TE OGH 1980/5/28 10Os64/80

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Veröffentlicht am 28.05.1980
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Friedrich, Dr. Hörburger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Bart als Schriftführer in der Strafsache gegen Erwin A und andere wegen des Verbrechens des teils vollendeten und teils versuchten schweren Diebstahles durch Einbruch nach §§ 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1, 128 Abs. 1 Z 2 und 4, 129 Z 2 und 3, 15 StGB nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten A gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Jugendschöffengericht vom 27. November 1979, GZ 22 Vr 2646/79-15, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in Ansehung des Angeklagten Erwin A aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der genannte Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Zur Ergreifung einer Maßnahme gemäß § 290 Abs. 1 StPO hinsichtlich des Angeklagten Alfred B wird ein Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung angeordnet werden.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde (außer anderen Angeklagten) der am 7. Februar 1964 geborene und somit (auch derzeit noch) jugendliche Hilfsarbeiter Erwin A des vom März bis Juni 1979 in Tamsweg in mehreren Fällen begangenen Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1, 128 Abs. 1 Z 2 und 4, 129 Z 2 und 3 sowie § 15 StGB schuldig gesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Der von diesem Angeklagten gegen den Schuldspruch wegen der Abweisung des von seinem Verteidiger in der Hauptverhandlung (S 101) gestellten Antrags auf Einholung eines jugendpsychologischen Gutachtens darüber, ob der Angeklagte zu den Zeitpunkten der Taten überhaupt in der Lage war, das darin gelegene Unrecht einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln oder nicht, erhobenen, auf § 281 Abs. 1 Z 4 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde kommt Berechtigung zu.

Das Erstgericht hat zur Begründung des abweislichen Zwischenerkenntnisses auf die vorliegenden Verfahrensergebnisse, insbesondere die Schulnachrichten und die Jugendgerichtserhebungen sowie auf den bei der Hauptverhandlung vom Angeklagten gewonnenen persönlichen Eindruck verwiesen und in diesen Verfahrensergebnissen eine hinreichende Grundlage für die Bejahung seiner (A) strafrechtlichen Verantwortlichkeit erblickt (Hauptverhandlungsprotokoll S. 103 - 104).

Das Urteil hält im gegebenen Zusammenhang fest, daß der nach den Jugendgerichtserhebungen als grenzdebil anzusehende Angeklagte zwar im Kleinkindesalter an Meningitis erkrankt war und außerdem an einem angeborenen grauen Star leide, der eine hochgradige Sehschwäche zur Folge habe und nahezu alljährliche Augenoperationen an der Universitätsklinik Graz erforderlich mache (S 111, 120). Trotzdem erachtete das Erstgericht keine Anhaltspunkte für eine Zurechnungsunfähigkeit gemäß § 11 StGB oder verzögerte Reife nach § 10 JGG als vorliegend. Es beruft sich neuerlich darauf, daß der Angeklagte in der Hauptverhandlung einen durchaus zeitlich wie örtlich gut orientierten Eindruck hinterließ; auch der Richter des Bezirksgerichtes Tamsweg habe - so wird ferner ins Treffen geführt - anläßlich der Beschuldigtenvernehmung seinen Eindruck dahingehend festgehalten, daß die Zurechnungsfähigkeit gegeben sein dürfte (S 120, 50). Außerdem habe der Angeklagte, der mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 19. September 1978 (GZ 22 Vr 1492/78-9) des Vergehens des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach § 136 Abs. 1 und 2

StGB unter vorläufiger Aufschiebung des Ausspruchs und der Vollstreckung der wegen dieser Jugendstraftat zu verhängenden Strafe gemäß § 13 JGG für eine Probezeit von drei Jahren schuldig erkannt worden war, eben unter Hinweis auf diese Verurteilung bei einem der dem gegenständlichen Schuldspruch zugrundeliegenden Diebstähle die aktive Rolle einem (abgesondert verfolgten) Mittäter mit der Begründung zugewiesen, er (selbst) müsse sonst die '(bedingte) Strafe' (vgl. S 121, 71) absitzen. In der Hauptverhandlung habe er schließlich auf Frage des Vorsitzenden angegeben, es sei ihm schon klar, daß man nicht stehlen dürfe.

