TE OGH 1985/6/19 8Ob66/84

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Veröffentlicht am 19.06.1985
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch MMag. Dr. Karlheinz Angerer, Rechtsanwalt in Bad Aussee, wider die beklagte Partei M***** & Co. Ges.m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Peter Pfarl, Rechtsanwalt in Bad Ischl, wegen 100.000,-- S sA und Feststellung (Gesamtstreitwert 130.000,-- S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 25. Juni 1984, GZ 1 R 144/84-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 20. Februar 1984, GZ 13 Cg 431/82-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Prozeßkosten.

Text

Begründung:

Am 15. September 1980 ereignete sich am *****, Gemeinde *****, während der Durchführung von Holzschlägerungsarbeiten durch Beschäftigte der Beklagten für den Bau eines Schiliftes, des Falmbergliftes, ein Unfall, bei dem der Kläger von einem Seil einer damals nicht betriebsbereiten Materialseilbahn getroffen und dadurch verletzt wurde. Der Kläger war als Angehöriger eines Arbeitstruppes des Bauunternehmens K***** & Co aus ***** damit beschäftigt, im Bereich der Unfallsstelle Bauholz für eine Bauhütte herzurichten.

Der Kläger begehrte mit der am 15. September 1982 gegen S***** und die M***** & Co Ges.m.b.H. eingebrachten Klage aus dem Titel des Schadenersatzes den Zuspruch eines Schmerzengeldes von 100.000,-- S samt Anhang und die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für alle künftigen Schäden aus dem gegenständlichen Unfall. Der Erstbeklagte habe im Auftrag der Zweitbeklagten einen als Seilverankerung dienenden Baum umgeschnitten, wodurch die Belastung für den zweiten seilverankerten Baum zu groß geworden sei; der Baum sei umgerissen worden, sodaß sich das Drahtseil vom Verankerungsbaum gelöst habe und talwärts gerutscht sei. Durch ein sich straffendes Seil sei der Kläger verletzt worden. Der Erstbeklagte habe es verabsäumt, den Gefährdungsbereich in der Trassenführung abzusichern. Die zweitbeklagte Partei wäre nach den allgemein gültigen Bestimmungen hinsichtlich der Errichtung von Seilbahnanlagen verpflichtet gewesen, den Gefährdungsbereich entsprechend abzusichern; eine solche Sicherung sei jedoch unterlassen und sogar ein Baum, der zur Seilsicherung gedient habe, umgeschnitten worden. Der Erstbeklagte sei nicht fähig gewesen, die Verantwortung für einen Seilbahnbau zu übernehmen, was der Zweitbeklagten auf Grund der Ausbildung des Erstbeklagten habe bewußt sein müssen.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Die Leute der Zweitbeklagten, darunter auch der Erstbeklagte, ein Gesellschafter der Zweitbeklagten, seien damit beschäftigt gewesen, Bäume zu schlagen, die der Verlängerung der – unbekannt von wem errichteten – Materialseilbahn im Wege gestanden seien. Zu diesem Zweck sei die Materialseilbahn umgelegt und das Tragseil um zwei dicke Fichtenbäume gelegt worden. Diese Situation hätten die Leute der Zweitbeklagten am Morgen des Unfallstages vorgefunden. Da einer dieser Fichtenbäume im Weg gestanden sei, sei er gegen Mittag von einem Hilfsarbeiter der Beklagten umgelegt worden. Da ständig eine gewisse Gefahrensituation bestanden habe, seien die Leute des Bauunternehmens K***** & Co. laufend auf diese Gefahr aufmerksam gemacht und aufgefordert worden, sich aus dem Gefahrenbereich zu begeben. Dies sei auch der Fall gewesen, als der eine der beiden als Seilhalterung dienenden Bäume umgeschnitten worden seien, worauf sich die Arbeiter eine Zeitlang zurückgezogen und sich erst wieder ihrer Arbeitsstätte genähert hätten, als es geheißen habe, nunmehr sei die Gefahr behoben; wer diese Mitteilung gemacht habe, sei unbekannt. Einige Zeit nach dem Umschlagen des einen Baumes sei die andere Fichte plötzlich umgestürzt, offenbar weil der Baum völlig hohl und vermorscht gewesen sei und dem sich in die Rinde einschneidenden Seil keinen Halt geboten habe. Durch den Einsturz des Baumes sei das Seil freigeworden und durch die Luft geschnellt, wobei es den Kläger getroffen habe. Den Erstbeklagten treffe kein Verschulden an dem Unfall, weil die Fichte von außen völlig gesund erschienen und ihr Mangel nicht kenntlich gewesen sei. Für die Absicherung derartiger Baustellen im Wald gebe es keine positiven Vorschriften. Nach der Lage der Dinge hätten die Leute der zweitbeklagten Partei alle ihnen zumutbaren Absicherungsmaßnahmen getroffen, indem sie einerseits dafür gesorgt hätten, daß die Seile ordentlich befestigt gewesen seien und sie anderseits den Bautrupp des Bauunternehmens K***** & Co. immer wieder auf die Gefahr aufmerksam gemacht und sie aufgefordert hätten, sich wegzubegeben. Der Erstbeklagte sei jahrelang als Forstarbeiter tätig gewesen und habe um die Gefahren der Holzschlägerungsarbeiten gewußt. Die Arbeitsgruppe der zweitbeklagten Partei habe aus mehreren Gesellschaftern und einigen Hilfsarbeitern bestanden; die Gesellschafter seien völlig gleichberechtigt und jeder von ihnen hinsichtlich der Hilfsarbeiter anweisungsberechtigt gewesen. Der Bautrupp des Bauunternehmens K***** & Co. sei in der gegenständlichen Arbeitsphase an die Anordnungen der Arbeitsgruppe der zweitbeklagten Partei gebunden gewesen; sie hätten sich je nach den Anweisungen der Leute der zweitbeklagten Partei zu entfernen oder wieder der Arbeitsstätte zu nähern gehabt. Da der Erstbeklagte dem Arbeitstrupp der zweitbeklagten Partei als Gesellschafter, sohin als weisungsbefugt angehört habe, sei er diesem gegenüber als Aufseher im Betrieb gemäß § 433 Abs 4 ASVG anzusehen. In der Tagsatzung vom 20. Juli 1983 ließ der Kläger das Klagebegehren gegen den Erstbeklagten „fallen“ (AS 36). Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht entschieden habe, auch einschließlich des Feststellungsbegehrens nicht den Betrag von S 300.000,-- übersteigt und die Revision gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei. Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die auf die Anfechtungsgründe des § 503 Abs 1 Z 1 bis 4 ZPO gestützte Revision des Klägers mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im Sinne der gänzlichen Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinne des Eventualantrages auch berechtigt.

Die von den Vorinstanzen über den bereits wiedergegebenen Sachverhalt hinaus getroffenen Feststellungen lassen sich im wesentlichen wie folgt zusammenfassen:

Die Unfallsstelle liegt im Bereich eines kleinen Hochplateaus am Ende des nunmehr fertiggestellten Falmbergliftes. Zum Zwecke des Abtransportes von gefällten Bäumen aus der Lifttrasse und später auch zum Transport von Baumaterial für den Falmberg-Schlepplift wurde von der Beklagten eine Materialseilbahn (forstwirtschaftlicher Seilweg) errichtet. Es handelt sich dabei um eine nicht ortsfeste Seilbahn, die im wesentlichen aus einem Tragseil (27 mm Durchmesser), das an den Baumenden verankert und im Talende gespannt wird. Das Tragseil wird an entsprechenden Stellen der Trasse mittels Holzstützen unterstützt und dient als Fahrbahn für das Lastgehänge, das bergseits mit dem Zugseil (11,5 mm Durchmesser) verbunden ist und sowohl die Fahrbewegung als auch das An-Absenken der Last an gewünschter Stelle der Bahn ermöglicht. Der Bahnantrieb besteht aus einer nahe der Bergstation angeordneten Seilwinde, auf deren Trommel das Zugseil bei der Bergfahrt des Lastgehänges aufgewickelt, bei der Talfahrt von dieser abgewickelt wird. Die Seilwinde wird durch einen Verbrennungsmotor angetrieben und ist mit einer Bremse (auch feststellbar) ausgestattet. Zur Verankerung am bergseitigen Bahnende wurde das Tragseil je dreimal um zwei, etwa in der verlängerten Bahnachse stehenden Fichtenbäume von je ca. 80 cm Durchmesser geschlungen und mittels Backenzahnklemmen (jeweils fünf) gesichert. Für die weitere Verwendung der Seilbahn zum Transport von Baumaterial für den Schlepplift wurde die Anlage verlängert, das heißt die bergseitige Tragseilverankerung mußte weiter bergwärts verlegt werden. Im Zuge dieser Arbeiten wurde das Tragseil am Talende entspannt und unter Beibehaltung der Verankerung an den beiden Fichten entlang der Strecke am Boden abgelegt. Die Spannkraft im Tragseil (Höhenspannung) kann für diesen Zustand ca. 1 Tonne betragen haben. Darüberhinaus wurde das Tragseil gegen Abrutschen zu Tal zusätzlich dadurch gesichert, daß das freie Ende des auf der Seilwinde aufgewickelten Zugseiles über eine Umlenkrolle geführt und am Tragseil festgeklemmt wurde. Das Zugseil wurde dabei nicht gespannt, die Seilwinde eingebremst. Alle Arbeiter wurden auf die gefährliche Situation während der Arbeiten an der Anlage hingewiesen. Da der „rückwärtige“ (weiter bergwärts gelegene) Verankerungsbaum für die Verlängerung der Materialbahn hinderlich war, wurde er von Johann M*****, einem Hilfsarbeiter der Beklagten etwa 20 cm oberhalb der Seilumschlingung abgeschnitten. Etwa 10 Minuten nach dem Fällen dieses Baumes brach der vordere Verankerungsbaum in der Höhe der Seilumschlingung ab und stürzte um. Dadurch verlor das Tragseil an dieser Stelle seinen Halt und die frei gewordenen Seilschlingen wurden ausgezogen (freigewordene Seillänge ca. 7,5 m). Das am Boden liegende Seil glitt talwärts und straffte ruckhaft das vorher schlaffe Sicherungsseil (Zugseil), das den Kläger traf und durch die Luft schleuderte. An der Bruchstelle des vorderen Verankerungsbaumes ist zu erkennen, daß dieser Baum bis auf eine äußere Randzone von ca. 10 cm Stärke innen völlig morsch war. Die Schnittstelle des „rückwärtigen“ Verankerungsbaumes zeigt, daß dieser Baum völlig gesund war. Augenscheinlich waren beide Verankerungsbäume standfest verwurzelt. S***** wurde von der wider ihn erhobenen Anklage des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB gemäß § 259 Z 3 StPO rechtskräftig freigesprochen (Urteil des Bezirksgerichtes Bad Ischl vom 5. Oktober 1982, 2 U 1014/80). Bei der rechtlichen Beurteilung dieses Sachverhaltes ging das Erstgericht „mit dem Sachverständigen“ davon aus, daß die Ö-Norm V 4001 (Seilschwebebahnen für den Materialtransport) in diesem Fall nicht anzuwenden sei, weil es sich um einen forstwirtschaftlichen Seilweg handle. Auch die allgemeine Dienstnehmerschutzverordnung, BGBl. Nr. 265/1951 in der geltenden Fassung beinhalte im § 104 (Material-Seilschwebebahnen und Material-Standseilbahnen) keine Bestimmung, die auf die gegenständliche Materialseilbahn im Zustand zum Zeitpunkt des Unfalles anzuwenden wäre. Gemäß § 6 Arbeitnehmerschutzgesetz seien Arbeitsvorgänge und Arbeitsverfahren so vorzubereiten und zu gestalten, daß ein möglichst wirksamer Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer erreicht werde. Während des Ablegens des Tragseiles zum Zwecke des Umbaues der Materialseilbahn seien die Arbeiter des Bauunternehmens K***** & Co. von der Beklagten gewarnt worden, sich im Gefahrenbereich aufzuhalten bzw. dort zu arbeiten. Nach Abschluß dieser Arbeiten und einer zusätzlichen Sicherung des Tragseiles bei der Bergstation mittels des Zugseiles sei diese Warnung zu Recht aufgehoben worden, da keine Gefährdung mehr bestanden habe. An der Verankerung des Tragseiles an den beiden Bäumen sei zunächst auch nichts verändert worden. Im Tragseil an der Verankerung habe lediglich eine Restspannkraft gewirkt, die gegenüber der betrieblich während der Holzbringung vorhandenen Spannkraft nur einen Bruchteil betragen habe. Der innerlich morsche Zustand des Baumes sei nicht erkennbar gewesen; damit sei aber auch eine mögliche mangelnde Standsicherheit der nach der Fällung des höher gelegenen Baumes verbliebenen Fichte nicht vorhersehbar gewesen, als der höher gelegene Verankerungsbaum umgeschnitten worden sei. Aber auch die Verankerung des Tragseiles bei der Bergstation mittels der dreifachen Umschlingung um zwei Bäume und Sicherung durch mehrere Backenzahnklemmen sei für eine zeitlich begrenzte Einsatzdauer der Materialseilbahn üblich gewesen. Daß keine Holzkeile untergelegt worden seien, habe auf die Sicherheit keinen Einfluß gehabt. Die beiden ausgewählten Bäume seien augenscheinlich ausreichend standsicher gewesen; auch der Querschnitt sei ausreichend gewesen und die im Betrieb auftretende Spannkraft des Tragseiles aufzunehmen. Durch die Seilumschlingungen seien wohl eine örtliche Verletzung der Rinde in Form von Eindrückungen erfolgt, nicht aber eine Einschnürung der Stütze mit deutlichem Querschnittsverlust. Das Zugseil hätte wohl zumindest von Hand gespannt werden müssen (was von der Beklagten jedoch nicht gemacht worden sei); das lose, im Bogen ausgelegte Zugseil habe bei seiner Straffung den Unfall ausgelöst. Die Umstände, die in zeitlicher Folge bis zu dem den Unfall verursachenden Straffen des Zugseiles als Sicherung oder Auffangung für das Tragseil geführt hätten, seien jedoch nicht vorhersehbar gewesen. Das Straffen des Zugseiles für sich sei zufolge der im guten Glauben mit Sorgfalt, sach- und fachgerecht ausgeführten Tragseilverankerung auch nicht vorhersehbar gewesen. Eine Abwägung dieser Umstände ergäbe, daß auch die Bestimmungen zum Schutz von Arbeitnehmern nicht zu einem überspannen der Sorgfaltspflicht von Arbeitgebern oder denen von ihm eingesetzten Verantwortlichen führen dürfte. Das letztlich auslösende Moment für den Unfall sei auf den nicht vorhersehbaren Umstand zurückzuführen gewesen, daß der Verankerungsbaum von außen nicht erkennbar innen hohl gewesen und deshalb abgerissen worden sei. Dies aber könne der Beklagten nicht als Verschulden zugerechnet werden. Das Klagebegehren sei daher abzuweisen gewesen.

Das Berufungsgericht erachtete die vom Berufungswerber vorgetragene Beweis- und Tatsachenrüge als unbegründet und billigte auf der Grundlage der zur Gänze als unbedenklich übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes auch dessen rechtliche Beurteilung. Da sich der Unfall trotz Unterbleibens der Spannung des Zugseiles nicht ereignet hätte, wenn der Baum – ohne daß dies äußerlich erkennbar gewesen sei – nicht morsch gewesen wäre, komme der Frage, ob die Ö-Norm V 4001 auf den vorliegenden Fall deshalb nicht anwendbar sei, weil es sich bei der Seilbahn im Hinblick darauf, daß sie bis dahin nur dem Holztransport gedient habe, um einen forstwirtschaftlichen Seilweg handle (Ö-Norm V 4001 Punkt 1.2) oder weil die Bestimmungen über Trag- und Zugseil (Ö-Norm V 4001 Punkte 3.7; 3.8 und 3.9) nur für eine in Betrieb befindliche Seilbahn zu gelten hätten und nicht für Bestandteile, die demontiert und als solche daher gar nicht in Funktion gewesen seien, nur untergeordnete Bedeutung zu. Schließlich sei auch das Zusammenspiel von Trag- und Zugseil in der Ö-Norm V 4001 Punkt 2.4 für eine in Betrieb befindliche Seilbahn geregelt. Auch § 104 Allgemeine Dienstnehmerschutzverordnung verweise auf für verbindlich erklärte Normen des Österreichischen Normenausschusses, die Seilbahnen beträfen, die als solche in Betrieb seien. Die Ö-Norm V 4001 sei aber nicht für allgemein verbindlich erklärt worden. Letztlich bleibe daher die Frage der Schadensverursachung nach allgemeinen Grundsätzen der Sorgfalts- und Fürsorgepflicht der Unternehmer für ihre Beschäftigten, die unter Umständen auch Dritten zugute kommen könne, zu beantworten, so etwa, daß nach § 6 Arbeitnehmerschutzgesetz Arbeitsvorgänge und -verfahren so vorbereitet, gestaltet und durchgeführt werden müßten, daß ein möglichst wirksamer Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer erreicht werde. Auch die Arbeitsgruppe des Bauunternehmens K***** & Co., die den Falmberglift habe errichten sollen (vgl. S 2 und 33 des Strafaktes), wäre nicht gefährdet worden, wenn die Stütze nicht innen morsch gewesen wäre und damit versagt hätte. Habe man wegen des „bloßen äußeren Einschnittes der Winde durch das Seil damit nicht rechnen müssen, dann könne auch nicht im Sinne der Ausführungen des Arbeitsinspektorates S 34 des Strafaktes gefordert werden, daß man für die Absicherung und Räumung der Gefährdungsbereiche für die Zeit des Umbaues hätte sorgen sollen“. Aus den „Beweisergebnissen und den erstgerichtlichen Feststellungen“ gehe nicht hervor, daß einem Organ der Beklagten auch die Koordination der von ihr selbst durchgeführten Arbeiten mit den Arbeiten der Arbeitspartie des Bauunternehmens K***** & Co. oblegen wäre. Vielmehr hätten die Angehörigen der Beklagten die andere Arbeitspartie auf Grund der eigenen Demontage und Holzschlägerungsarbeiten gewarnt und sie aufgefordert, den Gefahrenbereich zu verlassen, sodaß insoweit eine negative Abgrenzung der Tätigkeitsbereiche der beiden Arbeitspartien vorgelegen sei (JBl 1974, 266 und SZ 46/26). Aus den dargestellten Erwägungen sei jedoch unabhängig vom Haftungsprivileg des § 333 ASVG eine Verantwortlichkeit der Beklagten für den entstandenen Schaden zu verneinen, mögen auch die Gesellschafter vor der Eintragung der Beklagten in das Handelsregister als Gesamtschuldner gehaftet haben und die Beklagte als juristische Person in ihre Verpflichtungen eingetreten sein „oder jedenfalls der Einwand der mangelnden Passivlegitimation nicht erhoben worden sein“. Der Berufung habe daher ein Erfolg versagt bleiben müssen. Die unter sämtlichen Anfechtungsgründen des § 503 ZPO erstatteten Ausführungen des Klägers in seiner Revision lassen sich im wesentlichen dahin zusammenfassen, daß die Vorinstanzen zu Unrecht zur Abweisung seines Klagebegehrens gelangt seien, weil sie es unterlassen hätten, alle für die Beurteilung des vorliegenden Unfalles maßgebliche Rechtsnormen zu ermitteln und die dafür erforderlichen Feststellungen zu treffen. Außerdem lägen Begründungsmängel des Berufungsgerichtes vor, die die Nichtigkeit dieses Urteils zur Folge hätten und seien dem Berufungsgericht Verfahrensmängel und Aktenwidrigkeiten unterlaufen. Mit dem den Vorinstanzen in der Rechtsrüge gemachten Vorwurf, den geltend gemachten Anspruch nicht nach allen Richtungen hin geprüft zu haben, wird ein Verstoß gegen die ständige Rechtsprechung aufgezeigt, weshalb die Revision zulässig ist.

Dem Prozeßvorbringen der Parteien ist zu entnehmen, daß sowohl die Leute der Beklagten als auch der Kläger als Angehöriger einer Arbeitstruppe eines Bauunternehmens am Bau eines Schiliftes beteiligt waren. Der Kläger hat sein Schadenersatzbegehren auf die Behauptung gestützt, daß die Beklagte für die Unfallsfolgen hafte, weil einer ihrer Mitarbeiter mangels entsprechender Eignung es nicht nur unterlassen habe, den Unfallsbereich während der Durchführung von Arbeiten durch Leute der Beklagten abzusichern, sondern sogar einen Baum, der der Seilsicherung diente, umgeschnitten habe. Rechtsnormen, aus welchen er die Berechtigung seines Begehrens ableitet, nannte er nicht. Das Gericht trifft daher im vorliegenden Fall die Verpflichtung, nach jeder Richtung hin rechtlich zu prüfen, ob das Klagebegehren berechtigt ist (Fasching II 20, 647). Daß der gegenständliche Unfall sich zu einer Zeit ereignet hat, als die „Materialseilbahn“ demontiert, also nicht in Betrieb war, ist nicht strittig. Erfolgte aber der Unfall nicht „beim Betrieb“, so scheidet schon aus diesem Grund eine Haftung der Beklagten nach dem EKHG aus (§ 1 EKHG). Den Revisionsausführungen über die Notwendigkeit einer näheren Qualifikation der „Materialseilbahn“ kommen daher keine rechtliche Relevanz zu.

