TE Vwgh Erkenntnis 2005/6/21 2005/06/0034

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Veröffentlicht am 21.06.2005
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
25/02 Strafvollzug;

Norm

ABGB §44;
ABGB §90;
StVG §119;
StVG §120;
StVG §20 Abs1;
StVG §20 Abs2;
StVG §93 Abs2 idF 1993/799;
StVG §93 idF 1993/799;
StVG §94 Abs1 idF 1993/799;
StVG §94 idF 1993/799;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Rosenmayr und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde

1.) des KF in G und 2.) der KF in O, beide vertreten durch Dr. Richard Soyer, Mag. Wilfried Embacher und Mag. Josef Bischof, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 20. Dezember 2001, Zl. 444.254/5-V.6/2001, betreffend eine Angelegenheit des Strafvollzuges, zu Recht erkannt:

Spruch

Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin betreffend Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Erstbeschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Die Zweitbeschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Erstbeschwerdeführer verbüßt in der Justizanstalt X eine lebenslange Freiheitsstrafe u.a. wegen der Verbrechen des Mordes und des schweren Raubes. Er ist mit der (nicht inhaftierten) Zweitbeschwerdeführerin verheiratet.

Am 29. März 2001 stellten die Beschwerdeführer an den Leiter der Justizanstalt X einen Antrag auf Ermöglichung von Sexualkontakten. Art. 8 und 12 EMRK sowie § 44 ABGB räumten dieses Recht ein. Die nach Art. 8 Abs. 2 EMRK geforderten Eingriffsvoraussetzungen lägen nicht vor, weil kein Grund für die Annahme bestünde, dass unbeaufsichtigte Besuche der Zweitbeschwerdeführerin eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung im Gefängnis darstellen könnten.

Der Leiter der Justizanstalt X gab dem Ansuchen mit Bescheid vom 20. April 2001 mit der Begründung nicht statt, dass der wesentliche Aspekt eines Besuches gemäß den §§ 93 ff StVG in der Ermöglichung sozialer Kontakte verbaler Natur zwischen einem Strafgefangenen und seinem Besucher bestehe. Obzwar auf die Überwachung solcher Besuche, soweit keine Bedenken bestünden, verzichtet werden könnte, sei die Einräumung von Sexualkontakten in diesem Rahmen gesetzlich nicht vorgesehen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der dagegen erhobenen Beschwerde des Erstbeschwerdeführers in Spruchpunkt 1. nicht Folge, während sie die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin als unzulässig zurückwies (Spruchpunkt 2.).

Die belangte Behörde gründete ihren Bescheid gegenüber dem Erstbeschwerdeführer auf § 20 Abs. 2 und § 93 Abs. 2 StVG. Sie vertrat die Auffassung, Strafgefangenen werde weder im Strafvollzugsgesetz noch durch familienrechtliche Bestimmungen des ABGB ein subjektives Recht auf Fortsetzung der Geschlechtsgemeinschaft mit dem Ehepartner während des Strafvollzuges eingeräumt. Aus der Ermächtigung in § 93 Abs. 2 StVG, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf die Überwachung von Familienbesuchen zu verzichten, sei kein subjektives Recht auf geschlechtliche Begegnung ableitbar. Ein derartiger Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens sei im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt.

Die Europäische Kommission für Menschenrechte (EKMR) habe mit Entscheidung vom 3. Oktober 1978, Beschwerde-Nr. 8166/78, ausgesprochen, "dass es allgemein zum Zwecke der Aufrechterhaltung der Ordnung im Gefängnis nach Artikel 8 Abs. (2) EMRK gerechtfertigt ist, sexuelle Beziehungen von Ehepaaren im Gefängnis nicht zuzulassen". In diesem Sinn habe die EKMR auch am 22. Oktober 1997 in Erledigung der Beschwerden Nr. 32094/96 und 32568/96 entschieden, dass ein derartiger Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens i.S.d. Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt sei. Ein gerechtfertigter Eingriff gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK könne auch keine Verletzung des Art. 12 EMRK darstellen.

Aus § 100 StVG, der ein subjektives Recht auf Eheschließung einräume, könne nicht zwingend ein ebensolches Recht auf eheliche Beiwohnung während der Haft in der Anstalt abgeleitet werden. Der bürgerliche Ehebegriff nach § 44 ABGB erschöpfe sich weder ausnahmslos in der ehelichen Beiwohnung, noch werde dem ehelichen Geschlechtsakt eine dem kanonischen Recht vergleichbare Gültigkeitswirkung beigemessen. Die Entwicklung in einzelnen europäischen Staaten habe in den österreichischen Rechtsbestand bislang noch keinen Eingang gefunden. Daher könne auch die deutsche Lehre nicht für Österreich herangezogen werden.

Gegenüber der Zweitbeschwerdeführerin berief sich die belangte Behörde auf die §§ 119 und 120 Abs. 1 StVG, die die Antrags- bzw. Beschwerdelegitimation von Strafgefangenen normierten. Da Angehörigen von Strafgefangenen keine Parteistellung eingeräumt werde, seien das Ansuchen und die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin als unzulässig zurückzuweisen gewesen.

Dagegen erhoben die Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 30. September 2002, B 147/02, abgelehnt und sie mit Beschluss vom 30. Oktober 2002 dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem ablehnenden Beschluss zu der vom Beschwerdeführer geltend gemachten, den Gehalt der aus Art. 8 EMRK erfließenden Rechte auf Achtung des Privatlebens grob verkennenden Gesetzesanwendung ausgeführt, dass sein Vorbringen

"vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, des Verwaltungsgerichtshofes sowie der Rechtschutzorgane der Europäischen Menschenrechtskonvention (s. VfSlg. 8691/1979; VwGH 30. April 1980, / 527/80 = VwSlg. 10.115 A/1980; VwGH 16. September 1992, Z 92/010344; EKMR 10. Juli 1991, Z 17.142/90; 22. Oktober 1997, Z 32094/96 und 32.568/96; EGMR 18. September 2001, Z 47.095/99 (Kalashnikov/Rußland)), wonach es nicht als Verstoß gegen Art. 8 EMRK anzusehen ist, wenn bei Verhängung einer Strafhaft keine Möglichkeit besteht, geschlechtliche Kontakte mit dem Ehegatten zu pflegen, die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat."

In der ergänzten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof machen die Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Beide Beschwerdeführer erachten sich "in dem ihnen durch § 93 StVG gewährleisteten Recht" auf unüberwachte Besuche, wobei auch die Möglichkeit der Ausführung sexueller Kontakte zwischen den Ehegatten grundsätzlich nicht verboten sei, sowie in dem durch § 60 AVG gewährleisteten Recht auf klare und übersichtliche Begründung eines Bescheides, die Zweitbeschwerdeführerin weiters in ihrem durch § 8 AVG sowie §§ 11 und 13 StVG gewährleisteten Recht auf Stellung von Ansuchen und Erhebung von Beschwerden durch Verneinung ihrer Parteistellung verletzt.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift samt Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes (StVG), BGBl. Nr. 144/1969 (davon § 86, §§ 93 bis 95 und § 100 i.d.F. der Novelle BGBl. Nr. 799/1993), lauten (auszugsweise):

"Zwecke des Strafvollzuges

§ 20. (1) Der Vollzug der Freiheitsstrafen soll den Verurteilten zu einer rechtschaffenen und den Erfordernissen des Gemeinschaftslebens angepassten Lebenseinstellung verhelfen und sie abhalten, schädlichen Neigungen nachzugehen. Der Vollzug soll außerdem den Unwert des der Verurteilung zu Grunde liegenden Verhaltens aufzeigen.

(2) Zur Erreichung dieser Zwecke und zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in den Anstalten zum Vollzug von Freiheitsstrafen sind die Strafgefangenen nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes und der darauf gegründeten Vorschriften von der Außenwelt abzuschließen, sonstigen Beschränkungen ihrer Lebensführung zu unterwerfen und erzieherisch zu beeinflussen.

(3) ...

Abschließung

§ 21. (1) Die Strafgefangenen dürfen, soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt ist, die Anstalt zum Vollzug von Freiheitsstrafen bis zu ihrer Entlassung nicht verlassen, Außenarbeiten nur unter Aufsicht verrichten und mit Personen außerhalb der Anstalt nicht verkehren.

(2) ... ."

"Verkehr mit der Außenwelt

Gemeinsame Bestimmungen für Briefverkehr, Telefongespräche und Besuche

§ 86. (1) Die Strafgefangenen dürfen nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes mit anderen Personen und Stellen schriftlich verkehren und Telefongespräche führen sowie Besuche empfangen. ...

(2) Briefverkehr, Telefongespräche und Besuche sind jedoch zu untersagen, soweit davon eine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt oder ein ungünstiger Einfluss auf den

Strafgefangenen zu befürchten ist. ... ."

"Besuche

§ 93. (1) Strafgefangene dürfen Besuche innerhalb der festgesetzten Besuchszeiten so oft und in dem zeitlichen Ausmaß empfangen, als deren Abwicklung mit vertretbarem Aufwand gewährleistet werden kann. Es darf ihnen nicht verwehrt werden, jede Woche wenigstens einen Besuch in der Dauer von mindestens einer halben Stunde zu empfangen; wenigstens einmal innerhalb von sechs Wochen ist die Besuchsdauer auf mindestens eine Stunde zu verlängern. Erhält ein Strafgefangener selten Besuch oder hat ein Besucher einen langen Anreiseweg, so ist die Besuchsdauer jedenfalls angemessen zu verlängern.

(2) Zur Regelung wichtiger persönlicher, wirtschaftlicher oder rechtlicher Angelegenheiten, die weder schriftlich erledigt noch bis zur Entlassung aufgeschoben werden können, sowie zur Aufrechterhaltung familiärer und sonstiger persönlicher Bindungen ist den Strafgefangenen in geeigneten Räumlichkeiten Gelegenheit zum Empfang von Besuchen in hiefür angemessener Häufigkeit und Dauer, erforderlichenfalls auch außerhalb der Besuchszeiten, zu geben. Auf eine Überwachung solcher Besuche kann, soweit keine Bedenken bestehen, verzichtet werden.

(3) ... ."

"§ 94. (1) Außer in den Fällen des § 93 Abs. 2 sind Besuche nur während der Besuchszeiten zu gestatten. Diese sind vom Anstaltsleiter an mindestens vier Wochentagen, davon wenigstens einmal am Abend oder am Wochenende, festzusetzen; auf Besucher, die berufstätig sind oder eine weite Anreise haben, ist hiebei Rücksicht zu nehmen. Die Besuche haben in den dafür vorgesehenen Besuchsräumen oder, wenn es die Witterung gestattet, innerhalb dafür vorgesehener Teile des Anstaltsbereiches im Freien stattzufinden. Soweit ein Missbrauch nicht zu besorgen ist, kann der Anstaltsleiter, insbesondere bei Besuchen von Angehörigen, ein Unterbleiben der Überwachung des Gespräches oder andere Lockerungen der Besuchsgestaltung bewilligen. ...

(2) ...

(3) Die Besucher haben sich so zu verhalten, dass die Zwecke des Strafvollzuges nicht gefährdet werden und der Anstand nicht verletzt wird. Die Besucher und die Strafgefangenen dürfen einander keine Gegenstände übergeben.

(4) Soweit nicht nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes eine Überwachung des Inhalts des Gespräches zwischen dem Strafgefangenen und dem Besucher zu unterbleiben hat, ist das Gespräch verständlich, in deutscher Sprache und auch sonst so zu führen, dass es leicht überwacht werden kann. Angehörige einer inländischen sprachlichen Minderheit sind zum Gebrauch ihrer Sprache berechtigt. Ist ein Strafgefangener der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig, so ist der Gebrauch einer Fremdsprache zulässig; dies gilt, soweit keine Bedenken bestehen, auch dann, wenn der Besucher der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist.

Überwachung der Besuche

§ 95. Die Besuche sind schonend zu überwachen. Soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt wird, kann sich die Überwachung auch auf den Inhalt des zwischen dem Strafgefangenen und dem Besucher geführten Gespräches erstrecken, soll sich jedoch auf Stichproben beschränken. Erforderlichenfalls ist ein fremdsprachenkundiger Strafvollzugsbediensteter oder ein Dolmetscher beizuziehen. Von der Beiziehung eines Dolmetschers ist jedoch abzusehen, wenn die damit verbundenen Kosten im Hinblick darauf, dass von dem Gespräch eine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt nicht zu befürchten ist, mit dem Grundsatz

einer sparsamen Verwaltung nicht in Einklang stünden. ... ."

"Eheschließung

§ 100. (1) Wünscht ein Strafgefangener eine Ehe zu schließen, so ist ihm hiezu unbeschadet der Bestimmungen der §§ 98 und 99 in der Anstalt Gelegenheit zu geben.

(2) ... ."

Die §§ 44 und 90 ABGB lauten:

"Begriff der Ehe

§ 44. Die Familien-Verhältnisse werden durch den Ehevertrag gegründet. In dem Ehevertrage erklären zwei Personen verschiedenen Geschlechtes gesetzmäßig ihren Willen, in unzertrennlicher Gemeinschaft zu leben, Kinder zu zeugen, sie zu erziehen, und sich gegenseitig Beistand zu leisten."

"§ 90. (1) Die Ehegatten sind einander zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders zum gemeinsamen Wohnen, sowie zur Treue, zur anständigen Begegnung und zum Beistand verpflichtet.

(2) Im Erwerb des anderen hat ein Ehegatte mitzuwirken, soweit ihm dies zumutbar, es nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten üblich und nicht anderes vereinbart ist."

1. Zur Beschwerde des Erstbeschwerdeführers:

Der Erstbeschwerdeführer beruft sich insbesondere auf die Regelung in § 93 Abs. 2 StVG, nach der der Strafgefangene zur Aufrechterhaltung familiärer und sonstiger persönlicher Bindungen Besuche in geeigneten Räumlichkeiten empfangen dürfe. Auf eine Überwachung solcher Besuche könne, soweit keine Bedenken bestünden, verzichtet werden. Im vorliegenden Fall bestünden keine konkreten Bedenken, dass ein nicht überwachter Besuch eine Gefahr darstellen würde. Die belangte Behörde habe im angefochtenen Bescheid auch keinerlei Sicherheitsbedenken geäußert. Wesentlich sei, dass bereits der Wortlaut des § 93 Abs. 2 StVG der Gestattung von Geschlechtsverkehr nicht entgegenstehe. Ebenso hätten Ehegatten nach § 44 ABGB das Recht auf Sexualkontakt. In maßgeblichen "Kommentaren" zum ABGB (Kapfer, Dittrich/Tades und Koziol/Welser) werde der Haftvollzug als Ausschließungsgrund nicht angeführt. Im Unterausschuss des Justizausschusses sei im Zuge der Beratungen zur StVG-Novelle 1993 auf die Notwendigkeit einer Rechtsdiskussion über die Ausübung des einer Ehefrau eines Inhaftierten zukommenden Rechtes nach § 44 ABGB aufmerksam gemacht worden. Danach stelle der Haftvollzug wohl eine vorübergehende getrennte Wohnungsnahme dar, durch welche aber andere eherechtliche Bestimmungen nicht berührt würden. In der Lehre werde, vor allem für Langzeit- und lebenslänglich Gefangene, die Möglichkeit einer ausdrücklichen Gestattung von Sexualkontakten gefordert (Hinweis auf Jöster, Kommentar zum Deutschen Strafvollzugsgesetz3, Anm. zu § 24 Rz. 21).

§ 93 Abs. 2 StVG diene unzweifelhaft bereits jetzt der Fortsetzung familiärer und sonstiger persönlicher Bindungen. Wenn sich der Ehebegriff auch nicht ausnahmslos in der ehelichen Beiwohnung erschöpfe, so sei diese doch ein integraler Bestandteil der Ehe. Gemäß § 90 ABGB seien Ehegatten einander zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, u.a. auch zur Treue, verpflichtet. Es sei daher die Aufrechterhaltung der familiären Bindungen unter Ehegatten mit Hilfe der Genehmigung unüberwachter Besuche in geeigneten Räumlichkeiten, unter der Einbeziehung der Möglichkeit, dass es dabei zum Austausch von Zärtlichkeiten bis hin zu Intimitäten komme, mit der bestehenden Gesetzeslage im Einklang.

Auf Grund der dargelegten inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides habe es die belangte Behörde auch versäumt, schlüssig und nachvollziehbar darzulegen, warum es dem Beschwerdeführer nicht gestattet werde, ehelichen Geschlechtsverkehr zu haben. Die belangte Behörde hätte eine umfassende Prüfung der Voraussetzungen der Möglichkeiten eines unbewachten Familienbesuches der Beschwerdeführer durchführen und danach entscheiden müssen, ob dem Antrag auf Gewährung eines unbewachten Familienbesuches stattgegeben werde. Dabei wäre insbesondere die tadellose Führung des Beschwerdeführers während der Haft sowie der Umstand, dass der Beschwerdeführer eine lebenslange Freiheitsstrafe zu verbüßen habe, zu berücksichtigen gewesen. Die belangte Behörde habe auch nicht angegeben, dass es keine geeigneten Räumlichkeiten gebe, die dem Antrag der Beschwerdeführer aus tatsächlichen Gründen entgegenstünden.

Dazu ist Folgendes auszuführen:

Zunächst ist grundsätzlich festzustellen, dass Strafgefangene gemäß § 20 Abs. 2 StVG zur Erreichung der in Abs. 1 angeführten Zwecke des Strafvollzuges und zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in den Anstalten zum Vollzug von Freiheitsstrafen nach Maßgabe des StVG und der darauf gegründeten Vorschriften von der Außenwelt abzuschließen, sonstigen Beschränkungen der Lebensführung zu unterwerfen und erzieherisch zu beeinflussen sind. Das StVG bildet somit auf einfachgesetzlicher Ebene eine lex specialis zu allen anderen Regelungen des einfachen Gesetzgebers (wie u.a. die angeführten §§ 44 und 90 ABGB) und stellt daher für das, was Strafgefangenen im Rahmen des Vollzuges allenfalls erlaubt, geboten oder verboten ist, die maßgebliche Grundlage dar (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 16. September 1992, Zl. 92/01/0344, das noch zur Rechtslage vor der für die Besuchsregelungen des StVG maßgeblichen Novelle 1993 ergangen ist).

Der Verwaltungsgerichtshof hat zu den Regelungen des StVG betreffend die Zulässigkeit von Besuchen zu der vor der Novelle BGBl. Nr. 799/1993 geltenden Rechtslage ausgesprochen (siehe dazu das bereits angeführte hg. Erkenntnis vom 16. September 1992 und die in diesem angeführte Vorjudikatur),

"dass nach der dazu bereits vorliegenden Judikatur sowohl des Verwaltungs- als auch des Verfassungsgerichtshofes die ein Wesensmerkmal des Strafvollzuges darstellende, gesetzlich vorgesehene Abschließung eines Strafgefangenen von der Außenwelt und die damit verbundene Beschränkung seiner Lebensführung für die Dauer des Freiheitsentzuges auch die Unmöglichkeit mit sich bringen, mit dem jeweiligen Lebenspartner geschlechtlich zu verkehren (vgl. ...)."

Aus den Bestimmungen des StVG i.d.F. vor der StVG-Novelle BGBl. Nr. 799/1993 betreffend Besuche und ihre Überwachung lasse sich nach diesem Erkenntnis nichts für den Standpunkt des damaligen Beschwerdeführers gewinnen, weil - wie aus § 95 StVG klar werde - der wesentliche Aspekt des Besuches in der Ermöglichung eines verbalen Kontaktes zwischen dem Strafgefangenen und seinem Besucher bestehe.

Im vorliegenden Fall ist - worauf der Beschwerdeführer zutreffend verweist - zu beachten, dass die maßgeblichen Regelungen betreffend die Zulässigkeit und die Überwachung von Besuchen mit der StVG-Novelle 1993, BGBl. Nr. 799, nicht unwesentlich geändert wurden.

So sieht - wie bereits wiedergegeben - § 93 Abs. 2 StVG in der Fassung dieser Novelle u.a. vor, dass den Strafgefangenen zur Regelung wichtiger persönlicher Angelegenheiten, die weder schriftlich erledigt noch bis zur Entlassung aufgeschoben werden können, sowie zur Aufrechterhaltung familiärer und sonstiger persönlicher Bindungen in geeigneten Räumlichkeiten Gelegenheit zum Empfang von Besuchen in hiefür angemessener Häufigkeit und Dauer, erforderlichenfalls auch außerhalb der Besuchszeiten zu geben ist. Auf eine Überwachung solcher Besuche kann - nach der Regelung in der Novelle -, soweit keine Bedenken bestehen, verzichtet werden.

Bisher lautete die Regelung im § 93 Abs. 3 StVG in der Stammfassung dahin, dass mit der Bewilligung des Anstaltsleiters Besuche, die u.a. persönliche Angelegenheiten von besonderer Wichtigkeit betreffen, auch in kürzeren Zeitabständen und in der Dauer von mehr als einer Viertelstunde, höchstens aber in der Dauer von einer Stunde empfangen werden könnten.

Während § 94 Abs. 1 StVG in der Stammfassung bisher vorsah, dass die Besuche nur während der vom Anstaltsleiter festzusetzenden Besuchszeiten und in besonderen Besuchsräumen oder, wenn es die Witterung gestattet, innerhalb der dafür vorgesehenen Teile des Anstaltsbereiches im Freien stattfinden durften, ist in § 94 Abs. 1 StVG in der Fassung der Novelle 1993 davon die Rede, dass die Besuche "in den dafür vorgesehenen Besuchsräumen" oder, wenn es die Witterung gestattet, innerhalb dafür vorgesehener Teile des Anstaltsbereiches im Freien stattzufinden haben. Im Anschluss daran heißt es in der Neuregelung des StVG in der Fassung der Novelle 1993, dass, soweit ein Missbrauch nicht zu besorgen ist, der Anstaltsleiter, insbesondere bei Besuchen von Angehörigen, ein Unterbleiben der Überwachung des Gespräches oder andere Lockerungen der Besuchsgestaltung bewilligen kann.

Im Allgemeinen Teil der Erläuterungen der Regierungsvorlage zur StVG-Novelle 1993 (946 BlgNR 18. GP, S 16) wird ausgeführt, dass das durch das Gesetzesvorhaben bewirkte erhöhte Besuchsaufkommen in den Anstalten allenfalls "einen verstärkten administrativen (personellen) und/oder baulichen Aufwand verursachen" wird.

In den Erläuterungen zu § 93 StVG (a.a.O., S 29) wird Folgendes dargelegt:

"Durch die Neufassung des § 93 StVG sollen die Möglichkeiten der Strafgefangenen zum Besuchsempfang deutlich erweitert und verbessert werden.

