TE OGH 1980/4/30 1Ob595/80

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.04.1980
beobachten
merken

Norm

ABGB §578
ABGB §581

Kopf

SZ 53/72

Spruch

Das eigenhändige schriftliche Testament eines Blinden ist gültig

OGH 30. April 1980, 1 Ob 595/80 (OLG Linz 4 R 155/79; KG Ried im Innkreis 3 Cg 382/78)

Text

Hedwig G verstarb am 30. April 1978. Sie hinterließ ein eigenhändig geschriebenes Testament vom 24. September 1975, in dem der Beklagte zum Universalerben eingesetzt wurde. Die Kläger sind gesetzliche Erben der Hedwig G. Der Beklagte gab auf Grund des Testaments vom 24. September 1975 die unbedingte Erbserklärung zum gesamten Nachlaß ab, die Kläger erklärten sich auf Grund des Gesetzes zu je einem Drittel des Nachlasses unbedingt als Erben. Sämtliche Erbserklärungen wurden zu Gericht angenommen. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Braunau am Inn vom 28. Juni 1978, A 90/78-14, wurden die erbserklärten Parteien auf den Rechtsweg verwiesen; den auf Grund des Gesetzes erbserklärten Erben wurde die Klägerrolle zugewiesen.

Die Kläger begehren den Ausspruch, daß das schriftliche Testament der Erblasserin vom 24. September 1975 ungültig sei und ihnen das Erbrecht auf Grund des Gesetzes zu je einem Drittel des Nachlasses zustehe. Sie brachten zur Begründung vor, die Erblasserin sei bei der Testamentserrichtung am rechten Auge völlig erblindet gewesen. Am linken Auge sei ihr Sehvermögen durch eine schwere Kurzsichtigkeit, verbunden mit starken Netzhautveränderungen, so weit herabgesetzt gewesen, daß ihr bereits am 22. März 1973 von einem Facharzt "praktische Blindheit" attestiert worden sei. Die Erblasserin habe daher den von ihr am 24. September 1975 errichteten Aufsatz nicht mehr lesen können; dies hätte aber die Beiziehung von vier Testamentszeugen, die Verlesung des letzten Willens in Gegenwart dieser Zeugen und eine anschließende Bekräftigung von seiten der Erblasserin erfordert. Diese Förmlichkeiten seien nicht eingehalten worden, sodaß die letztwillige Verfügung ungültig sei.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Erblasserin habe die letztwillige Verfügung vom 24. September 1975 eigenhändig in Gegenwart ihrer Freundin Elisabeth P geschrieben und unterschrieben. Sie habe damit eine frühere letztwillige Verfügung, in der sie eine in Graz lebende Verwandte bedacht habe, abändern wollen und dies Elisabeth P gegenüber auch erklärt. Zur Zeit der Testamentserrichtung habe die Erblasserin zwar schlecht gesehen, sie sei aber nicht blind gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte fest: Bei Abfassung des Testaments vom 24. September 1975 habe sich die Erblasserin in Gesellschaft der mit ihr seit Jahren befreundeten Elisabeth P befunden. Diese sei von der Erblasserin ersucht worden, ihr ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber zur Abfassung des Testaments zu geben. Beim Schreiben des Testaments sei ihr Elisabeth P, weil das Sehvermögen der Erblasserin sehr stark herabgesetzt gewesen sei, insoweit behilflich gewesen, als sie der Erblasserin gesagt habe, wann sie mit einer Zeile absetzen müsse und ob sie zu hoch oder zu tief geraten sei. Die Hand der Erblasserin sei beim Schreiben des Testaments von Elisabeth P nicht geführt worden.

In rechtlicher Hinsicht ging der Erstrichter davon aus, daß das eigenhändig geschriebene und unterschriebene Testament der Erblasserin gültig sei. Die Bestimmung des § 581 ABGB beziehe sich nur auf das fremdhändige, nicht auf das eigenhändige Testament. Es sei daher auch entbehrlich gewesen, Feststellungen über den Grad der Sehbeeinträchtigung der Erblasserin zu treffen.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Kläger nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 60 000 S übersteigt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Kläger nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch die Frage, ob die Formvorschrift des § 581 ABGB auch auf das eigenhändige Testament (§ 578 ABGB) eines Blinden Anwendung findet. Schon das Berufungsgericht verwies darauf, daß diese Frage in der österreichischen Literatur ganz überwiegend verneint wird. Stubenrauch, Kommentar[8] I, 789; Anders, Grundriß des Erbrechts[2], 17; Ehrenzweig, System[2] II/2, 435 FN 63 a und Weiß in Klang, Kommentar[2] III, 317, führen ausdrücklich aus, daß das eigenhändige Testament des Blinden gültig sei und die Formvorschrift des § 581 ABGB nur beim fremdhändigen Testament eines Blinden zur Anwendung gelange. Krasnopolski, Österreichisches Erbrecht, 58, 62, behandelt die Sonderregelung für Blinde nur beim fremdhändigen Testament; gleiches gilt für Koziol - Welser, Grundriß[5] II, 278, und Gschnitzer, Erbrecht, 33 f. Auch diese Autoren sind daher für die als herrschend zu bezeichnende Ansicht ins Treffen zu führen. Es sei aber auch auf Zeiller, Kommentar II/2, 480, verwiesen, der ausführte, die Förmlichkeit des § 581 ABGB sei bei einem Testator, der nicht lesen könne, deshalb wesentlich, weil der Schreiber, sei es vorsätzlich oder aus Irrtum, die Anordnung des Erblassers anders niederschreiben könne, als sie ihm "in die Feder gesagt worden" sei. Auch Zeiller wollte damit wohl die Bestimmung des § 581 ABGB auf das eigenhändig geschriebene Testament eines Blinden nicht angewendet wissen. Lediglich Lautner, NZ 1918, 208, vertritt die gegenteilige Auffassung und nimmt an, der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, daß derjenige, der eigenhändig testiere, das Geschriebene auch lesen könne; andernfalls müsse die Formvorschrift des § 581 ABGB zur Anwendung gelangen.