Unbekämpft steht weiters fest, daß die Materialseilbahn, zu der jenes Seil gehörte, das den Kläger traf und verletzte, von der Beklagten errichtet wurde und diese Anlage von Mitarbeitern der Beklagten bergwärts verlängert wurde. Im Zuge dieser Arbeiten wurde von einem Arbeiter der Beklagten ein Baum, an dem das Tragseil verankert war und der der Verlängerung der Anlage hinderlich im Wege stand, oberhalb der Seilumschlingung abgeschnitten; kurz darauf brach der Baum, an dem die zweite Verankerung des Seiles angebracht war, wodurch es zu einem Freiwerden der Seilschlinge und in der Folge zur Verletzung des Klägers kommen konnte. Unter diesen Umständen drängt sich die Frage auf, ob die Beklagte nicht eine Haftung nach § 1319 ABGB trifft. Nach dieser Bestimmung haftet u. a. der Besitzer eines auf einem Grundstück aufgeführten „Werkes“ für den Schaden, der durch Einsturz oder Ablösen von Teilen dieses Werkes verursacht wurde, wenn dieses Ereignis die Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Werkes ist und er nicht beweist, daß er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet habe. Da unter „Werk“ im Sinne dieser Bestimmung jeder künstliche Aufbau zu verstehen ist (vgl. Koziol, Haftpflichtrecht2 II, 393; Reischauer in Rummel, ABGB, Rdz 3 zu § 1319; EvBl 1965/48; ZVR 1978/111; RZ 1980/24 u.a.), besteht kein Zweifel, daß auf die von der Beklagten hier für ihre Zwecke errichtete Anlage die Bestimmung des § 1319 ABGB anwendbar ist. Es entspricht weiters der Lehre und Rechtsprechung, daß unter einem solchen „Werk“ auch ein erst entstehendes oder im Umbau befindliches Werk zu verstehen ist und die Haftung nach § 1319 ABGB auch in einem solchen Fall eingreift, wenn nur die Mangelhaftigkeit dieses Werkes der Grund für den Einsturz oder das Ablösen von Teilen desselben war (vgl. Koziol, a.a.O. 398; Reischauer, a.a.O., Rdz 6 zu § 1319 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im vorliegenden Fall ist ein Baum, der als Verankerung des Tragseiles diente und damit zu einem Teil des Werkes gemacht worden war, zerborsten, was eine Lockerung und ein ruckartiges Abgleiten des Seiles zur Folge hatte und zur Verletzung des Klägers führte. Damit steht auch fest, daß der hier geltend gemachte Schade des Klägers auf das „Ablösen“ eines Teiles des Werkes der Beklagten zurückzuführen ist. Liegen aber diese vom Geschädigten zu beweisenden (vgl. MietSlg. 34.289 ua.) Voraussetzungen für die Haftung der Beklagten nach § 1319 ABGB vor, so kann die Beklagte sich von der Haftung für die Unfallsfolgen nur dadurch befreien, daß sie beweist, alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet zu haben, wobei für die Beklagte, die durch einen ihrer Bautrupps Bauarbeiten an ihrer Anlage ausführte, als Maßstab jener des § 1299 ABGB heranzuziehen sein wird (vgl. Reischauer, a.a.O., Rdz 6 zu § 1299 ABGB) und ungeklärt gebliebene Umstände zu ihren Lasten gehen (5 Ob 700/82). Da die Vorinstanzen es unterlassen haben, den Sachverhalt in dieser Richtung mit den Parteien zu erörtern und Feststellungen dazu zu treffen, erweist sich die Rechtssache noch nicht spruchreif. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren – allenfalls durch Ergänzung des Sachverständigenbeweises – zu klären haben, ob die von den Arbeitskräften der Beklagten im Zuge des Umbaues der Anlage vorgenommenen Arbeiten (etwa nach ihrer Art und auch Reihenfolge) unter Anlegung des in § 1299 ABGB normierten Sorgfaltsmaßstabes fachgemäß durchgeführt und alle Vorkehrungen getroffen wurden, die nach der Auffassung des Verkehrs unter den gegebenen Umständen vernünftigerweise erwartet werden konnten (JBl 1966, 206; MietSlg. 23.210, 24.199; EvBl 1983/63 ua.). Gelingt der Beklagten dieser Beweis nicht, so wird sie für die Folgen des Unfalles einzustehen haben.

Es mußte daher der Revision Folge gegeben und spruchgemäß entschieden werden, wobei es sich erübrigt, auf die weiteren Ausführungen in der Revision einzugehen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

Textnummer

E06165

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00066.840.0619.000

Im RIS seit

29.05.2019

Zuletzt aktualisiert am

29.05.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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