TE OGH 1981/1/21 3Ob149/80

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Veröffentlicht am 21.01.1981
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Norm

EO §251 Z13

Kopf

SZ 54/9

Spruch

Ein Invalidenfahrzeug ist der Exekution entzogen, wenn es bei hochgradiger Gehbehinderung des Verpflichteten als unentbehrliches Hilfsmittel zum Ausgleich der Behinderung dient oder wenn es für den Verpflichteten zur Bewältigung des Weges zur Arbeitsstätte unentbehrlich ist

OGH 21. Jänner 1981, 3 Ob 149/80 (KG Wiener Neustadt R 221/80; BG Wiener Neustadt E 2535/80)

Text

Im Zuge der von der betreibenden Partei gegen den Verpflichteten geführten Fahrnisexekution wurde ein PKW Marke Saab gepfändet.

Der Verpflichtete beantragte die Einstellung der Exekution hinsichtlich dieses Pfandgegenstandes und brachte hiezu vor, bei dem gegenständlichen Fahrzeug handle es sich um ein Invalidenfahrzeug, das eigens für seine persönlichen Bedürfnisse umgestaltet worden sei. Da ihm ein Bein abgenommen worden sei, sei er auf dieses notwendige Hilfsmittel angewiesen, um sich fortbewegen zu können; ohne dieses Fahrzeug sei ihm eine Fortbewegung nur auf Krücken möglich, so daß er also weitere Strecken nur mit dem gegenständlichen Fahrzeug zurücklegen könne.

Der hiezu einvernommene betreibende Gläubiger sprach sich in seiner Äußerung gegen die beantragte Einstellung der Exekution aus.

Das Erstgericht stellte das Exekutionsverfahren in Ansehung des gepfändeten Personenkraftwagen gemäß § 251 Z. 13 und § 39 Abs. 1 Z. 2 EO ein. Es führte u. a. aus, es sei gerichtsbekannt, daß der Verpflichtete unselbständig erwerbstätig sei, er benötigte das gepfändete Fahrzeug jedoch nicht für die Fahrt zum Arbeitsplatz. Im übrigen vertrat das Erstgericht die Ansicht, der gepfändete PKW sei als Invalidenfahrzeug für den Verpflichteten ein Hilfsmittel im Sinne des § 251 Z. 13 EO. Ob dieser PKW für private oder berufliche Zwecke benutzt werde, sei unbeachtlich.

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluß dahin ab, daß der Einstellungsantrag des Verpflichteten abgewiesen wurde. Es vertrat hiezu im wesentlichen die Ansicht, der gegenständliche PKW sei für den Verpflichteten kein notwendiges Hilfsmittel im Sinne des § 251 Z. 13 EO. Bei dieser Beurteilung müsse davon ausgegangen werden, daß der Verpflichtete das Fahrzeug zur Fahrt zu seiner Arbeitsstätte nicht gebrauche; es sei im übrigen nicht einzusehen, warum der Verpflichtete, dem ein Bein amputiert worden sei und der sich mit Krücken fortbewegen könne, ansonsten unbedingt einen PKW benötige, um größere Strecken zurücklegen zu können. Insbesondere habe der Verpflichtete gar nicht behauptet, daß er etwa ein öffentliches Verkehrsmittel nicht benützen könne.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Verpflichteten Folge, hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und verwies die Sache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Verpflichtete bekämpft die Rechtsansicht des Rekursgerichtes, daß das gepfändete Kraftfahrzeug nicht ein Gegenstand im Sinne des § 251 Z. 13 EO sei, ferner bekämpft er die Feststellung des Erstgerichtes, daß er den gepfändeten PKW nicht zur Fahrt zur Arbeitsstätte benötige und verwende.

