TE OGH 1986/2/18 10Os150/85

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Veröffentlicht am 18.02.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18.Februar 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch sowie Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Gruber als Schriftführerin in der Strafsache gegen Andreas R*** wegen des Verbrechens der Notzucht nach § 201 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 9.September 1985, GZ 27 Vr 1872/85-15, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Scheibenpflug, und des Verteidigers Dr. Engin-Deniz, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Andreas R*** des Verbrechens der Notzucht nach § 201 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 20.Juli 1985 in Linz Johanna W*** mit Gewalt gegen ihre Person, und zwar durch Würgen am Hals, und durch die wiederholte Äußerung "Ich bringe dich um", also durch gegen sie gerichtete Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben, widerstandsunfähig gemacht und in diesem Zustand zum außerehelichen Beischlaf mißbraucht hatte.

Rechtliche Beurteilung

Der auf § 281 Abs 1 Z 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen dieses Urteil kommt keine Berechtigung zu. Mit jenen Feststellungen, wonach der Beschwerdeführer beschloß, das Tatopfer zu "vergewaltigen", und wonach er Johanna W*** dementsprechend den Mund sowie von hinten den Hals zudrückte, "um ihr ... einen Schock zu versetzen" (US 3), in Verbindung mit der weiteren Konstatierung, daß er den Würgegriff zwar später lockerte, aber sofort wieder fester zudrückte, "wenn ihm etwas nicht gepaßt hat" (US 5/6), nahm das Erstgericht im Einklang mit den Denkgesetzen und mit allgemeiner Lebenserfahrung unmißverständlich als erwiesen an, daß er den einem Beischlaf entgegenstehenden Willen des Mädchens brechen und nicht bloß beugen wollte. Ein derartiger Vorsatz entspricht durchaus dem Tatbestand der Notzucht (§ 201 Abs 1 StGB) und nicht nur jenem der Nötigung zum Beischlaf (§ 202 Abs 1 StGB). Soweit der Angeklagte in Ausführung der Beschwerde auf eine andere faktische Zielrichtung seines Vorsatzes abstellt, bringt er den geltend gemachten materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund in bezug auf die subjektive Tatseite nicht zu prozeßordnungsgemäßer Darstellung.

Aber auch die Beschwerdeeinwände zur objektiven Tatseite des § 281 Abs 1 StGB gehen fehl.

Neuerlich nicht gesetzmäßig ausgeführt ist die Rechtsrüge insoweit in Ansehung der ihr zugrunde gelegten weiteren Prämisse, das Tatopfer habe von vornherein aus rationalen Erwägungen keinen Widerstand geleistet. Hat doch das Schöffengericht demgegenüber ausdrücklich festgestellt, daß Johanna W***, die sich dem Beschwerdeführer hilflos ausgeliefert sah, von panischer Angst erfaßt wurde, als er ihr androhte, sie umzubringen, und als er sie gegen ihren anfänglichen Widerstand solang würgte, bis sie keine Luft mehr bekam, keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte und nur mehr dachte, jetzt sei es aus mit ihr; daß sie nach dem Gutachten des Sachverständigen für Psychiatrie in diesem Schockzustand psychisch handlungsunfähig war; daß sie erst später, als er bereits auf ihr liegend den Geschlechtsverkehr mit ihr vollzog, eine List überlegte und daß ihr erst nach deren Scheitern bei einer anderen Gelegenheit die Flucht gelang (US 3 bis 7).

Bei dieser Sachlage haftet der Urteilsannahme, daß sich das Tatopfer in dem für die Deliktsvollendung maßgebenden Zeitpunkt, und zwar zu Beginn des inkriminierten Beischlafs, aus psychischen Gründen im Zustand einer Widerstandsunfähigkeit (§ 201 Abs 1 StGB) befand, weil sie schockbedingt handlungsunfähig, also gar nicht in der Lage war, einen Widerstandswillen zu aktivieren, kein Rechtsirrtum an. Wie lange sie sich im Verlauf des folgenden Geschehens in einem derartigen Zustand befand, ist für die Tatbestandsverwirklichung ohne Belang.

