TE Vwgh Erkenntnis 2005/6/9 2003/21/0181

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Veröffentlicht am 09.06.2005
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §45 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §75 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Kurt Lechner und Mag. Klaus Haberler, Rechtsanwälte in 2620 Neunkirchen, Triester Straße 34, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 22. August 2003, Zl. Fr 1141/03, betreffend Feststellung gemäß § 75 des Fremdengesetzes 1997, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach der Aktenlage bestand gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der Türkei, wegen Eingehens einer "Scheinehe" ein bis 30. November 1997 befristetes Aufenthaltsverbot. Mit Schreiben vom 7. Februar 2001 (Akt Seite 121) teilte der Beschwerdeführer mit, er wolle nach Österreich zurückkehren, "gerne wieder dort arbeiten" und die im Bundesgebiet lebenden Verwandten und Bekannten wiedersehen.

Am 26. September 2001 brachte der Beschwerdeführer beim Bundesasylamt einen (mit 25. September 2001 datierten) Asylantrag ein. Zu seinen Fluchtgründen gab er beim Bundesasylamt niederschriftlich (Akt Seite 238) an, er habe die Türkei auf Grund der Probleme wegen seiner kurdischen Abstammung verlassen und fürchte, weil er aus der Heimat geflüchtet sei, bei seiner Rückkehr in Haft genommen zu werden. Er sei zwar nie Mitglied einer politischen Partei oder einer bewaffneten Gruppierung gewesen, doch habe man ihn im Jahre 1999 wegen des Besitzes von Munition, die ihm nach seinen Angaben unterschoben worden sei, der Unterstützung der PKK angeklagt und zu sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Ein anderes Mal sei er, als er mit seiner Tochter in ein türkisches Krankenhaus habe fahren wollen, von einem Offizier mit einem Gummiknüppel geschlagen worden, weil er der Anordnung, wieder nach Hause zu fahren, keine Folge geleistet habe. Schließlich seien im Juni 2001 zwei Onkel des Beschwerdeführers von Unbekannten ermordet worden. Weil der Beschwerdeführer Gendarmen dieser Morde beschuldigt habe, sei er inhaftiert und gefoltert worden.

In seinem Bescheid vom 27. Februar 2002 ging das Bundesasylamt vom Bestehen einer inländischen Fluchtalternative in der Heimat des Beschwerdeführers aus und wies den Asylantrag gemäß § 7 AsylG als unbegründet ab. Gleichzeitig stellte das Bundesasylamt gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei zulässig sei. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung, zog den Asylantrag dann aber im Hinblick auf seine (neuerliche) Eheschließung mit einer Österreicherin mit Schreiben vom 21. Mai 2002 zurück. Daraufhin behob der unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 6. Juni 2002 den erstinstanzlichen Asylbescheid.

Im darauf folgenden Verfahren zur Erlassung eines weiteren Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer wegen des neuerlichen Eingehens einer Scheinehe (gegen dieses Aufenthaltsverbot ist beim Verwaltungsgerichtshof eine Beschwerde zur Zl. 2003/21/0179 anhängig) gab der Beschwerdeführer am 4. November 2002 als Grund seiner Ausreise aus der Türkei zu Protokoll (Akt Seite 320), dass er "Probleme mit dem türkischen Militär hatte".

Mit Schriftsatz vom 3. März 2003 (Akt Seite 360) beantragte der Beschwerdeführer, gemäß § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, die Unzulässigkeit seiner Abschiebung in die Türkei festzustellen. Begründend verwies er auf den im Protokoll vom 4. November 2002 geltend gemachten Ausreisegrund und auf sein Vorbringen im Asylverfahren. Mit Schreiben vom 5. März 2003 (Akt Seite 366) legte er Länderberichte von Amnesty International betreffend die Türkei vom Oktober 2001 und September 2002 vor.

Mit Bescheid vom 19. März 2003 stellte die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen fest, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer in der Türkei gemäß § 57 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei. Die Erstbehörde traf Feststellungen u.a. zum Anteil der Kurden an der Gesamtbevölkerung der Türkei, der etwa in Istanbul bei 20 % liege, und nannte gehobene berufliche und gesellschaftliche Positionen, in denen auch Kurden vertreten seien. Auch Zeitungen und einen Radiosender in kurdischer Sprache gebe es in der Türkei. Aus all dem sei abzuleiten, dass von einer Gruppenverfolgung der Kurden in der Heimat des Beschwerdeführers nicht die Rede sein könne. Abgesehen davon gebe es innerstaatlich Fluchtalternativen, so vor allem im Westen der Türkei und in Istanbul, zumal ein mit dem österreichischen System vergleichbares Meldewesen in der Türkei fehle. Nicht nachweisbar seien, so die Erstbehörde unter nicht näher präzisierter Bezugnahme auf Aussagen von Vertretern von in der Türkei tätigen Flüchtlingsorganisationen, Repressalien gegen in die Türkei zurückgeschobene Personen, sofern diese keine "Besonderheiten" aufwiesen. Die Asylantragstellung im Ausland sei strafrechtlich nicht relevant, weil den türkischen Behörden bekannt sei, dass viele dieser Asylanträge aus wirtschaftlichen Gründen gestellt würden. Wenn die Identität des Einreisenden durch ein Reisedokument nachgewiesen werde, beschränkten sich die Grenzkontrollen in der Türkei überhaupt auf Routinekontrollen.

Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid keine Folge und schloss sich in der Begründung der Auffassung der Erstbehörde an. Ergänzend führte sie aus, dass sich der Beschwerdeführer im Besitz eines türkischen Reisepasses befinde, der ihm von der Botschaft seines Heimatstaates in Österreich anstandslos ausgestellt worden sei, sodass sich eine Überprüfung seiner Person bei der Einreise in die Türkei auf eine Routinekontrolle beschränken werde. Der Beschwerdeführer habe in seiner Heimat trotz der von ihm geschilderten Vorfälle, denen für eine künftige Verfolgungsgefahr keine Bedeutung mehr zukomme, nicht mit einer aktuellen Verfolgung zu rechnen, sei er doch nach eigenen Angaben weder Mitglied einer politischen Partei noch einer bewaffneten Gruppierung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 57 Abs. 1 FrG ist die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde.

Gemäß § 57 Abs. 2 FrG ist die Zurückweisung oder Zurückschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre.

Im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 75 Abs. 1 FrG hat der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG im Verfahren gemäß § 75 leg. cit. die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der in § 57 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2005, Zl. 2003/21/0219, mwN).

Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, die belangte Behörde habe dem im Antrag vom 3. März 2003 gestellten Ersuchen um Beischaffung des Asylaktes und um Parteienvernehmung nicht entsprochen. Gemäß § 57 Abs. 3 FrG komme Fremden das Recht zu, die Gründe darzulegen, aus denen sie nicht zurückgewiesen oder zurückgeschoben werden dürfen. Bei dieser Vernehmung hätte der Beschwerdeführer zu seinen Folterungen befragt werden müssen.

Diesem Vorbringen ist zunächst zu entgegnen, dass der Beschwerdeführer die Gründe, die im Sinn des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG seiner Abschiebung entgegen stehen, schon im Antrag auf Feststellung gemäß § 75 FrG darlegen konnte. Dort hat der Beschwerdeführer - abgesehen vom nicht näher präzisierten und daher nicht weiter zu prüfenden "Problem mit dem türkischen Militär" - ausdrücklich auf die im Asylverfahren geltend gemachten Fluchtgründe verwiesen. Dass sein Vorbringen im Asylverfahren über die dem angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegten Fluchtgründe hinaus gegangen wäre, wird in der Beschwerde nicht behauptet. Die belangte Behörde hatte daher zu beurteilen, ob auf Grund der oben dargestellten Fluchtgeschichte eine Gefährdung des Beschwerdeführers in der Türkei im Sinn des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG zu befürchten sei. Dieser Beurteilung hat sie die vom Beschwerdeführer behaupteten beiden Inhaftierungen und die nach seinen Angaben dabei erlittenen Folterungen zu Grunde gelegt. Nach Ansicht der belangten Behörde sei daraus aber eine - aktuelle - Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer nicht abzuleiten. Ob diese Folgerung berechtigt ist, kann dahingestellt bleiben, weil die Beschwerde der Ansicht der belangten Behörde, dem Beschwerdeführer stehe im Heimatstaat eine zumutbare Ausweichmöglichkeit offen, nicht konkret entgegengetreten ist.

Als mögliche Gründe für eine Gefährdung im Sinn des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG bleiben nach den Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren seine Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe und der erkennbar geltend gemachte Nachfluchtgrund der Asylantragstellung in Österreich. Bereits die Erstbehörde hat eine Gefährdung des Beschwerdeführers unter diesen Gesichtspunkten verneint und dies einerseits mit den Lebensverhältnissen der kurdischen Bevölkerung in der Türkei und mit ihrem erheblichen Anteil an der Gesamtbevölkerung sowie andererseits mit (nicht näher genannten) Aussagen von Flüchtlingsorganisationen begründet. Die belangte Behörde ihrerseits stützt sich in diesem Zusammenhang auf ein angebliches (offenbar auf ihrer Anfrage im Sinn des § 75 Abs. 3 FrG - vgl. Akt Seite 401 - beruhendes) Gutachten eines Ländersachverständigen. Letzteres befindet sich jedoch - wie die Beschwerde zu Recht bemängelt - nicht im Akt. Auch das Parteiengehör wurde dem Beschwerdeführer zu diesen Aussagen bzw. Gutachten nicht gewährt. Diese Verfahrensmängel führen aber nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides, wenn ihnen Relevanz zukommt, was aus folgenden Gründen nicht der Fall ist:

Dass die kurdische Volksgruppe einen erheblichen Anteil der Gesamtbevölkerung der Türkei bildet und dort auch in höheren beruflichen und gesellschaftlichen Positionen vertreten ist, kann als bei der Behörde offenkundig im Sinn des § 45 Abs. 1 AVG angesehen werden und bedarf daher keines besonderen Beweises (vgl. zur allgemeinen Situation der Kurden auch das bereits wiederholt zitierte Erkenntnis Zl. 2003/21/0219). Von daher begegnet es keinen Bedenken, wenn die belangte Behörde die Ansicht vertrat, der Beschwerdeführer habe in seiner Heimat allein wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit keine Gefährdung zu befürchten. Begründete gegenteilige Anhaltspunkte finden sich nämlich weder in den vom Beschwerdeführer vorgelegten Länderberichten und werden auch in der Beschwerde nicht konkret dargetan. Entsprechendes gilt für die behördliche Feststellung, der Beschwerdeführer habe bei seiner Rückkehr in die Türkei im Hinblick auf sein gültiges Reisedokument nur mit einer Routinekontrolle und mit keiner Verfolgung wegen seines hier gestellten Asylantrages zu rechnen. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer gar nicht behauptet, dass türkische Behörden von seinem Asylantrag überhaupt Kenntnis erlangt hätten.

Nach dem Gesagten war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 9. Juni 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003210181.X00

Im RIS seit

30.06.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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