TE OGH 1986/6/26 7Ob14/86

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Veröffentlicht am 26.06.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Walter L***, Rechtsanwalt, Landeck, Malserstraße 49 a, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen des Alfred B***, Elektrounternehmer, Landeck, Fließerau, wider die beklagte Partei E*** A*** V***-A***, Wien 1.,

Brandstätte 7-9, vertreten durch Dr. Peter Schurschetz, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 8. Jänner 1986, GZ 5 R 343/85-34, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 12. August 1985, GZ 15 Cg 185/83-29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Das Klagebegehren, es werde festgestellt, daß die beklagte Partei der klagenden Partei auf Grund des Versicherungsvertrages Polizzennummer 653-104357 für den Brandschaden vom 27. November 1982 im Betriebsgebäude des Alfred B*** in Landeck bis zur Höhe der Versicherungssumme Deckung zu leisten hat, wird abgewiesen. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 134.489,95 bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen (darin enthalten S 12.522,50 Barauslagen und S 11.087,95 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 21. November 1982 brach im Betriebsgebäude des Alfred B*** ein Brand aus, durch den beträchtlicher Sachschaden entstand. Die Höhe des Schadens steht noch nicht fest. Der Kläger begehrt die Feststellung der Deckungspflicht der beklagten Partei aufgrund der mit dieser im Dezember 1981 für das Betriebsgebäude abgeschlossenen Feuerversicherung, der die Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS) zugrundeliegen.

Die beklagte Partei beruft sich auf Leistungsfreiheit nach Art. 2 und 3 der ABS. Der Versicherungsnehmer habe ohne baubehördliche Bewilligung im Betriebsgebäude ein Werkstättenbüro errichtet und eine Feuerungsanlage aufgestellt und hiebei gegen bestimmt bezeichnete Bestimmungen der Tiroler Feuerpolizeiordnung und der Technischen Bauvorschriften verstoßen.

Die Art. 2 und 3 der ABS haben folgenden Wortlaut:

Art. 2 - Gefahrerhöhung - (§§ 23 bis 31 VersVG) Abs. 1: Nach Vertragsabschluß darf der Versicherungsnehmer ohne Einwilligung des Versicherers keine Gefahrerhöhung vornehmen oder deren Vornahme durch einen Dritten gestatten. Erlangt der Versicherungsnehmer Kenntnis davon, daß eine Gefahrerhöhung ohne sein Wissen oder ohne seinen Willen eingetreten ist, hat er dem Versicherer unverzüglich schriftlich Anzeige zu erstatten. Abs. 2: Tritt nach dem Vertragsabschluß eine Gefahrerhöhung ein, kann der Versicherer kündigen. Verletzt der Versicherungsnehmer eine der in Abs. 1 genannten Pflichten, ist der Versicherer außerdem nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen von der Verpflichtung zur Leistung frei.

Abs. 3: Die Bestimmungen der vorstehenden Absätze finden auch Anwendung auf eine in der Zeit zwischen Stellung und Annahme des Versicherungsantrages eingetretene Gefahrerhöhung, die dem Versicherer bei der Annahme des Antrages nicht bekannt war.

Art. 3 - Sicherheitsvorschriften - Abs. 1: Verletzt der Versicherungsnehmer gesetzliche, polizeiliche oder vereinbarte Sicherheitsvorschriften oder duldet er ihre Verletzung, kann der Versicherer innerhalb eines Monats, nachdem er von der Verletzung Kenntnis erlangt hat, die Versicherung mit einmonatiger Frist kündigen. Das Kündigungsrecht erlischt, wenn der Zustand wiederhergestellt ist, der vor der Verletzung bestanden hat. Abs. 2:

Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Schadenfall nach der Verletzung eintritt und die Verletzung auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers beruht. Die Verpflichtung zur Leistung bleibt bestehen, wenn die Verletzung keinen Einfluß auf den Eintritt des Schadenfalles oder auf den Umfang der Entschädigung gehabt hat oder wenn zur Zeit des Schadenfalles trotz Ablaufs der Frist die Kündigung nicht erfolgt war. Abs. 3: Ist mit der Verletzung einer Sicherheitsvorschrift eine Gefahrerhöhung verbunden, finden die Bestimmungen über die Gefahrerhöhung Anwendung.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Nach seinen Feststellungen bestand das Betriebsgebäude aus einem ein- und aus einem zweigeschoßigen Teil. Eine Baubewilligung war am 10. November 1981, allerdings nur für den eingeschoßigen Trakt, erteilt worden. Der Bauplan wurde von Alfred B*** nur hinsichtlich der äußeren Abmessungen eingehalten, nicht auch hinsichtlich der inneren Raumeinteilung und der verwendeten Baustoffe. Um eine Benützungsbewilligung wurde nicht angesucht. In der Zeit vom 1. Jänner 1982 bis 1. Juni 1982 wurde das Betriebsgebäude besiedelt. Nach Bezug des Betriebsgebäudes errichtete Alfred B*** im ebenerdigen Teil ein 2,5 x 3 m großes Betriebsbüro aus Holz mit einer ca. 20 cm starken Holzdecke, die zur Decke des Betriebsgebäudes einen Abstand von ca. 60 cm hatte. Um eine Genehmigung für diesen Einbau wurde nicht angesucht. Am 20. Februar 1982 wurde ein Meller-Dauerbrandofen im Betriebsgebäude aufgestellt. Das Rauchrohr führte 1,40 m senkrecht nach oben und nach zwei 90-Grad-Bögen 2,90 m waagrecht zum Kamin. Es war in seinem waagrechten Teil durch zwei mit Schrauben an der Wand befestigte Blechwinkel gestützt. Die Blechwinkel hatten einen Abstand von 80 cm bzw. 2,70 m vom Kamin. Der Kamin war aus Leca-Steinen gemauert und im Bereich der Werkstätte verputzt. Im Bereich der Dachkonstruktion war er unverputzt. Über Dach waren nach der Vermauerung verfugte Betonziegel verwendet worden. Der Abstand von der Rauchrohreinmündung zum Kaminkopf betrug rund 2 m. Vor der Einmündung in den Kamin führte das Rauchrohr auf eine Länge von 1,75 m zwischen der abgehängten Decke und dem aus Holz errichteten Werkstättenbüro. Der Abstand zur abgehängten Decke betrug rund 17 cm, der Abstand zur Decke des Werkstättenbüros rund 25 cm. Die Decke des Werkstättengebäudes hatte folgenden Aufbau: An den Nagelbindern waren Stahlbügel befestigt, in die U-Schienen aus Blechprofilen eingehängt waren. An diese wurden Gipskartonplatten aufgeschraubt und zur Wärmedämmung 10 cm Telwolle aufgelegt. Vom Gesellen des Bezirksrauchfangkehrermeisters wurden mehrere Kehrungen durchgeführt. Am 2. April 1982 wurde der Rauchfang, der Ofen und das Rohr gekehrt; am 4. Juni 1982 fand eine Kehrung des Rauchfanges statt. Am 6. August 1982 kam es zu einer Überprüfung des Rauchfanges und am 1. Oktober 1982 wurden Rauchfang, Ofen und Rohr neuerlich gekehrt. Bei keiner dieser Gelegenheiten erfolgte eine Beanstandung. In unmittelbarer Nähe des Ofens wurden brennbare Gegenstände nicht gelagert. Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt vor dem 21. November 1982 wurden von einem Angestellten des Alfred B*** auf der Decke des kleinen Werkstättengebäudes Kartons und Autoreifen so gelagert, daß sie von unten nicht erkennbar waren. Diese Lagerung in zu geringem Abstand zum Rauchrohr war die Ursache des Brandes. Die von der Baubewilligung abweichend errichteten Gebäudeteile haben nicht zum Brandausbruch geführt. Der Abstand von rund 17 cm zwischen dem Rauchrohr und der abgehängten Decke des Betriebsgebäudes ist im Hinblick auf die starke Wärmedämmung aus Telwolle ausreichend. Der Abstand des Rauchrohres nach unten zur Decke des Werkstättenbüros entsprach zwar nicht den Bestimmungen der Tiroler Landesbauordnung, war jedoch im Hinblick auf die Länge des Rauchrohres feuerpolizeilich unbedenklich und scheidet als Brandursache aus. Durch die Schaffung des Werkstättenbüros wurde allerdings erst die Möglichkeit eröffnet, brennbare Stoffe in dem Zwischenraum zu lagern. Nach der Rechtsansicht des Erstgerichtes stelle die nachträgliche Errichtung des Werkstättenbüros eine Gefahrerhöhung dar, die auch für die Entstehung des Brandes mitursächlich gewesen sei. Die Gefahrerhöhung sei vom Versicherungsnehmer jedoch nicht schuldhaft herbeigeführt worden. Für einen Laien sei das Rauchrohr als Zündquelle nicht leicht erkennbar gewesen, eine Aufklärung des Alfred B*** durch den Rauchfangkehrer sei nie erfolgt. Der Zwischenraum sei auch nicht als Lagerplatz für brennbares Material vorgesehen gewesen. Eine Gefahrerhöhung sei für Alfred B*** daher nicht erkennbar gewesen. Für das Verhalten seines Angestellten bei der Lagerung von brennbaren Gegenständen habe er nicht einzustehen. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Nach seiner Auffassung stelle die Errichtung des Werkstättenbüros noch keine erhebliche Gefahrerhöhung dar. Hinsichtlich der Lagerung der brennbaren Stoffe im Zwischenraum folgte das Berufungsgericht der Rechtsansicht des Erstgerichtes. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000 übersteigt.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei ist berechtigt.

