TE OGH 1985/9/12 8Ob39/85

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Veröffentlicht am 12.09.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Dr. Albert Feichtner, Rechtsanwalt in Kitzbühel, wider die beklagte Partei W***** „B*****“, vertreten durch den Obmann J*****, dieser vertreten durch Dr. Gerhard Zanier, Rechtsanwalt in Kitzbühel, wegen S 17.356,38 s.A. infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 20. Februar 1985, GZ 2 a R 48/85-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 20. August 1984, GZ 2 C 1406/83-11, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 3.199,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Barauslagen von S 480,- und die USt. von S 247,20) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen

Text

Entscheidungsgründe:

Am 20. 7. 1980 ereignete sich an der Kreuzung der R***** Landesstraße mit dem in diese einmündenden „B*****“ ein Verkehrsunfall, an welchem der Kläger mit seinem PKW Citroen, pol. Kz ***** und ein von rechts kommender holländischer Fahrzeuglenker mit dem PKW ***** beteiligt waren. Der Kläger erlitt dabei einen Schaden von S 34.712,76. Die Beklagte ist zur Erhaltung des öffentlichen Interessentenweges „B*****“ verpflichtet.

Der Kläger begehrte von der Beklagten den Ersatz der Hälfte des Schadens. Er sei im Verfahren 16 Cg 458/80 des Landesgerichtes Innsbruck dem gegnerischen Versicherungsverband unterlegen, weil er den Rechtsvorrang des Holländers verletzt habe. Zum Zeitpunkt des Unfalles habe sich an der Einmündung des Zufahrtsweges „B*****“ in die R***** Landesstraße kein Verkehrszeichen befunden, das den Zufahrtsweg gegenüber der Landesstraße abgewertet hätte. Der „B*****“ sei jedoch durch entsprechende Verordnung der Bezirkshauptmannschaft K***** aus dem Jahre 1970 durch das Vorrangzeichen „Halt“ gegenüber der R***** Landesstraße abgewertet gewesen. Darauf habe der Kläger zum Unfallszeitpunkt vertraut. Tatsächlich sei dieses Verkehrszeichen jedoch im Sommer 1980 einige Tage vor dem Unfall von unbekannten Personen abmontiert worden. Entgegen der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft K***** sei die neue achtecktige „Stop-Tafel“ nicht sofort nach der Demontage der alten angebracht worden, sondern erst ca. 14 Tage später. In der Zwischenzeit sei es zum Unfall gekommen. Die pflichtwidrige Unterlassung der sofortigen Anbringung der neuen Stop-Tafel stelle ein grob fahrlässiges Verhalten der Organe der Beklagten dar. Der Kläger habe die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h etwas überschritten, weshalb ein 50%iges Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalles eingeräumt werde.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Eine Haftung nach § 1319a ABGB sei nicht gegeben. Ohne Anbringung des entsprechenden Verkehrszeichens sei die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft K***** nicht gehörig kundgemacht und den Verkehrsteilnehmern gegenüber nicht rechtsverbindlich gewesen. Da für den Kläger der B***** wahrnehmbar nicht abgewertet gewesen sei und somit die Rechtsregel gegolten habe, habe er den Unfall durch Mißachtung des Rechtsvorranges des holländischen PKW-Lenkers allein verschuldet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf nachstehende Feststellungen:

