TE OGH 1980/2/6 1Ob524/80

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Veröffentlicht am 06.02.1980
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Norm

ABGB §144 n. F
ABGB §177
AußstrG §16

Kopf

SZ 53/23

Spruch

Die Entscheidung über die Zuweisung der aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten hat sich auf alle im § 144 ABGB genannten Rechte und Pflichten zu erstrecken. Eine Entscheidung, die nur die Überlassung eines Kindes in Pflege und Erziehung eines Elternteiles regelt, ist offenbar gesetzwidrig

OGH 6. Feber 1980, 1 Ob 524/80 (LGZ Wien 43 R 1137/79; BG Innere Stadt Wien 3 P 387/78)

Text

Die Ehe der Eltern der Minderjährigen wurde mit Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 7. November 1978, 7 Cg 440/78-2, aus dem Verschulden der beklagten Ehegattin rechtskräftig geschieden. Die geschiedenen Ehegatten wohnen nach wie vor - wenn auch räumlich getrennt - in der bisherigen Ehewohnung.

Die Mutter beantragte, ihr die Erziehung und Pflege der Tochter, für die sie schon bisher gesorgt habe, zu übertragen, da dies dem Wunsch des Kindes entspreche und dessen Kontakt zum Vater gering sei.

Der Vater sprach sich gegen diesen Antrag aus und stellte seinerseits den Antrag, ihm die Pflege und Erziehung der Tochter zu übertragen.

Das Erstgericht gab dem Antrag der Mutter statt und wies den Antrag des Vaters ab. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung.

Über Revisionsrekurs des Vaters hob der Oberste Gerichtshof die Beschlüsse der Vorinstanz auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

§ 142 ABGB aF sah bei Scheidung der Ehe - mangels einer mit Zustimmung des Gerichtes getroffenen Vereinbarung über die Pflege und Erziehung der Kinder - eine Entscheidung des Gerichtes darüber vor, "ob alle oder welche Kinder dem Vater oder der Mutter zu überlassen sind". § 177 ABGB nF hat insoweit eine wichtige Neuerung gebracht, als die Eltern eines minderjährigen ehelichen Kindes bei Scheidung, Nichtigerklärung oder Aufhebung der Ehe oder nicht bloß vorübergehender Trennung dem Gericht eine Vereinbarung darüber unterbreiten können, wem von ihnen künftig alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten (§ 144 ABGB) allein zustehen sollen. Falls eine solche Vereinbarung nicht zustande kommt oder nicht dem Wohl des Kindes entspricht, hat das Gericht von Amts wegen - im Falle nicht bloß vorübergehender Trennung der Eltern jedoch nur auf Antrag eines Elternteiles - darüber zu entscheiden, welchem Elternteil die bezeichneten Rechte und Pflichten künftig allein zustehen. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Neuregelung den unbefriedigenden Zustand, daß die Pflege und Erziehung der Kinder in der Regel bei der Mutter, die Vermögensverwaltung und Vertretung jedoch weiterhin beim Vater lagen, beseitigen und alle diese Rechte in einer Person vereinigen. Das Kind soll rechtlich nur noch eine Hauptbezugsperson haben (60 BlgNR, XIV GP 35 f.).

Eine Entscheidung allein darüber, welchem Elternteil die Kinder in Pflege und Erziehung zu überlassen sind, ist demnach nach dem geltenden Recht nicht mehr zu treffen. Die Entscheidung hat vielmehr alle in § 144 ABGB genannten Rechte und Pflichten (Pflege, Erziehung, Vermögensverwaltung und Vertretung des Kindes) zu umfassen (§ 177 Abs. 1 und 2 ABGB). Sie darf hingegen nicht im Sinne einer Teilentscheidung über einzelne dieser Rechte und Pflichten ergehen. Die für die Beurteilung des Kindeswohls zu berücksichtigenden Kriterien (§ 178a ABGB) sind bei der Entscheidung über alle Rechte und Pflichten des § 144 ABGB zu beachten. Ob die Zuweisung der genannten Rechte und Pflichten an einen Elternteil dem Wohl des Kindes entspricht, ist demnach auf Grund einer Gesamtabwägung zu entscheiden, in die auch die Beurteilung der Eignung des betreffenden Elternteils zur Vermögensverwaltung und zur Vertretung des Kindes miteinzubeziehen ist. Diese Entscheidung hat im Falle der Auflösung (Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung) der Ehe von Amts wegen zu ergehen (§ 177 Abs. 2 ABGB). Die angefochtene Entscheidung, die sich auf die Erledigung der beiderseitigen Anträge der Eltern, ihnen Pflege und Erziehung der Kinder zu übertragen, beschränkte, entspricht somit nicht dem geltenden Recht. Sie ist, da ihr jede gesetzliche Grundlage fehlt (vgl. EvBl. 1974/64; SZ 41/109), offenbar gesetzwidrig.

Dieser Umstand ist vom OGH wahrzunehmen, obwohl er vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht wurde. Im Außerstreitverfahren ist nämlich die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nach allen Richtungen hin zu überprüfen, gleichgültig ob der Rechtsmittelwerber den vom Rekursgericht als stichhältig befundenen Anfechtungsgrund zum Gegenstand seiner Beschwerde gemacht hat oder nicht (SZ 37/116 u. a.). Auch für das auf die Wahrnehmung bestimmter Anfechtungsgrunde beschränkte Verfahren nach § 16 Abs. 1 AußStrG gilt dieser Grundsatz jedenfalls insoweit, als bei Geltendmachung offenbarer Gesetzwidrigkeit die angefochtene Entscheidung nicht nur in der vom Beschwerdeführer behaupteten, sondern in jeder Richtung auf das Vorliegen dieses Anfechtungsgrundes zu überprüfen ist.

Anmerkung

Z53023

Schlagworte

Eltern, Zuweisung der rein persönlichen Rechte und Pflichten, Kind, Zuweisung der rein persönlichen Rechte und Pflichten an Elternteil, Minderjähriger, Zuweisung der rein persönlichen Rechte und Pflichten an, Elternteil

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1980:0010OB00524.8.0206.000

Dokumentnummer

JJT_19800206_OGH0002_0010OB00524_8000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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