TE OGH 1980/10/21 9Os38/80

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Veröffentlicht am 21.10.1980
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.Oktober 1980 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Reisenleitner und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Hausenberger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Andreas A wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB. und anderer strafbarer Handlungen über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 20.Juni 1979, GZ. 10 Vr 5202/78-68, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Steininger, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Bernhauser und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Gehart, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 4.Juli 1952 geborene Portier Andreas A des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1

StGB. (Punkt I/ des Schuldspruchs), des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB. (Punkt II/ des Schuldspruchs) und des Vergehens nach § 36 Abs. 1 lit. a WaffenG. (Punkt III/ des Schuldspruchs) schuldig erkannt.

Zu Punkt I/ des Schuldspruchs liegt ihm zur Last, am 27.Juni 1978 in Wien dem Gerhard B dadurch, daß er aus einem Trommelrevolver mehrere Schüsse gegen dessen Körper abgab, wobei ein Projektil in Höhe der

6. Rippe rechts und ein anderes in Höhe der 7.Rippe rechts einschlug, eine an sich schwere Körperverletzung mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit, nämlich eine Verletzung der Leber, Perforierung des Magens und Durchschlagung der Milz, absichtlich zugefügt zu haben.

Lediglich gegen diesen Punkt I/ des Schuldspruchs richtet sich die auf § 281 Abs. 1 Z. 5, 9 lit. b und 10

StPO. gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. In dieser bringt er zunächst vor, es sei die (auf der Zeugenaussage des Verletzten beruhende) Urteilsannahme, daß Gerhard B schon vom ersten (und abermals vom dritten) vom Angeklagten auf ihn abgefeuerten Schuß getroffen (und verletzt) wurde, deshalb unvollständig begründet, weil die zur Tatzeit bestandene erhebliche Alkoholisierung und die (verletzungsbedingte) Schockierung des Zeugen, welche Umstände die Glaubwürdigkeit seiner Aussage beeinträchtigten, unberücksichtigt geblieben sei und das Erstgericht auch andere gegen die bekämpfte Annahme sprechende Beweisergebnisse unerörtert gelassen habe.

Rechtliche Beurteilung

Demgegenüber hat das Schöffengericht ohnedies als erwiesen angenommen, daß Gerhard B stärker alkoholisiert war (S. 383 d.A.), sodaß diesbezüglich die Mängelrüge ins Leere geht. Die Frage aber, inwieweit der genannte Zeuge in Ansehung des Tatgeschehens seinerzeit zu verläßlichen Wahrnehmungen und darnach zu deren richtiger Wiedergabe fähig war, betrifft den Beweiswert seiner Aussage, über den das erkennende Gericht in freier, einer Anfechtung im Nichtigkeitsverfahren entzogener Beweiswürdigung (§ 258 Abs. 2 StPO.) zu entscheiden hatte, weshalb auf die die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen in Zweifel ziehenden Beschwerdeausführungen nicht einzugehen ist.

Aber auch die übrigen Ausführungen zur Mängelrüge versagen:

Die Zeugin Herta C hat in der Hauptverhandlung am 6.März 1979 ihre vor dem Untersuchungsrichter gegebene Darstellung, der Angeklagte habe den ersten Schuß 'in die Luft' abgefeuert (S. 99 d.A.), zwar vorerst wiederholt (S. 321 d.A.), sie dann jedoch über Vorhalt dahin korrigiert, daß ihre ursprüngliche Aussage vor der Polizei den Tatsachen entsprochen habe (S. 322 d.A.). Damals hatte sie aber bekundet, der Angeklagte habe (schon) den ersten Schuß in Richtung auf B abgegeben (S. 34 d. A.).

Die in der Beschwerde zitierten Aussagen der Zeugen Gabriele D und Waltraud E vor der Polizei hinwieder enthalten nichts, was gegen die bekämpfte Urteilskonstatierung spräche; darnach hatte D (erst) nach dem von ihr bloß akustisch wahrgenommenen ersten Schuß die Straße betreten, über dessen Wirkung jedoch keine Wahrnehmungen gemacht (S. 50 d.A.), wogegen E vom ersten Schuß, bei dessen Abgabe sie sich nach ihren Angaben wahrscheinlich im Cafe 'H' aufgehalten haben dürfte, überhaupt nichts bemerkt hat (S. 55 d.A.). Aber auch der Zeuge Christian F hat den ersten Schuß nur gehört und erst die folgenden Vorgänge beobachtet (S. 20, 98, 369 d.A.); seine vor dem Untersuchungsrichter aufgestellte Behauptung, mit Sicherheit sagen zu können, daß B durch den zweiten und dritten Schuß verletzt wurde, stellte er in der Hauptverhandlung insoferne klar, als er erklärte, dies daraus zu schließen, daß B erst nach den beiden letzten kurz aufeinanderfolgenden Schüssen zusammenbrach (S. 368 d.A.). Diese Schlußfolgerung eines (medizinischen) Laien aber mußte im Urteil nicht weiter erörtert werden, weil der gerichtsmedizinische Sachverständige Dr. G angegeben hat, es sei nicht auszuschließen, daß B nach einem (ersten) nur in das Zwerchfell eingedrungenen Treffer noch 'handlungsfähig' geblieben war (S. 315 d.A.). So gesehen hat daher das Verfahren keine der bekämpften Urteilsannahme widerstreitenden Ergebnisse erbracht, deren Nichterörterung im Urteil den relevierten Begründungsmangel einer Unvollständigkeit bewirken könnte.