1. ... In Anbetracht der Wichtigkeit der Aufrechterhaltung

sozialer Bindungen und der Bedeutung, die dem Besuchsverkehr in diesem Zusammenhang zukommt, soll künftig Grundsatz sein, dass Strafgefangenen so oft Gelegenheit zum Besuchsempfang gegeben werden soll, wie dies nach organisatorischen Gesichtspunkten möglich erscheint. ...

2. Im Abs. 2 sollen Sonderbesuche aus zwei Anlässen geregelt werden: einerseits der Besuchskontakt, den der Strafgefangene benötigt, um wichtige persönliche, rechtliche oder etwa auch geschäftliche Angelegenheiten zu erörtern und zu regeln, andererseits Besuche, die der Aufrechterhaltung familiärer und sonstiger persönlicher Bindungen dienen. Solche Besuche sind zur Lösung konkret anstehender Probleme notwendig oder haben den Zweck, die für den Strafgefangenen wichtigsten persönlichen Beziehungen zu Angehörigen oder ihm sonst besonders nahe stehenden Personen unter den schwierigen Bedingungen der Strafhaft fortzusetzen. Diese Art von Besuchen ist, über die Aufrechterhaltung des sozialen Kontaktes hinaus, für die Vorbereitung des Lebens des Strafgefangenen in Freiheit und für seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft von hoher Bedeutung. Deshalb lässt die vorgeschlagene Regelung für solche Fälle ein großes Maß an Flexibilität bei der Festsetzung der Häufigkeit und Dauer solcher Besuche zu und sollen diese Besuche auch in anderen als den normalerweise hiefür vorgesehenen Räumlichkeiten abgewickelt werden können. In dringenden Fällen soll überdies ein Besuch außerhalb der normalen Besuchszeiten der Anstalt ermöglicht werden. Mit Rücksicht auf die Bedeutung und den persönlichen Charakter solcher Besuche soll auch ein Verzicht auf die Überwachung möglich sein, wenn kein Anlass besteht, einen Missbrauch zu befürchten."

Und zum vierten Satz des § 94 Abs. 1 StVG wird in den Erläuterungen der Regierungsvorlage Folgendes ausgeführt:

"Der vierte Satz des Abs. 1 enthält folgende inhaltliche Neuerungen: Die Praxis kennt seit geraumer Zeit sogenannte 'Tischbesuche', mit denen überwiegend positive Erfahrungen gemacht wurden. Zur Verbesserung des Besuchsklimas und damit zur Intensivierung der für die Resozialisierung wichtigen sozialen Kontakte sollen für derartige Besuche die Räumlichkeiten so gestaltet werden können, dass eine Überwachung weitgehend entbehrlich ist; auch ein gänzliches Unterbleiben der Überwachung soll zulässig sein.

Naturgemäß können solche 'Tischbesuche' - die insbesondere bei Besuchen von Angehörigen in Betracht kommen - nur gestattet werden, wenn keine besondere Gefahr eines Missbrauches, insbesondere durch Schmuggel unerlaubter Gegenstände, besteht. In Fällen, in denen zwar zur Pflege familiärer Kontakte ein 'Tischbesuch' angezeigt wäre, die Gefahr des Schmuggels unerlaubter Gegenstände jedoch nicht von der Hand zu weisen ist, ließe sich eine Lösung darin finden, den Strafgefangenen vor die Wahl zu stellen, entweder den Besuch mit der üblichen Überwachung in den dafür vorgesehenen Räumen zu empfangen oder sich nach dem 'Tischbesuch' durchsuchen zu lassen."

Weder aus dem dargestellten Wortlaut des StVG i.d.F. der Novelle 1993 (insbesondere § 93 Abs. 2 und § 94 Abs. 1) noch aus den zitierten Erläuterungen lässt sich ein Hinweis darauf entnehmen, dass - wie dies die belangte Behörde vertreten hat - Intimkontakte bei Besuchen vom StVG ausgeschlossen wären und die Kommunikation zwischen dem Strafgefangenen und der Besuchsperson auf bloß verbale Äußerungen beschränkt zu bleiben hätten. Der ausdrückliche Hinweis in § 93 Abs. 2 StVG auf "geeignete Räumlichkeiten" und dem in unmittelbarem Anschluss darauf geregelten möglichen Verzicht auf eine Überwachung solcher Besuche (u.a. "zur Aufrechterhaltung familiärer und sonstiger persönlicher Bindungen des Strafgefangenen") legt vielmehr den Schluss nahe, dass auch Intimkontakte bei Besuchen nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden sollen. Auch die in § 94 Abs. 1 vierter Satz StVG enthaltene Regelung, dass "der Anstaltsleiter, insbesondere bei Besuchen von Angehörigen, ein Unterbleiben der Überwachung des Gespräches oder andere Lockerungen der Besuchsgestaltung bewilligen" kann, spricht für die Annahme, dass Intimkontakte zwischen dem besuchten Strafgefangenen und der Besuchsperson nicht grundsätzlich verboten sind. In diese Richtung muss auch die Passage im § 94 Abs. 1 vierter Satz StVG verstanden werden, wonach der Anstaltsleiter - abgesehen vom Unterbleiben der Überwachung des Gespräches - auch "andere Lockerungen der Besuchsgestaltung bewilligen" kann.

Auch in den Gesetzesmaterialien zu § 93 Abs. 2 StVG heißt es - wie wiedergegeben - in diesem Sinne, dass diese Besuche (u.a. zur Aufrechterhaltung familiärer und sonstiger persönlicher Bindungen) u. a. den Zweck haben, die für den Strafgefangenen wichtigsten persönlichen Beziehungen zu Angehörigen oder ihm sonst besonders nahe stehenden Personen unter den schwierigen Bedingungen der Strafhaft fortzusetzen. Diese Art von Besuchen sei, über die Aufrechterhaltung des sozialen Kontaktes hinaus, für die Vorbereitung des Lebens des Strafgefangenen in Freiheit und für seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft von hoher Bedeutung. Deshalb lasse die vorgeschlagene Regelung für solche Fälle ein großes Maß an Flexibilität bei der Festsetzung der Häufigkeit und Dauer solcher Besuche zu und sollen diese Besuche auch in anderen als den normalerweise hiefür vorgesehenen Räumlichkeiten abgewickelt werden können.

Alle diese Überlegungen führen zu dem Ergebnis, dass aus dem StVG i.d.F. der Novelle 1993 kein genereller Ausschluss die Ermöglichung von Intimkontakten zwischen Strafgefangenen und ihren Ehepartnern bei Besuchen in der Strafanstalt abgeleitet werden kann (vgl. auch Holzbauer/Brugger, Strafvollzugsgesetz 1996, 440, und ebendort, 438 ff, weitere ausführliche Hinweise).

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes ist im vorliegenden Zusammenhang für Spruchpunkt 1 des angefochtenen Bescheides § 93 Abs. 2 StVG von maßgeblicher Bedeutung, der u.a. Besuche zur Aufrechterhaltung familiärer und persönlicher Beziehungen in geeigneten Räumlichkeiten und deren allfällige unüberwachte Vornahme regelt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zu § 93 Abs. 2 StVG bereits ausgesprochen, dass ein dem Strafgefangenen grundsätzlich zustehendes subjektives Recht auf Gewährung des Besuchsrechtes im Sinne des § 93 StVG durch die dort genannten Voraussetzungen (u.a. geeignete Räumlichkeiten) begrenzt ist (vgl. den hg. Beschluss vom 29. Oktober 1998, Zl. 96/20/0726, und das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 98/20/0176). So vermochte der Verwaltungsgerichtshof in dem angeführten Beschluss vom 29. Oktober 1998 nicht zu erkennen,

"dass der belangten Behörde bei der Anwendung des § 93 Abs. 2 StVG und der Auslegung der dort enthaltenen unbestimmten

Gesetzesbegriffe ("in geeigneten Räumlichkeiten ... in

angemessener Häufigkeit und Dauer") in Zusammenhalt mit § 93 Abs. 1 StVG ('mit vertretbarem Aufwand'") eine zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führende Rechtswidrigkeit unterlaufen wäre, wenn sie die Nichtgewährung des beantragten erweiterten Besuchsrechtes (generelle Verlängerung, Verzicht auf Überwachung, Lockerung der Besuchsgestaltung) unter Bedachtnahme auf die organisatorischen Möglichkeiten mit dem Mangel an geeigneten Räumlichkeiten begründete."

Einen Rechtsanspruch auf Herstellung von für Intimkontakte geeigneten Räumlichkeiten vermitteln weder § 93 Abs. 2 StVG noch § 94 StVG.

