TE OGH 1980/11/26 11Os160/80

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Veröffentlicht am 26.11.1980
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 26.November 1980

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Rauchenberger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Günter A wegen des Vergehens des Diebstahls nach dem § 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 StGB. sowie einer anderen strafbaren Handlung über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichtes St. Pölten als Jugendschöffengerichtes vom 19.Juni 1980, GZ. 14 Vr 901/79-45, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Gloss und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwaltes Dr. Tschulik, zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil gemäß dem § 290 Abs. 1 StPO. im Schuldspruch des Angeklagten wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 und 4 StGB.

sowie demgemäß auch im Strafausspruch und im Ausspruch gemäß dem § 366 Abs. 2 StPO. über die privatrechtlichen Ansprüche des Werner B aufgehoben und gemäß dem § 288 Abs. 2 Z. 3 StPO. in der Sache selbst erkannt:

Günter A wird für das ihm nach dem Urteil des Kreisgerichtes St. Pölten vom 29.November 1979, GZ. 14 Vr 901/79-28, weiterhin zur Last fallende Vergehen des Diebstahls nach dem § 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 StGB. gemäß dem § 127 Abs. 2 StGB. unter Anwendung des § 11 JGG. zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 2 (zwei) Wochen und gemäß dem § 389 StPO. zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt.

Gemäß dem § 43 Abs. 1 StGB. wird die Vollziehung der verhängten Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren bedingt nachgesehen.

Der Privatbeteiligte Werner B wird mit seinen Ersatzansprüchen gemäß

dem § 366 Abs. 1 StPO.

auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und seiner Berufung wird der Angeklagte auf obige Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 27.Juni 1962 geborene Schüler Günter A im zweiten Rechtsgang des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 und 4 StGB. schuldig erkannt, weil er am 7.Juli 1979 in Wilhelmsburg den Gendarmeriebeamten Werner B dadurch fahrlässig am Körper verletzte, daß er als Lenker eines Mopeds in einem zu geringen Seitenabstand an ihm vorbeifuhr, wodurch der Beamte mit dem auf dem Soziussitz mitfahrenden Wolfgang C in Kontakt kam, stürzte und eine schwere Verletzung, nämlich eine Fissur des Kammbeines des linken Daumens, erlitt.

Im ersten Rechtsgang war Günter A - anklagekonform - des Vergehens des Diebstahls nach dem § 127 Abs. 1

und Abs. 2 Z. 1 StGB. sowie des Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach dem § 94 Abs. 1 StGB. schuldig erkannt worden. Dieses - im erstgenannten Schuldspruch unangefochten gebliebene - Urteil wurde mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 26.März 1980, GZ. 11 Os 14/80-10, in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten im Schuldspruch wegen § 94 Abs. 1 StGB. (und im Strafausspruch) aufgehoben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Den nunmehr ergangenen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde unter Anrufung der Z. 5 und 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO.

Rechtliche Beurteilung

Diese Beschwerde gibt Anlaß, gemäß dem § 290 Abs. 1 StPO. von Amts wegen wahrzunehmen, daß das Urteil mit einer nicht geltend gemachten, dem Beschwerdeführer zum Nachteil gereichenden Nichtigkeit gemäß der Z. 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO. behaftet ist:

Im zweiten Rechtsgang ließ das Schöffengericht unberücksichtigt, daß die Staatsanwaltschaft gegen Günter A Anklage nur wegen der Vergehen des Diebstahls nach dem § 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 StGB. und des Imstichlassens eines Verletzten nach dem § 94 Abs. 1 StGB. erhoben, im übrigen aber - nachdem A im Zuge gerichtlicher Vorerhebungen bereits als Beschuldigter vernommen worden war (S. 1 f. und 121 f. d.A.) - die Erklärung abgegeben hatte, es werde zu seiner weiteren Verfolgung (u.a.) wegen der von der Gendarmerie gleichfalls angezeigten Delikte nach den §§ 84 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 4; 269 Abs. 1 StGB. kein Grund gefunden. Das Verfahren gegen Günter A wurde daraufhin in diesem Umfang gemäß dem § 90 StPO. eingestellt (vgl. S. 3 d.A.). Dieser Erklärung kam die Bedeutung zu, daß das Strafverfolgungsrecht der Staatsanwaltschaft - vom Fall einer Wiederaufnahme des Strafverfahrens nach dem § 352 StPO. abgesehen - hinsichtlich der von der Einstellung erfaßten Delikte unwiderruflich verbraucht war (vgl. SSt. 25/73). Gemäß dem § 267 StPO. ist der Gerichtshof zwar nicht an die rechtliche Beurteilung der in Verfolgung gezogenen Tat durch den Ankläger, aber an dessen Anträge insoweit gebunden, als er den Angeklagten nicht einer Tat schuldig erklären darf, auf die die Anklage weder ursprünglich gerichtet war noch während der Hauptverhandlung ausgedehnt wurde. Demgemäß vermag eine bloße Qualifikationseinstellung bei weiterer Verfolgung derselben Tat nach anderen rechtlichen Gesichtspunkten ein Verfolgungshindernis nicht zu begründen.

