Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 18. September 1984 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Friedrich,Dr. Lachner (Berichterstatter), sowie Hon. Prof. Dr. Brustbauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Gurschler als Schriftführer in der Strafsache gegen Joachim A wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75
StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom 24. Mai 1984, GZ 20 Vr 390/84-53, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Gehart, und des Verteidigers Dr. Zimmeter, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der 22jährige Joachim A des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt, weil er am 31. Jänner 1984 in Kramsach die 19jährige Anna Elisabeth B vorsätzlich getötet hat, indem er sie würgte und ihr drei Fußtritte gegen den Kopf sowie gegen die Schulter- und Halsregion versetzte. Der Schuldspruch beruht auf dem Wahrspruch der Geschwornen, welche die anklagekonforme Hauptfrage einstimmig bejaht hatten; weitere Fragen waren nicht gestellt worden.
Rechtliche Beurteilung
Den Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 1 und 8 (sachlich auch Z 6) des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt. Den erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund erblickt der Beschwerdeführer in der Beteiligung eines Geschwornen, den er zwar während der Hauptverhandlung nicht erkannt habe, von dem aber, weil er (wie der Angeklagte und bis zur Tat auch das Opfer) in Kramsach wohnt, wegen des dort durch den Straffall erregten großen Aufsehens eine unbefangene Beurteilung des Sachverhalts nicht habe erwartet werden können und der deshalb 'unter analoger Anwendung der § 67 und 68 StPO' von der Mitwirkung und Entscheidung in der Hauptverhandlung ausgeschlossen gewesen sei.
Der Einwand versagt, weil die in den § 67 und 68 StPO angeführten Ausschließungsgründe, deren Außerachtlassung durch § 345 Abs 1 Z 1 StPO mit Nichtigkeit bedroht ist, einer extensiven Interpretation oder analogen Anwendung auf andere Fälle nicht zugänglich sind (ÖJZ - LSK 1975/237). Der Befangenheit eines Richters oder Geschwornen (§ 72 StPO) wird im § 345 Abs 1 Z 1 StPO nicht gedacht. Eine solche könnte vielmehr ausschließlich unter den (formalen) Voraussetzungen des § 345 Abs 1 Z 5 StPO mit Erfolg geltend gemacht werden (Mayerhofer/Rieder 2 E Nr 12 und 13 zu § 345 Abs 1 Z 1), welche hier mangels Antragstellung in der Hauptverhandlung nicht gegeben sind.
Entgegen dem Beschwerdevorbringen (sachlich Z 6) ist aber auch durch das Unterbleiben einer Eventualfrage nach Totschlag (§ 76 StGB) eine Verletzung der Vorschrift des § 314 Abs 1 StPO nicht erfolgt. Ein die vermißte Fragestellung indizierendes Tatsachenvorbringen erblickt der Beschwerdeführer offenbar in seiner Verantwortung, er habe Anna Elisabeth B aus Angst getötet, weil sie ihn erkannt und er befürchtet habe, sie werde 'daheim' erzählen, daß er sie zur Duldung eines (ungestüm und rücksichtslos unter Zufügung erheblicher Verletzungen) vollzogenen Geschlechtsverkehrs veranlaßt hatte (S 281/II). Unter derartigen Tatumständen wäre jedoch eine allgemeine Begreiflichkeit des behaupteten Affektes auf jeden Fall auszuschließen. Denn um eine solche annehmen zu können, müßte der konkrete psychische Ausnahmezustand des Täters unter Berücksichtigung seines Anlasses bei rechtsethischer Bewertung für jedermann verständlich sein (EvBl 1982/167); davon kann aber gewiß dann nicht gesprochen werden, wenn der Täter - wie hier - zum unmittelbaren Anlaß der Affektsituation selbst in einer Weise beigetragen hat, welche die Vorstellung ausschließt, daß auch ein rechtstreuer Durchschnittsmensch in diese Lage kommen könnte. Die Stellung einer auf Totschlag abzielenden Eventualfrage war demnach durch das in der Beschwerde relevierte Vorbringen keinesfalls indiziert.
Dementsprechend wurde aber den Geschwornen richtigerweise auch keine - vom Beschwerdeführer vermißte (Z 8) - Rechtsbelehrung zu jenem Tatbestand (und zu dessen Abgrenzung vom Mord) erteilt; denn nach § 321 Abs 2 StPO hatte sich diese (schriftliche Belehrung) ' für jede Frage gesondert ' ausschließlich auf die tatsächlich gestellten Fragen zu erstrecken. Auf die Verantwortung des Angeklagten aber ist (ebenso wie auf die in der Hauptverhandlung durchgeführten Beweise) in der Rechtsbelehrung nicht einzugehen; dies hat vielmehr (erst) in der gemäß § 323 Abs 2 StPO vom Vorsitzenden in Anwesenheit des Schwurgerichtshofs mit den Geschwornen abzuhaltenden Besprechung zu geschehen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Geschwornengericht verurteilte den Angeklagten nach § 75 StGB zu 20 Jahren Freiheitsstrafe. Dabei wertete es die brutale und deshalb grausame Vorgangsweise des Angeklagten, den Umstand, daß er die Wehr- und Hilflosigkeit der (geistig und körperlich) behinderten Anna Elisabeth B ausgenützt hat, und eine (allerdings 'nicht entscheidend ins Gewicht fallende') Vorverurteilung wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung als erschwerend, wogegen es das in der Hauptverhandlung abgelegte umfassende und reumütige Geständnis sowie die durch den jahrelangen Alkoholmißbrauch bedingte Wesensveränderung des Angeklagten als mildernd berücksichtigte. Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe an; ihr kommt keine Berechtigung zu. Mit der dem Angeklagten auf Grund des Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen zugebilligten (aus dem Alkoholmißbrauch resultierenden) Wesensveränderung sind die vom Berufungswerber außerdem reklamierten (weiteren) Milderungsgründe, nämlich eine 'geringfügige Verminderung seines Kritikvermögens' sowie ihm anhaftende 'neurotische Züge' dem Grunde nach erfaßt. Da der Angeklagte zur Tatzeit das 21. Lebensjahr bereits (um 13 Monate) überschritten hatte, kommt der von der Berufung gleichfalls ins Treffen geführte Milderungsgrund des § 34 Z 1 StGB nicht mehr in Betracht, wenn anders die gesetzlichen Altersgrenzen nicht gegenstandslos werden sollen.
Die dementsprechend im wesentlichen richtig und vollständig angenommenen Strafzumessungsgründe hat das Geschwornengericht auch ihrem Gehalt entsprechend durchaus zutreffend gewürdigt. Mit Rücksicht auf die Schwere der tat- und persönlichkeitsbezogenen Schuld des Angeklagten war daher die vom Geschwornengericht verhängte Freiheitsstrafe von 20 Jahren vollauf gerechtfertigt (§ 32 StGB).
Es mußte sohin auch der Berufung, die keine weiteren, für eine mildere Strafe sprechenden Umstände aufzuzeigen vermag, ein Erfolg versagt bleiben.
Anmerkung
E04850European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1984:0100OS00116.84.0918.000Dokumentnummer
JJT_19840918_OGH0002_0100OS00116_8400000_000