TE OGH 1983/11/29 4Ob145/83

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Veröffentlicht am 29.11.1983
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Norm

AktG §71 Abs3
ArbGG §2 Abs2
GenG §17 Abs3
GmbHG §18 Abs3
HGB §48 Abs2

Kopf

SZ 56/177

Spruch

Ein Prokurist ist auch dann kein "gesetzlicher Vertreter" iS des § 2 Abs. 2 ArbGG, wenn er an der organschaftlichen Vertretung der juristischen Person mitwirkt, es sei denn, daß diese Vertretungstätigkeit ausnahmsweise einen solchen Umfang annimmt, daß er praktisch an die Stelle eines Vorstandsmitgliedes (Geschäftsführers) tritt

OGH 29. 11. 1983, 4 Ob 145/83 (KG Wels R 474/83; ArbG Vöcklabruck Cr 88/82)

Text

Der Kläger war bei der beklagten Partei, einer GesmbH, seit 1. 6. 1958 als Angestellter beschäftigt. Seit 1. 5. 1970 war er Betriebsleiter im Zweigwerk B. Im Juli 1975 erteilte die beklagte Partei dem Kläger die Gesamtprokura. Nach dem Inhalt der Eintragungung im Handelsregister vertritt jeder der bestellten Prokuristen (damals wurden außerdem Josef K und Günther B zu Gesamtprokuristen bestellt) gemeinsam mit einem kollektiv vertretungsbefugten Geschäftsführer oder zweiten Gesamtprokuristen. Die beklagte Partei wird nach dem Inhalt des Gesellschaftsvertrages, wenn mehrere Geschäftsführer bestellt sind, durch zwei Geschäftsführer gemeinsam oder durch einen von ihnen gemeinsam mit einem Prokuristen vertreten. Geschäftsführer der beklagten Partei sind Dipl.-Kfm. Rudolf-Dieter M und Dr. Ludwig A.

Der Kläger behauptet, sein Dienstverhältnis zur beklagten Partei sei mit 31. 1. 1980 einvernehmlich aufgelöst worden und begehrt die Zahlung einer Abfertigung von 375 669 S sA.

Die beklagte Partei wendete die sachliche Unzuständigkeit des Arbeitsgerichtes mit der Behauptung ein, der Kläger sei als vertretungsbefugter Gesamtprokurist ihr gesetzlicher Vertreter iS des § 2 Abs. 2 ArbGG und damit nicht Beschäftigter iS dieses Bundesgesetzes gewesen.

Das Erstgericht erklärte sich nach abgesonderter Verhandlung über die Unzuständigkeitseinrede für sachlich zuständig. Es war der Ansicht, daß der Kläger zwar als Prokurist leitender Angestellter, aber nicht gesetzlicher Vertreter der beklagten Partei sei. Gesetzlicher Vertreter einer GesmbH seien deren Geschäftsführer. Als gesetzliche Vertreter iS des § 2 Abs. 2 ArbGG seien zwar auch Personen anzusehen, die nicht die Vertretung nach außen, wohl aber eine gewisse Geschäftsführungsbefugnis im Innenverhältnis besäßen; dies sei aber hier nicht anzunehmen. Dem Kläger seien zwar als Prokuristen eine gewisse Handlungsfreiheit und begrenzte Befugnisse zugestanden. Er sei aber nach dem Aufbau des Unternehmens total der Firmenleitung unterworfen gewesen. Die Ernennung zum Prokuristen habe seinen Anstellungsvertrag nicht berührt. Er sei nur formal bevollmächtigt und damit nicht als gesetzlicher Vertreter iS des § 2 Abs. 2 ArbGG anzusehen.

Das Rekursgericht änderte den angefochtenen Beschluß dahin ab, daß es die sachliche Unzuständigkeit des angerufenen Arbeitsgerichtes aussprach und die Klage zurückwies. Gesetzlicher Vertreter einer juristischen Person sei, wer nach ihrer Verfassung ("Satzung") zur Vertretung befugt sei. Die Funktion des Klägers im Betrieb der beklagten Partei sei nicht nur die eines Prokuristen iS der §§ 48 ff. HGB, sondern auch eines organschaftlichen Vertreters gewesen, weil er iS des § 18 Abs. 3 GmbHG zur Vertretung in Gemeinschaft mit einem kollektivvertretungsbefugten Geschäftsführer bestellt worden sei. Diese Funktion sei mit der Funktion eines Prokuristen nach § 48 ff. HGB nicht identisch. Der zur organschaftlichen Vertretung bestellte Prokurist habe im Rahmen seiner Funktion nicht nur die beschränkte Vertretungsmacht nach § 49 HGB. Seine Vertretungsmacht bestimme sich vielmehr ausschließlich nach dem Gesetz über die Vertretungsbefugnis des jeweiligen Organs. Es handle sich um eine durch das GmbHG bestimmte und nicht um eine gewillkürte rechtsgeschäftliche Vertretung. Im Fall der gemischten oder unechten Gesamtvertretung, wie sie § 18 Abs. 3 GmbHG vorsehe, sei der damit betraute Prokurist verfassungsmäßiger Vertreter der Gesellschaft mit unbeschränkter Vertretungsmacht. Da auch die unechte Kollektivvertretung eine volle gesetzliche Vertretung sei, sei der Kläger organschaftlicher Vertreter der beklagten Partei und damit Vertreter iS des § 2 Abs. 2 ArbGG. Aus dieser Bestimmung lasse sich nicht ableiten, daß zwischen einer juristischen Person und ihrem gesetzlichen Vertreter ein Dienstverhältnis nicht bestehen könne; eher lasse sich sagen, daß diese Bestimmung getroffen worden sei, weil ein Dienstverhältnis nicht ausgeschlossen sei.

Der Abfertigungsanspruch des Klägers gehe zwar auf die Zeit vor seiner Bestellung zum gesetzlichen Vertreter der beklagten Partei zurück, doch handle es sich um einen einheitlichen Anspruch, der auch den nachfolgenden Zeitraum umfasse und mit der einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses fällig geworden sei, als der Kläger gesetzlicher Vertreter der beklagten Partei iS des § 2 Abs. 2 ArbGG gewesen sei.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Klägers Folge und stellte den Beschluß des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Gemäß § 18 Abs. 3 GmbHG kann der Gesellschaftsvertrag, wenn mehrere Geschäftsführer vorhanden sind, zur Vertretung der Gesellschaft auch einen Geschäftsführer in Gemeinschaft mit einem Prokuristen, der zur Mitzeichnung der Firma berechtigt ist (§ 48 Abs. 2 HGB), berufen. Gleichartige Bestimmungen enthalten auch § 71 Abs. 3 AktG, § 17 Abs. 3 GenG und § 125 Abs. 3 HGB. Bei dieser Form der sogenannten "gemischten" oder "unechten" Gesamtvertretung, welche die beklagte Partei im vorliegenden Fall im Gesellschaftsvertrag vorsah, treten die sonst bestehenden gesetzlichen Beschränkungen der Vertretungsmacht eines Prokuristen (insbesondere § 49 Abs. 2 HGB) nicht ein (Kastner, Grundriß des Gesellschaftsrechts[4], 83). Die Befugnisse, die dem Prokuristen im Rahmen der Ausübung der gemischten Gesamtvertretung zukommen, richten sich vielmehr nach dem Umfang der Vertretungsmacht der gesetzlichen Vertreter (Geschäftsführer, Vorstand, Gesellschafter) der betreffenden juristischen Person (Personengesamtheit). Der an einer gemischten Gesamtvertretung beteiligte Prokurist verfügt damit (in dieser FunktionÜ) über umfangreichere Befugnisse, als sie das Gesetz einem Prokuristen an sich gewährt (Demelius, JBl. 1948, 149; Kostner, NZ 1967, 69; Hämmerle - Wünsch HR[3], II 416 und (zu § 125 Abs. 3 HGB) 98; Mertens in Hachenburg, Groß- KommGmbHG[7], II § 35 RN 251; Scholz, Komm. zum GmbHG[5], 401; Kostner, GmbH[3], 71; Reich-Rohrwig, Das österreichische GesmbH-Recht 114; Baumbach - Duden - Hopt, HGB[25], 438 und 156; zu § 125 Abs. 3 HGB ferner Fischer in Groß- KommHGB[3], II/1, 263; Schlegelberger - Gessler, HGB[4], II 1122; Hueck, Recht der OHG[4], 288; BGHZ 13, 61, 64). Im Fall einer Beteiligung des Prokuristen an der Vertretung der GesmbH werden somit seine Befugnisse (als an sich gewillkürter Stellvertreter) um sogenannte organschaftliche Funktionen erweitert. Die Frage, ob der Prokurist damit - zunächst im handelsrechtlichen Sinn - als "gesetzlicher Vertreter" der betreffenden juristischen Person (hier: GesmbH) bzw. Personengesamtheit anzusehen ist, wird im Schrifttum nicht einheitlich beantwortet. Nach Kastner (aaO 83) wird der Prokurist damit zum verfassungsmäßigen Vertreter; auch Schlegelberger - Gessler (aaO 1112) sprechen diesfalls von einer gesetzlichen Vertretung durch den Prokuristen (im Gegensatz zu der gewillkürten Vertretung durch zwei Gesamtprokuristen). Baumbach - Duden - Hopt (aaO 156) meinen gleichfalls, daß der Prokurist dadurch zum organschaftlichen Gesamtvertreter der Gesellschaft wird. Hingegen vertritt Mertens in Hachenburg (aaO RN 252) die Ansicht, daß der Prokurist selbst bei einer unechten Gesamtvertretung nicht zum gesetzlichen Vertreter der Gesellschaft wird, sondern nur die gesetzliche Vertretungsmacht des Geschäftsführers an seine Mitwirkung gebunden wird.

Die dargestellten begriffsjuristischen Meinungsverschiedenheiten im Schrifttum sind für die im vorliegenden Fall zu lösende Frage nicht entscheidend. Entscheidend ist vielmehr der Zweck der Einrichtung der gemischten Gesamtvertretung und die dem Prokuristen dadurch zukommende Stellung. Die "unechte" Gesamtvertretung dient nur der Erleichterung einer ohnehin schon bestehenden Gesamtvertretung mehrerer gesetzlicher Vertreter (Mertens in Hachenburg aaO RN 253; Hämmerle - Wünsch aaO 98; Fischer aaO 263). Da aber in jedem Fall die Möglichkeit bestehen muß, daß die Gesellschaft (Personengesamtheit) vom Vorstand (Geschäftsführer) auch ohne die Mitwirkung des Prokuristen vertreten werden kann (so ausdrücklich § 71 Abs. 3 AktG und 17 Abs. 3 GenG), und damit eine Bindung der Vertretungsmacht der Geschäftsführer (Gesellschafter) an die Mitwirkung von Prokuristen derart, daß die Geschäftsführer (Gesellschafter) nur mit einem Prokuristen gemeinschaftlich vertreten können, unzulässig ist (Mertens in Hachenburg aaO RN 253;

Hämmerle - Wünsch aaO 416; Kastner aaO 83; Fischer aaO 262;

Schlegelberger - Gessler aaO 1121; Kostner aaO 72 f.; Gellis, KommGmbHG[2], 174; Hueck aaO 287; vgl. SZ 23/91), kann der Prokurist seine Mitwirkung an organschaftlichen Vertretungshandlungen auch im Einzelfall nicht erzwingen. Seine (fakultative) Mitwirkung an der organschaftlichen Vertretung ist vielmehr stets davon abhängig, daß er von einem Geschäftsführer (Gesellschafter) dazu herangezogen wird. Auch kann die im Gesellschaftsvertrag vorgesehene Mitwirkung der Prokuristen an der Gesamtvertretung von den Geschäftsführern jederzeit dadurch verhindert werden, daß die Prokura der zu diesem Zweck bestellten Prokuristen - jedenfalls im Außenverhältnis wirksam - widerrufen, was bei der GesmbH, wenn der Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt, sogar durch jeden Geschäftsführer allein geschehen kann (§ 28 Abs. 2 GmbHG).

Diese Stellung der zur Mitwirkung an der (organschaftlichen) Vertretung von juristischen Personen (Personengesamtheiten) berufenen Prokuristen hat bei der Beurteilung der Frage, ob solche Prokuristen als "gesetzliche Vertreter" iS des § 2 Abs. 2 ArbGG und damit nicht als Beschäftigte iS dieses Bundesgesetzes anzusehen sind, wesentliche Bedeutung. Stanzl (Arbeitsgerichtliches Verfahren 98) und das deutsche Schrifttum zu der dem § 2 Abs. 2 ArbGG ähnlichen Bestimmung des § 5 Abs. 1 Satz 3 dArbGG (Dersch - Volkmar, Arbeitsgerichtsgesetz[6], 234; Grunsky, Arbeitsgerichtsgesetz[3], 79; Dietz - Nikisch, Arbeitsgerichtsgesetz 115) stimmen darin überein, daß Prokuristen als gewillkürte Vertreter nicht unter den Ausschluß der Arbeitsgerichtsbarkeit nach § 2 Abs. 2 ArbGG (5 Abs. 1 Satz 3 dArbGG) fallen. Dersch - Volkmar (aaO) meinen aber, daß für diese Vertreter kraft privater Vollmacht der Ausschluß nach § 5 Abs. 1 Satz 3 dann gelte, wenn sie gleichzeitig Organmitglieder und als solche vertretungsbefugt sind. Gegenteiliger Ansicht sind Dietz - Nikisch (aaO), die den Prokuristen auch dann nicht als gesetzlichen Vertreter iS des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG ansehen, "wenn eine sogenannte unechte Gesamtvertretung vorgesehen ist, dh. wenn ein Gesellschafter der OHG (§ 125 Abs. 3 HGB) oder ein Vorstandsmitglied einer AG (§ 71 Abs. 3 AktG) nur zusammen mit einem Prokuristen zur Vertretung berechtigt ist".