Letztlich ist aber die Frage, ob B vom ersten oder erst vom zweiten (und dritten) Schuß getroffen wurde, gar nicht von entscheidungswesentlicher Bedeutung. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung zeigt sich nämlich, daß rechtfertigende Notwehr, wie sie der Beschwerdeführer mit seiner auf § 281 Abs. 1 Z. 9 lit. b StPO. gestützten Rechtsrüge für sich in Anspruch nimmt, ihm auch bei der Abgabe des zweiten und dritten Schusses auf B nicht zustatten kommt. Schon mit der Behauptung einer das Tatgeschehen auslösenden Nothilfesituation wegen einer Bedrohung der Herta C durch Gerhard B verläßt nämlich der Beschwerdeführer den Boden der Urteilsfeststellungen, denen ein derartiger Sachverhalt - den übrigens die Zeugin C ausdrücklich negiert hat (S. 100; vgl. S. 323 d. A.) - nicht entnommen werden kann.

Auf eine urteilsfremde Unterstellung gestützt und deshalb unbeachtlich ist aber auch der weitere Einwand, B sei bei Ansichtigwerden des Beschwerdeführers mit dem geöffneten Fixiermesser auf diesen losgegangen.

Nach den vom Schöffengericht getroffenen Tatsachenfeststellungen hatte vielmehr B nach einem kurzen Wortwechsel mit dem Angeklagten, der ihn wegen seines Verhaltens gegenüber Herta C zur Rede stellte, das diesem drohend entgegengehaltene Messer wieder eingesteckt und sich (ohne weitere drohende Gesten; vgl. dazu S. 100 d.A.) der Herta C zugewendet, der er sodann Vorwürfe machte, weil sie dem Angeklagten von den vorausgegangenen Belästigungen durch ihn erzählt hatte, da sich in der Folge auch der Angeklagte vom Ort der Auseinandersetzung entfernte, war diese Phase des Tatgeschehens, die einerseits durch die Aggression des Zeugen B und anderseits das Zurückweichen des Angeklagten maßgeblich bestimmt ist, abgeschlossen, der Angriff des Erstgenannten auf C und den Angeklagten demnach beendet.

Anders als die Beschwerde vermeint, läßt sich aber auch aus den diesem (an sich abgeschlossenen) Vorfall folgenden Ereignissen eine Notwehrsituation für den Beschwerdeführer bei Abgabe des ersten Schusses gegen B nicht ableiten; denn nach den diesbezüglich vom Erstgericht getroffenen Feststellungen (S. 384 d.A.) hat der Beschwerdeführer, der kurze Zeit später mit einem aus dem 'H' geholten und in den Hosenbund gesteckten Trommelrevolver (wieder) zum Tatort zurückgekommen war, den Revolver gezogen und, als B die unter dem Pullover getragene Waffe bemerkte und eine darauf bezügliche Äußerung ('Ach so, du bist aufgeladen') machte, sofort auf B geschossen, als dieser - erst jetzt das Fixiermesser wieder in die Hand nehmend - straßenseitig hinter einem vor dem Haus Akademiestraße 2 geparkten PKW.