Davon abgesehen aber setzt eine psychische Widerstandsunfähigkeit im Sinn des § 201 Abs 1 StGB entgegen der Beschwerdeauffassung gar nicht voraus, daß das Tatopfer zu einer rationalen oder sogar zu einer bewußten Willensbetätigung außerstande ist. Genug daran, daß sich die betroffene Frau in einer Lage extremer Hilflosigkeit befindet, in der ihr die Möglichkeit eines erfolgreichen Widerstands gegen die ihr vom Täter zum Erzwingen des Beischlafs wider ihren Willen angetane Gewalt oder gegen die ihr von ihm angedrohte unmittelbare Gefährdung an Leib oder Leben als ausgeschlossen erscheint; auch in einem solchen Fall ist sie subjektiv außerstande, ihm Widerstand zu leisten und demgemäß psychisch "widerstandsunfähig" im Sinn der in Rede stehenden Strafbestimmung (vgl. EvBl 1975/270 ua). Bei dem vom Erstgericht festgestellten Tathergang war für Johanna W***, die vom Angeklagten gegen Mitternacht in einer etwa zehn Meter langen dunklen Hauseinfahrt überfallen und direkt am Leben bedroht wurde, zudem eine derartige Situation unzweifelhaft gegeben. Für eine Beurteilung der Tat bloß als Verbrechen der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs 1 StGB ist demnach kein Raum. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Erstgericht verurteilte den Angeklagte nach § 201 Abs 1 StGB zu 20 Monaten Freiheitsstrafe. Dabei wertete es seine als einschlägig beurteilte Vorstrafe als erschwerend, sein Alter unter 21 Jahren, seine Enthemmung durch Alkohol und sein Geständnis hingegen als mildernd. Die Gewährung bedingter Strafnachsicht lehnte es aus Gründen der Spezial- und der Generalprävention ab. Auch der Berufung des Angeklagten, mit der er eine Strafherabsetzung und die Anwendung des § 43 StGB anstrebt, kommt keine Berechtigung zu.

Von einem bisher ordentlichen Lebenswandel des Berufungswerbers kann im Hinblick auf seine Vorverurteilung wegen § 83 Abs 1 StGB, die er im Juli 1984 erlitten hat, keine Rede sein. Die ihr zugrunde liegende strafbare Handlung lastete ihm das Schöffengericht im Hinblick darauf, daß er auch damals in alkoholisiertem Zustand und zu später Stunde in einer entlegenen Gegend ein (allerdings von einer Erwachsenen begleitetes) Mädchen von hinten anfiel und am Hals würgte, mit Recht als Erschwerungsgrund an, weil sie zumindest auf dem gleichen Charaktermangel und deshalb im Sinn des § 71 StGB auf der gleichen schädlichen Neigung beruht wie das nunmehr begangene Sexualverbrechen. Folgerichtig ist dem Angeklagten aber auch seine Alkoholisierung nach § 35 StGB nicht als mildernd zugute zu halten, sondern als erschwerend zum Vorwurf zu machen. Keinesfalls ein Milderungsgrund schließlich ist darin zu erblicken, daß die Tat beim Opfer "keine gesundheitlichen Folgen" nach sich zog; fallen doch auch insoweit eher die erheblichen psychischen Nachwirkungen, an denen die Betroffene noch zur Zeit der Hauptverhandlung zu leiden hatte (vgl. S 136 f.), als erschwerend ins Gewicht. Alles in allem hat das Erstgericht die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe nach seiner tat- und persönlichkeitsbezogenen Schuld (§ 32 StGB) keineswegs zu hoch ausgemessen.

Die Gewährung bedingter Strafnachsicht konnte darnach schon mangels einer aus besonderen Gründen gebotenen Gewähr für ein künftiges Wohlverhalten des Berufungswerbers (§ 43 Abs 2 StGB) nicht in Betracht gezogen werden.

Der Berufung mußte daher gleichfalls ein Erfolg versagt bleiben.

Anmerkung

E07675

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0100OS00150.85.0218.000

Dokumentnummer

JJT_19860218_OGH0002_0100OS00150_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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