TE OGH 1983/9/20 4Ob64/83

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Veröffentlicht am 20.09.1983
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Norm

AngG §23 Abs2

Kopf

SZ 56/130

Spruch

Eine juristische Person - hier: Genossenschaft - kann sich auf die Ausnahmebestimmung des § 23 Abs. 2 AngG nicht berufen

OGH 20. 9. 1983, 4 Ob 64/83 (LG Eisenstadt 13 Cg 3/83; ArbG Eisenstadt Cr 143/82)

Text

Die Klägerin begehrte vom Sachwalter der A-Baugenossenschaft den Betrag von 120 739.72 S sA als Abfertigung nach dem Angestelltengesetz und dem Kollektivvertrag für die Angestellten der Gemeinnützigen Wohnungswirtschaft Österreichs. Sie brachte vor, daß sie mit 30. 6. 1982 gekundigt und ihr bei der Einstellung zugesagt worden sei, daß zur Berechnung ihres Abfertigungsanspruches 16 Vordienstjahre angerechnet würden und bei ihrem Ausscheiden eine Abfertigung gemäß dieser Anrechnungszeit zur Auszahlung gelange, auch wenn nach dem Angestelltengesetz noch kein Abfertigungsanspruch entstanden sei.

Die beklagte Partei beantragte, das Klagebegehren abzuweisen, und wendete ein, der Klägerin sei niemals die Anrechnung von Vordienstzeiten zugesagt worden. Zu einer solchen Vereinbarung wäre die Zustimmung des Vorstandes und des Aufsichtsrates notwendig gewesen, die jedoch nicht eingeholt worden sei. Auch habe die Klägerin bei ihrem Ausscheiden aus der B-Bank die volle Abfertigung für die dort erbrachten Dienstzeiten erhalten. Die A-Baugenossenschaft sei zur Gänze aufgelöst worden; ihre wirtschaftliche Lage habe sich derart verschlechtert, daß ihr die Erfüllung dieser Verpflichtung billigerweise nicht zugemutet werden könne.

Das Erstgericht sprach der Klägerin 114 584.05 S zu und wies das Mehrbegehren von 6 155.67 S ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die Klägerin war vom 1. 12. 1969 bis 10. 9. 1981 bei der B-Bank beschäftigt. Zuvor hatte sie zirka vier Jahre bei der Firma T gearbeitet. Der Klägerin wurde von der B-Bank die ihr zustehende Abfertigung ausgezahlt. Mit 1. 10. 1981 begrundete die Klägerin mit der A-Baugenossenschaft ein Dienstverhältnis. Auf Grund einer schriftlichen Zusage dieser Genossenschaft vom 1. 10. 1981, unterzeichnet vom damaligen Obmann und seinem Stellvertreter T, wurde die Klägerin in die Gehaltsstufe V/7 der Gehaltstafel C eingereiht. Sie verdiente bei der A-Baugenossenschaft zunächst 16 040 S brutto monatlich und seit 1. 4. 1982 17 140 S brutto monatlich. Diese Ergänzung zum Dienstzettel vom 1. 10. 1981 enthält die Zusage, daß der Klägerin für die Bemessung des Urlaubs- und des Abfertigungsanspruchs 16 Vordienstjahre angerechnet werden und daß ein Anspruch auf Abfertigung bei Beendigung des Dienstverhältnisses auch schon vor Ablauf einer dreijährigen Dienstzeit entsteht. Der Obmann und sein Stellvertreter waren im Oktober 1981 für die Genossenschaft zeichnungsberechtigt. Gemäß § 25 lit. e ihrer Satzung ist ein gemeinsamer Beschluß des Vorstandes und des Aufsichtsrates bei Abschluß von Anstellungsverträgen mit einer Besoldung über 4000 S monatlich erforderlich. Ein förmlicher Beschluß des Vorstandes und des Aufsichtsrates in gemeinsamer Sitzung über die Anstellung der Klägerin wurde nicht gefaßt. Mit Schreiben vom 4. 5. 1982 wurde die Klägerin vom damaligen Vorstand der A-Baugenossenschaft zum 30. 6. 1982 unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist gekundigt. Eine Abfertigung wurde ihr von der Genossenschaft nicht ausbezahlt. Nicht festgestellt werden konnte, ob die schriftliche Zusage der A-Baugenossenschaft vom 1. 10. 1981 vom Obmann und dessen Stellvertreter blanko oder in Kenntnis des Inhaltes unterzeichnet wurde.

