TE OGH 1980/10/14 9Os116/80

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Veröffentlicht am 14.10.1980
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Oktober 1980

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, Dr. Steininger, Dr. Horak und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Hausenberger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gottlieb A wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und anderer strafbaren Handlungen über die von dem Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom 19. Mai 1980, GZ. 20 Vr 2838/79-48, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Hein und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Melnizky, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde auf Grund des Wahrspruches der Geschwornen der am 26. Februar 1929 geborene, beschäftigungslose Angeklagte Gottlieb A I./ des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB, II./ des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 2

StGB (in zwei Fällen) schuldig erkannt, weil er in St. Leonhard im Pitztal (Tirol) ad I./ am 18. August 1979 seine Ehefrau Maria A durch Versetzen eines Stiches mit einem Küchenmesser in den Bauch vorsätzlich zu töten versuchte;

ad II./ die nachgenannten Personen am Körper mißhandelte und dadurch fahrlässig (leicht) verletzte, und zwar 1.) am 18. April 1979 seine Ehefrau Maria A dadurch, daß er ihr einen Schlag versetzte, wodurch sie eine linksseitige Rippenprellung erlitt, 2.) am 23. Juni 1979 seinen Sohn Peter A dadurch, daß er ihm mehrere Ohrfeigen versetzte und ihn über eine Stiege hinunterstieß, wodurch Peter A einen ca. handtellergroßen Bluterguß mit einer Schwellung am linken Unterschenkel erlitt.

Die Geschwornen hatten die an sie im Sinne dieser Schuldsprüche (anklagekonform) gestellten Hauptfragen (Fragen Nr. 1), 4) und 6) des Fragenschemas) - die Hauptfrage Nr. 4), ob der Angeklagte seine Ehefrau 'dadurch, daß er sie gegen eine Küchenkredenz und gegen eine Kommode stieß und ihr mehrere Schläge versetzte, am Körper mißhandelt und sie dadurch fahrlässig leicht verletzt habe', mit der Einschränkung, daß dies (nur) 'durch Versetzen von einem Schlag' geschah - bejaht. Die nur für den Fall der Verneinung der auf das Verbrechen des versuchten Mordes lautenden Hauptfrage (Frage Nr. 1) gestellten Eventualfragen in der Richtung des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung (mit der Fragenvariante schwerer Dauerfolgen) nach § 87 Abs. 1 und Abs. 2 StGB (Frage Nr. 2) bzw. des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 StGB, verbunden mit der zusätzlichen Frage nach einer schweren Dauerfolge im Sinne des Verbrechenstatbestandes gemäß §§ 83 Abs. 1, 85 Z 3 (erster Fall) StGB (Frage Nr. 3)) ließen sie - folgerichtig - unbeantwortet. Sie hatten schließlich die zur bejahten Hauptfrage Nr. 4 (: leichte Körperverletzung der Maria A) gehörige, auf Notwehr bzw. Putativnotwehr gerichtete Zusatzfrage (Frage Nr. 5) mit dem Beisatz: 'ein tätlicher Angriff der Frau ist nicht erwiesen', verneint.

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer ziffernmäßig auf die Nichtigkeitsgründe der Z 6, 9 und 12 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde und mit Berufung. Mit dem erstzitierten Nichtigkeitsgrund rügt er, ersichtlich mit Beziehung auf den Schuldspruch laut Punkt I./ des Urteilssatzes, das Unterbleiben weiterer Zusatz- bzw. Eventualfragen, und zwar hinsichtlich des Vorliegens des Schuldausschließungsgrundes einer vollen Berauschung (§ 11 dritter Anwendungsfall StGB, in Verbindung mit § 313 StPO) und in der Richtung des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustande voller Berauschung gemäß § 287 StGB.

