TE OGH 1985/2/27 1Ob507/85

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Veröffentlicht am 27.02.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Hofmann, Dr. Riedler und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Wolfgang A, Beamter, Steyr, Tomitzstraße 10, vertreten durch Dr. Walter Lanner, Rechtsanwalt in Steyr, wider die beklagte Partei Angela Maria A, Hausfrau, Steyr, Schlühslmayrstraße 93, vertreten durch Dr. Josef Lechner, Rechtsanwalt in Steyr, wegen Aufhebung der Ehe infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 25. September 1984, GZ 3b R 106/84-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Teilurteil des Kreisgerichtes Steyr vom 11. April 1984, GZ 3b Cg 36/83-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Prozeßgericht erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Prozeßkosten.

Text

Begründung:

Die Streitteile sind österreichische Staatsbürger. Der Kläger lernte die Beklagte im Jahre 1968 in einem Tennisclub kennen. Entweder am 27. Juli oder am 3. August 1968 kam es zwischen ihnen zu einem Geschlechtsverkehr. Als der Kläger am 25. August 1968 von einem Urlaub zurückkehrte, teilte ihm die Beklagte mit, sie glaube, schwanger zu sein. Der Kläger, dem bekannt war, daß die Beklagte (früher) auch ein Verhältnis mit seinem Vorgesetzten Dr. Helmut B unterhalten hatte, fragte die Beklagte, ob dieses Verhältnis noch aufrecht sei. Die Beklagte erklärte ihm aber, das Verhältnis sei schon längst beendet worden. Der Kläger machte daraufhin der Beklagten den Vorschlag, sie zu ehelichen, womit die Beklagte sofort einverstanden war. Die Eheschließung fand am 20. Dezember 1968 statt. Der Kläger hätte die Beklagte ohne die bestehende Schwangerschaft zumindest nicht an dem Tag, an dem die Streitteile tatsächlich geheiratet haben, geehelicht. Am 4. Februar 1969 wurde die Beklagte von einem 1330 Gramm schweren Knaben entbunden, der wenige Stunden nach der Geburt verstarb. Bereits vier Monate nach dieser Frühgeburt wurde die Beklagte erneut schwanger. Am 16. März 1970 gebar sie den Sohn Wilfried und nach einer Fehlgeburt am 17. Februar 1973 die Tochter Gudrun. Anläßlich eines Polizeiballes am 31. Jänner 1982 kam der Kläger mit Hannelore C, die er vorhin nur vom Sehen gekannt hatte, näher in Kontakt. Obwohl der Kläger mit der Beklagten und den Kindern im Februar 1982 noch einen gemeinsamen Schiurlaub verbracht hatte, kam es zwischen ihm und Hannelore C in der Folge zu intimen Beziehungen, die noch jetzt aufrecht sind. Im Februar 1982

begann der Kläger mit Nachforschungen über das Vorleben der Beklagten. Bei Durchsicht der Korrespondenz fand er eine aus dem Jahre 1968 an die Beklagte gerichtete Postkarte mit Urlaubsgrüßen eines anderen Mannes.

Der Kläger begehrt, gestützt auf die Bestimmungen der §§ 37, 38 EheG in erster Linie die Aufhebung seiner Ehe. Er habe die Beklagte nur wegen der bestehenden Schwangerschaft geheiratet. Als Aufhebungsgründe machte er geltend, daß ihm die Beklagte vor der Eheschließung die Tatsache eines Mehrverkehrs innerhalb der gesetzlichen Vermutungsfrist und die Schwängerung durch einen Dritten (entweder durch Erich D oder durch Dr. Helmut B) bewußt verschwiegen habe.

Die Beklagte wendete unter anderem ein, sie habe innerhalb der gesetzlichen Vermutungsfrist im Jahre 1968 nur mit dem Kläger geschlechtlich verkehrt, sie habe den Kläger daher auch nicht in Irrtum geführt.

