TE OGH 1980/6/12 12Os76/80

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Veröffentlicht am 12.06.1980
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Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Kießwetter, Dr. Steininger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Mohr als Schriftführer in der Strafsache gegen Dr. Anton A wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB. und einer anderen strafbaren Handlung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht vom 13. März 1980, GZ. 17 Vr 3518/79-12, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

G r ü n d e :

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 8. September 1937 geborene Mittelschullehrer Dr. Anton A des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1

(zu ergänzen: erster Deliktsfall) StGB. und des Vergehens des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 (wieder zu ergänzen: erster Deliktsfall) StGB. schuldig erkannt, weil er 'in der Zeit von 1973 bis 1978' in Goldegg-Weng die am 15. Mai 1961, 11. Juli 1964 und 6. März 1969 geborenen Kinder Doris, Vera und Werner A, dadurch, daß er Doris und Vera an ihren Brüsten und am Geschlechtsteil abtastete, sie auf einen Tisch nackt liegend am ganzen Körper massierte, ihre Jungfernhäutchen untersuchte und dabei über geschlechtsbezogene Themen sprach, sowie dadurch, daß er mit Werner masturbatorische Handlungen vornahm, auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbrauchte und dieser Mißbrauch seine obgenannten minderjährigen Adoptivkinder (Wahlkinder) betraf.

Gegen diesen Schuldspruch wendet sich seine auf die Z. 4, 5, 9 lit. a und b des § 281 Abs. 1 StPO. gestützte Nichtigkeitsbeschwerde. Der auf die beiden letztgenannten Nichtigkeitsgründe gestützten Rechtsrüge kommt deshalb Berechtigung zu, weil - wie der Angeklagte in seinem Rechtsmittel zutreffend ausführt - die Feststellungen des Erstgerichtes über die Tatzeit für eine richtige rechtliche Beurteilung der Sache aus folgenden Gründen nicht ausreichen:

Der Urteilsspruch nennt als Tatzeit für alle an den drei Kindern begangenen Tathandlungen bloß g l o b a l den Zeitraum von '1973 bis 1978', ohne den Tag, zumindest aber den Monat des Beginnes und des Endes der Tatzeit näher festzustellen, insbesondere aber auch, ohne die Tatzeiten in bezug auf jedes der drei Kinder getrennt zur Darstellung zu bringen. Eine Ergänzung findet diese unzulängliche Aussage des Urteilsspruches über die Tatzeiten in den Gründen der Entscheidung bloß insoweit, als das Erstgericht den Bekundungen der drei als Zeugen vernommenen Adoptivkinder des Angeklagten Glauben geschenkt (S. 191) und sie in Ansehung der Tatzeit jedenfalls insoweit zur Urteilsgrundlage gemacht hat, als sie dahin gingen, daß der Angeklagte sich an Doris A 'ab dem 12. Lebensjahr' vergriffen habe und das Mädchen damals 'glaublich dreizehn Jahr alt' gewesen sei und an Vera A, als sie 'zehn bis elf Jahre alt' gewesen sei; bezüglich Werner A hat das Erstgericht in die Urteilsgründe keine Angaben über eine konkrete Tatzeit übernommen. Weitere Bekundungen dieser Zeugen, die zur Klärung der Tatzeit beitragen können, liegen vor (vgl. S. 78, 79, 80, 85, 88, Verlesung S. 175), wurden aber vom Erstgericht in seinen Feststellungen nicht verwertet, so daß nicht beurteilt werden kann, ob es auch diese Zeitangaben als erwiesen angenommen hat oder nicht.