Mit Berufung auf die Nichtigkeitsgründe der Z 9 und 12 des § 345 Abs. 1 StPO (sachlich insoweit nur den erstgenannten Nichtigkeitsgrund relevierend) rügt der Beschwerdeführer die Antworten der Geschwornen zu den Hauptfragen Nr. 1), 4) und 6) als 'undeutlich und unvollständig', weil nicht erkennbar und überprüfbar sei, auf Grund welcher Beweisergebnisse die Geschwornen zur Bejahung dieser Schuldfragen gelangt sind, und weil sich aus dem im Gegenstandsfall im Sinne der Vorschrift des § 327 StPO im Zuge der Beratung und Abstimmung der Geschwornen aufgenommenen Protokoll ergebe, daß sich die Laienrichter über Rechtsbegriffe und über den Zusammenhang der Hauptfrage Nr. 4) und der Zusatzfrage Nr. 5) bis zuletzt nicht im klaren waren.

Schließlich sei nach Meinung des Beschwerdeführers, der (aus allerdings nicht näher dargelegten 'rechtlichen Erwägungen') statt seiner unter Punkt I./ des Urteilssatzes erfolgten Verurteilung wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nur eine solche wegen des 'Verbrechens der schweren Körperverletzung im Sinne des § 84 StGB' anstrebt, vorliegend auch eine Nichtigkeit nach § 345 Abs. 1 Z 12 StPO bewirkende unrichtige Gesetzesanwendung erfolgt, weil wichtige im Verfahren hervorgekommene Tatsachen und Beweisergebnisse, vor allem hinsichtlich der subjektiven Tatseite, außer acht gelassen worden seien.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt nach keiner Richtung hin Berechtigung zu:

Zu der vom Beschwerdeführer mit Beziehung auf den Nichtigkeitsgrund der Z 6 des § 345 Abs. 1 StPO geforderten Aufnahme weiterer - dem sogenannten 'Dreifragenschema' (vgl. SSt 44/32; 9 Os 39/78, 10 Os 61/80) entsprechenden -

Zusatz- und Eventualfragen zu den Schuldfragen Nr. 1), 2) und 3) des Fragenschemas in der Richtung einer vollen Berauschung des Angeklagten zur Tatzeit (18. August 1979) bestand mangels Hervorkommens von eine solche Fragestellung konkret indizierenden Umständen in der Verantwortung des Angeklagten oder in den Ergebnissen des Beweisverfahrens (vgl. hiezu SSt 44/29; RZ 1978/54 u. a.m.) kein Anlaß.

Der vom Beschwerdeführer in diesem Zusammehang allein ins Treffen geführte Blutalkoholwert von 2,4 %o, den der gerichtspsychiatrische Sachverständige Univ.Prof.Dr.Heinz B, bezogen auf den Tatzeitpunkt (zu Punkt I./ des Urteilssatzes), bei Gottlieb A festgestellt und (bloß) als einer 'mittelgradigen Berauschung' entsprechend beurteilt hat (s.S 390 f/I und S 269/I d.A), rückte entgegen der Meinung des Beschwerdeführers die Annahme einer die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit ausschließenden Volltrunkenheit (SSt 43/47 u. a.) des Angeklagten zur Tatzeit nicht in jenen näheren Bereich der Möglichkeit, der den Schwurgerichtshof zur Stellung diesbezüglicher Zusatzund Eventualfragen in der Richtung der §§ 11; 287 StGB verpflichtet hätte.

Denn nach gesicherten forensischen Erfahrungen (vgl. Jarosch-Müller-Piegler, Alkohol und Recht2, S 150 f; Foregger-Serini, StGB2, Erl. II zu § 287 /S 462 unten/;

RZ 1964, S 159 und ZVR 1977/28) kann überhaupt erst eine Blutalkoholkonzentration von 3 %o oder darüber - nur in besonderen Fällen schon ein Blutalkoholwert ab 2,5 %o -

eine volle Berauschung im dargelegten Sinn indizieren, wobei ein allgemeiner Erfahrungssatz, daß bei Vorliegen einer bestimmten Blutalkoholkonzentration Zurechnungsunfähigkeit vorliege, nicht besteht (vgl. Leukauf-Steininger, Komm.z.StGB2, RN 9 zu § 287; 12 Os 66/80). Vielmehr kommt es stets auf die besonderen Umstände des konkreten Einzelfalles an, aus welchen aber vorliegend beim Angeklagten Gottlieb A, der sich übrigens selbst nicht mit Volltrunkenheit verantwortet hat (Bd I, S 157, 374), für die Annahme eines derartigen Zustandes im Zeitpunkt der Tatverübung nichts zu gewinnen ist.