Das Erstgericht wies mit Teilurteil das Aufhebungsbegehren ab. In seiner Beweiswürdigung führte es aus, es falle schwer, zwischen den Nachforschungen des Klägers und seiner Bekanntschaft mit Hannelore C keinen Zusammenhang zu sehen. Objektiv gesehen stelle wohl das Verhältnis zwischen dem Kläger und Hannelore C die wahre Ursache der mit solcher Vehemenz angestrebten Eheauflösung dar. Es habe zumindest den Anschein, daß die Aufhebungsklage bloß eine anläßlich des mit Hannelore C gemeinsamen Studiums des bürgerlichen Rechts auf dem Reißbrett entstandene Konstruktion sei. Rechtlich ging es davon aus, daß eine Aufhebung nach § 37 EheG auf Grund der Bewährungsklausel sittlich nicht gerechtfertigt wäre. § 38 EheG enthalte allerdings keine Bewährungsklausel. Dies könne aber zu unbilligen Ergebnissen führen. Die deutsche Rechtsprechung begegne einem nicht mehr gerechtfertigten Aufhebungsbegehren mit dem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung. In der österreichischen Lehre und Rechtsprechung sei anerkannt, daß auch ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung jede mißbräuchliche Rechtsausübung verboten sei. Es sei zu bedenken, daß der Kläger selbst ein ehebrecherisches Verhältnis eingegangen sei. Zwischen dem Zeitpunkt der Eingehung dieses Verhältnisses und dem Zeitpunkt, zu dem der Kläger mit seinen Recherchen in Richtung Eheaufhebung begonnen habe, bestehe ein auffallender Zusammenhang. Es sei deshalb nicht von der Hand zu weisen, daß das Aufhebungsbegehren vor allem ein Druckmittel gegen allzu hohe Unterhaltsforderungen der Beklagten und um möglichst rasch das Einverständnis der Beklagten zur Auflösung der Ehe zu erzielen, verwendet werden solle. Das Aufhebungsbegehren des Klägers sei daher nicht gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Nach der deutschen Lehre und Rechtsprechung dürfe das Aufhebungsbegehren dem rechtlichen und sittlichen Empfinden aller anständig und billig Denkenden nicht grob widersprechen. Das sei aber der Fall, wenn ein Ehegatte von dem ihm durch das Gesetz gegebenen Recht zu einem anderen, dem Sinn der Ehe widersprechenden Zweck Gebrauch mache, z. B. wenn die aufgedeckte Täuschung, die ihn innerlich nicht berührt habe, von ihm als willkommener Vorwand benützt werde, um sich von dem ihm als lästig empfundenen Eheband zu lösen und einer anderen jüngeren Frau zuwenden zu können. Keine unzulässige Rechtsausübung liege aber dann vor, wenn der die Aufhebung begehrende Ehegatte schon vor der Entdeckung der Täuschung entschlossen gewesen sei, aus einem anderen Grund die Auflösung der Ehe zu erreichen und er nunmehr die Täuschung dazu benütze, dieses Ziel leichter zu verwirklichen. Im österreichischen Recht fehle zwar eine dem allgemeinen Schikaneverbot des § 226 BGB entsprechende Bestimmung, jedoch ergebe sich aus der Stellung mißbräuchlicher Rechtsausübung unter die Sanktionen der Schadenersatzpflicht des § 1295 ABGB, aus der rechtlichen Gleichstellung eines gegen die guten Sitten verstoßenden Tatbestandes mit dem gegen ein gesetzliches Verbot verstoßenden (§ 879 ABGB), und aus einer Reihe gegen mißbräuchliche Rechtsausübung gerichtete Spezialbestimmungen (§§ 94, 830, 1212 ABGB) die Schlußfolgerung, daß nach österreichischem Recht Schikane nicht nur so weit verboten sei, als Schadenersatzpflicht daran geknüpft werde, sondern daß jeder mißbräuchlichen Rechtsausübung einredeweise entgegengetreten werden könne. Verstoße die Ausübung des vermeintlichen Rechtes gegen die guten Sitten, dann liege eben in Wahrheit nur eine Scheinrechtsausübung vor. Das Berufungsgericht teile daher die grundsätzliche Ansicht des Erstgerichtes, wonach trotz des Fehlens einer ausdrücklichen Bestimmung über die Bewährung der Ehe im § 38 EheG bei Vorliegen von mißbräuchlicher Rechtsausübung dem Aufhebungsbegehren nicht stattzugeben sei. Es sei davon auszugehen, daß der Kläger die Aufhebung seiner Ehe mit der Beklagten deshalb begehre, weil er nicht der Erzeuger des von der Beklagten am 4. Februar 1969 geborenen Kindes sei. Selbst bei Zutreffen dieser Behauptung müßte aber bedacht werden, daß dieses Kind bereits einige Stunden nach der Geburt verstorben sei, sodaß an sich schon dieser Umstand indiziere, daß die Aufhebungsklage sittlich nicht mehr gerechtfertigt erscheine, wenn die Ehe ca. 14 Jahre lang fortgesetzt worden sei. Es müsse weiters darauf verwiesen werden, daß der Ehe immerhin zwei weitere Kinder entstammten, wobei die Beklagte bereits vier Monate nach der Frühgeburt erneut schwanger geworden sei. Der Kläger könne nicht bestreiten, daß seine Nachforschungen über die Vaterschaft des am 4. Februar 1969 geborenen Kindes erst im Februar 1982 zu einem Zeitpunkt eingesetzt hätten, als er Hannelore C näher kennengelernt habe. Es sei offensichtlich, daß das ausschlaggebende Motiv des Klägers für seine Nachforschungen das intime Verhältnis mit Hannelore C gewesen sei. Dies rechtfertige die Abweisung des Aufhebungsbegehrens. Auch wenn sich vielleicht der Kläger vor dem Einsetzen seiner Nachforschungen schon einmal mit Scheidungsgedanken getragen habe, so sei das nunmehrige Aufhebungsbegehren offensichtlich nur als willkommener Vorwand des Klägers zu werten, um sich leichter von der Ehe mit der Beklagten lösen zu können. Das Aufhebungsbegehren widerspreche in diesem Falle dem rechtlichen und sittlichen Empfinden aller anständig und billig Denkenden grob, es liege eine mißbräuchliche Rechtsausübung vor. Daran ändere auch das noch zulässigerweise in der Berufung erstattete neue Vorbringen, daß die Ehe der Streitteile seit deren Eingehen nie gut verlaufen sei, es am Ehewillen gefehlt habe und eine geistige und seelische Gemeinschaft nie zustande gekommen sei, nichts, da es bereits durch die Angaben des Klägers in seiner Parteienvernehmung widerlegt sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist berechtigt.

