TE OGH 1983/10/4 10Os107/83

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.10.1983
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Oktober 1983 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Friedrich, Dr. Lachner und Hon.

Prof. Dr. Brustbauer als weitere Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Maresch als Schriftführerin in der Strafsache gegen David(e) Raimondo A wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 18. März 1983, GZ 20 d Vr 13.187/81-119, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Albrecht sowie des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Presslauer, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird dahin Folge gegeben, daß die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe auf 18 (achtzehn) Jahre herabgesetzt wird. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 25. Juli 1952 geborene David (auch: Davide) Raimondo A, ein freischaffender Künstler italienischer Staatsangehörigkeit, der bereits seit dem Jahre 1960 in Österreich lebt, des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und des Vergehens nach § 36 Abs 1 lit b WaffenG schuldig erkannt, weil er in Wien I. am 2. Dezember 1981 Christiane B dadurch, daß er mit einem Springmesser sowie einem Küchenmesser auf sie einstach, sie am Hals erfaßte und ihr schließlich mit einem spitzen Hammer wiederholt heftige Schläge gegen den Schädel versetzte, vorsätzlich getötet und II. bis zum 2. Dezember 1981 eine verbotene Waffe, nämlich ein Springmesser, unbefugt besessen hatte. Diesem Schuldspruch liegt der Wahrspruch der Geschwornen zugrunde.

Diese hatten die in Richtung des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB gestellte 1./ Hauptfrage im Stimmenverhältnis 6 : 2 bejaht sowie die Zusatzfrage 1./ nach dem Schuldausschließungsgrund der Zurechnungsunfähigkeit gemäß § 11 StGB im Stimmenverhältnis 7 : 1 verneint. Weitere Zusatzfragen nach gerechtfertigter Notwehr (5./), nach Notwehrüberschreitung (6./) und nach Putativnotwehr (7./) sowie nach Putativnotwehrüberschreitung (8./) wurden jweils stimmeneinhellig negiert, die Hauptfrage 2./ in Richtung des Vergehens nach dem Waffengesetz einstimmig bejaht.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Angeklagten - ersichtlich nur gegen den Schuldspruch wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB -

aus der Z 5 des § 345 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Einzuräumen ist dem Beschwerdeführer, daß der Schwurgerichtshof durch die Nichterledigung des in der Hauptverhandlung (S 443/II) mit Bezug auf den Schriftsatz ON 81 gestellten Antrages auf Vernehmung der Zeugin Barbara C gegen die Bestimmung des § 238 StPO verstoßen hat. Es ist jedoch unzweifelhaft erkennbar, daß diese Formverletzung auf die Entscheidung keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluß üben konnte (§ 345 Abs 3 StPO). Eine Prüfung des in Rede stehenden Beweisantrages (S 271/II) - in dem das Beweisthema nicht ausdrücklich angeführt wurde - ergibt nämlich, daß der Angeklagte die Vernehmung der genannten Zeugen lediglich zum Nachweis dafür begehrte, daß er (kurze Zeit vor der Tat) mit diesem (als 'unkompliziert' empfundenen) Mädchen, das er unmittelbar vorher kennengelernt hatte, zwei unbeschwerte Tage verbrachte, woraus er ableiten wollte, daß er zur Tatzeit wenig Lust gehabt habe, mit Christiane B ein anstrengendes Gespräch zu führen. Diesem Umstand kommt jedoch keinerlei Bedeutung zu.

Insofern der Angeklagte aber nunmehr in der Verfahrensrüge ausführt, Barbara C hätte im Falle ihrer Einvernahme 'über die depressive Verfassung bzw bezüglich des Nichtvorhandenseins eines Motivs für die dem Angeklagten angelastete Tat wichtige Aufschlüsse geben können' (S 57/III), weitet er das Beweisthema im Beschwerdeverfahren in unzulässiger Weise aus. Denn es ist bei der Beurteilung der Relevanz eines Antrages ebenso wie bei der überprüfung der Berechtigung einer Antragsabweisung von dem in der Hauptverhandlung angegebenen Beweisthema auszugehen; allein darüber hätte ja der Schwurgerichtshof absprechen können (siehe dazu SSt 41/ 71 uva).

