TE OGH 1983/9/1 6Ob798/82

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Veröffentlicht am 01.09.1983
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Norm

ABGB §1295
ABGB §1323

Kopf

SZ 56/126

Spruch

Wenn bei Behebung von Schäden regelmäßig wiederkehrende Instandsetzungsarbeiten (hier: Erneuerung des Anstrichs einer Hausfassade) vorzeitig durchgeführt werden müssen, hat der zum Schadenersatz Verpflichtete dem Geschädigten die aufzuwendenden Zinsen für fremdes Kapital oder den Zinsenverlust für verwendetes eigenes Kapital, der Höhe nach begrenzt durch die tatsächlichen Kosten der Instandsetzung, zu ersetzen

Der Geschädigte ist nicht gezwungen, eigenes Kapital zur Schadensbehebung einzusetzen und sich mit dem (geringeren) Ersatz der entgangenen Zinsen für eigenes Kapital zu begnügen

OGH 1. 9. 1983, 6 Ob 798/82 (OLG Wien 15 R 98/82; LGZ Wien 34 Cg 157/79)

Text

Die Erstklägerin ist zu drei Viertel und die Zweitklägerin zu ein Viertel Eigentümerin des Hauses Wien 5, K-Gasse 51. Die Beklagte ist Eigentümerin des benachbarten Hauses K-Gasse 49.

Die Klägerinnen begehrten zuletzt die Bezahlung von 241 900 S für die Sanierung der Fassade und von 360 000 S für die Wertminderung des Hauses K-Gasse 51. Darüber hinaus begehrten sie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für alle Schäden am vorgenannten Haus, soweit diese durch den Neubau des Hauses K-Gasse 49 erfolgt seien, und zwar den Eigentumsverhältnissen entsprechend zu drei Viertel gegenüber der Erstklägerin und zu ein Viertel gegenüber der Zweitklägerin. Sie begrundeten den Anspruch damit, daß das Haus K-Gasse 49 abgerissen, dessen Grundfläche zunächst stockwerktief ausgehoben und sodann wieder zugeschüttet worden sei. Hiedurch seien am Haus K-Gasse 51 Setzungserscheinungen aufgetreten, die sich in Sprüngen in Decken und Wänden, nicht mehr schließbaren Fenstern und Türen sowie sichtbaren Rissen im Bauwerk manifestiert hätten.

Die Beklagte beantragte, daß Klagebegehren abzuweisen, und wendete ein, es lägen keine Immissionen vor. Allfällige Sprünge im Haus K-Gasse 51 seien nicht auf die Errichtung des Hauses K-Gasse 49 zurückzuführen. Es lägen überdies weder Setzungsschäden noch eine Wertminderung vor. Die Beklagte habe sämtliche Schäden bereits behoben, das Feststellungsbegehren sei darüber hinaus unzulässig.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte folgenden Sachverhalt fest: Der Abbruch des Hauses K-Gasse 49 wurde im Jahre 1974 durch die Beklagte als Bauherrin und Gründeigentümerin der Liegenschaft durchgeführt. Es handelte sich hiebei um einen gewöhnlichen Abbruchauftrag, durch welchen die Grundauflast des Hauses K-Gasse 49 entlastet wurde. Der Neubau des Hauses erfolgte ab Februar 1976, die Übergabe am 21. 9. 1977. Eine Unterfangung des Hauses K-Gasse 51 wurde nicht vorgenommen. Durch die Abtragung der Auflast im Bereich des Hauses 49 im Jahre 1974, gefördert durch den späteren Bauaushub, entstand bis 1976 ein Grundbruch im Bereich der Feuermauer des Hauses 51. Als das Haus K-Gasse 49 im September 1977 fertiggestellt war, besserte sich dieser Zustand. Ab diesem Zeitpunkt ist eine weitere Erhöhung im Bereich des Hauses 49 nicht mehr denkbar. Der Grundbruch an der Feuermauer des Hauses 51 kommt zwar langsam zum Stillstand, es ist hiebei jedoch mit einer Abklingzeit von 15 Jahren ab 1981 zu rechnen. Erst dann werden weitere Setzungsbewegungen des Hauses 51 auszuschließen sein. Die Errichtung des Neubaues in der K-Gasse 49 ist kausal für die Setzungsschäden am Nachbarhaus 51, die als Sprünge in Decken und Wänden in Form nicht schließbarer Türen und Fenster sowie sichtbarer Risse im Mauerwerk auftreten. Die Sanierung von Rissen in der Fassade macht ein nachträgliches Streichen notwendig, welches dadurch erschwert wird, daß die Fassade reichhaltig gegliedert ist. Wird die gesamte Fassade gestrichen, um Farbengleichheit zu erzielen, ist ein Aufwand von 241 900 S erforderlich. Würde man die Fassade nur an den beschädigten Stellen streichen, ergebe sich nur ein Aufwand von 44 810.50 S, doch würden sich Farbunterschiede ergeben, die sich unter Tageslicht verkleinern. Aus den Bauschäden mit Langzeitwirkung ergibt sich eine Wertminderung des gegenständlichen Objektes. Sie wird als Mittelwert aus Grundwert, Bauwert und Ertragswert errechnet. Der Verkehrswert des Hauses K-Gasse 51 beträgt 3 600 000 S die Wertminderung 360 000 S.