Im Vordergrund steht die Frage, ob nach dem Vorbringen des Klägers der Aufhebungsgrund der arglistigen Täuschung nach § 38 EheG gegeben sein und er sich auf einen solchen Grund mit Erfolg berufen könne. Immer dann, wenn der Täuschende verhindern will, daß der Getäuschte durch Kenntnis der wahren Sachlage von der Eingehung der Ehe Abstand nimmt, ist die Täuschung arglistig;

Schädigungsabsicht ist nicht erforderlich, auf das Motiv der Täuschung kommt es nicht an (SZ 42/192; Ehrenzweig-Schwind, Familienrecht 3 40; Pichler in Rummel, ABGB, Rdz 8 zu §§ 36 bis 38 EheG). Die arglistige Täuschung muß für den Abschluß der Ehe kausal sein (SZ 42/192; Schwind in Klang 2 I/1, 690;

Beitzke, Familienrecht 22 40 f; Gernhuber, Lehrbuch des Familienrechts 3

137; Godin, Ehegesetz 2 101). Eine arglistige Täuschung kann nicht nur dann vorliegen, wenn ein Ehepartner vor Eingehung der Ehe (über ausdrückliches Befragen durch den anderen) bewußt falsche Angaben macht, sie wird auch dann zu bejahen sein, wenn ein Eheteil bewußt eine ihn treffende Mitteilungspflicht verletzt. Jeder Ehepartner hat nämlich vor Eingehen der Ehe dem anderen alle Umstände, die das Wesen der Ehe betreffen und die auf Dauer für die Grundlage der ehelichen Gemeinschaft und des Familienlebens bedeutsam sind, wahrheitsgemäß mitzuteilen (Ehrenzweig-Schwind aaO 39 und die in FN 4 angeführte Rechtsprechung; Gernhuber aaO, Hoffmann-Stephan, Ehegesetz 2 337).