über die Nichtbeiziehung eines weiteren Facharztes für Psychiatrie kann sich der Angeklagte schon deshalb nicht beschweren, weil in dem vorerwähnten schriftlichen, in der Hauptverhandlung wiederholten Beweisantrag - seiner Verfahrensrüge zuwider - ein solches Begehren überhaupt nicht gestellt worden ist. Zwar wird darin (ab S 4/5 dieses Antrages = S 264/265/II) wiederholt 'unter Beweis gestellt', welche Befunde ein Facharzt für Psychiatrie seinerzeit erheben und welche gutächtlichen Schlußfolgerungen er daraus hätte ziehen können, wenn der Angeklagte nach seiner Festnahme am 3. Dezember 1981 psychiatriert worden wäre, sowie außerdem (S 6/7 des Antrags = S 266/267/II) zum Beweis der Richtigkeit einer aus seiner Krrankengeschichte beim Krankenhaus Amstetten (von ihm) gezogenen Schlußfolgerung dahin, daß er zur Tatzeit diskretionsunfähig gewesen sei, die Einholung eines (ergänzenden) Gutachtens des Sachverständigen Dr.D beantragt; ein Begehren auf Beiziehung eines weiteren Experten neben diesem Sachverständigen, der schon im Vorverfahren ein schriftliches Gutachten erstattet hatte (ON 66), das dem Angeklagten im Zeitpunkt der Einbringung seines schriftlichen Antrages bereits vorlag, und der auch in der Hauptverhandlung (ebenso wie vier weitere Sachverständige) sehr ausführlich zu Wort gekommen ist (siehe dazu S 541 bis 564/II), wobei er sich auch eingehend mit einer Reihe vom Verteidiger zusätzlich gestellter Fragen zu befassen hatte, ist aber in dieser Antragstellung keineswegs zu erblicken.

Mit der Behauptung von Widersprüchen und sonstigen Mängeln im Gutachte des Sachverständigen Dr. D (§ 126 StPO) vermag der Beschwerdeführer einen Verfahrensmangel im Sinne des angerufenen (oder eines anderen) Nichtigkeitsgrundes schon deshalb nicht aufzuzeigen, weil er einen Antrag auf Beiziehung eines zweiten Experten in erster Instanz gar nicht gestellt hat; auch wäre es seine Sache gewesen, durch weitere Fragen oder Anträge die ihm (nunmehr) nötig scheinende Klärung der in der Beschwerde angeführten Fragen herbeizuführen. Daran ändert auch sein Hinweis in der (an die Rechtsmittelausführungen anschließenden) Anregung zu einem vorgehen gemäß § 362 StPO, die Verteidigung sei nach der Erstattung des mündlichen Gutachtens durch den genannten Sachverständigen am Ende des vierten Verhandlungstages nicht in der Lage gewesen, 'sofort entsprechende Beweise anzubieten, weil die Vorbereitungszeit dazu zu kurz' gewesen sei (S 63/III), nichts, zumal es dem Beschwerdeführer auch am darauffolgenden Verhandlungstag, ja sogar noch während des Schlußvortrages freigestanden wäre, entsprechende Anträge zu stellen (vgl die bei Mayerhofer-Rieder zu § 281 Abs 1 Z 4 StPO unter Nr 3 angeführten Entscheidungen).

Sonstige mit Bezug auf den Schriftsatz ON 81 tatsächlich gestellte (konkrete) Beweisanträge aber sind - wie zu dem die bisher erörterten Einwände einleitenden pauschalen Beschwerdevorbringen der Vollständigkeit halber vermerkt sei - ohnedies nicht unerledigt geblieben.

