TE OGH 1986/3/11 10Os11/86

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Veröffentlicht am 11.03.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. März 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Friedrich, Dr.Reisenleitner, Dr.Kuch sowie Dr.Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Enzenhofer als Schriftführer in der Strafsache gegen Robert P*** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Kreisgericht Wiener Neustadt vom 9.Oktober 1985, GZ 12 a Vr 1663/84-94, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben: der Wahrspruch der Geschwornen zur Hauptfrage I sowie das darauf beruhende angefochtene Urteil im Schuldspruch laut Punkt I. und im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruchs nach § 38 StGB) werden aufgehoben; die Sache wird zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung in diesem Umfang an das Erstgericht zurückverwiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte darauf verwiesen. Über die Nichtigkeitsbeschwerde im übrigen wird bei einem Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung entschieden werden.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden angefochtenen Urteil wurde Robert P*** der Verbrechen (I.) des Mordes nach § 75 StGB und (II.) der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 StGB schuldig erkannt.

Als Mord liegt ihm zur Last, daß er am 15. November 1984 in Baden Willibald M*** durch vier Schüsse aus einer Vorderschaft-Repetierflinte gegen die Schulter-Hals-Region sowie gegen den Kopf vorsätzlich tötete.

Rechtliche Beurteilung

Soweit die auf § 345 Abs. 1 Z 5, 6 und 8 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen diesen Schuldspruch und den ihm zugrunde liegenden Wahrspruch zur Hauptfrage I gerichtet ist, kommt ihr Berechtigung zu.

Grundlegend verkannt hat der Schwurgerichtshof (Z 6) die Vorschrift des § 314 Abs. 1 StPO, als er eine Eventualfrage nach fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen (§ 81 Z 1 StGB) mit der Begründung ablehnte, "daß der Angeklagte selbst zumindest ab Abgabe des zweiten Schusses aus der Tatwaffe selbst keine plausible Erklärung in Richtung Fahrlässigkeit angeben und daher eine solche Eventualfrage auf Grund der unbekämpft gebliebenen Sachverständigen-Gutachten, wonach nach der Konstruktion der Waffe und ihrer Funktionstüchtigkeit auszuschließen sei, daß sich der zweite Schuß während des Laufens zufällig gelöst habe und Willibald M*** bei Abgabe des 3. und 4. Schusses noch nicht tot war, ebenfalls nicht indiziert" sei (S 290/II).

Denn im Hinblick darauf, daß zum einen der Angeklagte gewiß nicht verhalten war, in bezug auf das Tatgeschehen rechtlich subsumierende "Erklärungen anzugeben", und daß ihm zum anderen im Fall des Zutreffens seiner einen Mordvorsatz leugnenden Sachverhalts-Darstellung über den Hergang der Tat und deren Vorgeschichte, wie er sie in der Hauptverhandlung vorbrachte, die Tötung seines Schwiegervaters bei richtiger rechtlicher Beurteilung doch unzweifelhaft jedenfalls als Fahrlässigkeit (unter besonders gefährlichen Verhältnissen) zur Last fiele, kann der (insoweit bemerkenswert unpräzise formulierte) erste Teil des ablehnenden Zwischenerkenntnisses sinnvollerweise nur dahin verstanden werden, daß es ihm nicht gelungen sei, seine damit relevierte Verantwortung plausibel zu machen.

Darüber zu befinden fiel aber nicht in die prozessuale Kompetenz des Schwurgerichtshofs: ist doch dieser nach dem klaren Wortlaut des § 314 Abs. 1 StPO in jedem Fall schon dann verpflichtet, den Geschwornen entsprechende Eventualfragen zu stellen, wenn die in der Hauptverhandlung vorgebrachten Tatsachen zur Unterstellung der Tat unter ein anderes, nicht strengeres Strafgesetz führen würden, falls sie als erwiesen angenommen werden; die Entscheidung darüber, ob sie tatsächlich als erwiesen anzunehmen sind oder nicht, ist demgegenüber ausschließlich den Laienrichtern vorbehalten, die sich nach sorgfältiger und gewissenhafter Prüfung aller für und wider den Angeklagten vorgebrachten Beweismittel fragen müssen, welchen Eindruck in der Hauptverhandlung die wider ihn vorgeführten Beweise und die Gründe seiner Verteidigung auf sie gemacht haben, und die allein nach der durch diese Prüfung der Beweismittel gewonnenen Überzeugung zur Fällung des Ausspruchs über seine Schuld oder Nichtschuld verpflichtet sind (§ 325 StPO). Ihnen diese ausschließliche Entscheidungskompetenz mit der Begründung zu entziehen, daß die Verantwortung des Angeklagten nicht plausibel sei, würde gerade in solchen Fällen jenen Sinn und Zweck des geschwornengerichtlichen Verfahrens, wonach die Gefahr einer durch forensische Erfahrung bedingten Schematisierung der Beweiswürdigung durch deren Übertragung an Laienrichter ausgeschaltet werden soll, augenscheinlich ins Gegenteil verkehren.

Dementsprechend kann auch der Auffassung der Generalprokuratur, daß die Verantwortung eines Angeklagten dann nicht zu einer entsprechenden Fragestellung an die Geschwornen zwinge, wenn ihr "Zutreffen nach sämtlichen Beweisergebnissen geradezu ausgeschlossen" sei, nicht gefolgt werden; sie findet auch in der als Beleg dafür zitierten Judikatur (Mayerhofer/Rieder, StPO 2 , ENr. 22 zu § 314) - die sich lediglich auf die Frage bezieht, wann eine Tatsache im Sinn des § 314 Abs. 1 StPO als "vorgebracht" anzusehen ist - keine Deckung. Wohl könnte ein offensichtlich denkgesetzwidriges Tatsachenvorbringen eine dahingehende Fragestellung gewiß nicht indizieren, weil es in jedem Fall und von vornherein ungeeignet wäre, zu deren mängelfreier (Z 9) Bejahung zu führen. Ist aber ein vom Angeklagten in der Hauptverhandlung vorgebrachter Geschehensablauf an sich denkbar und bedarf es zu seiner Nichtannahme beweiswürdigender Überlegungen, dann ist eine dementsprechende Fragestellung an die Geschwornen ohne Rücksicht auf die Glaubwürdigkeit der betreffenden Darstellung nach der Prozeßordnung unabdingbar (vgl. Mayerhofer/Rieder aaO ENr. 47, 49 erster Teil, 50). Nichts anderes gilt auch dann, wenn es zur Widerlegung einer Verantwortung des Rückgriffs auf ein Sachverständigen-Gutachten bedarf; hängt doch auch dessen Beweiskraft ausschließlich von seiner pflichtgemäßen Würdigung durch das jeweils zur Entscheidung über die Tatfrage berufene Organ ab. Inwiefern gerade in Fällen, in denen die Richtigkeit einer Verantwortung "nach sämtlichen Beweisergebnissen geradezu ausgeschlossen", die Beweiswürdigung also nach Ansicht des Schwurgerichtshofs exzeptionell einfach ist, die Gefahr bestehen sollte, daß dahingehende Eventual- oder Zusatzfragen die Laienrichter trotz entsprechender Belehrung (§§ 321, 323 StPO) "nur verwirren und zu ihrer Irreführung beitragen könnten", ist - abgesehen davon, daß deren insoweit ausschließliche Entscheidungskompetenz im Gesetz nun einmal ausdrücklich statuiert wird - nicht recht verständlich. Auch wäre ein objektivierbares Kriterium dafür, wann eine Verantwortung als "bloß unglaubwürdig" einer Beurteilung durch die Geschwornen zuzuführen sei und wann sie demgegenüber "mit den im Beweisverfahren hervorgekommenen Tatsachen dermaßen im Widerspruch" stehen sollte, "daß ihr Zutreffen auszuschließen" sei und eine Fragestellung an die Laienrichter zu unterbleiben habe, wohl kaum bestimmbar; folgerichtig müßte eine derartige Praxis - wie die massive Beweiswürdigung durch die Generalprokuratur im vorliegenden Fall deutlich macht - geradezu zwangsläufig zu einer den Intentionen des geschwornengerichtlichen Verfahrens diametral zuwiderlaufenden Verlagerung der alleinigen Entscheidungskompotenz in der Tatfrage hinsichtlich der als Gegenstand der betreffenden Eventual- oder Zusatzfrage in Betracht kommenden Sachverhaltsalternativen von den Geschwornen auf die Berufsrichter führen.

Daß durch die Gutachten der Sachverständigen für das Waffenwesen und für gerichtliche Medizin eine Eventualfrage nach bloß fahrlässiger Tötung (unter besonders gefährlichen Verhältnissen) nicht indiziert war, liegt klar auf der Hand; dazu hätte es folglich eines besonderen Hinweises im zweiten Teil des ablehnenden Zwischenerkenntnisses gar nicht bedurft. Auch aus dieser Bezugnahme erhellt vielmehr unübersehbar, daß der Schwurgerichtshof seine Verpflichtung zu einer nach der Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung geboten gewesenen Fragestellung in Richtung § 81 Z 1 StGB im Weg einer (die Entscheidung der Geschwornen darüber faktisch präjudizierenden) beweiswürdigenden Vorwegnahme eines Mordvorsatzes des Täters offensichtlich verletzt hat. Schon deswegen (Z 6) ist in Ansehung des Schuldspruchs laut Punkt I. und des ihm zugrunde liegenden Wahrspruchs zur Hauptfrage I eine Verfahrenserneuerung in erster Instanz unumgänglich. Nichtsdestoweniger erscheint es jedoch - ohne die Notwendigkeit einer Bezugnahme auf die geltend gemachten weiteren Nichtigkeitsgründe - zudem als angebracht, zur Vermeidung derartiger oder ähnlicher Mängel im zweiten Rechtsgang auf weitere Fehlbeurteilungen hinzuweisen, die dem Schwurgerichtshof insoweit unterlaufen sind:

1. Im Hinblick auf jene Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung, wonach das Tatopfer zur Zeit des dritten und vierten Schusses bereits tot gewesen sei (S 146 f./II), einerseits sowie darauf, daß nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. S*** Anhaltspunkte für die objektive Unrichtigkeit dieser (vom Beschwerdeführer behaupteten) Annahme vorliegen (S 243-243a/II), anderseits wären auch Eventualfragen in Richtung eines (mit § 81 Z 1 StGB realkonkurrierenden) Vergehens nach § 190 Abs. 1 StGB sowie (für den Fall der Verneinung) eines (mit § 81 Z 1 StGB teilweise tateinheitlich zusammentreffenden) dahingehenden Versuchs nach §§ 15, 190 Abs. 1 StGB indiziert gewesen.

2. Eine heftige Gemütsbewegung im Sinn des § 76 StGB muß entgegen der Auffassung des Schwurgerichtshofs (S 289/II) nicht unbedingt auf einem Verhalten des Tatopfers allein beruhen; diesfalls ist bei der Beurteilung der Entstehung des Affekts in bezug auf eine allgemeine Begreiflichkeit auch das Verhalten des daran beteiligten Dritten mitzuberücksichtigen (vgl. Moos im WK, Rz 49, 50 zu § 76). Nichtsdestoweniger setzt allerdings die Beurteilung einer Tat als Totschlag in jedem Fall primär eine Spontaneität des Tötungswillens voraus, die bei einem konkret vorgefaßten Tötungsentschluß fehlt; insoweit ist jedoch zwischen einem solchen "protrahierten Affekt", bei dem es zu einer rational gesteuerten Affektentladung gleichsam "im Zeitlupentempo" kommt, einerseits und einer spontanen Affektauslösung aus einem möglicherweise mehr zufälligen Anlaß am Ende einer gleichfalls als "protrahierter Affekt" zu beurteilenden Krisensituation anderseits rechtserheblich zu unterscheiden (vgl. Moos aaO Rz 21-23; 45-47).

3. Die vom Verteidiger beantragte Vernehmung der Zeugen L*** und L*** (S 276-278/II iVm ON 92) hätte ungeachtet der vorausgegangenen Ausscheidung des Anklagefaktums II. (S 277/II) nicht abgelehnt werden dürfen (S 278/II), weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Geschwornen deren Bekundungen im Hinblick auf einen Teil des Beweisthemas - und zwar auf das Aussageverhalten der Gattin des Angeklagten in Ansehung der diesem angelasteten Morddrohungen gegen Willibald M*** etwa eine Woche vor dessen Tötung - eine auch für die Klärung der Frage, ob der Beschwerdeführer das Tatopfer vorsätzlich tötete, aktuelle und ihn möglicherweise entlastende Bedeutung beigemessen hätten. Im bisher erörterten Umfang war daher nach Anhörung der Generalprokuratur schon bei einer nichtöffentlichen Beratung wie im Spruch zu erkennen (§ 285 e StPO), ohne daß es erforderlich wäre, auf die darauf bezogenen weiteren Beschwerdegründe einzugehen. Dem (ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistenden) Grundsatz eines "fair trial" - der insbesondere in Art. 6 Abs. 1 MRK verfassungsrechtlich verankert und dessen Bedeutung in der Judikatur der Höchstgerichte (vgl. die zahlreichen bei Ermacora-Nowak-Tretter,

Die Europäische Menschenrechtskonvention in der Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte, 1983, zitierten Entscheidungen zu Art. 5 und Art. 6 Abs. 1 MRK u.v.a.) schon wiederholt unterstrichen worden ist - entsprechend wird der Schwurgerichtshof im zweiten Rechtsgang bei der Fragestellung besonders darauf zu achten haben, daß nach §§ 313, 314 StPO relevante Tatsachen, die der Angeklagte allenfalls in der zu erneuernden Hauptverhandlung vorbringen wird, ohne Rücksicht auf die konkrete Glaubwürdigkeit der betreffenden Verantwortung durch entsprechende Zusatz- und (oder) Eventualfragen an die Geschwornen erfaßt werden; ebenso ist bei der Entscheidung über Beweisanträge peinlichst zu beachten, daß den zur Beurteilung der Tatfrage allein kompetenten Laienrichtern keine für ihren Wahrspruch möglicherweise bedeutsamen Faktoren entzogen werden dürfen.

Über die Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Schuldspruch laut Punkt II. und den diesem zugrunde liegenden Wahrspruch zur Hauptfrage II wird bei einem Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung zu entscheiden sein (§§ 285 c Abs. 2, 285 d Abs. 2 iVm § 344 StPO).

Anmerkung

E08074

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0100OS00011.86.0311.000

Dokumentnummer

JJT_19860311_OGH0002_0100OS00011_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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