Eine diesbezügliche zusätzliche Fragestellung ist mithin zutreffend unterblieben.

Der Beschwerdeführer ist aber auch mit seinen sachlich auf den Nichtigkeitsgrund der Z 9 des § 345 Abs. 1

StPO gestützten Vorbringen nicht im Recht. Die Antwort der Geschwornen wäre im Sinne des zitierten Nichtigkeitsgrundes 'undeutlich', wenn sie mehrere Deutungen zuließe und daher nicht klar erkennbar wäre, welchen Sinn ihr die Geschwornen beigelegt haben, und sie wäre 'unvollständig', wenn die Geschwornen eine Frage unberechtigterweise nicht beantwortet hätten. Keiner dieser - vom Beschwerdeführer ohne nähere Begründung - behaupteten Wahrspruchsmängel liegt, wie sich aus dem eingangs wiedergegebenen Inhalt des Wahrspruches in seiner Gesamtheit ergibt, hier vor. Insbesondere kann in Ansehung des die (von den Geschwornen zulässigerweise /§ 330 Abs. 2 StPO/ einschränkend bejahte) Hauptfrage Nr. 4) und die (alternativ) auf Notwehr und Putativnotwehr gerichtete (von den Geschwornen verneinte) Zusatzfrage Nr. 5) betreffenden Verdiktes keine Rede davon sein, daß dieser Wahrspruch kein verläßliches Bild von der Meinung der Geschwornen gebe und deshalb als Basis für das Urteil ungeeignet sei.

Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers ist weder aus der für die Verneinung der Zusatzfrage Nr. 5) (im Fragebogen) angegebenen Erwägung der Geschwornen, es sei 'ein tätlicher Angriff der Frau nicht erwiesen', noch aus der Niederschrift (nach § 331 Abs. 3 StPO) der für die Beantwortung der Hauptfragen Nr. 1), 4) und 6) maßgeblich gewesenen Erwägungen, aber auch nicht aus dem Inhalt des vom Beschwerdeführer bezogenen 'Protokolls gemäß § 327 StPO' wonach die Geschwornen 'um Belehrung bezüglich der Hauptfrage Nr. 4) zur Frage der Notwehr und ob und welche Einschränkungen bei einer allfälligen Bejahung der Hauptfrage Nr. 4) gemacht werden können', ersuchten, ein Anhaltspunkt für die Richtigkeit der Behauptung des Beschwerdeführers zu gewinnen, daß sich die Geschwornen im Zeitpunkt ihres Entscheidens über Rechtsbegriffe und über den Zusammenhang der Hauptfrage Nr. 4) und der Zusatzfrage Nr. 5) nicht im klaren waren oder daß ihnen vom Vorsitzenden nicht im Sinne des § 327 Abs. 1 StPO die erforderliche (und richtige) ergänzende Belehrung (zur erteilten schriftlichen Rechtsbelehrung) gegeben worden wäre.

Daß schließlich der (genaue) Inhalt dieser (ergänzenden) Belehrung dem aufgenommenen Protokoll im Sinne des § 327 StPO nicht zu entnehmen ist, beinhaltet bloß eine nicht unter Nichtigkeitssanktion stehende Formverletzung (vgl. Entscheidungen Nr. 1-3 zu § 327 StPO in der von Mayerhofer-Rieder /1980/ besorgten StPO-Ausgabe, Bd 2, S 1031). Formelle Wahrspruchsmängel im Sinne des Nichtigkeitsgrundes der Z 9 des § 345 Abs. 1 StPO vermag der Beschwerdeführer jedenfalls nicht aufzuzeigen.