Im vorliegenden Fall kann indes von einer Identität von Anklage- und Urteilstat nicht gesprochen werden. Anders als nach altem Recht (§ 337 lit. c StG.) stellt das Imstichlassen des Verletzten durch den Täter, der die Verletzung verursacht hat, keine Qualifizierung einer Fahrlässigkeitstat, sondern eine (allenfalls) mit dem vorangegangenen Vorsatz- oder Fahrlässigkeitsdelikt realkonkurrierende selbständige Vorsatzstraftat dar. Gegenstand der Anklage war sonach - neben dem Vergehen des Diebstahls nach dem § 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 StGB. - ausschließlich das Imstichlassen des verletzten Gendarmerieinspektors Werner B durch den Angeklagten, nicht jedoch auch das nach der Anzeige und den Vorerhebungen dieser Tat vorangegangene, von der Staatsanwaltschaft gesondert beurteilte (vorsätzliche oder fahrlässige) Verhalten des Angeklagten, das (allenfalls) zur Verursachung einer Verletzung des in Vollziehung seines Amtes befindlichen Gendarmeriebeamten führte. Somit erging durch den Schuldspruch wegen des Vergehens nach dem § 88 Abs. 1 und 4 StGB. eine Verurteilung des Angeklagten wegen einer anderen Tat, deren Verfolgung zudem wegen Verbrauchs des Anklagerechtes des öffentlichen Anklägers im Hinblick auf dessen diesbezügliche Erklärung nach dem § 90 StPO. ausgeschlossen war (§ 281 Abs. 1 Z. 9 lit. b StPO.).

Dieses Verfolgungshindernis führt, ohne daß es noch eines Eingehens auf die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten selbst bedürfte, zu einer Aufhebung und Ausschaltung des bekämpften Schuldspruchs, wobei eine urteilsmäßige Absprache über die unerledigt gebliebene Anklage wegen des (strenger strafbedrohten) Delikts nach dem § 94 Abs. 1 StGB., dessen Vorliegen allerdings inhaltlich der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verneint wurde, mangels Anfechtung durch die Staatsanwaltschaft nicht mehr in Betracht kommt. Insoweit liegt der Sache nach ein rechtskräftiger Freispruch vor.

Bei der durch die Maßnahme nach dem § 290 Abs. 1

StPO. notwendig gewordenen Neubemessung der Strafe wertete der Oberste Gerichtshof keinen Umstand als erschwerend, das reumütige Geständnis und den bisher ordentlichen Lebenswandel des Angeklagten sowie die Zustandebringung des Diebsgutes hingegen als mildernd. In Abwägung dieser Strafzumessungsgründe entspricht eine Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Wochen, somit in jenem Ausmaß, welches das Erstgericht auch über die jugendlichen Mitangeklagten wegen der Diebstahlstat verhängt hatte, dem Handlungs- und Erfolgsunwert des zu verantwortenden Delikts sowie der Täterpersönlichkeit.

Bei der - in Übereinstimmung mit dem Jugendschöffengericht - gemäß dem § 43 Abs. 1 StGB. gewährten bedingten Strafnachsicht wurde mit Rücksicht auf die Dauer des Rechtsmittelverfahrens die Probezeit nicht mit drei, sondern nur noch mit zwei Jahren festgesetzt. Die übrigen Entscheidungen beruhen auf den bezogenen Gesetzesstellen.

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Anmerkung

E02931

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1980:0110OS00160.8.1126.000

Dokumentnummer

JJT_19801126_OGH0002_0110OS00160_8000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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