichen Eintrittes Fahrlässigkeit gemäß dem § 7 Abs. 2 StGB genügte. Wird ein einheitlicher Verletzungsvorsatz (Absicht, schwer zu verletzen) festgestellt, der den Angeklagten auch noch bei Führung des Bajonettstichs bestimmte, so kommt eine zusätzliche Qualifikation seiner Tat nach dem § 84 Abs. 2 Z. 1 StGB nicht in Betracht, da der § 87 StGB einen Tatbestand sui generis darstellt, § 84 Abs. 2 StGB aber Qualifikationen des einen anders gearteten Vorsatz voraussetzenden § 83 StGB enthält. Die gleichzeitige Beurteilung einer absichtlichen schweren Körperverletzung sowohl nach dem § 87 Abs. 1 StGB als auch nach dem § 84 Abs. 2 Z. 1

StGB ist daher ebensowenig denkbar wie eine Idealkonkurrenz des Verbrechens nach dem § 87 StGB mit dem Tatbestand der Körperverletzung nach dem § 83 (Abs. 1 oder 2), die zueinander im Verhältnis der Gesetzeskonkurrenz, nämlich demjenigen der Spezialität des eine verstärkte Schuldform verlangenden § 87 StGB zur generellen Norm des § 83 StGB stehen (RZ 1976/ 64).

Anmerkung

E02295

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1979:0110OS00124.79.1023.000

Dokumentnummer

JJT_19791023_OGH0002_0110OS00124_7900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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