Die ziffernmäßig auf den Nichtigkeitsgrund der Z 12 des § 345 Abs. 1 StPO gegründete Rechtsrüge, mit welcher der Beschwerdeführer die urteilsmäßige Beurteilung der ihm als versuchter Mord an seiner Ehefrau Maria A angelasteten Tat bloß als schwere Körperverletzung anstrebt, entbehrt überhaupt einer gesetzmäßigen Ausführung, weil sich die Nichtigkeitsbeschwerde dabei über die in dem (die bejahte Hauptfrage Nr. 1)) betreffenden Wahrspruch - insoweit mit einer Rechtsrüge unbekämpfbar - festgestellten Tatsachen, insbesondere hinsichtlich der subjektiven Tatseite, wonach Gottlieb A seine Ehefrau durch einen Bauchstich mit einem Küchenmesser vorsätzlich zu töten versuchte, unzulässigerweise hinwegsetzt. Der behauptete Rechtsirrtum muß nämlich auch im Anwendungsbereich des Nichtigkeitsgrundes des § 345 Abs. 1 Z 12 StPO aus dem Wahrspruch selbst nachgewiesen werden, ein Zurückgreifen auf wirkliche oder vermeintliche Verfahrensergebnisse, die im Wahrspruch keine Berücksichtigung fanden - die Geschwornen haben vorliegend infolge Bejahung der Hauptfrage Nr. 1) die auf schwere Körperverletzung lautenden Eventualfragen Nr. 2) bzw. 3) unbeantwortet gelassen - ist ausgeschlossen.

Unter Zugrundelegung der im Wahrspruch betreffend die Hauptfrage Nr. 1) festgestellten Tatsachen erweist sich aber der diese Tat des Angeklagten dem Tatbestand des Verbrechens des versuchten Mordes gemäß §§ 15, 75 StGB subsumierende Schuldspruch zu Punkt I./ des Urteilssatzes, als frei von einem Rechtsirrtum.

Aus diesen Erwägungen war der zur Gänze unbegründeten Nichtigkeitsbeschwerde ein Erfolg zu versagen.

Das Geschwornengericht verurteilte den Angeklagten nach § 75 StGB unter Bedachtnahme auf § 28 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren. Es nahm bei der Ausmessung der Strafe die zahlreichen einschlägigen Vorstrafen, das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen und die Wiederholung des Vergehens als erschwerend an. Als mildernd wertete es hingegen den Umstand, daß es bei dem Verbrechen nach § 75 StGB beim Versuch geblieben war, die verminderte Zurechnungsfähigkeit, sowie das vor der Gendarmerie abgelegte Geständnis.

In seiner Berufung strebt der Angeklagte die Herabsetzung dieser Strafe an.

Seiner Berufung kommt keine Berechtigung zu.

Das Geschwornengericht hat - entgegen der Ansicht des Berufungswerbers - die Strafzumessungsgründe im wesentlichen richtig und vollständig erkannt und zutreffend gewürdigt. Es hat der geringen geistigen Begabung des Angeklagten sowie der durch seine chronische Alkoholabhängigkeit bedingten Wesensveränderung durchaus Rechnung getragen. Von einer Affekthandlung kann im Hinblick auf die gezielte Vorgangsweise des Täters keine Rede sein; desgleichen nicht von einer sofort nach der Tat gezeigten Reue, da sich der Angeklagte bei seiner Betretung - ersichtlich infolge seiner Enthemmung durch Alkohol - unangepaßt verhielt und keine Worte des Bedauerns - außer solchen über die voraussichtliche Dauer der ihm drohenden Freiheitsstrafe - zum Ausdruck brachte (s. S 9, 41, 113, 119, 121, 124, 126, 127, 325-327 d.A). Die Schwere der Verletzung des Opfers, das nur infolge der besonderen Leistung der Ärzte überlebte und wegen des derzeit relativ guten Gesundheitszustandes die künftigen Auswirkungen der eingetretenen Dauerfolgen offenbar gar nicht richtig erkennt (S 317), läßt eine besondere Berücksichtigung dessen Fürbitte insbesondere auch im Hinblick auf die Tatsache nicht angezeigt scheinen, daß der Angeklagte schon zahlreiche einschlägige Vorstrafen erlitten hat.

Der Berufung mußte somit ein Erfolg versagt bleiben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Anmerkung

E02840

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1980:0090OS00116.8.1014.000

Dokumentnummer

JJT_19801014_OGH0002_0090OS00116_8000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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