Unbegründet ist die Verfahrensrüge schließlich auch insoweit, als sie sich gegen die Abweisung des (erst) in der Hauptverhandlung (S 507/II) gestellten Antrages auf Ladung und Einvernahme der beiden Kunstsachverständigen Prof. Oswald E (im Protokoll unrichtig: F) und Prof. Manfred G wendet; deren Beiziehung - ersichtlich als Sachverständige - hatte der Verteidiger inhaltlich des Hauptverhandlungsprotokolles zum Nachweis dafür beantragt, daß das Original einer vom Angeklagten im Zug seiner Vernehmungen im Sicherheitsbüro der Bundespolizeidirektion Wien angefertigten Zeichnung (S 567/II) nicht dessen 'Strich' aufweise, womit er seinem nunmehrigen Beschwerdevorbringen zufolge seinen 'damaligen verwirrten Zustand' als einen 'abklingenden Rauschdämmerzustand' objektivieren wollte.

Das Erstgericht hat die Aufnahme dieses Beweises mit der Begründung abgelehnt, daß die Frage, ob der Angeklagte im Zeitpunkt der Anfertigung dieser Zeichnung - auf deren Rückseite er seinen Lebenslauf zu schreiben begonnen hatte -

seiner Erläuterung des Antrages entsprechend nicht gewußt habe, was er zeichne, allenfalls vom psychiatrischen Sachverständigen zu beantworten sei, nicht aber durch künstlerische Sachverständige geklärt werden könnte (S 529/530/II).

Dieser Auffassung ist im Kern beizupflichten: fällt doch in das Fachgebiet von Kunst-Sachverständigen zwar sicherlich die Frage, ob eine Zeichnung die charakteristische Strichführung jenes (bestimmten) Künstlers aufweist, von dem sie stammt, nicht aber auch die hier maßgebende andere, ob eine allfällige Abweichung auf psychische Ursachen zurückzuführen ist und bejahendenfalls, auf welche.

Daß der Beschwerdeführer aber zu der in Rede stehenden Zeichnung noch weitere Anträge gestellt hätte, ist dem Hauptverhandlungsprotokoll nicht zu entnehmen; insoweit sind daher seine (im Anschluß an die vorerwähnte Anregung) die Verfahrensrüge ergänzenden Ausführungen einer sachbezogenen Erörterung nicht zugänglich (§§ 344, 285 Abs 1 StPO).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 28, 75 StGB zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Bei der Strafbemessung wertete es die besonders brutale Vorgangsweise und das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen als erschwerend, als mildernd hingegen keinen Umstand.

Einen bisher untadelhaften Lebenswandel billigte es dem Angeklagten ungeachtet seiner bisherigen gerichtlichen Unbescholtenheit nicht zu, weil er nach seinen eigenen Angaben früher in Raufhändel verwickelt war und auch Christiane B gegenüber mehrfach tätlich geworden war.

Der gegen die Verhängung der Höchststrafe gerichteten Berufung des Angeklagten kann Berechtigung nicht abgesprochen werden. Nicht durchzuschlagen vermag allerdings der Einwand gegen den vom Geschwornengericht angenommenen Erschwerungsgrund einer besonders brutalen Vorgangsweise. Der Angeklagte fügte der Christiane B sowohl mit einem Springmesser als auch mit einem Küchenmesser mehrfache Stichverletzungen zu; er versetzte ihr schließlich mit einem spitzen Hammer zahlreiche Schläge, insbesondere gegen die rechte Seite des Schädels, und ließ sie sodann sterbend am Tatort im Blut liegend zurück, wo sie erst Stunden später gefunden wurde und während des Transportes in das Krankenhaus verschied. Unter diesen Umständen ist der Vorwurf einer besonderen Brutalität, durch die das Opfer in einen zweifellos qualvollen Zustand versetzt wurde, durchaus berechtigt.

Allerdings kommen dem Angeklagten - den Ausführungen des Geschwornengerichtes zuwider - auch mehrere Milderungsgründe zustatten.

