TE OGH 1985/6/25 10Os69/85

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Veröffentlicht am 25.06.1985
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Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Juni 1985 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Schrott als Schriftführer in der Strafsache gegen Philipp A wegen des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 4. Februar 1985, GZ 3 b Vr 1528/84-49, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Gehart, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 4. Februar 1985, GZ 3 b Vr 1528/84-49, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 41 Abs. 2 StPO.

Dieser Beschluß wird aufgehoben.

Text

Gründe:

Ein Schöffensenat des Landesgerichtes für Strafsachen Wien erkannte Philipp A mit dem Urteil vom 27. April 1984, GZ 3 b Vr 1528/84-13, des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe. Gegen dieses Urteil meldete der Angeklagte durch seinen damaligen Wahlverteidiger rechtzeitig Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an (ON 15). Innerhalb der Frist zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel langte beim Erstgericht ein vom (bisherigen) Wahlverteidiger und vom Rechtsmittelwerber selbst gefertigter Antrag auf Beigebung eines Verteidigers gemäß § 41 Abs. 2 StPO zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel ein (ON 17). Begründet wurde dieser Antrag mit dem Hinweis auf ein anhängiges Insolvenzverfahren über das Vermögen des Angeklagten, seine Einkommenslosigkeit und seine angeblich nur geringe Unterstützung durch seine Eltern; weil sein 'bisheriger Kreditgeber' nicht bereit sei, weitere Beträge vorzustrecken, sei er 'nicht mehr in der Lage, einen Wahlverteidiger zu bezahlen'. In diesem Schriftsatz wurde dem Gericht auch bekanntgegeben, daß der Angeklagte das Vollmachtsverhältnis zu seinem Verteidiger gelöst habe.

Der Vorsitzende des Schöffensenates wies am 8.Juni 1984 diesen Antrag ab (ON 18). Die angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde wies er am 28. Juni 1984 gemäß § 285 b (in Verbindung mit § 285 a Z 2) StPO zurück (ON 19). Ein neuerlicher Antrag des Angeklagten auf Beistellung 'eines gerichtlichen Pflichtverteidigers gemäß § 41 Abs. 2 StPO' wurde vom Vorsitzenden des Schöffensenates am 16.August 1984 ebenfalls zurückgewiesen (ON 33).

In Stattgebung einer von der Generalprokuratur gemäß § 33 Abs. 2 StPO zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde erkannte der Oberste Gerichtshof mit dem Urteil vom 16. Oktober 1984, GZ 10 Os 166, 167/84-4 (= ON 36 des Vr-Aktes), daß durch die Beschlüsse vom 8.Juni 1984 und 16.August 1984 (ON 18 und ON 33) das Gesetz in der Bestimmung des § 13 Abs. 3 StPO verletzt wurde, hob diese beiden Beschlüsse (samt allen darauf beruhenden Beschlüssen und Verfügungen) sowie den inzwischen ergangenen Beschluß vom 28.Juni 1984 über die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde auf und trug dem Erstgericht auf, dem Gesetz gemäß vorzugehen.

Hierauf faßte das Erstgericht durch einen Senat von drei Richtern (§ 13 Abs. 3 StPO) am 4. Februar 1985 neuerlich den Beschluß, den Antrag des Angeklagten auf Beigebung eines Verteidigers nach § 41 Abs. 2 StPO abzuweisen (ON 49). In der Begründung dieses Beschlusses wies das Gericht darauf hin, daß der ledige, für niemanden sorgepflichtige Angeklagte nach seinen Angaben seit einigen Semestern einem Jusstudium nachgehe und von seinem Vater durch Bezahlung seines Wohnungsaufwandes sowie wiederkehrender Unterhaltsbeiträge unterstützt werde; die Familie des Angeklagten komme auch für die Erfüllung eines Zwangsausgleiches (über Konkursschulden von ca. 400.000 S mit einer Quote von 20 %) auf; in einem anderen (wegen der Vergehen des schweren Betruges und der fahrlässigen Krida) gegen den Angeklagten durchgeführten Strafverfahren (AZ 3 b E Vr 6432/83 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien) habe sich der Angeklagte in erster und zweiter Instanz eines Wahlverteidigers bedient, obwohl kein Verteidigerzwang bestand, daher sei durchaus 'annehmbar', daß er auch im vorliegenden Verfahren die Kosten für einen Verteidiger im Rechtsmittelverfahren aufbringen könne und darüber hinaus sei auch 'nicht anzunehmen, daß er nur bis zur Grenze einer einfachen Lebensführung dotiert' werde. Nach 'gerichtlicher Einschätzung' des Angeklagten, der seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse 'offenbar stark zurückhaltend und abschwächend' angebe, sowie unter Berücksichtigung des 'evidenten' Umstandes, daß 'mit den zur Verfügung stehenden Mitteln - solle nicht ein unrealistischer Aufwand getrieben und darüber hinaus zu sehr in die Privatsphäre eingegriffen werden - eine Erhebung der tatsächlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Verurteilten und insbesondere seiner Eltern nicht möglich' erscheine, kam das Gericht auf Grund der 'Verfahrenserkenntnisse und des persönlichen Auftretens' zum 'Ergebnis eines eine einfache Lebensführung übersteigenden Lebensstandards des Philipp A', weshalb dessen Antrag auf Beigebung eines Verteidigers nach § 41 Abs. 2 StPO abgewiesen wurde.

Diese Entscheidung wurde dem Angeklagten mit einem gerichtlichen Begleitschreiben zugestellt, welches unter anderem im Hinblick auf die oben bezeichnete Entscheidung des Obersten Gerichtshofes den Hinweis enthielt, daß die Nichtigkeitsbeschwerde gegen das eingangs zitierte Urteil auch bei Gericht zu Protokoll gegeben werden könne, wobei aber beigefügt wurde, daß eine derartige Vorgangsweise als 'wohl nicht besonders zielführend' erscheine, weil dabei der Hauptverhandlungsrichter Nichtigkeitsgründe herausarbeiten solle, obwohl er solche 'immerhin voll zu vermeiden' getrachtet habe (ON 50).

Innerhalb von 14 Tagen nach Zustellung dieses Beschlusses (§ 43 a StPO) gab der Angeklagte eine Ausführung seiner Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung beim Erstgericht zu Protokoll (ON 51). Die Akten wurden gemäß § 285 Abs. 2 StPO dem Obersten Gerichtshof vorgelegt (AZ 10 Os 37/85), der über die beiden Rechtsmittel noch nicht entschieden hat.

Die Generalprokuratur ficht den Beschluß des Erstgerichtes vom 4. Februar 1985 wegen Verletzung des Gesetzes in der Bestimmung des § 41 Abs. 2 StPO - unter Bedacht auf die im Verfassungsrang stehende Bestimmung des Artikels 6 Abs. 3 lit. c MRK - gemäß § 33 Abs. 2 StPO mit einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes an, weil darin eine gesetzwidrige Überschreitung des dem Gericht bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 41 Abs. 2 StPO eingeräumten Ermessensbereiches gelegen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde ist berechtigt.

Die Argumente des Erstgerichtes für die Begründung der abweisenden Entscheidung sind nämlich nach den vorliegenden Verfahrensergebnissen ganz augenscheinlich in keiner Weise tragfähig.

Daß der Vater des Angeklagten nach der Aktenlage (allenfalls in Erfüllung einer aktuell gewordenen gesetzlichen Sorgepflicht) diesen - nach dessen Angaben, zu deren Widerlegung sich nach den derzeitigen Verfahrensergebnissen kein Anhaltspunkt findet, lediglich - durch Bezahlung eines Teils der Wohnungsmiete und weiters durch einen Betrag von 'etwas über 2.000 S' unterstützt und dieser selbst unregelmäßig 'einige tausend Schilling' monatlich verdient, wobei sonstige Einkünfte des Angeklagten nicht aktenkundig sind, vermag hiezu offensichtlich eine Grundlage nicht abzugeben, weil diese Einkünfte jedenfalls über den notwendigen Unterhalt bei einer einfachen Lebensführung im Sinn des § 41 Abs. 2 StPO noch nicht erkennbar hinausgehen.

Daß für den Angeklagten bisher darüber hinaus von dritter Seite freiwillige Leistungen (wie oben angeführt im Insolvenzverfahren sowie für die Verteidigung im gegenständlichen und im bereits mehrfach zitierten Einzelrichterverfahren) tatsächlich erbracht wurden, muß - selbst wenn im Verfahren vor dem Einzelrichter kein Verteidigerzwang bestand, was an sich überhaupt kein Kriterium für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 41 Abs. 2 StPO darstellt - bei der Beurteilung der augenblicklichen und künftigen Einkommens- und Vermögenslage des Angeklagten ganz unzweifelhaft außer Betracht bleiben, weil zum einen keinerlei Anhaltspunkt dafür vorliegt, daß er durch diese (besonderen Zwecken gewidmete) Zuwendungen in die Lage versetzt worden sein könnte, jetzt noch über irgendwelche Barmittel zu verfügen, die er für die Kosten eines Wahlverteidigers im gegenständlichen Rechtsmittelverfahren hätte einsetzen können und zum anderen daraus in keiner Weise abgeleitet werden kann, daß auch die Bestreitung der künftigen Verteidigungskosten im vorliegenden Verfahren etwa durch freiwillige Leistungen von dritter Seite gewährleistet wäre. Insbesondere kommt im Hinblick auf diese vom Angeklagten - bisher unwiderlegt - behauptete Widmung der von dritter Seite erbrachten freiwilligen Leistungen die Annahme einer 'Umschichtung', wie sie dem Erstgericht möglicherweise vorschwebte (S 219; vgl. auch S 115) nicht in Betracht; ist doch nicht einmal aktenkundig, ob der Angeklagte - über dessen Vermögen ja der Konkurs eröffnet worden war - diese für ihn aufgewendeten Geldbeträge überhaupt jemals selbst in die Hand bekam.

Worin das Erstgericht Anhaltspunkte für die Annahme 'eines eine einfache Lebensführung übersteigenden Lebensstandards des Philipp A' erblickte, kann demnach an Hand der Aktenlage nicht nachvollzogen werden. Die hiezu angeführten Gründe erweisen sich zur Gänze als rein spekulative, ja geradezu willkürliche Erwägungen, die auch nicht Grundlage einer pflichtgemäßen Ermessensentscheidung bilden können.

Darüber hinaus ging das Erstgericht im übrigen, wie der Vollständigkeit halber bemerkt sei, auf das wiederholte (siehe ON 17, weiters die nicht journalisierte und nicht datierte Eingabe, im Akt nach ON 22 erliegend, sowie ON 32) ausdrückliche Vorbringen des Angeklagten, sein bisheriger Kreditgeber sei nicht mehr bereit, weitere Beträge vorzustrecken, weitere Geldgeber für seine Verteidigung zu finden sei ihm jedoch 'in der Zwischenzeit' nicht gelungen, überhaupt nicht ein und brachte im Rahmen der Begründung des angefochtenen Beschlusses nicht zum Ausdruck, aus welchen Erwägungen es über diese Behauptungen tatsächlicher Art hinwegkam. Durch die aufgezeigte ErmessensÜberschreitung wurde daher das Gesetz in der Bestimmung des § 41 Abs. 2 StPO (vgl. auch Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK) verletzt; da der Angeklagte dadurch nach der bisherigen Aktenlage in seinem Recht, zur Ausführung seiner Rechtsmittel (sowie für den Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über diese) einen Verteidiger beigegeben zu erhalten, dessen Kosten er nicht zu tragen haben würde, verletzt wurde, konnte sich diese Gesetzesverletzung (gerade im Hinblick auf die im oben zitierten Begleitschreiben des Erstgerichtes vom 4. Februar 1985, ON 50, aufgezeigten Konsequenzen) zu seinem Nachteil auswirken, sodaß der gesetzwidrige Beschluß aufzuheben war (§ 292 letzter Satz StPO). Demgemäß wird das Erstgericht über den Antrag des Angeklagten auf Beigebung eines Verteidigers nach § 41 Abs. 2 StPO neuerlich zu entscheiden und dabei auf § 43 a StPO zu achten haben. Es war daher in Stattgebung der von der Generalprokuratur gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes spruchgemäß zu entscheiden.

Anmerkung

E06069

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0100OS00069.85.0625.000

Dokumentnummer

JJT_19850625_OGH0002_0100OS00069_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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