TE OGH 1986/9/8 6Ob599/86

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Veröffentlicht am 08.09.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch, Dr.Jensik, Dr.Riedler und Dr.Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*** D***, Rathaus, 6850 Dornbirn, vertreten durch Dr.Reinhold Moosbrugger, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagten Parteien 1. Robert S***,

Raiffeisenstraße 22, 6850 Dornbirn, 2. Friedrich S***,

Raiffeisenstraße 24, 6850 Dornbirn, und 3. Josefine S***, Raiffeisenstraße 24, 6850 Dornbirn, alle vertreten durch Dr.Bernhard Kessler, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen Räumung (Streitwert 24.000 S) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes vom 18.März 1986, GZ 1 b R 59/86-14, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Dornbirn vom 12.Dezember 1985, GZ C 2086/85-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß gefaßt:

Spruch

Aus Anlaß der Revision werden die Urteile der Vorinstanzen und das der Urteilsfällung vorangegangene Verfahren von der Zustellung der Klage an als nichtig aufgehoben. Die Klage wird zurückgewiesen. Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 14.822,33 S bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen (darin enthalten 1.302,03 S Umsatzsteuer und 500 S Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 8. Oktober 1982 enteignete die Vorarlberger Landesregierung über Begehren der klagenden Partei zu deren Gunsten gemäß § 45 Abs 1 StraßenG (LGBl.Vorarlberg Nr. 8/1969) zum Zwecke des Ausbaues der Gemeindestraße "Erlgrund" nach Maßgabe des beigeschlossenen Grundeinlösungsplanes vom 31.August 1982 und vorbehaltlich einer genauen Endvermessung in der Natur Teilflächen von 875 m 2 aus dem dem Erstbeklagten gehörigen Grundstück 2396 (EZ 7805) und von 5 m 2 aus dem dem Zweitbeklagten und der Drittbeklagten zugeschriebenen Grundstück 2397 (EZ 5017) je KG Dornbirn. Dieser Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen; Beschwerden an den Verfassungsgerichthof und an den Verwaltungsgerichtshof wurden abgewiesen.

Gemäß Punkt IV. dieses Bescheides wurde für die Duchführung der geplanten Baumaßnahmen eine Frist von drei Jahren bestimmt. Diese Frist verlängerte die Enteignungsbehörde mit Bescheid vom 25.Juni 1985 bis 18.Oktober 1988. Der gegen diesen Bescheid vom Erstbeklagten erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichthof ist bisher keine aufschiebende Wirkung zuerkannt worden. Den im Enteignungsbescheid festgesetzten Entschädigungsbetrag hat die klagende Partei beim Bezirksgericht Dornbirn gemäß § 1425 ABGB hinterlegt. Trotz Aufforderung durch die klagende Partei haben die Beklagten die enteigneten Grundflächen bisher nicht geräumt. Der auf Grund des Enteignungsbescheides eingebrachte Räumungsantrag wurde rechtskräftig abgewiesen (3 Ob 45/85), weil der Bescheid keine Räumungsverpflichtung und auch keine Räumungsfrist ausspreche. Die Vorarlberger Landesregierung beabsichtigt, den Enteignungsbescheid durch einen solchen Ausspruch zu ergänzen.

Die klagende Partei begehrte die Verurteilung der Beklagten zur Räumung der enteigneten Grundflächen und führte hiezu aus, sie sei Eigentümerin dieser Grundflächen, weil der Enteignungsbescheid in Rechtskraft erwachsen sei und sie den dort festgesetzten Entschädigungsbetrag zu Gericht erlegt habe.

Die Beklagten erhoben die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges, weil bereits ein Exekutionstitel vorliege, und wendeten des weiteren ein, die klagende Partei entbehre des gebotenen Rechtsschutzinteresses, weil der Bescheid, sobald er von der Enteignungsbehörde ergänzt worden sein werde, ohnedies ein Exekutionstitel sein werde.

Das Erstgericht gab dem Räumungsbegehren statt. Zur Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges verwies es lediglich darauf, die Einrede sei gegenstandslos, weil der Exekutionsantrag rechtskräftig abgewiesen worden sei. Im übrigen vertrat es die Auffassung, die klagende Partei habe auf Grund des Enteignungsbescheides nach Erlag des Entschädigungsbetrages Eigentum an den enteigneten Grundflächen erworben. Da der Enteignungsbescheid derzeit infolge eines formellen Mangels nicht als Exekutionstitel im Sinne des § 49 Abs 2 und 3 StraßenG zur Verfügung stehe, sei das Rechtsschutzinteresse der klagenden Partei zu bejahen. Die beabsichtigte Ergänzung des Bescheides sei rechtlich unerheblich.