Ist eine Frau schwanger und erklärt der Mann, der innerhalb der Empfängniszeit mit ihr geschlechtlich verkehrt hatte, er werde sie (deshalb) ehelichen, so hat die Schwangere auch ohne daß sie in dieser Richtung von ihrem Bräutigam ausdrücklich befragt worden wäre, von sich aus zutreffendenfalls klarzulegen, daß sie innerhalb der Empfängniszeit mit anderen Männern geschlechtlich verkehrt hatte, sodaß auch diese als Vater des zu erwartenden Kindes in Betracht kämen (Gernhuber aaO 138; Hoffmann-Stephan aaO 337 f; Schwab, Familienrecht 3 44); schon die Möglichkeit der Schwangerschaft durch einen anderen Mann begründet eine Offenlegungspflicht (BGHZ 29, 265, 268; Dölle, Familienrecht I 331 FN 277; Müller-Gindullis in Münchener Kommentar § 33 EheG RZ 7). Ob das Kind tatsächlich von einem anderen Mann stammt, ist dann aber bedeutungslos. Kausal für den Abschluß der Ehe war nicht die Tatsache der erst nach der Eheschließung erfolgten Geburt, sondern die Schwangerschaft, von der der Kläger es für ausgeschlossen hielt, auch ein anderer Mann könne als Erzeuger in Betracht kommen (BGHZ 29, 265, 268). Würden die Behauptungen zutreffen, die Beklagte habe innerhalb der für den am 4. Februar 1969

verstorbenen Knaben in Betracht kommenden Empfängniszeit auch mit anderen Männern geschlechtlich verkehrt, wäre daher der Aufhebungstatbestand nach § 38 Abs 1 EheG durch sie gesetzt worden. Wie die Vorinstanzen zutreffend ausführten, enthält § 38 EheG keine dem § 37 Abs 2 EheG zweiter Halbsatz entsprechende Bewährungsklausel. Die Beklagte kann sich daher nicht darauf berufen, daß das Verlangen nach Aufhebung der Ehe mit Rücksicht auf die bisherige Gestaltung des ehelichen Lebens der Ehegatten sittlich nicht gerechtfertigt erschiene (Schwind, Eherechy 2 172; Schwind in Klang 2 I/1, 691; Pichler aaO Rdz 10;

Gschnitzer-Faistenberger, Familienrecht 2 27; Godin aaO 102). Schwind in Klang aaO 691 hält das Fehlen der Bewährungsklausel im § 38 EheG zwar rechtspolitisch für verfehlt, sieht aber für den österreichischen Rechtsbereich keine Möglichkeit, den von der deutschen Lehre und Rechtsprechung vorgezeichneten Weg einer unzulässigen Rechtsausübung als gangbaren Ausweg zu wählen. Die deutsche Lehre erblickt in der Geltendmachung einer arglistigen Täuschung nach § 38 EheG (= § 33 deutsches Ehegesetz) dann einen Rechtsmißbrauch, wenn dieses Begehren gegen Treu und Glauben verstößt (Hoffmann-Stephan aaO 341 mwN). Davon ausgehend sprach der deutsche Bundesgerichtshof in einem vergleichbaren Fall aus, es entspreche nicht dem sittlichen Wesen der Ehe, daß der getäuschte Ehegatte die Aufhebung der Ehe willkürlich aus einem Grund erstrebe, der mit der Täuschung in keinem Zusammenhang stehe und diese nur als willkommenen Vorwand benütze, um sich von dem ehelichen Band zu befreien. Deswegen sei auch nach § 33 Abs 2 dEheG die Aufhebung ausgeschlossen, wenn der Ehegatte nach der Entdeckung der Täuschung zu erkennen gegeben habe, daß er die Ehe fortsetzen wolle, denn dadurch verliere der Mangel der Ehe seine Bedeutung. Der getäuschte Ehegatte gebe zu erkennen, daß trotz der Täuschung die Vertrauensgrundlage wenigstens jetzt bestehe. Ergebe sich aus dem Verhalten des die Aufhebung begehrenden Ehegatten, daß er sich von dem als lästig empfundenen Eheband allein deswegen lossagen wolle, um sich einer anderen Person zuwenden zu können und die arglistige Täuschung nur als willkommenen Vorwand benutze, um dieses Ziel zu erreichen, dann mache er von dem ihm nach § 33 dEheG eingeräumten Recht einen unzulässigen Gebrauch. Indem er sich willkürlich von seiner ehelichen Bindung lösen wolle, verfolge er ein von der Rechtsordnung mißbilligtes Ziel, das dem Wesen der Ehe widerspreche. Um es zu erreichen, benütze er einen Rechtsbehelf, der nur dazu dienen dürfe, eine Ehe zu lösen, die als volle Lebensgemeinschaft nicht weiter bestehen könne, weil die notwendige Grundlage fehle. Das Gebrauchmachen von diesem Rechtsbehelf ausschließlich zu einem anderen, dem Sinn der Ehe widersprechenden Zweck sei eine unzulässige Rechtsausübung (BGHZ 5, 186, 188 f). Diese Entscheidung wurde zwar von einem Teil der Lehre (kommentarlos) gebilligt (Diederichsen in Palandt 44 2432;