Aus all dem vermeinte das Erstgericht ableiten zu können, bei A seien Entwicklungshemmungen bzw. -störungen, die ihn daran hätten hindern können, sich der Lockung zur Tatbegehung erfolgreich zu widersetzen, nicht vorhanden und dieser daher fähig gewesen, das Unrecht seiner Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln (S 120 ff. insbes. 122).

Mit der Verfahrensrüge macht der Beschwerdeführer geltend, daß nach Lage des Falles, wenn schon nicht die Frage der Diskretionsfähigkeit so doch jedenfalls jene der Dispositionsfähigkeit unter dem Aspekt ihres Fehlens wegen verzögerter Reife einer Prüfung durch einen Sachverständigen bedurft hätte. Dem ist beizupflichten. Voraussetzung für die Annahme des Schuldausschließungsgrundes der verzögerten Reife im Sinne des § 10 JGG ist die auf dieser basierende Unfähigkeit, entweder das Unrecht der Tat (überhaupt) einzusehen oder, soferne diese Einsicht gegeben ist, hienach auch zu handeln, wobei sich schon aus dem Gesetzeswort eindeutig ergibt, daß die Unreife bereits dann schuldausschließend wirkt, wenn es nur an einer dieser beiden Fähigkeiten, also entweder an der Diskretionsfähigkeit oder aber an der Dispositionsfähigkeit mangelt. Zur Bejahung der Schuldfähigkeit müssen hingegen beide vorgenannten Fähigkeiten gegeben sein (vgl. auch die gleichgelagerte Regelung im § 11 StGB).

Die gegenständlich vom Erstgericht im Urteil mit Bezug auf diese Frage angestellten Erwägungen vermögen zwar (allenfalls) die Bejahung der Einsicht des Beschwerdeführers in das Unrecht der Taten und die Ablehnung der begehrten Beweisaufnahme unter diesem Gesichtspunkt schlüssig zu begründen, nicht aber die Annahme, der Angeklagte sei auch fähig gewesen, jeweils dieser Einsicht gemäß zu handeln; insoferne stellen die Darlegungen, die sich ausdrücklich auch auf das bekämpfte Zwischenerkenntnis beziehen (S 122 unten f.), eine bloße Scheinbegründung dar. Das gleiche gilt für die Verneinung von reifeverzögernden Entwicklungshemmungen und -störungen, erfolgt sie doch bloß mit dem Hinweis auf 'Gegebenheiten' (S 122), die - wie der Urteilsbegründung unmißverständlich entnommen werden kann -, wieder nur jene Faktoren bilden, welche das Erstgericht veranlaßten, die Diskretionsfähigkeit als gegeben anzusehen, während hier nach dem Gesagten doch eindeutig eine Reihe von als entwicklungshemmend in Betracht kommenden Umständen vorliegen und sich gerade ihretwegen ein Mangel der Dispositionsfähigkeit bei allenfalls vorhandenem Diskretionsvermögen nicht einfach ausschließen läßt. Diese besonders gelagerten Umstände des konkreten Falles erweisen auch die vom Erstgericht angestellten, an sich zutreffenden allgemeinen Erwägungen (S 119), bei Jugendlichen seien in der Regel sowohl die Einsicht, daß man sich fremdes Gut nicht eigenmächtig aneignen dürfe als auch die Fähigkeit, dieser Einsicht gemäß zu handeln, vorauszusetzen, vorliegend nicht als zielführend (vgl. hiezu etwa auch RZ 1960, S 23). Abgesehen davon, daß nur ein Arzt in der Lage sein wird, allfällige Spätfolgen nach der im Kindesalter erlittenen Meningitis in Verbindung mit der gegebenen Grenzdibilität und dem Zustand nach einer zerebralen Schädigung (Seite 61 in ON 12) festzustellen, bedarf es eines gerichtsärztlichen Gutachtens vor allem auch zur Beurteilung der Frage des allfälligen Vorhandenseins psychischer Auswirkungen der hochgradigen, wiederholte Operationen erfordernden Sehschwäche des Angeklagten und der darauf basierenden Unmöglichkeit einer entsprechenden Berufsausbildung. Erst durch ein solches nach den besonderen Gegebenheiten dieses Falles gebotenes Gutachten eines gerichtsmedizinischen Sachverständigen wird die Frage verläßlich und abschließend beurteilt werden können, ob außer der beim Angeklagten voraussichtlich zu bejahenden Diskretionsfähigkeit überdies die Dispositionsfähigkeit im Sinne des § 10 JGG (bzw. allenfalls auch gemäß § 11 StGB) angenommen werden kann, für die nicht zuletzt eine maßgebende Rolle spielt, ob die Vorstellungen des Angeklagten von Recht und Unrecht, von sozialem und unsozialem Verhalten schon genügend gefühlsbetont sind, um sich als Hemmungen geltend zu machen (SSt. 29/12; RZ 1974 Nr. 28 u. a.). Durch die Abweisung des darauf abzielenden Beweisantrages ist der Angeklagte daher tatsächlich in seinen Verteidigungsrechten entscheidend beeinträchtigt worden.