Der letztgenannten Ansicht ist (mit gewissen Einschränkungen) zu folgen. Die gesetzlichen Vertreter von juristischen Personen und Personengesamtheiten nehmen im Betrieb regelmäßig Arbeitgeberfunktionen wahr, weshalb es nicht gerechtfertigt ist, sie iS des Arbeitsgerichtsgesetzes als "Beschäftigte" anzusehen (vgl. Grunsky aaO 79). Dieser Gesetzeszweck trifft aber nur für die Personen zu, die ständig (und nicht nur fakultativ) zur organschaftlichen Vertretung einer juristischen Person (bzw. einer Personenmehrheit) berufen sind. Prokuristen fallen damit regelmäßig nicht unter die "gesetzlichen Vertreter", auch wenn sie in die Mitwirkung an der organschaftlichen Vertretung einer juristischen Person (Personengesamtheit) zur bloßen Erleichterung der dort vorgesehenen Gesamtvertretung eingebunden sind. Die ständige regelmäßige Wahrnehmung von Arbeitgeberfunktionen ist bei ihnen nicht zu vermuten, weil es von den den Prokuristen übergeordneten Geschäftsführern (Gesellschaftern) abhängt, wieweit jene überhaupt zu organschaftlichen Vertretungshandlungen herangezogen werden. Es mag sein, daß ein Prokurist in Ausnahmefällen (etwa dann, wenn er mit der Wahrnehmung organschaftlicher Funktionen regelmäßig in einem derartigen Umfang betraut würde, daß er faktisch an die Stelle eines Geschäftsführers getreten wäre) nach den Umständen des Einzelfalles allenfalls als Vertreter iS des § 2 Abs. 2 ArbGG anzusehen wäre. Einen derartigen Umfang der Ausübung organschaftlicher Funktionen durch den Kläger hat die beklagte Partei, die sich nur auf die im Gesellschaftsvertrag vorgesehene Zeichnungsberechtigung berief, gar nicht behauptet. Daß der Kläger Betriebsleiter eines bedeutenden Zweigwerkes der beklagten Partei war, macht ihn noch nicht zum gesetzlichen Vertreter des Gesamtunternehmens. Aus dem von der beklagten Partei selbst vorgelegten Organisationsplan ergibt sich, daß das Werk B der Halbleiter-Werkleitung und diese wiederum der Geschäftsleitung (Geschäftsführer Dipl.-Kfm. Rolf-Dieter M und Dr. Ludwig A) unterstellt war. Weiterer Feststellungen zur Stellung des Klägers im Unternehmen der beklagten Partei bedarf es damit nicht. Der in der Entscheidung Arb. 6822 ausgesprochenen Rechtsansicht, als gesetzlicher Vertreter einer juristischen Person iS des § 2 Abs. 2 ArbGG seien auch Personen anzusehen, die zwar nicht die Vertretung nach außen, wohl aber "eine gewisse Geschäftsführungsbefugnis im Innenverhältnis" hätten, ist nicht zu folgen, weil sie weder mit dem Wortlaut noch mit dem Zweck dieser Bestimmung in Einklang steht.

Anmerkung

Z56177

Schlagworte

Person, Prokurist als "gesetzlicher Vertreter" (§ 2 Abs. 2 ArbGG), Prokurist als "gesetzlicher Vertreter" (§ 2 Abs. 2 ArbGG), Vertreter, gesetzlicher (§ 2 Abs. 2 ArbGG), Prokurist

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1983:0040OB00145.83.1129.000

Dokumentnummer

JJT_19831129_OGH0002_0040OB00145_8300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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