Deckung suchte. Durch dieses Verhalten (Ziehen der Waffe und Abgabe eines Schusses, der B nach den Urteilsannahmen im Bereich der rechten Hälfte des Oberkörpers traf) hatte somit der Beschwerdeführer den Angriff auf B eröffnet, wobei ihm B nunmehr mit Rücksicht auf die Art der Bewaffnung (Revolver gegen Messer) und die zwischen den an der Auseinandersetzung Beteiligten bestehende Entfernung von (zuletzt) 7 m deutlich unterlegen war. Den Beschwerdeausführungen zuwider befand sich der Angeklagte aber auch im Zeitpunkt der Abgabe des zweiten Schusses in keiner Notwehrsituation. Es ist zwar richtig, daß B trotz seiner Verwundung aus Wut - um, wie er sich ausdrückte, A 'ins Spital mitzunehmen' - mit dem Messer zum Gegenangriff übergegangen war und die Aufforderung des in der Einfahrt des Hauses Akademiestraße 2 postierten Beschwerdeführers, stehen zu bleiben, mißachtend weiterhin bis auf ungefähr 2 m an diesen heranging; dies ändert aber nichts daran, daß der Beschwerdeführer in dieser zweiten Phase des Tatgeschehens dem B bis zuletzt in der Position des Angreifers gegenüberstand, der seine Aktion mit dem Herbeiholen und (ohne Not erfolgten provozierenden) Ziehen der Schußwaffe begonnen, durch Abgabe eines Schusses auf den sich 'in Deckung' begebenden, ihn also keineswegs angreifenden B fortgesetzt und insoweit noch nicht abgeschlossen hatte, als er die geladene Waffe in der Hand und damit seine Überlegenheit ausspielend auf das Herankommen des (provozierten) ihm unterlegenen Gegners wartend zur Abgabe weiterer Schüsse auf diesen bereitstand und dann auch tatsächlich zweimal auf diesen schoß, wobei er ihn neuerlich (schwer) verletzte, als er sich ihm näherte.

Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang behauptet, er habe sich auch deswegen in einer Notlage befunden, weil mit einem Eingreifen des Christian F, eines Begleiters des Verletzten, zu rechnen war, negiert er die Annahmen des Erstgerichts, das eine Beteiligung des F an der Auseinandersetzung nicht feststellte und - mangels darauf hinweisender Verfahrensergebnisse (vgl. S. 54 und 323 d. A.) - keinen Anlaß zu derartigen Feststellungen hatte. Mit seinem Vorbringen zum Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z. 10 StPO. strebt der Beschwerdeführer schließlich die Unterstellung der Tat oder doch der Abgabe des ersten Schusses - sollte ihm hiefür nicht Notwehr zugebilligt werden - unter den mit geringerer Strafe bedrohten Tatbestand der §§ 83, 84 StGB. an, indem er bestreitet, die schwere Körperverletzung absichtlich zugefügt zu haben; der Sache nach macht er damit aber nicht einen dem Erstgericht unterlaufenen Rechtsirrtum geltend, sondern einen dem betreffenden Ausspruch anhaftenden Begründungsmangel, der indessen nicht vorliegt. Denn das Erstgericht konnte die Annahme der Absicht des Beschwerdeführers, Gerhard B schwer zu verletzen, schon aus dem zugegebenen Zielen mit der Schußwaffe auf die Oberschenkelgegend des B einleuchtend ableiten, zumal ein solches Täterverhalten durchaus auf die Absicht des Täters schließen läßt, dem Gegner - wenngleich in der Regel nicht lebensgefährliche, so doch - (an sich) schwere Schußverletzungen in der Zielgegend zuzufügen. Die Nichterörterung der Frage, ob das zum zweimaligen Treffen des Oberkörpers führende Hochreißen der Waffe gewollt oder ungewollt war, stellt bei dieser Sachlage keinen Begründungsmangel dar.

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war demnach zu verwerfen.

Das Erstgericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 28, 87 Abs. 1 StGB. zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 3 (drei) Jahren, wobei es als erschwerend das Zusammentreffen eines Verbrechens mit zwei Vergehen, die einschlägigen Vorstrafen, vor allem aber den raschen Rückfall, als mildernd hingegen das Teilgeständnis hinsichtlich der Schuldsprüche zu Punkt II/ und III/ des Urteilssatzes wertete.

Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine Herabsetzung der Strafe an.

Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.

Auch wenn ein Rückfall im technischen Sinn, nämlich die Begehung von strafbaren Handlungen auf der gleichen schädlichen Neigung wie die Vortaten, nicht vorliegt, so darf bei der Ausmessung der Strafe doch nicht übersehen werden, daß der Berufungswerber nur kurze Zeit vor Begehung der ihm nunmehr angelasteten Körperverletzungsdelikte zu einer empfindlichen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, wobei ihn diese Verurteilung nicht davon abgehalten hat, wieder straffällig zu werden. Die solcherart charakterisierte kriminelle Täterpersönlichkeit des Berufungswerbers sowie der hohe Schuld- und Unrechtsgehalt der nunmehr abgeurteilten Straftaten, vor allem der absichtlichen schweren Körperverletzung, lassen mithin das vom Erstgericht gefundene Strafmaß nicht als überhöht erscheinen. Somit mußte auch der Berufung ein Erfolg versagt bleiben. Es war demnach spruchgemäß zu erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.

Anmerkung

E02872

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1980:0090OS00038.8.1021.000

Dokumentnummer

JJT_19801021_OGH0002_0090OS00038_8000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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