Ausgehend von diesen mangelhaft gebliebenen Feststellungen kann aber nicht mit hinreichender Sicherheit erschlossen werden, inwieweit in Ansehung j e d e s e i n z e l n e n der drei Kinder - jeweils für sich allein betrachtet - die Tathandlungen des Angeklagten zeitlich zur Gänze vor dem 1. Jänner 1975 (Inkrafttreten des StGB.) lagen und inwieweit sie über diesen Zeitpunkt hinausreichten. Denn die am 15. Mai 1961 geborene Doris A war demnach vom 15. Mai 1974 bis zum 14. Mai 1975

'dreizehn Jahre alt', die am 11. Juli 1964 geborene Vera A vom 11. Juli 1974 bis zum 10. Juli 1975 'zehn Jahre alt' und vom 11. Juli 1975 bis zum 10. Juli 1976 'elf Jahre alt', für den am 6. März 1969 geborenen Werner A fehlt unter Zugrundelegung der erstgerichtlichen Feststellungen überhaupt jeder konkrete Anhaltspunkt für die ihn betreffende Tatzeit, wenngleich unter der (den Urteilsgründen jedoch ebenfalls nicht ganz klar zu entnehmenden) Voraussetzung, daß die gegenüber Doris A gesetzten Tathandlungen mit dem 13. Lebensjahr e n d e t e n (bei Vera A scheint die von ihr genannte Zeit jedenfalls

als Endzeitpunkt auf; vgl. S. 189: '.......als sie zehn bis elf

Jahre alt war, d a n n n i c h t m e h r.'), erschlossen werden

könnte, daß nur er jenes der drei Kinder sein kann, an welchem der Angeklagte laut Urteilsspruch 'bis 1978' Unzuchtshandlungen vornahm.

Der hier aufgeworfenen Frage kommt aber deshalb Bedeutung zu, weil

die vom Angeklagten nach den Feststellungen des Schöffengerichtes  i

n s g e s a m t   - also gegenüber allen drei Kindern zusammen -

gesetzten deliktischen Handlungen (anders als bei Vermögensdelikten)

schon mangels Identität des Angriffsobjektes (vgl. Leukauf-

Steininger, Kommentar zum StGB.2, RN 31 zu § 28, S. 290) nicht als

(von 1973 bis 1978 reichendes und damit jedenfalls nach dem neuen

StGB. zu beurteilendes, vgl. 11 0s 12/76) 'fortgesetztes Delikt'

angesehen werden können, sondern es sich bei den einzelnen

Tathandlungen (wobei es auch einer klaren Feststellung bedarf, ob

die Gesamtheit der gegenüber e i n  u n d   d e m s e l b e n   Kind

gesetzten Unzuchtsakte zufolge einheitlichen Gesamtvorsatzes und

zeitlichen Zusammenhanges  j e w e i l s   als    e i n e  - nämlich

fortgesetzte - Tat anzusehen ist) um eine Mehrzahl von Fakten handelt, die zueinander im Verhältnis gleichartiger Realkonkurrenz (Verbrechenswiederholung, vgl. Leukauf-Steininger a.a.0. RN 1 zu § 28, S. 281) stehen. Der Günstigkeitsvergleich nach § 61 StGB. ist aber für jedes derartige Faktum grundsätzlich (der Sonderfall des Anwendungsbereiches des § 29 StGB. kann hier außer Betracht bleiben) gesondert vorzunehmen. In diesem Lichte gesehen, ist vorliegend die für das anzuwendende Recht maßgebliche Frage der Tatzeiten zunächst schon insoweit von Belang, als hievon die Rechtsrichtigkeit der Beurteilung des vom Erstgericht festgestellten Sachverhaltes als Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 (erster Deliktsfall) StGB. abhängt. Zwar entspricht nämlich das Tatbildmerkmal des 'Mißbrauches zur Unzucht' im Sinne der letztgenannten Gesetzesstelle völlig jenem des 'geschlechtlichen Mißbrauchs' im Sinne des entsprechenden Tatbestandes des StG 1945 - nämlich dem des Verbrechens der Schändung nach § 128 StG. -