Für die herrschende Auffassung sprechen, wie das Berufungsgericht ebenfalls schon darlegte, auch Gründe der Gesetzessystematik und des Zwecks der Formvorschrift. Das Gesetz regelt in § 578 ABGB das eigenhändige (holographe) Testament, in § 579 das fremdhändige (allographe) Testament. Die Bestimmung des § 580 ABGB regelt den Fall, daß der Erblasser nicht schreiben kann, und ordnet an, daß dann statt der Unterschrift die Beisetzung des Handzeichens in Gegenwart der drei Zeugen genüge. Damit wird, wie sich schon aus dem Hinweis auf den vorigen Paragraphen ergibt, nur eine Sonderregelung für den Fall des fremdhändigen Testaments getroffen; ein eigenhändig geschriebenes Testament eines Erblassers, der nicht schreiben kann, ist auch nicht möglich. § 581 ABGB sieht die Einhaltung einer besonderen Form dann vor, wenn der Erblasser nicht lesen kann. Er muß sich dann den Aufsatz von einem Zeugen in Gegenwart der anderen zwei Zeugen, die den Inhalt eingesehen haben, vorlesen lassen und bekräftigen, daß derselbe seinem Willen gemäß sei. Der Schreiber des letzten Willens kann in allen Fällen zugleich Zeuge sein, ist aber, wenn der Erblasser nicht lesen kann, von der Vorlesung des Aufsatzes ausgeschlossen. Es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber, der in § 580 ABGB eine Sondervorschrift für das fremdhändige Testament anordnete, in der darauffolgenden Bestimmung eine Regelung treffen wollte, die nun auch wieder für das eigenhändige Testament Gültigkeit beansprucht. Aber auch der Zweck der Formvorschrift spricht für die herrschende Auffassung. Er liegt, wie insbesondere Zeiller a.a.O. ausführte, darin, dem Erblasser Gewißheit zu verschaffen, daß die von einem Dritten geschriebene und vom Erblasser unterschriebene letztwillige Anordnung tatsächlich seinem Willen entspricht. Es soll, wie die Entscheidung GlU 7536 hervorhebt, durch die den anderen zwei Zeugen auferlegte Pflicht, sich vom Inhalt der letztwilligen Verfügung Kenntnis zu verschaffen, der Mangel der Prüfungsmöglichkeit durch den Erblasser selbst ersetzt werden. Schreibt der Erblasser aber die letztwillige Verfügung selbst, so kontrolliert er damit auch gleichzeitig deren Inhalt. Die schon von Lautner a.a.O. geäußerten und in der Revision aufgegriffenen Bedenken, es sei dem Erblasser beim eigenhändigen Testament nicht möglich zu prüfen, ob das von ihm Geschriebene leserlich sei, ob er Zeilen überschrieben habe und ob er über den Papierrand hinaus geraten sei, lassen es nur fraglich erscheinen, ob der Blinde überhaupt in der Lage ist, seinen letzten Willen eigenhändig niederzuschreiben. Ist er es aber, können keine Bedenken bestehen. Der weitere Hinweis der Revision, dem Blinden fehle die Möglichkeit, sich davon zu überzeugen, ob das von ihm geschriebene Testament noch vorhanden sei, kann u.a. auch für den Fall, daß ein Testator erst nach Abfassung der letztwilligen Verfügung erblindet, zutreffen. Daß auch eine andere Möglichkeit der gesetzgeberischen Lösung bestanden hätte, soll nicht bezweifelt werden. So fühlte sich der Gesetzgeber des in der Bundesrepublik Deutschland geltenden BGB bewogen, das eigenhändige Testament von Blinden nicht anzuerkennen (§ 2247 Abs. 4 BGB). Wenn die Revision, Lautner a.a.O. folgend, darauf verweist, daß der Codex Theresianus, der Urentwurf zum ABGB, und der Entwurf Horten verschieden weitgehende Beschränkungen für das Testament von Blinden vorgesehen hätten, so wäre daraus nur zu schließen, daß diese beschränkenden Bestimmungen, obwohl sie erörtert waren, nicht Gesetz geworden sind. Lautner selbst meint schließlich auch nur, daß durch einen einzufügenden § 581a ABGB die hier wesentliche Frage unter Berücksichtigung der von ihm aufgezeigten Bedenken geregelt werden sollte, wozu sich der Gesetzgeber aber nicht entschlossen hat.

Anmerkung

Z53072

Schlagworte

Blinder, Gültigkeit eines Testaments, eigenhändig, schriftlich, Kapitalerhöhung bei der GesmbH und Rechte der Gesellschafter, Testament eines Blinden

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1980:0010OB00595.8.0430.000

Dokumentnummer

JJT_19800430_OGH0002_0010OB00595_8000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten