TE OGH 1984/1/25 11Os216/83

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Veröffentlicht am 25.01.1984
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Der Oberste Gerichtshof hat am 25.Jänner 1984 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Helige als Schriftführers in der Strafsache gegen Adib Khalib Ibrahim A wegen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 12. September 1983, GZ. 20 q Vr 905/83-126, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Schneider, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Olischar und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwaltes Dr. Bassler, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden Urteil wurde der am 1.April 1937

geborene, aus dem Irak stammende Adib Khalil Ibrahim A des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB schuldig erkannt, weil er am 24.Jänner 1983 in Wien seine frühere Lebensgefährtin Elfriede B durch zahlreiche Stiche mit einem Fixiermesser gegen den Hals, den Oberkörper, den linken Unterbauch und die linke Hüfte vorsätzlich tötete.

Die Geschwornen bejahten die an sie gemäß dem § 312 Abs. 1 StPO im Sinn des Anklagevorwurfes (ON. 100) gestellte Hauptfrage 1 in Richtung des Verbrechens des Mordes. Die das Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach dem § 87 Abs. 1 und 2, zweiter Deliktsfall, StGB betreffende Eventualfrage 2 und die auf das Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach den Par 83 Abs. 1, 86 StGB lautende Eventualfrage 3 blieben folgerichtig unbeantwortet.

Den unter Zugrundelegung dieses Wahrspruches der Geschwornen gefällten Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf den Par 345 Abs. 1 Z. 6 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Er führt dazu aus, den Geschwornen hätte auch eine Zusatzfrage nach Zurechnungsfähigkeit im Sinn des § 11 StGB und eine weitere Eventualfrage (im Rechtsmittel unrichtig als 'Zusatzfrage' reklamiert;

vgl. SSt. 46/49) in Richtung des Verbrechens des Totschlages nach dem § 76 StGB gestellt werden müssen. Denn - so argumentiert der Beschwerdeführer - nach seiner Verantwortung im Zusammenhalt mit den Ausführungen 'des Sachverständigen' sei nicht auszuschließen, daß er sich zum Zeitpunkt der Tat in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung befunden habe bzw. daß er infolge seiner seelischen Störungen und Neurosen in Verbindung mit dieser Gemütsbewegung überhaupt nicht zurechnungsfähig gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt Berechtigung nicht zu.

Gemeinsame Voraussetzung für die Stellung von Zusatzfragen nach dem § 313 StPO bzw. von Eventualfragen nach dem § 314 Abs. 1 StPO an die Geschwornen ist der Umstand, daß in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden sind, die - wenn sie als erwiesen angenommen werden - die Strafbarkeit ausschließen oder aufheben würden bzw. nach denen die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte. In der Hauptverhandlung vorgebracht sind Tatsachen nur dann, wenn sie in der Verantwortung des Angeklagten oder im Ergebnis des Beweisverfahrens konkretisiert wurden. Die bloß allgemein gehaltene, nicht gehörig substantiierte Behauptung einer Tatsache genügt diesem Erfordernis in der Regel nicht. Ihm ist vielmehr nur dann entsprochen, wenn im Beweisverfahren Umstände vorgebracht wurden, durch die, wenn sie zutreffen, die Annahme dieser Tatsachen in den nahen Bereich der Möglichkeit gerückt ist, mit denen sich sonach, wenn eine dem Schöffengericht zur Beurteilung zugewiesene Handlung vorläge, das Urteil im Sinn der Bestimmung des § 270 Abs. 2 Z. 5 StPO auseinandersetzen müßte. Nicht abstrakt denkbare Möglichkeiten, sondern nur ein tatsächliches Verfahrensergebnis kann die Grundlage einer Zusatz- oder Eventualfrage sein, weil die Fragestellung an die Geschwornen dazu dient, den Tatbestand, der sich aus der Anklage und dem Verfahren ergibt, zu präzisieren, nicht aber dazu, über allfällige Mutmaßungen einen Wahrspruch einzuholen, der seinem Wesen nach einer Tatsachenfeststellung gleichkäme, für die eine entsprechende Feststellungsgrundlage fehlt (SSt. 44/29; EvBl. 1980/222; Gebert/Pallin/Pfeiffer III/2, Nr. 11 zu § 313 StPO, auch bei Mayerhofer-Rieder II/2 in Nr. 13 zu § 313 StPO enthalten). Ergibt sich nach Befund und Gutachten der beigezogenen Sachverständigen und nach den anderen Beweisergebnissen kein Hinweis auf die Zurechnungsunfähigkeit des Angeklagten, so sind, wie der Oberste Gerichtshof schon wiederholt aussprach (siehe zu § 313 StPO:

Gebert/ Pallin/Pfeiffer III/2, Nr. 13 und 13 a, sowie Mayerhofer-Rieder II/2, Nr. 16 und 17; 9 Os 21/76; 10 Os 75/76; 10 Os 123/77; vgl. auch 11 Os 163/81), die Voraussetzungen für die Stellung einer Zusatzfrage in dieser Richtung nicht gegeben.

Dies trifft hier zu. Denn vorliegend ergaben sich im Beweisverfahren, insbesondere auch aus den Gutachten der Sachverständigen Prim.Dr. Heinrich C (vgl. dazu Band II, S. 1 ff. und 301) und Univ.Prof.Dr. Rudolf D (Band II, S. 65 ff. und 300) keine rechtlich erfaßbaren Anhaltspunkte dafür, daß der Beschwerdeführer zur Zeit der Tat aus einem der im § 11 StGB genannten Gründe unfähig gewesen sein könnte, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Das gilt auch für die Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung, er sei damals nicht normal gewesen; er habe zugestochen, weil er krank sei (Band II, S. 265). Auch hiebei handelt es sich nicht um ein Tatsachenvorbringen im Sinn der vorstehenden Ausführungen, welches die Stellung einer Zusatzfrage in Richtung des § 11 StGB indiziert hätte; es ist vielmehr nur Ausdruck der vom Sachverständigen Dr. C bereits diagnostizierten Verdrängungsmechanismen und der hochgradigen affektiven Anspannung (Band II, S. 59 und 301).

Desgleichen mangelt es, wie der Schwurgerichthof bei Abweisung (Band II, S. 303) des vom Nichtigkeitswerber nach Verlesung der Fragen (§ 310 StPO) gestellten, auf (Fragen-)Ergänzung durch Aufnahme einer Frage in Richtung des Verbrechens des Totschlages in das Fragenschema gerichteten Antrages (Band II, S. 202) zutreffend zum Ausdruck brachte, an einem im Beweisverfahren hervorgekommenen sachlichen Substrat für die konkrete Möglichkeit der Annahme eines Handelns in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung. Denn der Angeklagte schilderte in keinem Stadium des Verfahrens eine Situation, welche die Entstehung einer heftigen Gemütsbewegung von einem objektiven Standpunkt aus betrachtet - und nur darauf, nicht auf die Tat(über)reaktion als Ausfluß eines psychischen Ausnahmezustandes kommt es bei der Beurteilung des Tatbestandes nach dem § 76 StGB an - als allgemein begreiflich, mit anderen Worten als sittlich nicht verwerfbar (vgl. dazu u.a. EvBl. 1982/167; Leukauf-Steininger 2 , RN. 5

und 7 zu § 76 StGB) erscheinen ließe. übrigens zeigte der Beschwerdeführer selbst in seiner Nichtigkeitsbeschwerde keinen durch das Beweisverfahren indizierten, nicht berücksichtigten, jedoch für eine allfällige Gemütsbewegung konkret bedeutsamen Umstand auf.

Der Nichtigkeitsbeschwerde war mithin insgesamt ein Erfolg zu versagen.

Das Geschwornengericht verhängte über den Angeklagten nach dem Par 75 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von zwanzig Jahren. Es wertete bei der Strafbemessung die auf gleicher schädlicher Neigung beruhende Vorstrafe (wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 und 4 StGB) als erschwerend, hingegen das reumütige Geständnis, durch das der Angeklagte auch wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen hatte, als mildernd. Neben diesen besonderen Strafzumessungsgründen berücksichtigte das Erstgericht - im Rahmen der allgemeinen Strafbemessungsvorschriften des § 32 StGB - die Geringfügigkeit der Vorstrafe und den Umstand, daß der Angeklagte bei der Tatverübung sehr erregt war (II. Band, S. 310).

Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte unter Hinweis auf seinen 'rechtschaffenen Lebenswandel', das Geständnis sowie seinen Geisteszustand und psychischen Status die Herabsetzung der Freiheitsstrafe an.

Auch der Berufung kommt keine Berechtigung zu.

Ein Anhaltspunkt für einen schuldmildernden, nämlich abnormen Geisteszustand (vgl. § 34 Z. 1, zweiter Fall, StGB) ergibt sich aus dem Akteninhalt nicht (siehe dazu insbesondere die bereits zitierten Gutachten der Sachverständigen Univ.Prof.Dr. Rudolf D und Prim. Dr. Heinrich C). Auch das Berufungsvorbringen enthält keinen diesbezüglichen Hinweis.

Das von den genannten Sachverständigen festgestellte erhöhte Aggressionspotential (II. Band, S. 55 und 77) begründet keinen Milderungsgrund, weil die Hemm- und Kontrollmechanismen des Angeklagten nicht krankhaft beeinträchtigt sind.

Die psychische Situation des Angeklagten zur Tatzeit wurde bei der Strafbemessung ebenso berücksichtigt wie das Geständnis. Der Annahme des Milderungsumstands des § 34 Z. 2 StGB steht die - wenn auch hier nur geringfügig ins Gewicht fallende - Vorstrafe entgegen. Diese Vorstrafe beruht auf der gleichen schädlichen Neigung wie das vorliegende Delikt, weil sie gegen dasselbe Rechtsgut, nämlich die körperliche Integrität von Menschen, gerichtet ist (vgl. § 71 StGB).

Daher begründet sie, wie das Geschwornengericht zutreffend annahm, den Erschwerungsumstand des § 33 Z. 2 StGB Zusammenfassend ergibt sich, daß das Erstgericht die allgemeinen und besonderen Strafzumessungsgründe vollständig erfaßte und einer zutreffenden Würdigung unterzog. Die solcherart ausgemessene Freiheitsstrafe erweist sich angesichts des hohen Schuldgehaltes der (Mord-)Tat nicht als reduktionsfähig.

Die infolge Vernachlässigung der Unterbrechung der Untersuchungshaft wegen Vollzuges einer Ersatzfreiheitsstrafe vom 24.August 1983, 12,00 Uhr, bis 15.September 1983, 12,00 Uhr (siehe ON. 118 und 132) fehlerhafte Anrechnung der Vorhaft (II. Band, S. 310) blieb unangefochten. Da sich dies nicht zum Nachteil des Angeklagten auswirkt, muß es dabei sein Bewenden haben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die im Urteilsspruch zitierte Gesetzesstelle.

Anmerkung

E04524

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1984:0110OS00216.83.0125.000

Dokumentnummer

JJT_19840125_OGH0002_0110OS00216_8300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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