und hat im gegenständlichen Fall das Erstgericht entgegen den Beschwerdeausführungen dessen Verwirklichung nicht nur bezüglich Werner A, sondern auch hinsichtlich der beiden Mädchen zu Recht angenommen, zumal es dafür hinreicht, daß zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörige, somit dem männlichen oder weiblichen Körper spezifisch eigentümliche Körperpartien des Opfers oder des Täters mit dem Körper des anderen in eine (nicht bloß flüchtige, sexual sinnbezogene) Berührung gebracht werden (vgl. Leukauf-Steininger, a.a.0., RN 5 zu § 207, S. 1251 und die dort zitierte Judikatur) und nicht ernstlich bezweifelt werden kann, daß dies der Fall ist, wenn der Täter wie vorliegend die unmündigen Mädchen an ihren Brüsten und Geschlechtsteilen abtastet und unter geschlechtsbezogenen Gesprächen ihr Jungfernhäutchen untersucht. Hingegen setzte die Erfüllung des Tatbestandes des Verbrechens nach dem § 128 StG. - im Gegensatz zum Tatbestand nach dem § 207 Abs. 1, erster Deliktsfall, StGB., zu dessen Merkmalen eine auf sexuelle Erregung oder Befriedigung des Täters gerichtete Absicht nicht gehört - in subjektiver Hinsicht a u ß e r d e m noch voraus, daß der Täter die unmündige Person 'zur Befriedigung seiner Lüste' auf eine andere als die im § 127 StG. bezeichnete Weise geschlechtlich mißbraucht. Zur Annahme dieses Tatbestandes bedarf es demnach stets der ausdrücklichen Feststellung, daß die Absicht des Täters auf die Erregung oder Befriedigung seiner Sinneslust gerichtet war. Fehlt es an dieser inneren Tendenz des Täterwillens, dann bleibt die Unzuchtshandlung nach dieser Bestimmung straflos (vgl. 12 0s 164/75 = EvBl. 1976/205). Feststellungen in dieser Richtung ermangeln dem angefochtenen Urteil jedoch zur Gänze.

Sollten demnach die dem Angeklagten vorliegend zur Last gelegten Tathandlungen oder ein Teil von ihnen der Zeit ihrer Begehung nach dem Günstigkeitsvergleich des § 61 StGB. zu unterwerfen sein - was auf Grund des vom Beschwerdeführer zutreffend aufgezeigten Feststellungsmangels in bezug auf die Tatzeiten derzeit nicht überprüft werden kann -, dann wäre das vorliegende Urteil in diesem Umfange als mit einem weiteren Feststellungsmangel im Sinne eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes behaftet anzusehen, da ohne nachzuholende Feststellungen zur subjektiven Tatseite im oben dargelegten Sinne nicht beurteilt werden kann, ob der Angeklagte insoweit auch den Tatbestand des Verbrechens der Schändung nach dem § 128 StG. erfüllt hat und folglich (da sich im Hinblick auf ihren gegenüber dem § 207 Abs. 1 StGB. höheren Strafrahmen diese Gesetzesbestimmung für den Angeklagten in ihrer Gesamtauswirkung nicht als günstiger erweist) unter Bedachtnahme auf die Bestimmung des § 61 StGB. die Tat rechtsrichtig dem § 207 Abs. 1 (erster Deliktsfall) StGB.

zu unterstellen ist, oder ob der Tatbestand des § 128 StG. nicht erfüllt wäre, in welchem Falle sich die zur Tatzeit in Geltung gestandene Bestimmung des § 128 StG.

als die für den Angeklagten in ihrer Gesamtauswirkung günstigere erweisen würde, da er unter dieser Voraussetzung mangels Erfüllung des Tatbestandes dieser Gesetzesstelle vom Anklagevorwurf in Richtung des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen freizusprechen wäre.

Rechtliche Beurteilung

Das angefochtene Urteil erweist sich nach dem Gesagten als mit Feststellungsmängeln im Sinne des Nichtigkeitsgrundes der Z. 9 lit. a bzw. 10 des § 281 Abs. 1