Rechtlich vertrat das Erstgericht die Auffassung, den Klägerinnen stehe ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch zu. Im Hinblick auf die Verjährungsfrist von drei Jahren sei auch das Feststellungsbegehren gerechtfertigt. Für die Fassadensanierung sei ein Aufwand von 241 900 S gerechtfertigt, da die Klägerinnen eine Farbdifferenz nicht in Kauf nehmen müßten und Anspruch auf Herstellung einer gleichwertigen und gleichartigen Ersatzlage hätten. Eine Wertminderung sei unabhängig von der Beseitigung der sichtbaren Schäden gegeben, da das Vorliegen eines Bauschadens in der Regel zu einem Preisnachlaß führe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, hob das erstgerichtliche Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es führte rechtlich aus, der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nach § 364b ABGB sei ebenso verschuldensunabhängig wie jener nach § 364a ABGB. Eine baubehördliche Genehmigung stelle keine Genehmigung iS des § 364a ABGB dar und schließe auch die Rechtswidrigkeit der Schädigung des Nachbarn nicht aus. Der Eigentümer habe das Verhalten des von ihm mit der Bauführung beauftragten Baumeisters unabhängig davon zu vertreten, ob diesem ein Verschulden zur Last falle, und sei zur vollen Schadloshaltung verpflichtet. Bei der Wiederherstellung der Fassade werde für die Frage, ob sich die Klägerinnen mit bloßen Ausbesserungen abfinden müßten, letztlich die Verkehrsauffassung entscheiden. Zur Frage "neu für alt" sei in erster Instanz kein Vorbringen erstattet worden. Werde jedoch durch eine notwendige Reparatur nicht nur der vor der Schädigung bestandene Zustand wiederhergestellt, sondern gleichzeitig, weil dieselbe Reparatur auch ohne das schadensstiftende Ereignis später hätte vorgenommen werden müssen, über die Naturalherstellung hinaus eine Verbesserung des Hauses herbeigeführt, bestehe der Schaden nicht in der vollen Höhe der Reparaturkosten, sondern nur in der Differenz zwischen dem auch ohne das Schadensereignis verminderten Verkehrswert und dem durch das schädigende Ereignis noch weiter verminderten Verkehrswert.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Klägerinnen nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Klägerinnen bekämpfen die Ansicht des Berufungsgerichtes, hinsichtlich der Reparatur der Fassade sei zu berücksichtigen, ob durch die notwendige Reparatur nicht nur der vor der Schädigung bestandene Zustand wiederhergestellt werde, sondern gleichzeitig, weil dieselbe Reparatur auch ohne das schadensstiftende Ereignis später hätte vorgenommen werden müssen, eine Verbesserung des Hauses herbeigeführt worden sei, weshalb in diesem Fall der Schaden nicht in der vollen Höhe der Reparaturkosten, sondern nur in der Differenz zwischen dem auch ohne das Schadensereignis verminderten Verkehrswert und dem durch das schädigende Ereignis noch weiter verminderten Verkehrswert bestehe. Die Klägerinnen meinen, das Problem "neu für alt" entstehe bei bloßen Reparaturarbeiten nicht. Eine Werterhöhung durch Reparaturen könnte nur unter der Voraussetzung berücksichtigt werden, daß der Geschädigte die Instandsetzung auch ohne Schadenszufügung über kurz oder lang durchgeführt haben würde, was hier nicht der Fall sei, da mit einer Erneuerung des Fassadenanstriches erst in etwa 15 Jahren zu rechnen gewesen sei. Durch die Reparaturen sei auch der Wert des Hauses nicht erhöht worden.