Da demnach eine Verfahrenserneuerung in erster Instanz nicht zu vermeiden ist, war nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 285 e StPO (in der Fassung BGBl. 1980/28) der begründeten Nichtigkeitsbeschwerde bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort stattzugeben und über dieses Rechtsmittel sowie die (angemeldete aber nicht ausgeführte) Berufung des Angeklagten spruchgemäß zu entscheiden.

Sollte das Erstgericht im zweiten Rechtsgang die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten A (wiederum) bejahen, so wird es im Zusammenhang mit der ihm (und dem Mitangeklagten Alfred B), ersichtlich zu Punkt A I 3

der Anklageschrift (ON 15 S 97 in dem zur ON 12 einbezogenen Akt) und zum korrespondierenden (hinsichtlich A bereits aufgehobenen) Punkt I 5 des Ersturteils ON 15 (S 107 betreffend Opferstockdiebstähle zum Nachteil des Kriegervereines Tamsweg) angelasteten Qualifikation nach der Z 3 des § 129 StGB zu beachten haben, daß nicht nur das Aufbrechen eines Behältnisses selbst, sondern naturgemäß auch jenes der Sperrvorrichtung zu dem Behältnis der Z 2 dieser Gesetzesstelle zu unterstellen ist (Leukauf-Steininger, Kommentar2, S 880 f., RN 23 und 28 zu § 129 StGB); die Z 3 erfaßt (nur) alle jene Fälle, in welchen die Sachwegnahme unter Überwindung von Sperrverhältnissen erfolgt, die anderen als den in den Ziffern 1 und 2 genannten Objekten angehören (RZ 1977/10 u. a.; Leukauf-Steininger a. a. O RN 28 bis 30).

Die in Rede stehenden deliktischen Angriffe erfüllen daher ebenfalls bloß die Voraussetzungen der Z 2 des § 129 StGB.

Ferner wird die Art der einzelnen Angriffsakte und der Umfang der Beteiligung des Angeklagten A hieran eindeutig klarzustellen sowie dafür Sorge zu tragen sein, daß nicht Schuldspruch und Sachverhaltsfeststellungen einander widersprechen, sondern letztere den ersteren vollinhaltlich decken (vgl. hiezu S 117 der Urteilsbegründung, wonach A beim ersten von B im Juni 1979 durch Aufbrechen des Opferstockes mit einem Stein verübten Diebstahl, mit einer Beute von 20 S dem ergangenen Schuldspruch zuwider nicht mitgewirkt hätte - siehe allerdings andererseits die von dieser Konstatierung abweichenden Angaben B' S vor der Gendarmerie S 40 in ON 12; beachtlich weiters, z. B., daß entsprechend den übereinstimmenden Depositionen des B - ebenfalls S 40 in ON 12 - und des A - S 45 in ON 12 - in einem Fall der Zugriff der Opferstock des Kriegerdenkmals offen gewesen sein soll, und zwar als A durch B hiezu bestimmt, mit einer Beute von 22 S entnahm).

Bezüglich des Angeklagten B, der selbst kein Rechtsmittel gegen das wider ihn ergangene Urteil erhoben hat, ist die diesem wegen der rechtsirrtümlichen (zusätzlichen) Annahme der Qualifikation nach § 129 Z 3 StGB anhaftende Nichtigkeit nach § 281 Abs. 1 Z 10 StPO gemäß § 290 Abs. 1

StPO wahrzunehmen, und zu dem Zweck mit gesonderter Verfügung ein Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung anzuberaumen.

Anmerkung

E02810

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1980:0100OS00064.8.0528.000

Dokumentnummer

JJT_19800528_OGH0002_0100OS00064_8000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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