Das Berufungsgericht wies das Räumungsbegehren ab, sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes zwar 15.000 S, nicht aber 300.000 S übersteige, und ließ die Revision zu. Es führte aus, nach § 49 Abs 2 StraßenG sei ein rechtskräftiger Enteignungsbescheid vollstreckbar, sobald der im Bescheid festgesetzte Entschädigungsbetrag gerichtlich hinterlegt oder an den Enteigneten ausbezahlt sei. Gemäß Abs 3 dieser Gesetzesstelle sei die zwangsweise Räumung auf Antrag des Enteigners gegen Vorlage des rechtskräftigen Enteignungsbescheides und des Nachweises der Hinterlegung oder Zahlung im Sinne des Abs 2 gemäß § 349 EO vom Gericht zu vollziehen. Die gerichtliche Vollstreckung habe jedoch nicht durchgeführt werden können, weil die Enteigneten im Bescheid nicht zur Übergabe bzw. Räumung binnen einer gleichzeitig bestimmten Frist verpflichtet worden seien, weshalb der Bescheid der materiellen Vollstreckbarkeit entbehre. Von dieser Rechtslage müsse ausgegangen werden. Die Frage, in welchem Zeitpunkt das Eigentum an der enteigneten Grundfläche ins Eigentum des Enteigners übergehe, werde in Lehre und Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet. Habe die ältere Rechtsprechung den Eigentumsübergang an die Zahlung bzw. den Erlag des Entschädigungsbetrages angeknüpft, werde zumindest von einem Teil der jüngeren Rechtsprechung die Ansicht vertreten, daß das Eigentum erst mit der freiwilligen Übergabe bzw. durch zwangsweise Besitzeinweisung nach Leistung des Entschädigungsbetrages an den Enteigner übergehe. Spielbüchler (Rummel, ABGB, Rdz 5 zu § 365) teile diese Auffassung und verweise zur Begründung auf das allgemeine Prinzip, daß das Eigentum erst durch den Besitzerwerb erworben werde. Brunner (Enteignung für Bundesstraßen, 66 ff) gelange zwar zum Ergebnis, daß der Vollzug des rechtskräftigen Enteignungsbescheides nach Zahlung oder Erlag des Entschädigungsbetrages nicht mehr gehindert werden könne, schließe aber daraus gleichzeitig, daß auch der Eigentumsübergang nicht früher als in dem Zeitpunkt, in dem die Voraussetzungen für die Vollstreckung gegeben seien, eintrete. Das Berufungsgericht schließe sich der Ansicht Spielbüchlers an. Aber selbst wenn man Brunner folge, ändere sich nichts am Ergebnis, weil der Enteignungsbescheid nicht vollstreckbar sei. Somit sei die klagende Partei aber noch nicht Eigentümerin der enteigneten Grundflächen, so daß ihrem Räumungsanspruch der Boden entzogen sei, zumal sie ihn ausschließlich auf ihr Eigentum stütze. Andere Rechtsgründe mache sie nicht geltend.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil Rechtsprechung zum Räumungsanspruch des Enteigners nach dem Vorarlberger Straßengesetz fehlt.

Zunächst ist aus Anlaß der Revision von Amts wegen zu prüfen, ob der Räumungsklage das Prozeßhindernis der Unzulässigkeit des Rechtsweges entgegensteht (§ 42 Abs 1 JN; § 240 Abs 3 ZPO). Da die Vorinstanzen diese Frage weder spruchgemäß noch wenigstens durch Darlegung des Entscheidungswillens in den Entscheidungsgründen (vgl. SZ 54/190) - das Erstgericht hat die von den beklagten Parteien erhobene Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges lediglich als gegenstandslos angesehen, weil der Exekutionsantrag in der Zwischenzeit rechtskräftig abgewiesen worden sei, über die Einrede jedoch nicht abgesprochen - verneint haben, hat der Oberste Gerichtshof diese Frage von Amts wegen zu prüfen (Jud. 63 neu = SZ 28/265 u.v.a.; Fasching, Zivilprozeßrecht Rz 1905). Für die Rechtswegzulässigkeit sind allein die Klagsbehauptungen von Bedeutung. Entscheidend ist die Natur des geltend gemachten Anspruches, wie sie sich aus dem Klagebegehren und dem vom Kläger vorgebrachten Sachverhalt ergibt (SZ 51/183 u.v.a.). Die klagende Partei stützte ihr Räumungsbegehren auf ihr Eigentum an den enteigneten Grundflächen, das sie auf Grund des rechtskräftigen Enteignungsbescheides im Zusammenhalt mit dem Erlag des von der Enteignungsbehörde festgesetzten Entschädigungsbetrages erworben habe. Die Voraussetzungen, die Durchführung und der Vollzug der Enteignung zum Zwecke des Baues und der Erhaltung von Landes- und Gemeindestraßen in Vorarlberg richten sich nach den Bestimmungen der §§ 43 bis 50 StraßenG. Nach § 49 Abs 2 dieses Gesetzes ist ein rechtskräftiger Enteignungsbescheid vollstreckbar, sobald der im Enteignungsbescheid oder in einem gesonderten Bescheid festgesetzte Entschädigungsbetrag oder der im Enteignungsbescheid festgesetzte vorläufige Sicherstellungsbetrag gerichtlich hinterlegt oder an den Enteigneten ausbezahlt ist. Die zwangsweise Räumung ist zufolge Abs 3 auf Antrag des Enteigners gegen Vorlage des rechtskräftigen Enteignungsbescheides und des Nachweises der Hinterlegung oder Zahlung im Sinne des Abs 2 gemäß § 349 EO vom Gericht zu vollziehen. Der zwangsweise Vollzug der Enteignung gegen den Enteigneten ist - im Gegensatz zu § 35 Abs 1 EisbEG - der Zuständigkeit der Gerichte vorbehalten. § 49 Abs 3 StraßenG enthält somit eine weitgehend gleichartige Regelung wie § 156 Abs 2 EO für die zwangsweise Übergabe der versteigerten Liegenschaft an den Ersteher, die die Rechtskraft des Zuschlages und die Erfüllung der Versteigerungsbedingungen - somit auch den vollständigen Erlag des Meistbotes - zur Voraussetzung hat. Nach Erfüllung der Versteigerungsbedingungen hat der Ersteher bereits einen vollstreckbaren Anspruch auf Übergabe der Liegenschaft, der nach der Exekutionsordnung zu vollziehen ist; nach Lehre und Rechtsprechung steht deshalb der Räumungsklage des Erstehers die Unzulässigkeit des Rechtsweges entgegen (SZ 57/23; SZ 48/3; vgl. auch SZ 57/54; Heller-Berger-Stix 1254). Auch der Enteigner (hier die klagende Partei) erlangt bereits mit der Rechtskraft des Enteignungsbescheides und mit dem Erlag, der Zahlung oder Sicherstellung des von der Verwaltungsbehörde festgesetzten Entschädigungsbetrages einen vollstreckbaren Anspruch auf Räumung der enteigneten Grundflächen durch den Enteigneten sowie auf gleichzeitige Einweisung in den Besitz dieser Grundflächen (§ 349 EO).

Die Bestimmung des § 49 Abs 3 StraßenG kann nur so verstanden werden, daß ausschließlich die Vollstreckung in die Kompetenz der Gerichte verwiesen ist, die Schaffung des zur Durchsetzung des öffentlich-rechtlichen Enteignungsanspruches erforderlichen Exekutionstitels einschließlich aller für die materielle Vollstreckbarkeit erforderlichen Merkmale aber der Enteignungsbehörde vorbehalten ist. An ihr liegt es daher, dafür Sorge zu tragen, daß der von ihr erlassene Bescheid im Sinne der §§ 1 Z 12, 7 Abs 1 und 2 EO von den Gerichten auch vollstreckt werden kann (3 Ob 45/85). Nach dem Akteninhalt beabsichtigte die Behörde auch, den von ihr erlassenen Bescheid in diesem Sinne zu ergänzen (vgl. Beilage I). Ließe man die Ergänzung des Titels im Wege des Räumungsstreites und der Vollstreckung des darin ergangenen stattgebenden Urteiles zu, käme dies im Ergebnis einem Eingriff in die verwaltungsbehördliche Kompetenz gleich, weil erst im Räumungsstreit Räumungsverpflichtung und Räumungsfrist festgelegt werden, obgleich auch diese notwendigen Inhalte dem Ausspruch durch die Verwaltungsbehörde vorbehalten sind. Der entgegenstehenden Ansicht Jeschs (in ÖJZ 1969, 389) kann schon aus diesen grundsätzlichen kompetenzrechtlichen Erwägungen nicht gefolgt werden. Ist aber ausschließlich die Vollstreckung der Enteignungsbescheide den Gerichten zugewiesen, so steht einer Räumungsklage, durch die der Sache nach die Vollstreckbarkeit des Enteignungsbescheides herbeigeführt werden soll, die Unzulässigkeit des Rechtsweges entgegen.

Dieser Nichtigkeitsgrund (§§ 503 Abs 1 Z 1, 477 Abs 1 Z 6 ZPO) war von Amts wegen aufzugreifen; er bewirkt die Nichtigkeit des gesamten Verfahrens einschließlich der Klagszustellung und führt zur Zurückweisung der Klage.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 51 Abs 1 ZPO; die beklagten Parteien haben sowohl in erster Instanz die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges erhoben wie auch in der Revision auf diese Nichtigkeit ausdrücklich hingewiesen. Der Fortsetzungsantrag ON 6 war allerdings nur nach TP 1 zu entlohnen.

Anmerkung

E08767

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0060OB00599.86.0908.000

Dokumentnummer

JJT_19860908_OGH0002_0060OB00599_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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