Beizupflichten ist der Revisionswerberin in der Ablehnung der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß die Errichtung des Werkstättenbüros mit einer Holzdecke im Abstand von nur ca. 25 cm vom Rauchrohr keine erhebliche Gefahrerhöhung dargestellt habe. Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften sind die wichtigste Gruppe von Gefahrerhöhungen (Martin, Sachversicherungsrecht 2 N IV 6). Unerheblich ist eine Gefahrerhöhung nur dann, wenn durch sie der Wahrscheinlichkeitsgrad für den Versicherungsfall oder für einen größeren Schadensumfang nur geringfügig erhöht wird (Martin aaO N III 29). Nach § 29 Abs. 5 der TBV (Technischen Bauvorschriften) ist zwischen Verbindungsstücken aus Metall und brennbaren Stoffen ein Mindestabstand von 50 cm einzuhalten. Dieser Mindestabstand wurde hier um rund 50 % unterschritten. Es kann davon ausgegangen werden, daß der vorgeschriebene Mindestabstand einen Grenzwert darstellt, bei dem bei normalem Betriebsablauf eine Brandgefahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist, jede Unterschreitung des Sicherheitsabstandes aber die Brandsicherheit beeinträchtigt. Selbst bei nur proportionalem Ansteigen der Brandgefahr wäre bei einer Unterschreitung des Sollwertes um 50 % die Brandsicherheit bereits auf die Hälfte gesunken, sodaß von einer bloß geringfügigen Erhöhung des Wahrscheinlichkeitsgrades für den Versicherungsfall keine Rede sein kann (vgl. hiezu auch die Ausführungen des Sachverständigen AS 121).

Die Leistungspflicht des Versicherers bei Verletzung der Vorschrift des § 23 Abs. 1 VersVG bleibt allerdings gemäß § 25 Abs. 2 VersVG bestehen, wenn die Verletzung nicht auf einem Verschulden des Versicherungsnehmers beruht. Es schadet aber bereits leichte Fahrlässigkeit. Die Beweislast für mangelndes Verschulden trifft den Versicherungsnehmer (Prölls-Martin, VVG 23 , 186 mwN). Im vorliegenden Fall ist bei Beurteilung der Verschuldensfrage davon auszugehen, daß dem Kläger die Verletzung des § 29 Abs. 5 der TBV zur Last fällt. Bei dieser Bestimmung handelt es sich zweifellos um ein Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB. Schutzgesetze nach § 1311 ABGB sind nicht nur Gesetze im formellen Sinn sondern auch im materiellen. Es können daher auch Verordnungen Schutzgesetze sein, wenn ihr Zweck darauf gerichtet ist, ein abstrakt gefährliches Verhalten zu verbieten, um hiedurch bestimmte Kreise von Personen vor Verletzung ihrer Güter zu bewahren (Koziol, Haftpflichtrecht 2 II 102; ZVR 1984/214 ua). Bei der Übertretung eines Schutzgesetzes braucht sich das Verschulden nur auf den Verstoß gegen diese Norm zu beziehen, die Voraussehbarkeit des Schadens ist nicht erforderlich (Koziol, aaO I 119 und 338 f; ZVR 1978/89 mwN). Der Kläger kann sich daher nicht darauf berufen, daß für einen Laien das Rauchrohr als Zündquelle nicht leicht erkennbar gewesen und durch den Rauchfangkehrer keine Beanstandung erfolgt sei. Auch die festgestellte feuerpolizeiliche Unbedenklichkeit betraf lediglich den Abstand als Brandursache. Daß die Unterschreitung des Sicherheitsabstandes behördlich genehmigt worden wäre, wurde nicht einmal behauptet. Der gleichfalls dem Versicherungsnehmer obliegende Kausalitätsgegenbeweis erfordert auch den Ausschluß jeder möglichen Mitursächlichkeit der Gefahrerhöhung an dem Eintritt des Versicherungsfalles (7 Ob 214/69), sodaß es nicht genügt, daß als eigentliche Brandursache die Lagerung von brennbaren Gegenständen im Zwischenraum festgestellt wurde. Für den Ausschluß der Mitursächlichkeit der Verletzung der TBV für das Schadensereignis fehlt es aber schon an einem entsprechenden Sachvorbringen in erster Instanz. Auf der Basis des erhobenen Sachverhaltes kann die Mitursächlichkeit nicht ausgeschlossen werden, weil durch die Nichteinhaltung des vorgeschriebenen Abstandes der schwer einsehbare Zwischenraum mit der Möglichkeit der Lagerung brennbarer Stoffe in Nähe des Rauchrohres geschaffen wurde. Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E08621

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0070OB00014.86.0626.000

Dokumentnummer

JJT_19860626_OGH0002_0070OB00014_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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