Der „B*****“ weist eine Gesamtlänge von ca. 2,5 km auf und dient vorwiegend dem Anrainerverkehr. Es gehören ca. 20 Häuser zu diesem eher schmalen, aber gut asphaltierten Straßenstück. Ungefähr 10 m vor der Einmündung dieses Weges in die R***** Landesstraße war die Hinweistafel „Sackgasse“ angebracht. Auf der R***** Landesstraße bestand eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 40 km/h. Mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft K***** vom 25. 7. 1968, Z III-3116/3, war für den „B*****“ die Aufstellung des Vorschriftszeichens „Halt vor Kreuzung“ im Bereich der Einmündung in die R***** Landesstraße angeordnet worden. Dieses Verkehrszeichen wurde im Sinne dieser Verordnung von der Beklagten auch angebracht. Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt während des Jahres 1979 wurde von der Beklagten bei der Gemeinde R***** eine neue Stop-Tafel beantragt. Grund für diesen Antrag war, daß sich einerseits die alte Tafel zum damaligen Zeitpunkt in einem relativ schlechten Zustand befand und andererseits, daß neue achteckige Stop-Tafeln ausgegeben wurden. Im Sinne des Antrages der Beklagten wurde am 9. 11. 1979 von der Gemeinde R***** eine neue achteckige Stop-Tafel angeliefert. In der weiteren Folge lag diese Tafel bis 9. 6. 1980 bei der Gemeinde R***** zur Abholung bereit, sie wurde erst an diesem Tag vom Obmann der Beklagten geholt. Was der Grund für das lange Herumliegen der Tafel war, konnte nicht festgestellt werden. Zu einem heute nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt, welcher allerdings vor dem Anbringen der neuen Tafel gelegen war, wurde die alte Stop-Tafel von unbekannten Personen entfernt. Das Fehlen der Tafel fiel aber keinem der Verantwortlichen der Beklagten auf. Am 20. 7. 1980 fuhr der Kläger mit einer Geschwindigkeit von mindestens 55 km/h und einem Abstand zum rechten Fahrbahnrand von ca. 1,5 m auf den von rechts einmündenden „B*****“ zu. L***** kam vom „B*****“ mit nur mäßiger Geschwindigkeit zur Kreuzung mit der R***** Landesstraße und wollte diese in gleichbleibender Richtung überqueren. Ca. 2,2 Sekunden vor der späteren Kollision reagierte der Kläger angesichts des in die Kreuzung einfahrenden PKWs mit einer Vollbremsung. Den Zusammenstoß konnte er jedoch nicht mehr verhindern.

Im Zeitpunkt des Unfalles war die im Sinne der angeführten Verordnung vorgesehene Stop-Tafel zur Abwertung des „B*****“ nicht vorhanden. Diese Tafel wurde erst einige Tage nach dem Unfall neu angebracht. Der Grund für die Neuaufstellung der Tafel war nicht der Unfall, vielmehr war zum Zeitpunkt des Aufstellens der neuen Tafel „der Beklagten“ überhaupt erst aufgefallen, daß die alte Tafel demontiert worden war. Warum die bereits am 9. 6. 1980 von der Gemeinde R***** abgeholte Tafel erst nach dem 20. 7. 1980 montiert wurde, konnte nicht festgestellt werden.

Der Kläger war ortskundig. Es war ihm insbesondere bekannt, daß der „B*****“ durch eine Stop-Tafel abgewertet war.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß von einem vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldeten Schaden der Beklagten als Voraussetzung für eine Haftung nach § 1319a ABGB nicht die Rede sein könne, weshalb das Klagebegehren abzuweisen war.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers in der Hauptsache Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es dem Kläger den Betrag von S 17.356,38 s.A. zusprach. Es ließ die Revision zu, weil eine Frage des materiellen Rechtes von erheblicher Bedeutung zu beurteilen sei. Zu den Sorgfaltspflichten des Halters eines Weges gehöre auch das Aufstellen der erforderlichen Verkehrsschilder. Diese Verpflichtung stelle eine Schutznorm gemäß § 1311 ABGB dar. Da aber als Haftungsvoraussetzung im Sinne des § 1319a ABGB grobe Fahrlässigkeit erforderlich sei, habe der Geschädigte die Schädigung durch einen mangelhaften Zustand des Weges sowie das Vorliegen eines grob fahrlässigen Verhaltens nachzuweisen. Dies sei dem Kläger gelungen. Aus den Feststellungen ergebe es sich, daß die Stop-Tafel zumindest durch einige Tage nicht angebracht war, ohne daß dies der Beklagten aufgefallen wäre. Es seien keine entsprechenden Vorkehrungen zur Verhinderung solcher Zwischenfälle getroffen worden; die Beklagte habe im übrigen nicht einmal behauptet, daß sie irgendwelche organisatorische Maßnahmen getroffen habe, um zu verhindern, daß die Entfernung des Verkehrszeichens längere Zeit unbemerkt blieb. Berücksichtige man das grob fahrlässige Verhalten der Beklagten und die sicherlich nicht zu vernachlässigende Geschwindigkeitsüberschreitung des Klägers, sei eine Verschuldensteilung im Verhältnis 1 : 1 gerechtfertigt.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten, die sie auf die Anfechtungsgründe des § 503 Abs. 1 Z 2 und 4 ZPO stützt und in welcher sie die Abänderung des angefochtenen Urteiles dahin beantragt, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt werde.

Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zwar zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Beklagte lastet das Verschulden am Unfall allein dem Kläger an, weil er statt mit 40 km/h mit 55 km/h gefahren sei und mit 1,5 m einen zu geringen Seitenabstand vom rechten Fahrbahnrand eingehalten habe. Sie selbst treffe kein Mitverschulden am Unfall, weil es kein grobes Verschulden darstelle, wenn der Verordnung zur Anbringung der Stop-Tafel am B***** durch einige Tage versehentlich nicht entsprochen wurde. Dem ist zu erwidern:

Es ist richtig, daß dem Kläger eine Geschwindigkeitsüberschreitung im dargestellten Ausmaß anzulasten ist. Dazu kommt, daß er sich nicht darauf verlassen durfte, daß seit seiner letzten Fahrt die Verhältnisse, insbesondere auch die aufgestellten Verkehrszeichen, keine Änderung erfahren haben (ZVR 1981/263; ZVR 1980/343; ZVR 1976/45; 2 Ob 90/82 ua). Nicht einzugehen ist aber auf den Vorwurf der Beklagten, er habe einen zu geringen Seitenabstand vom rechten Fahrbahnrand eingehalten, weil die Beklagte ihren Verschuldenseinwand nicht auch darauf gründete und dies wegen des Neuerungsverbotes im Rechtsmittelverfahren nicht mehr nachholen kann.

Der Kläger hat sich die Hälfte des Verschuldens am Unfall selbst angelastet; den aus dem „B*****“ herausfahrenden holländischen Fahrzeuglenker trifft kein Verschulden am Unfall, weil die Stop-Tafel zum Zeitpunkt des Unfalles nicht aufgestellt war. Es ist daher nur mehr die Frage zu klären, ob die Beklagte ein Mitverschulden aus den vom Kläger geltend gemachten Gründen verantwortet:

Gemäß § 1319a ABGB haftet in einem Fall, in welchem durch den mangelhaften Zustand eines Weges ... eine Sache beschädigt wird, derjenige für den Ersatz des Schadens, der für den ordnungsgemäßen Zustand des Weges als Halter verantwortlich ist, sofern er oder einer seiner Leute den Mangel vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet hat. Der Gesetzgeber wollte durch die Verwendung des Wortes „Zustand“ statt des ebenfalls erwogenen Ausdruckes „Beschaffenheit“ (wie im § 1319 ABGB) zum Ausdruck bringen, daß nicht nur für den Weg selbst im engeren Sinn, sondern für dessen Verkehrssicherheit im weitesten Sinn gehaftet werden solle (1978 BlgNR 13. GP S. 5; JBl. 1979, 485; ZVR 1980/324; 8 Ob 101/81; 8 Ob 217/81 ua). Die dem öffentlichen Verkehr dienenden Straßen sind derart herzustellen und zu erhalten, daß sie von allen Verkehrsteilnehmern bei Beachtung der Straßenverkehrsovrschriften gefahrlos benützbar sind (vgl. ZVR 1959/177; ZVR 1974/30). Dazu gehört auch die Verpflichtung, daß die Straßen mit den den Vorschriften entsprechenden Verkehrseinrichtungen, wie etwa mit den erforderlichen Verkehrszeichen, versehen werden (vgl. ZVR 1959/192; ZVR 1970/4; ZVR 1975/112; ZVR 1980/324; 8 Ob 217/81 ua). Im vorliegenden Fall war mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft K***** die Aufstellung des Vorschriftszeichens „Halt vor Kreuzung“ im Bereich der Einmündung des „B*****“ in die R***** Landesstraße angeordnet worden. Die Verpflichtung, dieses Verkehrszeichen aufzustellen, implizierte für die Beklagte auch, es zu erhalten bzw. für den Fall seiner Beschädigung oder Entfernung sogleich dafür Sorge zu tragen, daß es durch ein neues Verkehrsschild ersetzt wird. Die Beklagte verstieß daher in der Nichterfüllung dieser sie als Wegehalterin treffenden Verpflichtung gegen eine Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB. An ihr wäre es somit gelegen, zu behaupten und unter Beweis zu stellen, daß die Unterlassung der Erneuerung bzw. Neuaufstellung der Stop-Tafel auf das Schadensereignis ohne Auswirkung geblieben wäre. Solche Umstände hat sie weder vorgebracht noch bewiesen. Die Verfahrensergebnisse geben keinen Anhaltspunkt dafür, daß der holländische Fahrzeuglenker dem Vorhandensein einer Stop-Tafel nicht Rechnung getragen hätte.

Der die Beklagte bzw. ihre Leute treffende Vorwurf der Unterlassung der zeitgerechten Wiederaufstellung des Verkehrszeichens „Halt vor Kreuzung“ wurde vom Berufungsgericht zutreffend als grob fahrlässig beurteilt. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. EvBl. 1973/265; 8 Ob 109/73; 8 Ob 164/80; 8 Ob 217/81 uza) ist grobe Fahrlässigkeit anzunehmen, wenn eine außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgepflicht vorliegt und der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich voraussehbar ist. Ein solcher Fall liegt hier vor. Wie der Obmann der Weggemeinschaft selbst erklärte, fiel ihm das Fehlen der Stop-Tafel überhaupt nicht auf, obwohl er den Weg mindestens zweimal in der Woche benützt, „weil er gar nicht mehr hinschaut“ und automatisch vor der Einmündung anhält, auch eine Wegbegehung zu Zwecken der Kontrolle ist nie efolgt (AS 32/33). Es bedurfte daher nicht erst des Unfalles bei der Einmündung des B***** in die R***** Landesstraße, um die unmittelbare Gefahr eines Schadenseintrittes vorauszusehen, wenn eine sonst seit Jahren angebrachte „Stop-Tafel“ für einige Zeit ausfällt: Dies wirkt gleichermaßen für ortskundige und nicht ortserfahrene Fahrzeuglenker wie eine Falle, zumal die einen das Vorhandensein dieses wichtigen Verkehrszeichens – wenn auch unrichtigerweise – voraussetzen und die anderen – im Ergebnis wiederum unzutreffenderweise – ein von der Behörde an sich angeordnetes Anhaltegebot an der Kreuzung nicht in Rechnung stellen (können).

Das Berufungsgericht ging daher mit Recht von der Mithaftung der Beklagten für die Unfallsfolgen aus. Durch die von ihm vorgenommene und bereits der Klage zugrunde gelegte Verschuldensteilung im Verhältnis 1 : 1 kann sich die Beklagte nicht beschwert erachten. Der Revision der Beklagten war somit der Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E06696

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00039.850.0912.000

Im RIS seit

25.09.1995

Zuletzt aktualisiert am

25.09.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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