Dem Berufungsgericht ist zuzustimmen, daß grundsätzlich zur Berechnung eines in Geld zu ersetzenden Vermögensschadens der Geldwertunterschied zwischen der Vermögenslage festzustellen ist, in der sich der Beschädigte infolge der erlittenen Beschädigung befindet und jener Lage, in der er sich ohne das schädigende Ereignis befinden würde (SZ 25/132; SZ 48/89; SZ 50/26; SZ 50/50 ua.). Der Geschädigte darf als durch den Schadensfall nicht besser gestellt werden als ohne ihn, sodaß in gewissen Fällen eine Vorteilsausgleichung stattzufinden hat (SZ 50/50 mwN). Im vorliegenden Fall ist jedoch zu beachten, daß im Rahmen der Behebung jener Schäden an der Fassade, welche durch die Bauführung verursacht wurden - falls eine bloße Ausbesserung nach der Verkehrsauffassung wegen der auftretenden Farbdifferenzen den Klägerinnen nicht zugemutet werden kann - die gesamte Fassade bereits zu einem möglicherweise früheren Zeitpunkt instand gesetzt werden müßte, als dies ohne das Schadensereignis bei normaler Abnützung durch Witterungseinflüsse usw. der Fall gewesen wäre. Der Schaden, welchen die Klägerinnen in diesem Fall erleiden, besteht daher einerseits in den Kosten der Behebung der durch die Senkungserscheinungen aufgetretenen Schäden, anderseits aber darin, daß sie wegen der möglicherweise unzumutbaren Farbdifferenz gezwungen sind, darüber hinaus bereits jetzt Kapital für eine Instandsetzung der gesamten Fassade aufzuwenden, das sie sonst erst im Rahmen der regelmäßig wiederkehrenden Instandsetzungsarbeiten in einem späteren Zeitpunkt hätten aufwenden müssen. Ihr Schaden besteht daher auch in den aufzuwendenden Zinsen für fremdes Kapital oder dem Zinsenverlust für verwendetes eigenes Kapital, welches zur Durchführung der infolge des Schadensereignisses notwendig gewordenen Vorziehung der regelmäßigen Fassadenerneuerung erforderlich ist, der Höhe nach allerdings begrenzt durch die tatsächlich erforderlichen Reparaturkosten (vgl. dazu Koziol, Schadenersatz und Schadenersatzberechnung beim Problem "Neu für Alt", JBl. 1965, 337 ff., insbesondere 345). Der erkennende Senat vertritt allerdings im Gegensatz zu Koziol (aaO 344) die Auffassung, daß der Geschädigte nicht gezwungen werden kann, eigenes Kapital zur Schadensbehebung zur Verfügung zu stellen, und sich daher mit dem (geringeren) Ersatz der entgangenen Zinsen für eigenes Kapital begnügen muß. Eine derartige Verwendung eigenen Kapitals ist dem Geschädigten auch dann nicht zumutbar, wenn im Zeitpunkt der Schadensbehebung das vorhandene Geld noch nicht für einen bestimmten Zweck vorgesehen war. Denn es darf nicht übersehen werden, daß in diesem Zeitpunkt nicht vorhersehbar ist, ob und wann der Geschädigte, etwa in Zukunft, dringend das angesparte Kapital für eigene Bedürfnisse benötigen könnte. Gegen den Anspruch auf Verzinsung für aufgenommenes Kapital kann nicht eingewendet werden, daß die Fassade wegen der vorgezogenen Reparaturen nunmehr längere Zeit nicht instand gesetzt werden müsse, als dies ohne das Schadensereignis der Fall gewesen wäre. Denn die Verringerung der Lebensdauer des bestehenden Fassadenputzes durch das Schadensereignis ist endgültig und auch die nunmehr längere Lebensdauer des neuen Putzes deshalb ohne Bedeutung, weil das Haus in dem Zeitpunkt, zu welchem ohne das Schadensereignis eine Erneuerung notwendig gewesen wäre, keine neue Fassade, sondern wieder eine abgenützte besitzen wird (Koziol aaO 345). Der in der Entscheidung SZ 55/28 vertretenen Ansicht, der Schaden bestehe dann, wenn durch eine Reparatur nicht nur der vor der Schädigung vorhanden gewesene Zustand wiederhergestellt wird, sondern gleichzeitig, weil dieselbe Reparatur auch ohne das schadensstiftende Ereignis später hätte vorgenommen werden müssen, nicht in der vollen Höhe der Reparaturkosten, sondern in der Differenz zwischen dem auch ohne das Schadensereignis verminderten Verkehrswert und dem durch das schädigende Ereignis noch weiter verminderten Verkehrswert, kann daher in dieser allgemeinen Form in Fällen wie dem vorliegenden nicht beigepflichtet werden. Überdies ist der dort entschiedene Fall mit dem nunmehr zu entscheidenden insofern nicht völlig gleichgelagert, als dort Setzungen, deren Sanierung mißglückt war, bereits vor dem Schadensereignis aufgetreten waren, während es hier um die Frage von vorgezogenen regelmäßig wiederkehrenden Erhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten an einer Fassade geht. Überdies wurde in der Entscheidung SZ 55/28 die Lehrmeinung von Koziol sowohl im Haftpflichtrecht[2], I 13 und 192 als auch in den JBl. 1965, 344 zwar zitiert, ohne daß aber eine Auseinandersetzung mit den weiter oben wiedergegebenen Ausführungen Koziols erfolgt wäre.

Anmerkung

Z56126

Schlagworte

Instandsetzungsarbeiten, regelmäßig wiederkehrende, Zinsenersatz für, vorzeitig durchgeführte, Schadenersatz, Ersatz der Zinsen für vorzeitig durchgeführte, Instandsetzungsarbeiten, Schadenersatz, keine Verpflichtung zum Einsatz eigenen Kapitals

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1983:0060OB00798.82.0901.000

Dokumentnummer

JJT_19830901_OGH0002_0060OB00798_8200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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