StPO. behaftet, welche in Stattgebung der erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zunächst schon die Aufhebung des Schuldspruches des Angeklagten (auch) wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1, erster Deliktsfall StGB. (und demzufolge auch im Strafausspruch) erforderlich machen. Was den Schuldspruch wegen des - nach dem Anklagevorwurf in Idealkonkurrenz mit dem Verbrechen nach dem § 207 StGB. begangenen - Vergehen des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach dem § 212 Abs. 1, erster Fall, StGB. anlangt, so ist der Beschwerdebehauptung, das Erstgericht habe den Rechtsbegriff des 'Mißbrauches durch Unzucht' (gemeint offenbar: 'Mißbrauch zur Unzucht') auch hier unrichtig interpretiert, in gleicher Weise das schon zum Verbrechen nach § 207 Abs. 1 StGB. Gesagte entgegenzuhalten. Da die getroffenen Feststellungen in bezug auf dieses Delikt ausreichen, um auch die Erfüllung des Tatbestandes des Verbrechens der Verführung zur Unzucht nach § 132 III StG. 1945 bejahen zu können - im Gegensatz zu § 128 StG. setzte diese Gesetzesbestimmung zur Tatbestandserfüllung keine auf Erregung oder Befriedigung des Geschlechtstriebes des Täters gerichtete innere Tendenz voraus und kommen als Mittel der hier tatbildlichen 'Verführung' auch die Unzuchtshandlungen selbst (so etwa das Betasten des Geschlechtsteiles oder der Brüste) in Betracht, wenn sie - wie ersichtlich im vorliegenden Fall - zufolge Wiederholung zur Gewöhnung des Opfers daran geeignet sind (vgl. EvBl. 1950, Nr. 103, EvBl.

1951, Nr. 296, EvBl. 1957, Nr. 391, EvBl. 1965, Nr. 296, SSt. 17/5, SSt. 25/31), wobei insbesondere bei in der Pubertät befindlichen Minderjährigen (vgl. hier die Mädchen Doris und Vera) jeder sich über lange Zeit erstreckenden Unzuchtshandlung Verleitungscharakter zukommt (SSt. 36/30) -

und auch im Falle eines vorzunehmenden Günstigkeitsvergleiches nach dem § 61 StGB. jedenfalls das neue Recht des StGB. zum Zuge kommt (niedrigerer Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB. gegenüber dem § 133 StG.), kann hier, zusammenfassend betrachtet, von einem spezifischen, die Frage der Erfüllung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung oder die rechtliche Subsumtion der Tat (Z. 9 lit. a, bzw. 10 des § 281 Abs. 1 StPO.) betreffenden Feststellungsmangel zwar nicht gesprochen werden. Das kassatorische Erkenntnis hat sich dennoch zufolge der gegebenen engen sachlichen Zusammenhänge im Sinne des § 289 StPO., nicht zuletzt aber deswegen a u c h auf den Schuldspruch wegen des Vergehens des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1, erster Deliktsfall, StGB. - sohin also auf das ganze Urteil - zu erstrecken, weil die vom Beschwerdeführer im Rahmen seiner Nichtigkeitsbeschwerde unter Anziehung des Nichtigkeitsgrundes der Z. 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO.

ebenfalls aufgeworfene Frage, ob und inwieweit hinsichtlich der Tathandlungen des Angeklagten oder eines Teiles von ihnen allenfalls Verjährung eingetreten ist (das vorliegende Verfahren wurde erst Ende 1979 bei Gericht anhängig) in Ansehung b e i d e r ihm angelasteten Delikte ebenfalls erst auf Grund präziser Feststellungen über die Tatzeiten rechtsrichtig beantwortet werden kann.

Es war daher schon aus diesen, die materielle Rechtslage betreffenden Erwägungen der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gemäß § 285 e StPO. bei der nichtöffentlichen Beratung Folge zu geben, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen, weil die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist und eine Entscheidung des Obersten

Gerichtshofes in der Sache selbst mangels entsprechender

Feststellungen nicht in Betracht kommt; ein Eingehen auf die weiter

geltend gemachten Nichtigkeitsgründe der Z. 4 und 5 des § 281 Abs. 1 StPO. bedurfte es in diesem Zusammenhang nicht.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Anmerkung

E02663

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1980:0120OS00076.8.0612.000

Dokumentnummer

JJT_19800612_OGH0002_0120OS00076_8000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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