Ausgehend von der als unzutreffend festgestellten Ansicht der belangten Behörde, die Regelungen des StVG ließen überhaupt keine Intimkontakte zwischen Ehepartnern zu, hat sich die belangte Behörde aber mit der Frage des Vorliegens u.a. der räumlichen Voraussetzungen des Besuchsrechtes gemäß § 93 Abs. 2 StVG nicht auseinander gesetzt und somit den angefochtenen Bescheid auch mit einem Verfahrensmangel belastet. So käme die Gestattung eines Besuches eines Ehepartners, bei dem Intimkontakte möglich sind, - abgesehen vom Erfordernis des Vorliegens der sonstigen Voraussetzungen - nur dann in Betracht, wenn es die organisatorischen Möglichkeiten in der Anstalt zulassen und geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung stehen. Ist dies der Fall, so hat der Anstaltsleiter im Hinblick auf die weiteren Voraussetzungen der §§ 93 und 94 StVG einen weiten Beurteilungsspielraum für seine Entscheidung, ob und welchen Strafgefangenen derartige Besuchskontakte gestattet werden. Insofern muss er jedenfalls eine sachlich begründete Entscheidung treffen, worauf der Strafgefangene einen Rechtsanspruch besitzt (vgl. den bereits angeführten hg. Beschluss vom 29. Oktober 1998).

Diese Auslegung des § 93 Abs. 2 StVG ist auch in Bezug auf die Frage der Gewährung von Intimkontakten nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes im Lichte der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes und des EGMR zur Nichtzulassung von Intimkontakten für Strafgefangene verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. den im vorliegenden Fall ergangenen, teils wiedergegebenen Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 30. September 2002, B 147/02, mit Hinweis auf weitere einschlägige Vorjudikatur, und das Urteil des EGMR vom 18. September 2001 im Fall Kalashnikov gegen Russland, Beschwerde Nr. 47095/99; weiters auch das Urteil des EGMR vom 29. April 2003, im Fall Aliev gegen Ukraine, Beschwerde Nr. 41220/98, Rz. 188). Beide Gerichtshöfe haben das Verbot von Intimkontakten für Strafgegangene im Lichte des Art. 8 EMRK als unbedenklich angesehen. Letzterer hielt die Ermöglichung derartiger ehelicher Kontakte zwar für wünschenswert, die Nichtzulassung derartiger Besuche für Strafgefangene zur Zeit ("for the present time") im Hinblick auf die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen der Verteidigung der Ordnung und der Verhinderung von strafbaren Handlungen aber als gerechtfertigt in einer demokratischen Gesellschaft.

Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

2. Zur Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin:

Die Zweitbeschwerdeführerin argumentiert damit, sie hätte im Sinn des § 8 AVG ein rechtliches Interesse an der Ermöglichung eines unbewachten Familienbesuches mit ihrem Ehemann. Die §§ 119 und 120 StVG regelten lediglich das Verfahren bei Ansuchen und Beschwerden von Strafgefangenen. Die Vollzugsbehörden seien jedoch nicht nur zur Erledigung dieser Ansuchen und Beschwerden zuständig, sondern für die Erledigung sämtlicher Anträge und Rechtsmittel in ihrem Vollzugsbereich. Ihre Parteistellung sei daher zu Unrecht verneint worden.

Dem ist Folgendes zu entgegnen:

Gemäß § 8 AVG sind Personen in einem Verwaltungsverfahren Parteien, die an der Sache vermöge eines Rechtsanspruches oder rechtlichen Interesses beteiligt sind. Ob eine Person an einer Sache ein Rechtsanspruch oder ein rechtliches Interesse zukommt, ist aus den jeweils im konkreten Fall anzuwendenden Verwaltungsvorschriften abzuleiten (vgl. dazu die in Walter/Thienel, Die Verwaltungsverfahrensgesetze I2, S. 195, in E. 32 zu § 8 AVG angeführte hg. Judikatur). Aus den §§ 119 und 120 StVG ergibt sich, dass allen Strafgefangenen das Recht eingeräumt ist, hinsichtlich des ihre Person betreffenden Strafvollzuges Ansuchen zu stellen bzw. Beschwerden über ihre Rechte betreffende Maßnahmen im Strafvollzug zu erheben. Nach den genannten Bestimmungen kommt ausdrücklich nur den Strafgefangenen in Bezug auf den Strafvollzug ein Beschwerderecht bzw. ein Recht zu, Ansuchen in Bezug auf den Strafvollzug zu stellen. Die Zweitbeschwerdeführerin ist keine Strafgefangene. Die belangte Behörde hat daher die Beschwerde (bzw. das Ansuchen) der Zweitbeschwerdeführerin zur Ermöglichung von Sexualkontakten mit dem Erstbeschwerdeführer zu Recht mangels Parteistellung zurückgewiesen.

Die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Anberaumung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 1 Z. 4 und 6 VwGG abgesehen werden. Soweit die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin abgewiesen wurde, war nur die Rechtsfrage der allfälligen Parteistellung im Lichte der Regelungen des StVG zu beantworten. Es bestanden daher im Hinblick auf Art. 6 EMRK wegen der Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung keine Bedenken.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 21. Juni 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2005060034.X00

Im RIS seit

14.07.2005

Zuletzt aktualisiert am

29.03.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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