Ambrock, Ehe und Ehescheidung 443; Dölle aaO); schon Hoffmann-Stephan aaO weist aber zutreffend darauf hin, daß sich jede Ehe auf die gegenseitige Achtung und das gegenseitige Vertrauensverhältnis gründe. Diese Grundlage werde aufs schwerste erschüttert, wenn offenbar werde, daß ein Ehegatte durch arglistige Täuschung zur Eheschließung bewogen worden sei. Es sei dann in aller Regel sittlich nicht mehr gerechtfertigt, den getäuschten Ehegatten an der Ehe festzuhalten. Godin aaO 102 bezeichnet den Rückgriff auf die unzulässige Rechtsausübung als mißlich, Schwab aaO hält diese Rechtsprechung ohne nähere Gründe für bedenklich. Müller-Gindullis aaO Rz 12 nimmt eine unzulässige Rechtsausübung nur dann an, wenn die Täuschung den Getäuschten innerlich nicht berührt hat, er vielmehr die Aufhebung der Ehe allein deswegen anstrebt, um sich von einem ihm als lästig empfundenen Eheband zu befreien. Am entschiedensten wandte sich Ramm, Eheaufhebung oder Eheanfechtung in FS Hippel 333 FN 68 gegen die Entscheidung des Bundesgerichtshofes BGHZ 5, 186. Der vom Bundesgerichtshof dem Mann gegenüber erhobene Vorwurf könne von einem Außenstehenden nicht nachgeprüft werden. Der Schluß von unterhaltenen ehewidrigen Beziehungen darauf, daß die nunmehr erkannte Täuschung einen willkommenen Vorwand liefere, sei absolut nicht zwingend. Es könne damit nicht ausgeschlossen werden, daß auch die Entdeckung der arglistigen Täuschung einen Lösungsgrund bildet, weil ja mehrere Motive nebeneinander existieren könnten. Diesen Gedankengängen hat sich der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung BGHZ 29, 265 nicht verschlossen. Dort führte er unter anderem aus, das Aufhebungsbegehren stelle dann keine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn der getäuschte Ehegatte schon vor der Aufdeckung der Täuschung das Eheband lösen wollte, weil die Ehe sich nicht recht entfaltet habe und weil er glaube, wegen der Verschiedenheit der geistigen Veranlagung der Ehegatten sei eine rechte Ehe nicht möglich. Es könne sein, daß auch in diesem Fall die Täuschung dazu benützt werde, die erstrebte Auflösung des Ehebandes leichter zu erreichen.

Deswegen allein verstoße das Begehren auf Aufhebung der Ehe jedoch noch nicht gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden Menschen. § 33

dEheG gebe dem getäuschten Ehegatten grundsätzlich das Recht, die Aufhebung der Ehe zu verlangen. Dieses Recht werde nicht dadurch geschmälert, daß der Ehegatte vor der Entdeckung der Täuschung aus einem anderen Grund entschlossen gewesen sei, die Auflösung der Ehe zu erreichen. Es komme auch nicht darauf an, ob der Ehegatte auch ohne die Täuschung berechtigt gewesen sei, eine Scheidung der Ehe zu verlangen. § 33 Abs 2 dEheG überlasse es der von dem eigenen sittlichen Verantwortungsbewußtsein des Getäuschten getragenen Entschließung, ob er die Ehe nach der Entdeckung der Täuschung bestätigen und fortsetzen wolle. Es liege in der Natur der Sache, daß der getäuschte Ehegatte sich hiezu umso weniger leicht entschließen könne, je weniger eine wahre innerliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten bestehe. Wenn die Entdeckung der Täuschung den getäuschten Gatten, der sich ohnehin seinem Ehepartner nicht mehr stark verbunden fühle, innerlich auch weniger schwer als einen anderen, in guter Ehe lebenden Ehegatten treffe, sei doch der Tatbestand des § 33