Was zunächst die Frage angelangt, ob ein Kraftfahrzeug oder ein Invalidenkraftfahrzeug als Gegenstand im Sinne des § 251 Z. 13 EO angesehen werden könne, ist zu bemerken, daß sich diese Pfändungsschutzbestimmung grundsätzlich auf alle Sachen beziehen kann, die notwendig sind, um ein körperliches Gebrechen möglichst wettzumachen. Es muß sich hiebei also nicht unbedingt um Sachen handeln, die aus rein medizinischer Sicht als Behelf für einen Körperbehinderten geschaffen und verwendet werden. Die sprunghafte Fortentwicklung der Technik hat es mit sich gebracht, daß über die konventionellen, rein medizinischen Hilfsmittel hinaus viele Gegenstände dem Dienst des Körperbehinderten nutzbar geworden sind, an die der Gesetzgeber im Jahr 1914 bei der Schaffung der Pfändungsschutzbestimmung des § 251 Z. 13 EO (1. GEN) nicht gedacht hat bzw. noch gar nicht denken konnte (vgl. Schmidt - Futterer, DAutoR, 61, 219). Bei schwerster Gehbehinderung eines Körperbeschädigten kann daher die Verwendung eines Kraftfahrzeuges als Hilfsmittel im Sinne des § 251 Z. 13 EO grundsätzlich sehr wohl in Betracht kommen (in diesem Sinn auch Lehre und Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland zum gleichlautenden § 811 Nr. 12 dZPO: Stein - Jonas[19] III, § 811 IV Z. 12; Wieczorek[2], § 811 dZPO, 560; Baumbach - Lauterbach, dZPO[38], § 811, 1122; alle mit Hinweisen auf die Judikatur). Ein solcher Extremfall wird insbesondere dann anzunehmen sein, wenn die Sozialversicherung oder sonstige öffentlich-rechtliche Institutionen der Fürsorge einen solchen Behelf finanzieren oder hiezu wesentliche Beiträge leisten, zumal es auch vom Ergebnis her ungereimt wäre, derart finanzierte Behelfe zugunsten einzelner Gläubiger zu verwerten.

Nach dem Vorbringen des Verpflichteten, wonach er sich mit Krücken - offenbar ohne besondere Schwierigkeiten - fortbewegen könne, sowie nach den bisherigen Verfahrensergebnissen ist jedoch nicht anzunehmen, daß hier ein derartiger Fall hochgradiger Gehbehinderung vorliegt. Das gepfändete Fahrzeug des Verpflichteten ist daher nach der derzeitigen Aktenlage nicht zufolge § 251 Z. 13 EO unpfändbar.

Bei der Beurteilung der Frage, ob für einen Gehbehinderten ein Kraftfahrzeug als unpfändbar anzusehen ist, ist allerdings auch - entgegen der Ansicht des Erstgerichtes - beachtlich, ob das gepfändete Kraftfahrzeug für berufliche Zwecke des Verpflichteten oder nur privat genutzt wird. Auch bei unselbständig Erwerbstätigen sind nach § 251 Z. 6 EO die zur Ausübung der Erwerbstätigkeit unentbehrlichen Gegenstände unpfändbar. Es kommt daher für Hand- und Fabriksarbeiter sowie für andere Personen, die aus Handleistungen ihren Erwerb ziehen bzw. überhaupt unselbständig erwerbstätig sind, die Ausscheidung eines Fahrzeuges aus der Exekution als unpfändbar in Frage, wenn das Fahrzeug zur Bewältigung des Weges zur Arbeitsstätte unentbehrlich ist (Heller - Berger - Stix, 1665). Diese Voraussetzung kann im Einzelfall bei Benützung eines Invalidenfahrzeuges durch einen Gehbehinderten auch dann gegeben sein, wenn sie für nicht behinderte Berufstätige verneint werden müßte.

Auf die Pfändungsschutzbestimmung des § 251 Z. 6 EO hat sich zwar der Verpflichtete nicht ausdrücklich berufen; ausgehend von vorstehenden Erwägungen liegt es aber durchaus nahe, den Einstellungsantrag des Verpflichteten auch in dieser Hinsicht zu prüfen, zumal die Berufstätigkeit des Verpflichteten bekannt war und alle Unpfändbarkeitsbestimmungen gemäß § 39 Abs. 2 EO auch von Amts wegen wahrzunehmen sind. Wieso das Erstgericht zu der Feststellung gelangt, daß der Verpflichtete das gepfändete Kraftfahrzeug nicht für die Fahrt zu seinem Arbeitsplatz braucht, ist nicht näher begrundet worden. Der Verpflichtete macht diesbezüglich mit Recht eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz geltend, welche Rüge der Verpflichtete im Revisionsrekurs erheben konnte, weil er in erster Instanz gänzlich mit seinem Einstellungsantrag durchgedrungen ist, somit keinen Grund zur Anfechtung der Entscheidung des Erstgerichtes hatte.

Das Erstgericht wird daher im Sinne der vorstehenden Rechtsausführungen zu klären und zu entscheiden haben, ob nicht der gepfändete PKW nach § 251 Z. 6 EO unpfändbar ist. Da dem Einstellungsverfahren ein Antrag des Verpflichteten zugrunde liegt, wird über diesen gemäß § 45 Abs. 3 EO auch mündlich zu verhandeln sein.

Anmerkung

Z54009

Schlagworte

Invalidenfahrzeug, Voraussetzungen des Pfändungsschutzes, Pfändungsschutz, Voraussetzungen des - bei Invalidenfahrzeug

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1981:0030OB00149.8.0121.000

Dokumentnummer

JJT_19810121_OGH0002_0030OB00149_8000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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