TE OGH 1983/5/5 7Ob588/83

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Veröffentlicht am 05.05.1983
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Norm

ABGB §1330 Abs2

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SZ 56/74

Spruch

Gegen einen gerichtlich bestellten Sachverständigen kann wegen seines Gutachtens ein Anspruch auf Unterlassung und Widerruf der Verbreitung kreditschädigender Behauptungen nicht erhoben werden

OGH 5. 5. 1983, 7 Ob 588/83 (OLG Wien 11 R 217/82; LGZ Wien 40 b Cg 929/81)

Text

Die Klägerin hat sich zwecks Planung und Betriebsorganisation des A-Krankenhauses in Wien mit anderen Unternehmen zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen. Im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit wurden Strafverfahren gegen mehrere ihrer leitenden Mitarbeiter eingeleitet. Im Zuge der Voruntersuchung wurde der Beklagte zum Gutachter bestellt.

Mit der Behauptung, bestimmte, in der Klage näher bezeichnete Teile des vom Beklagten erstatteten Gutachtens seien unrichtig, durch diese Unrichtigkeit erleide die Klägerin eine Kreditschädigung, begehrt letztere, den Beklagten schuldig zu erkennen, diese Teile des Gutachtens zu widerrufen und den Widerruf auf seine Kosten in verschiedenen Tageszeitungen zu veröffentlichen.

Die Untergerichte haben das Klagebegehren im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, nach § 1330 Abs. 2 letzter Satz ABGB könne der Widerruf und die Veröffentlichung dann nicht verlangt werden, wenn unrichtige Tatsachen nicht vorsätzlich verbreitet worden seien und ein berechtigtes Interesse des Empfängers an der Mitteilung bestehe. Dies sei hier im Hinblick auf das Strafverfahren gegeben. Von einem Verbreiten in einer nicht öffentlichen Voruntersuchung könne keine Rede sein. Daß an dem Bekanntwerden von Teilen des Gutachtens in der Öffentlichkeit den Beklagten ein Verschulden treffe und daß dieser damit rechnen hätte müssen, könne nicht gesagt werden. Eine vorsätzliche unrichtige Begutachtung behaupte die Klägerin gar nicht.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Untergerichte haben ihre Argumentation im wesentlichen auf deutsche Lehrmeinungen gestützt. Die Revision vertritt hier den Standpunkt, es sei zu Unrecht auf die Ausführungen zu § 823 BGB Bedacht genommen worden. Maßgeblich sei vielmehr § 824 BGB. Die Klägerin übersieht jedoch, daß § 824 BGB gar nicht im einzelnen die Sanktionen, die als Folge einer Verletzung dieser Bestimmung vorgesehen sind, anführt. Die Frage, unter welchen Umständen eine vorbeugende Unterlassungsklage und die ihr in der deutschen Lehre gleichgestellte Klage auf Widerruf angebracht werden kann, wird unter Heranziehung der allgemeinen Bestimmung des § 823 BGB gelöst. Ebenso wie die österreichische Lehre und Rechtsprechung vertritt auch die deutsche Lehre den Standpunkt, daß Gegenstand der Unterlassungs- und Widerrufsklage nur Tatsachen und nicht schädigende Wertungen und Urteile sein können (für den österreichischen Rechtsbereich Koziol, österreichisches Haftpflichtrecht II 144; SZ 43/140 ua.). Demnach kann das Gutachten als solches nicht Gegenstand einer Klage nach § 1330 Abs. 2 ABGB sein. In Frage käme höchstens der Befund.

Nach übereinstimmender deutscher Lehre steht ein Unterlassungsanspruch und demnach auch ein Widerrufsanspruch nicht wegen Einreichung oder Verfolgung einer Strafanzeige, Einreichung von Beschwerden oder sonstigen Eingaben wegen angeblicher Mißstände bei den für ihre Beseitigung zuständigen Stellen sowie wegen der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienender Vorbringen einer Partei oder eines Rechtsanwaltes im Zivilprozeß zu. Dieser Ausschluß beruht auf der Erwägung, daß im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs keinem Prozeßbeteiligten eine Äußerung verboten werden kann, sowie auf dem Interesse an einem sachgerechten Funktionieren der Rechtspflege. Dies gilt insbesondere auch für die Aussagen von Zeugen und Parteien (Palandt, BGB[42] Anm. 8 bb Einf.

v. § 823, Staudinger, Komm. zum BGB[10/11] II/5, 3141, BGB-RGRK[11] II/2 Anm. 15 zu § 824). Die in der deutschen Lehre gemachten Ausnahmen werden hier nicht einmal behauptet.

Was den Sachverständigenbeweis anlangt, müssen die eben angestellten Erwägungen, denen auch der OGH beitritt, in besonderem Maße gelten. Der Sachverständige ist eine Hilfsperson des Richters. An seiner Tätigkeit besteht ein erhebliches öffentliches Interesse. Deren Behinderung müßte die Rechtsprechung entscheidend beeinträchtigen. Daraus ergibt sich aber, daß wegen des vom Sachverständigen erstatteten Gutachtens im allgemeinen ein Unterlassungs- oder Widerrufsanspruch nicht geltend gemacht werden kann. Im Prozeß, in dem das Gutachten erstattet worden ist, obliegt die Beurteilung der Richtigkeit der dort aufgenommenen Beweismittel, sohin auch des Sachverständigenbeweises, ausschließlich dem Gericht, das den Prozeß führt. Jede andere Auslegung würde zu dem Ergebnis führen, daß eine sachgerechte Durchführung eines Prozesses nicht mehr möglich ist, weil es eine Partei, die mit dem Ergebnis eines Sachverständigengutachtens nicht einverstanden wäre, in der Hand hätte, durch eine Unterlassungs- oder Widerrufsklage dem zuständigen Richter die Benützung dieses Beweismittels unmöglich zu machen. Es darf nicht übersehen werden, daß die Rechtswidrigkeit nicht etwas an sich starr gegebenes ist. Das Rechtswidrigkeitsurteil kann vielmehr nur auf Grund einer Interessenabwägung gefunden werden, weil die Berücksichtigung fremder Güter die Rechtswidrigkeit nur indizieren kann (vgl. Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht[2] I 94, 101). Das Interesse an einer ordungsgemäßen Rechtspflege gebietet daher die Ausnehmung der Tätigkeit eines Sachverständigen von jenen Bestimmungen (hier § 1330 Abs. 2 ABGB), die allenfalls einen Unterlassungs- oder Widerrufsanspruch begrunden könnten.

Anmerkung

Z56074

Schlagworte

Gutachten, keine Unterlassung und kein Widerruf kreditschädigender, Behauptung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen, Kreditschädigung, kein Anspruch wegen - bei gerichtlich bestelltem, Sachverständigen, Sachverständiger, gerichtlich bestellter, keine Unterlassung und kein, Widerruf kreditschädigender Behauptungen in Gutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1983:0070OB00588.83.0505.000

Dokumentnummer

JJT_19830505_OGH0002_0070OB00588_8300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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