dEheG erfüllt. Das Ziel allein, die Auflösung der Ehe zu erreichen, könne dieses Verlangen nicht unzulässig machen, da das Gesetz dem getäuschten Ehegatten das Recht zur Klage gerade zur Erreichung dieses Zieles gebe.

Für den österreichischen Rechtsbereich ist davon auszugehen, daß § 38 Abs 2 EheG neben dem Fristenverlauf nach § 40 EheG nur zwei Gründe anführt, derentwegen ungeachtet des Vorliegens einer arglistigen Täuschung nach § 38 Abs 1 EheG die Aufhebung ausgeschlossen ist: Täuschung durch einen Dritten ohne Wissen des Ehegatten und Bestätigung der Ehe nach Entdeckung der Täuschung. Jeder andere im Gesetz nicht ausdrücklich angeführte Grund für den Ausschluß einer auf § 38 Abs 1 EheG gestützten Aufhebungsklage müßte an Gewicht den im § 38 Abs 2 EheG genannten Gründen gleichkommen. Der Bestätigung der Ehe nach Täuschung käme an Gewicht nur gleich, wenn feststünde, daß der Kläger, hätte er vom Aufhebungsgrund Kenntnis gehabt, dies nicht zum Anlaß einer Aufhebungsklage genommen hätte, die Aufdeckung der arglistigen Täuschung für ihn demnach kein Motiv für die beabsichtigte Lösung der Ehe gebildet hätte. In diesem Fall würde der Kläger ein ihm im Einzelfall zustehendes Recht zu nach allgemein rechtlichen und sittlichen Prinzipien nachhaltig mißbilligten Zwecken, somit rechtsmißbräuchlich einsetzen. Ein solches Vorbringen wurde aber weder von der Beklagten erstattet noch von den Tatsacheninstanzen festgestellt. Das Erstgericht sprach vielmehr in den Erwägungen zur Beweiswürdigung aus, es habe bloß den Anschein, daß die Aufhebungsklage eine Konstruktion sei. Es traf somit gerade keine in die Richtung eines Rechtsmißbrauches weisende Feststellung, sondern erging sich bloß in Vermutungen. Auf Grund solcher Vermutungen des Erstgerichtes war es dem Berufungsgericht, das selbst davon ausging, daß die Bekanntschaft des Klägers mit Hannelore C das ausschlaggebende (somit nicht das alleinige) Motiv für seine Nachforschungen gewesen sei, aber verwehrt, in seiner rechtlichen Beurteilung auszusprechen, der Kläger verwende das Aufhebungsbegehren nur als willkommenen Vorwand, die Ehe lösen zu können.

Die Beklagte wendete nicht ein, das Aufhebungsbegehren des Klägers erfolge rechtsmißbräuchlich; einer Verbreiterung der Tatsachengrundlage in dieser Richtung bedarf es daher nicht. Liegt aber ein rechtsmißbräuchliches Aufhebungsbegehren nicht vor, so sind, weil es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, gemäß § 510 Abs 1 ZPO die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache an das Prozeßgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Im fortgesetzten Verfahren werden Feststellungen darüber zu treffen sein, ob die Behauptungen des Klägers, die Beklagte habe innerhalb der Empfängniszeit des am 4. Februar 1969

geborenen Knaben mit anderen Männern geschlechtlich verkehrt und ihm dies verschwiegen, zutreffen. Das Verschweigen des Erhaltes eines Urlaubskartengrußes wurde vom Kläger erstmals in der Berufung, jedoch außerhalb der Frist des § 40 EheG als Aufhebungsgrund geltend gemacht.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E05100

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0010OB00507.85.0227.000

Dokumentnummer

JJT_19850227_OGH0002_0010OB00507_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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