Rechtlich vertrat das Erstgericht die Auffassung, die Zusage über die Anrechnung der Vordienstzeiten sei rechtsgültig zustande gekommen. Die Anwendung des § 23 Abs. 2 AngG beschränke sich auf physische Personen. Der Klägerin stehe daher eine Abfertigung in der Höhe des Siebenfachen des für den letzten Monat des Dienstverhältnisses gebührenden Entgelts zu, was unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen, der Wohnungsbeihilfe und unter Abzug der Lohnsteuer den Betrag von 114 584.05 S ergebe. Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Parteien Folge, hob das angefochtene Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es verhandelte die Streitsache gemäß § 25 Abs. 1 Z 3 ArbGG von neuem und übernahm "die entscheidungswesentlichen Feststellungen" des Erstgerichtes. Rechtlich vertrat auch das Berufungsgericht die Auffassung, die Zusage über die Anrechnung von 16 Vordienstjahren für die Abfertigung sei rechtsverbindlich zustande gekommen. Die Sache sei jedoch noch nicht spruchreif. Der Beklagte verweise nämlich mit Recht auf die Bestimmung des § 23 Abs. 2 AngG und auf die Tatsache, daß die ehemalige Dienstgeberin der Klägerin dem Liquidationsausgleich unterworfen sei. In der jüngeren Rechtsprechung des OGH sei die Anwendbarkeit des § 23 Abs. 2 AngG auf die Fälle des Liquidationsausgleiches gesichert. Für die Anwendung dieser Bestimmung sei aber weitere Voraussetzung, daß sich die persönliche Wirtschaftslage des Dienstgebers derart verschlechtert habe, daß ihm die Erfüllung der Verpflichtung zur Zahlung der Abfertigung zum Teil oder zur Gänze billigerweise nicht zugemutet werden könne. Die Prüfung dieser Frage verlange eine Interessenabwägung, in die nicht nur die persönliche Wirtschaftslage des Dienstgebers, sondern auch jene des Dienstnehmers einbezogen werden müsse. Da das Erstgericht die zu einer Beurteilung in diesem Sinne erforderlichen Feststellungen nicht getroffen habe, sei die Rechtssache noch nicht spruchreif.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Klägerin Folge, hob den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung über die Berufungen der Parteien an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Es ist zwar richtig, daß die Rechtsprechung im Fall eines Liquidationsausgleiches die Anwendung des § 23 Abs. 2 AngG bejaht hat (SZ 40/51; Arb. 9461). In beiden Fällen handelte es sich jedoch beim Dienstgeber um ein Einzelunternehmen; die Entscheidungen wurden damit begrundet, daß beim Liquidationsausgleich der Schuldner die Möglichkeit habe, sich eine neue Existenz aufzubauen, weil er nach Erfüllung des Ausgleichs von den über die erfüllte Quote hinausgehenden Schulden befreit werde. Dem Schuldner könnte die Möglichkeit, sich eine neue Existenz aufzubauen, gerade durch die Verpflichtung zur Zahlung hoher Abfertigungsansprüche genommen werden. Diese Erwägungen treffen jedoch für juristische Personen, zu denen gemäß §§ 8 und 12 GenG auch Genossenschaften gehören (Aicher in Rummel, ABGB RN 3 zu § 26), nicht zu. Auch eine Genossenschaft wird gemäß § 36 Z 3 GenG durch die Konkurseröffnung aufgelöst; darüber hinaus stellt § 23 Abs. 2 AngG auf die persönliche Wirtschaftslage des Arbeitgebers ab. Die Lehre hat daher stets den Standpunkt vertreten, daß sich juristische Personen nicht auf die Ausnahmebestimmung des § 23 Abs. 2 AngG berufen können (Miksch, Abfertigung für Arbeiter und Angestellte, 168 RN 325; Schwarz - Löschnig, Arbeitsrecht 218; Schwarz - Holzer - Holler, Das Arbeitsverhältnis bei Konkurs und Ausgleich 341; Martinek - Schwarz, Abfertigung und Auflösung des Arbeitsverhältnisses 339; Martinek - Schwarz AngG[5], 378; Tutschka, Handbuch des Österr. Arbeitsrechtes 490 FN 29). Der OGH schließt sich dieser einheitlichen Lehre, die bisher auch schon von Entscheidungen zweiter Instanz geteilt wurde, an. § 23 Abs. 2 AngG steht daher den Klageansprüchen nicht entgegen.

Damit erweist sich jedoch der vom Berufungsgericht herangezogene Aufhebungsgrund als nicht gerechtfertigt.

Anmerkung

Z56130

Schlagworte

Liquidationsausgleich, Anwendung des § 23 Abs. 2 AngG bei jur. Personen, Person, juristische, keine Anwendung des § 23 Abs. 2 AngG

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1983:0040OB00064.83.0920.000

Dokumentnummer

JJT_19830920_OGH0002_0040OB00064_8300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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