Zunächst kann dem Angeklagten - mit dessen sonstigem Verhalten die vorliegende Straftat (des Mordes) unzweifelhaft in auffallendem Widerspruch steht - ein bisher untadelhafter Lebenswandel nicht abgesprochen werden. Seine Angabe, er sei während seiner Schulzeit in Österreich mehrfach an Raufereien beteiligt gewesen (vgl insb Bd II S 85) und einmal, als er in Italien einem Behinderten zu Hilfe kam (Bd II S 101), in eine Schlägerei verwickelt worden, reichen hiefür ebensowenig hin wie die (wechselseitigen) Tätlichkeiten an Christiane B (vgl Bd I S 79 f ua), zumal nach der Aktenlage kein einziger dieser Vorfälle Anlaß zur Einleitung eines Strafverfahrens gegeben hat.

Zwar kommt dem - durch Vorlage entsprechender Belege im Gerichtstag vor dem Obersten Gerichtshof nachgewiesenen -

Umstand, daß der Vater des Angeklagten über dessen Ersuchen der Privatbeteiligten Charlotte H den - unbekämpft -

zugesprochenen Betrag von 4.249 S für Begräbniskosten bezahlt (und auch die Kosten der Privatbeteiligtenvertretung beglichen) hat, kein übermäßiges Gewicht zu, doch kann ihm andererseits mildernde Wirkung nicht gänzlich abgesprochen werden.

Am Tag der Tat befand sich der nach der Aktenlage psychisch labile und zur Depression neigende Angeklagte im Hinblick auf die unmittelbar bevorstehende, von ihm als 'klärendes Gespräch' (Bd I S 85 f ua) bezeichnete entscheidende Aussprache mit Christiane B - die offenbar die Beziehung mit ihm nicht mehr fortzusetzen beabsichtigte - in einem Zustand seelischer Anspannung, dem - selbst wenn man ihn einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung, aus welcher sich der Täter zur Tat hat hinreißen lassen (§ 34 Z 8 StGB) nicht gleichsetzt - doch mildernde Wirkung nicht aberkannt werden kann (vgl EvBl 1972/339 ua). Er nahm zudem - was der oben aufgezeigten Charakter- und Persönlichkeitsstruktur durchaus entspricht - seinen (nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. D nicht widerlegbaren, siehe dazu Bd II S 558) Angaben zufolge kurz vor diesem Gespräch LSD ein, das jedoch - wie die Geschwornen auf Grund des Gutachtens des genannten Sachverständigen ersichtlich annahmen (siehe dazu Pkt II der gemäß § 331 Abs 3 StPO vom Obmann der Geschwornen verfaßten Niederschrift und das dort erwähnte Gutachten Bd II S 550, 552, 557) nicht zu einem 'horror-trip' oder sonst einem Zustand der Zurechnungsunfähigkeit im Sinne des § 11 StGB führte. Der dadurch bewirkten Verstärkung des bereits vorher vorhandenen Erregungszustandes kommt zwar gewiß keine (zusätzliche) mildernde Wirkung zu, weil ein Suchtmittelkonsum regelmäßig nur deliktisch (§ 16 Abs 1 Z 2 dritter und vierter Fall SuchtgiftG) verwirklicht werden kann und demgemäß nach § 35 StGB eine solcherart bewirkte, die Zurechnungsfähigkeit zwar nicht ausschließende, jedenfalls aber herabsetzende Berauschung durch den Vorwurf, den der Genuß oder Gebrauch dieses berauschenden Mittels den Umständen nach begründet, aufgewogen wird (10 Os 31/79; 10 Os 47/79; vgl auch Mayerhofer-Rieder2 E Nr 6 zu § 35 StGB ua); doch ist - im Zweifel zu Gunsten des Angeklagten - insgesamt davon auszugehen, daß sich dieser zur Tatzeit in einem an der Grenze der Zurechnungsunfähigkeit liegenden Zustand der verminderten Zurechnungsfähigkeit (§ 34 Z 11 StGB) befand, der seine (sonst schwere) Schuld beträchtlich mildert und die Verhängung einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von achtzehn Jahren anstelle der vom Geschwornengericht ausgesprochenen lebenslangen gerechtfertigt erscheinen läßt.

Anmerkung

E04328

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1983:0100OS00107.83.1004.000

Dokumentnummer

JJT_19831004_OGH0002_0100OS00107_8300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten