TE OGH 1986/9/9 2Ob599/85

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.09.1986
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Roland M***, 6020 Innsbruck, Gabelsbergerstraße 20, 2.) Irmgard M***, Hausfrau, ebendort, beide vertreten durch Dr. Werner Beck, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1.) Dr. Gesine M***, Oberärztin, 6020 Innsbruck, Universitätsstraße 24, vertreten durch Dr. Harald Burmann, Rechtsanwalt in Innsbruck, 2.) Dr. Maria S***, Ärztin, 5020 Salzburg, Schmiedkreuzstraße 13, 3.) L*** T***, vertreten durch den Landeshauptmann, 6020 Innsbruck, beide vertreten durch Dr. Walter Heel, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 126.300 und Feststellung, infolge Revision der zweit- und drittbeklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 26.November 1984, GZ 6 R 287/84-52, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 11.Juni 1984, GZ 12 Cg 526/81-44, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Zweitbeklagte und die drittbeklagte Partei haben den Klägern zur ungeteilten Hand mit S 9.060,57 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 823,69 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 13.2.1968 geborene Birgit M***, eine Adoptivtochter der Kläger, wurde am 27.7.1978 wegen einer akuten Blinddarmentzündung in das Landeskrankenhaus Innsbruck eingeliefert und noch an diesem Tage von der Erstbeklagten operiert, wobei die Zweitbeklagte die Anästhesie vornahm. Während der Operation kam es zu einem Herzstillstand, welcher schwere irreparable Hinrschädigungen der Patientin zur Folge hatte.

In der vorliegenden Klage wird ein Verschulden der Erst- und Zweitbeklagten am Eintritt des Herzstillstandes behauptet und deren Haftung gemäß § 1299 ABGB sowie jene der drittbeklagten Partei als Spitalserhalter aus dem mit letzterer geschlossenen Behandlungsvertrag in Anspruch genommen. Die Kläger bringen vor, das Kind bedürfe ständiger Pflege, womit über ihre gesetzliche Unterhaltspflicht hinausgehende Aufwendungen verbunden seien. Sie machen zuletzt einen diesbezüglichen Ersatzanspruch in der Höhe von S 126.300 geltend und erheben ein Feststellungsbegehren dahin, daß ihnen die beklagten Parteien für ihre künftigen aus dem Schadensereignis hervorgehenden Ansprüche Ersatz zu leisten hätten. Die beklagten Parteien beantragten Klagsabweisung. Die Erstbeklagte und die Zweitbeklagte bestritten ein Verschulden an dem die Hirnschädigung auslösenden Herzstillstand der Patientin. Die drittbeklagte Partei lehnte demgemäß eine Haftung ihrerseits für die Klagsansprüche ab.

Das Erstgericht erkannte die Zweitbeklagte und die drittbeklagte Partei zur ungeteilten Hand schuldig, den Klägern den Klagsbetrag zu bezahlen, und stellte ihre solidarische Haftung für die den Klägern aus dem Schadensereignis in Hinkunft entstehenden Schäden fest. Das gegen die Erstbeklagte gerichtete Klagebegehren wies es ab. Das Berufungsgericht gab weder der von den Klägern erhobenen Berufung, mit welcher sie die Abweisung des gegen die Erstbeklagte gerichteten Klagebegehrens bekämpften, noch jener der Zweitbeklagten und der drittbeklagten Partei Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschied, hinsichtlich jedes der beiden Kläger S 300.000 übersteige.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erheben die Zweitbeklagte und die drittbeklagte Partei eine auf § 503 Abs.1 Z 2 und 4 ZPO gestützte Revision mit dem Antrage auf Aufhebung des angefochtenen Urteiles und Rückverweisung der Rechtssache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung, in eventu auf Abänderung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens. Die Kläger beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Den unterinstanzlichen Entscheidungen liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Zweitbeklagte hat im Jahre 1975 das Doktorat der gesamten Heilkunde erworben und sodann eine dreijährige Turnusausbildung zum praktischen Arzt absolviert, die am 30.6.1978 geendet hätte. Bereits am 1.6.1978 begann sie am Institut für Anästhesie an der Universitätsklinik in Innsbruck eine Facharztausbildung. Zum Zeitpunkt des gegenständlichen Schadensereignisses am 27.7.1978 war sie somit noch nicht ganz zwei Monate in diesem Fachgebiet tätig. Grundsätzlich ist es auf der Universitätsklinik für Anästhesieologie in Innsbruck üblich, daß die Ausbildungsärzte nach einem individuellen Ausbildungsplan unter der Leitung des Klinikvorstandes und der Oberärzte drei Jahre lang in ihrem Fach ausgebildet werden, wobei der Ausbildungsarzt zunächst bei der Verabreichung von Narkosen nur zusieht und im Laufe der Zeit sodann unter Überwachung und Kontrolle des ausbildenden Oberarztes auch selbst Narkosen durchführt. Für die ersten zwei Monate der Ausbildung besteht eine Weisung, daß der Ausbildungsarzt selbständig keine Narkosen verabreichen darf. Für jeden Tag wird ein Operationsprogramm erstellt, in welchem neben dem operierenden Chirurgen auch der diensthabende Anästhesieoberarzt und die eingeteilten Ausbildungsassistenten aufscheinen. Vom 2.6.1978 bis 26.7.1978 scheint die Zweitbeklagte insgesamt 35 mal in diesem Programm auf. Es kann aber durchaus sein, daß sie auch noch bei weiteren Operationen als Anästhesistin eingeteilt war und bereits in dieser ersten Ausbildungszeit selbständig - wahrscheinlich nur leichte - Narkosen verabreichte. Auf dem Operationsprogramm scheinen die dringenden Operationsfälle, die eingeschoben werden, nicht auf. Hier bedarf es jeweils einer konkreten Absprache zwischen dem Chirurgen und dem Anästhesisten. Die Zweitbeklagte war auch bereits mehrmals bei - im Programm enthaltenen - Blinddarmoperationen als Anästhesistin tätig und zwar zuletzt am 27.7.1978 gegen 17,40 Uhr beim achtjährigen Thomas B***. Dabei hatte die Zweitbeklagte die Narkose selbständig eingeleitet, ohne daß die diensthabende Oberärztin Dr. Elisabeth K*** im Dienst-OP anwesend war. An diesem Tag wurde auch die mj. Birgit M*** in die Klinik gebracht. Es wurde eine akute Blinddarmentzündung diagnostiziert. Nachdem die Zweitklägerin ausdrücklich eine nahezu sechsstündige Nahrungskarenz bestätigte, wurde beschlossen, das Kind noch am selben Tag zu operieren. Die Erstbeklagte war als Chirurgin tätig, während die Zweitbeklagte für diesen Nachmittag als Anästhesistin eingeteilt war, und zwar unter der Oberaufsicht von Oberarzt Dr. Elisabeth K*** und nur für die auf dem Programm aufscheinenden Operationen. Für weitere Operationen, insbesondere für akute, eingeschobene Fälle, hätte es einer eigenen Absprache bedurft. Nachdem die Erstbeklagte am selben Nachmittag unmittelbar vorher die Operation am anderen Kind durchgeführt hatte, fragte sie die Zweitbeklagte, ob sie auch bei der nun eingeschobenen Operation an der mj. Birgit M*** die Narkose durchführen könnte. Die Zweitbeklagte bejahte dies und verabreichte in der Folge die Narkose selbständig ohne vorherige Verständigung des zuständigen Oberarztes. Es besteht eine eindeutige Weisung, daß Ausbildungsärzte in Fällen, in denen sie nicht eingeteilt sind, vor der Behandlung ihren zuständigen Oberarzt verständigen müssen, damit dieser über die Durchführung der Behandlung entscheiden und auch jederzeit die Oberaufsicht führen kann. Die Zweitbeklagte wandte bei der mj. Birgit M*** eine Kombinationsnarkose mit intravenöser Einleitung an. Unter anderem wurde mittels Maske Sauerstoff, Lachgas und Halothandampf verabreicht. Auf eine primäre Intubation wurde verzichtet, das entsprechende Besteck lag jedoch bereit. An dieser Klinik ist die Intubation bei Akutoperationen nicht zwingend vorgeschrieben. Die von der Zweitbeklagten verwendeten Dosen und Gaskonzentrationen entsprechen dem üblichen Rahmen. Um ca. 18,35 Uhr, etwa fünf Minuten vor Ende der Operation, war beim Kind eine motorische Unruhe zu bemerken, weil die Narkose oberflächlich geworden war. Daraufhin verabreichte die Zweitbeklagte dem Kind 14 mg des kurzwirkenden Muskelrelaxans Lysthenon. Dabei kann es beim Patienten in der flachen Rückenlage bei kompletter Muskelentspannung zum passiven Regurgitieren von etwas Flüssigkeit aus dem Magen kommen. Die Erstbeklagte hatte zu diesem Zeitpunkt bereits mit dem Vernähen der Bauchdecke begonnen. Aus chirurgischer Sicht war die Operation komplikationslos verlaufen. Unmittelbar nach der Verabreichung des Muskelrelaxans bemerkte die Zweitbeklagte, die das Kind zu dieser Zeit mittels Narkosemaske und Atembeutel manuell beatmete, in der Maske des Kindes ein leicht knisterndes Geräusch. In der flachen Rückenlage war es beim Kind zum passiven Regurgitieren von etwas Flüssigkeit aus dem Magen gekommen. Durch die manuelle Beatmung wurde auch etwas Magensaft in die Lunge gepreßt. Die Zweitbeklagte deutete das knisternde Geräusch in der Maske als leichtes Erbrechen und nahm daher die Maske weg, um nachzusehen. Sie konnte nur feststellen, daß die Maske leicht beschlagen war, jedoch keinen Mageninhalt im Mund finden. Sie nahm auch noch eine Absaugung aus Mund und Rachen vor, welche aber ebenso kaum etwas ergab. Die Zweitbeklagte setzte die Maske wieder auf und beatmete das Kind weiter. Kurz nach dem Ende der Operation trat unter der Maskenbeatmung mit reinem Sauerstoff ein spürbarer Widerstand in den Atemwegen auf und gleichzeitig setzte die Pulstätigkeit aus. Die Irritation der Bronchialschleimhaut durch den durch die Beatmung in die Lunge gelangten Magensaft hatte zu einem Krampf der Bronchialmuskulatur geführt, sodaß es wegen Sauerstoffmangels zum Herzstillstand gekommen war. Die Zweitbeklagte führte sofort unter Mithilfe der assistierenden Erstbeklagten eine Herzmassage und eine fachgerechte Intubation durch, sodaß nach ca. zweiminütiger Dauer die Herztätigkeit und auch eine Schnappatmung wieder einsetzte. Die zwischenzeitlich über Funk herbeigerufene Anästhesieoberärztin Dr. Elisabeth K*** nahm sofort eine Umintubation und eine Lungenspülung sowie eine endotrachiale Absaugung vor. Hätte die Zweitbeklagte bei Bemerken der ersten Anzeichen einer Regurgitation sofort in Kopftieflage eine Intubation durchgeführt, so wäre der Zwischenfall vermieden worden. Infolge ihrer mangelhaften fachlichen Ausbildung und mangelnden Erfahrung hat sie erst nach Auftreten des Kreislaufstillstandes intubiert. Birgit M*** blieb in der Folge mehrere Wochen bewußtlos und befand sich bis 6.2.1981 an der Kinderklinik. Die Rehabilitation gelang nur sehr partiell. Bei der Entlassung in häusliche Pflege wurde folgende Diagnose abgegeben: Status nach Narkosezwischenfall mit schwerer Defektheilung, schwerer psycho-mental-motorischer Entwicklungsrückstand, spastische Paraparese der unteren Extremitäten. Das Kind befindet sich auf der Entwicklungstufe eines unter einjährigen Babys, ist hilflos, kann sich außer im Rollstuhl selbst nicht fortbewegen und muß ständig betreut werden. Es muß Tag und Nacht von einer Pflegeperson umgeben sein. Diese Pflege wird von den Klägern durchgeführt. Der dargestellte Zustand ist auch heute noch gegeben.Die Betreuung des Kindes gestaltet sich schwierig, weil es sehr aggressiv und aufgeregt ist. Die Kläger haben vom 6.2.1981 bis 27.9.1983 wöchentlich für sechs Stunden eine Pflegeperson für das Kind beschäftigt und dafür S 33.300 ausgegeben. Von der Kinderklinik wurde für das Kind eine kalorienarme und ballastreiche Diätkost verordnet. Es müssen daher hochwertige Nahrungsmittel verwendet werden. Eine solche kalorienarme Diät ist für das Kind unbedingt notwendig, da es ansonsten infolge der krankheitsbedingten Immobilität zu schwer wird. Durch die Verabreichung dieser Kost entsteht den Klägern ein monatlicher Mehraufwand von S 3.000. Vom 6.2.1981 bis 27.9.1983 haben die Kläger dafür insgesamt S 93.000 ausgegeben. Der Narkosezwischenfall mit dem kurzzeitigen Herzstillstand ist für den nunmehrigen Zustand der mj. Birgit M*** kausal.

In seiner rechtlichen Beurteilung lastete das Erstgericht der Zweitbeklagten ein Verschulden am Schadensereignis an, weil sie nach den bestehenden Dienstanweisungen wegen ihrer kurzen Ausbildungszeit zur selbständigen Vornahme einer Narkose noch nicht befugt und auch nicht befähigt gewesen sei. Nach den Vorschriften wäre sie verpflichtet gewesen, die diensthabende Oberärztin von der beabsichtigten Vornahme der Narkose noch vor deren Einleitung zu informieren oder das Ersuchen um Vornahme der Narkose abzuschlagen, in welchem Falle sich die Erstbeklagte an den Anästhesiehauptdienst hätte wenden müssen. Bei pflichtgemäßer Verständigung der Oberärztin für Anästhesie durch die Zweitbeklagte und bei einer entsprechenden Beaufsichtigung durch diese wäre auf Grund der größeren Erfahrung das Schadensereignis vermeidbar gewesen. Für den Mangel ihrer eigenen Kenntnisse habe die Zweitbeklagte gemäß § 1299 ABGB einzustehen. Die drittbeklagte Partei hafte auf Grund des zwischen ihr und dem Patienten geschlossenen Behandlungsvertrages gemäß § 1313 a ABGB für das Verschulden ihrer Erfüllungsgehilfin bei der Behandlung der Patientin.

Das Berufungsgericht hielt weder die Beweis- noch die Rechtsrüge der beklagten Partei für berechtigt. Es verwies ebenfalls auf die grundsätzliche Haftung des Krankenhausträgers für das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen gemäß § 1313 a ABGB und eine Umkehr der Beweislast bei Verletzung vertraglicher Verbindlichkeiten gemäß § 1298 ABGB. Ein solcher Entlastungsbeweis sei der drittbeklagten Partei hier nicht gelungen. Hinsichtlich der Zweitbeklagten sei in § 1 a des Ärztegesetzes (= § 2 des wiederverlautbarten Ärztegesetzes 1984, BGBl.373/1984) normiert, daß die selbständige Ausübung des ärztlichen Berufes, die in der eigenverantwortlichen Ausführung der im § 1 Abs.2 und 3 umschriebenen Tätigkeiten - sei es freiberuflich, sei es im Rahmen eines Dienstverhältnisses - bestehe, ausschließlich den praktischen Ärzten und den Fachärzten vorbehalten sei. Die in Ausbildung zum praktischen Arzt oder zum Facharzt befindlichen Ärzte (Turnusärzte) seien hingegen lediglich zur unselbständigen Ausübung der in § 1 Abs.2 und 3 umschriebenen Tätigkeiten unter Anleitung und Aufsicht der ausbildenden Ärzte berechtigt. Diese Bestimmung des Ärztegesetzes sei als Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB anzusehen, durch welche eine Schadenszufügung bei Ausübung der Medizin durch nicht ausreichend ausgebildete Personen hintangehalten werden sollte. Durch die eigenmächtige Übernahme der Narkose bei einer im Operationsplan nicht vorgesehenen Operation ohne Verständigung der ausbildenden Ärzte habe die Zweitbeklagte gegen diese Bestimmung des Ärztegesetzes, die ihr auf Grund ihrer bisherigen Ausbildung habe bekannt sein müssen, verstoßen. Die Tatsache, daß die Zweitbeklagte für bestimmte, im Operationsplan vorgesehene Operationen als Anästhesieärztin eingeteilt gewesen sei und bei diesen Operationen ohne Beisein von ausbildenden Ärzten den Anästhesiedienst verrichten habe dürfen, habe sie nicht berechtigt, eigenmächtig und ohne Rücksprache mit den vorgesetzten Ausbildungsärzten den Anästhesiedienst bei einer im Operationsplan nicht vorgesehenen Operation zu übernehmen und allein durchzuführen. Bei den auf dem Operationsplan stehenden Operationen sei die Person, der Patient und die Art des Eingriffs von vornherein bekannt gewesen und habe das damit verbundene Risiko von den ausbildenden Ärzten somit abgeschätzt werden können. Es habe für diese Operationen auch die Möglichkeit bestanden, der Zweitbeklagten die erforderlichen Anweisungen und Ratschläge zu erteilen und dafür zu sorgen, daß ein erfahrener Anästhesist in der Nähe sei. Gerade die noch unzureichende fachliche Ausbildung und Erfahrung der Zweitbeklagten habe nach den Ergebnissen des Verfahrens die Ursache für ihre verzögerte Reaktion auf die ersten Anzeichen einer Regurgitation und die damit verbundenen nachteiligen Folgen dargestellt. Die Zweitbeklagte könne sich auch nicht damit entschuldigen, daß infolge der Dringlichkeit der Operation eine Notsituation bestanden habe, welche eine Rücksprache mit der diensthabenden ausbildenden Oberärztin nicht mehr zugelassen hätte. Auch wenn es sich um eine akute Blinddarmoperation gehandelt habe, wäre nach dem Gutachten (AS 137 f.) nämlich noch genügend Zeit zur Verfügung gestanden, den diensthabenden Oberarzt von dieser Operation zu verständigen und seine Weisung einzuholen.

Ob die falsche und verspätete Reaktion der Zweitbeklagten auf die ersten Anzeichen einer Regurgitation einen ihr gemäß § 1299 ABGB anzulastenden Mangel darstelle, sei gar nicht entscheidend, weil der schuldhafte Verstoß gegen die Schutznorm des § 1 a ÄrzteG allein schon die zivilrechtliche Haftung der Zweitbeklagten begründe. Der Übertreter einer Schutznorm könne sich von der Schadenersatzhaftung nur durch den Beweis befreien, daß der Schaden auch im Falle vorschriftsmäßigen Verhaltens eingetreten wäre. Ein solcher Entlastungsbeweis sei den Beklagten jedoch nicht gelungen, da bei Anwesenheit eines erfahrenen Anästhesiearztes mit größter Wahrscheinlichkeit ein Narkosezwischenfall vermieden hätte werden können. Das Verhalten der Zweitbeklagten stelle sich aber auch als Verstoß gegen die aus § 1299 ABGB hervorgehende Diligenzpflicht dar, zumal für das Ausmaß der nach dieser Betimmung einem Sachverständigen zu unterstellenden Kenntnisse und Fähigkeiten ein objektiver Maßstab anzuwenden sei. Wenn jemand als Anästhesist die Durchführung der Narkose bei einer Operation übernehme, hafte er daher für den Mangel der dafür erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, die bei einem dafür ausreichend ausgebildeten und zur selbständigen Ausübung des Berufes befugten Arzt vorausgesetzt werden könnten. Somit habe das Erstgericht die Haftung der Zweit- und Drittbeklagten zu Recht bejaht.

Die Revisionswerber bringen in ihrer Mängelrüge vor, das Berufungsgericht sei nicht berechtigt gewesen, lediglich auf Grund der Zeugenaussage der Zeugin Dr. K*** zwischen den beiden Narkosefällen zu differenzieren. Auch bei der mj. Birgit M*** sei die seit der letzten Nahrungsaufnahme verstrichene Zeitspanne von sechs Stunden hinreichend gewesen, um bei der Narkose in gleicher Weise vorzugehen wie bei dem vorangegangenen Fall und die Genehmigung zu dieser Narkose wäre durch Dr. K*** in gleicher Weise erfolgt. Hinsichtlich einer solchen Differenzierung hätte jedenfalls auch ein Sachverständiger gehört werden müssen. Auch mit dem Begriff der Überwachung habe sich das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt. Daraus, daß die Zweitbeklagte bereits zahlreiche Narkosen selbständig verabreicht gehabt und ein Oberarzt im Operationssaal nicht selbst anwesend gewesen sei, ergebe sich das diesbezüglich von den Oberärzten in ihre Tätigkeit gesetzte Vertrauen. Eine sorgfältige Würdigung der Zeugenaussagen erscheine gegenständlichenfalls schon deswegen erforderlich, weil die anderen Ärzte bestrebt sein könnten, eine allfällige Vernachlässigung der Aufsichtspflicht der Zweitbeklagten anzulasten. Die festgestellte mündliche Weisung habe die Zweitbeklagte, wie diese glaubwürdig dargetan habe, nicht betroffen.

Mit diesen Ausführungen weicht die Revision zum Teil in gesetzwidriger Weise von den Tatsachenfeststellungen ab, greift im weiteren in unzulässiger Weise in die vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr bekämpfbare Beweiswürdigung des Berufungsgerichtes - ein Verstoß gegen das Unmittelbarkeitsprinzip wurde nicht geltend gemacht - ein und bekämpft schließlich die rechtliche Beurteilung der Sache durch das Berufungsgericht, worauf bei Behandlung der Rechtsrüge einzugehen sein wird. Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs.3 ZPO). In der Rechtsrüge wird ausgeführt, eine Haftung der Zweitbeklagten setze einen Kunstfehler voraus, ein solcher sei jedoch nicht festgestellt worden. Dem Argument des Berufungsgerichtes, ein erfahrener Anästhesist hätte den Narkosezwischenfall mit Wahrscheinlichkeit vermeiden können, sei zu entgegnen, daß diesbezüglich keine Sicherheit bestehe. Da die Zweitbeklagte eine Ausbildung zum praktischen Arzt bereits abgeschlossen gehabt habe und in den Betrieb der Drittbeklagten eingegliedert gewesen sei, käme auch ein Verstoß gegen Bestimmungen des Ärztegesetzes nicht in Frage. Die Operation habe einen akuten Fall betroffen, sodaß die Zweitbeklagte zur Teilnahme gewissermaßen auch verpflichtet gewesen sei, nachdem sich die Erstbeklagte diesbezüglich an sie gewendet habe. Die Narkose sei auch dem Ausbildungs- und Erfahrungsstand der Zweitbeklagten entsprechend ausgeführt worden, wobei der Erstbeklagten keine fachlichen Mängel der Zweitbeklagten aufgefallen seien. Ein Zwischenfall wie der vorliegende sei mit Sicherheit nie auszuschließen. Hinsichtlich der drittbeklagten Partei sei zu berücksichtigen, daß die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB, die der Geschäftsherr gemäß § 1313 a ABGB gegen sich gelten lassen müsse, auf die ärztliche Tätigkeit keine Anwendung finde. Dem Patienten obliege vielmehr der Beweis der Nichterfüllung zufolge eines Sorgfaltsverstoßes des Arztes als Erfüllungsgehilfen gemäß § 1299 ABGB.

Den Rechtsansichten der Revisionswerber kann nicht gefolgt werden.

Zunächst kommt dem Umstand, daß die Zweitbeklagte ihre Ausbildung zum praktischen Arzt bereits abgeschlossen hatte und in den Betrieb der drittbeklagten Partei eingegliedert war, hinsichtlich der hier gestellten Frage der Schadenshaftung keine rechtlich erhebliche Bedeutung zu. Nach den Anordnungen des im Zeitpunkt des Schadensereignisses geltenden § 1 a Abs.3 des Ärztegesetzes BGBl.1949/92 idF BGBl.1975/425 sind auch die in Ausbildung zum Facharzt befindlichen Ärzte nur zur unselbständigen Ausübung der im § 1 Abs.2 und 3 leg cit umschriebenen ärztlichen Tätigkeiten in Krankenanstalten unter Anleitung und Aufsicht der ausbildenden Ärzte berechtigt. Die erstgenannte Gesetzesstelle schließt es im Interesse einer sachgemäßen Ausübung der Heilkunde somit während der gesamen Ausbildungszeit aus, daß der auszubildende Arzt eine der im § 1 Abs.2 und 3 des Ärztegesetzes umschriebene Tätigkeit ohne Anleitung und Aufsicht selbständig vornimmt. Nach den Regelungen des § 6 Z 1 und § 7 Abs.1 der ÄrzteausbildungsVO BGBl.1974/36 idF BGBl.1976/661 beträgt die Ausbildungszeit eines Facharztes für Anästhesiologie insgesamt 6 Jahre.

Somit durfte die Zweitbeklagte, welche erst knapp zwei Monate speziell in diesem Fach ausgebildet worden war, schon auf Grund des ausdrücklichen gesetzlichen Verbotes keinesfalls selbständig ohne Anleitung und Aufsicht Narkosen verabreichen. Ob ihr auch ein Verstoß gegen eine "mündliche Weisung" (siehe die Zeugenaussage des Vorstandes des Institutes für Anästhesiologie, Univ.Prof. Dr. H***, AS 92), während der ersten zwei Ausbildungsmonate selbständig keine Narkosen zu verabreichen, vorzuwerfen ist - ihre Kenntnis einer solchen Weisung wurde gar nicht festgestellt, der genannte Zeitraum war hier praktisch auch schon verstrichen, tatsächlich hatte die Zweitbeklagte auf Grund der Diensteinteilung bereits mehrfach selbständig Narkosen verabreicht und zwar zuletzt auch bei der im Operationsprogramm aufscheinenden, unmittelbar vorangegangenen Bliddarmoperation an einem Kind, bei welcher ihre Dienstvorgesetzte (siehe deren Zeugenaussage AS 93, 95) keine Aufsicht führte; nach der Zeugenaussage des 19 Jahre an diesem Institut tätigen Oberarztes Dr. L*** (AS 186) kommt es immer wieder vor, daß auch im Rahmen der Diensteinteilung Narkosen von erst in Ausbildung stehenden Ärzten ohne Aufsicht gegeben werden - kann dahingestellt bleiben. Eine derartige, offenkundig nicht einmal streng geltende Anweisung an auszubildende Ärzte, während der ersten zwei Monate ihrer Fachausbildung selbständig Narkosen nicht zu verabreichen, mißachtet selbst gröblich die gesetzlichen Vorschriften, wonach Narkosen während der gesamten Ausbildungszeit nur unter Anleitung und Aufsicht, also nicht selbständig, verabreicht werden dürfen und widerspricht dem Inhalt des von der drittbeklagten Partei mit dem Patienten geschlossenen Behandlungsvertrages, in welchem sich diese zu einer sachgemäßen, d.h. aber von dem Gesetz entsprechend ausgebildeten und erfahrenen Ärzten vorzunehmenden, Heilbehandlung verpflichtet hat. Tatsächlich wurde offenbar entgegen dem Gesetz die selbständige Verabreichung von Narkosen durch in Ausbildung stehende Ärzte, in Anbetracht der dreijährigen Ausbildungszeit teilweise auch noch schlichte Anfänger, von der Institutsleitung und damit Vertretern der drittbeklagten Partei geduldet.

Die Kenntnis der Bestimmungen des Ärztegesetzes und somit ihren Verstoß gegen diese Schutznormen hat die Zweitbeklagte aber jedenfalls zu vertreten. Demnach lag es gemäß § 1311 ABGB an ihr, zu beweisen, daß es auch bei Einhaltung der genannten Normen zum gleichen Schadensereignis gekommen wäre. Von einem solchen Beweis kann jedoch nicht die Rede sein. Nach den Feststellungen wäre der Herzstillstand der Patientin vermieden worden, hätte die Zweitbeklagte bei Bemerken der ersten Anzeichen einer Regurgitation sofort in Kopftieflage eine Intubation durchgeführt. Der ärztliche Sachverständige erklärte, diese Maßnahme wäre von einem erfahrenen Anästhesisten mit größter Wahrscheinlichkeit geradezu automatisch vorgenommen worden (AS 71), die Zweitbeklagte habe aber infolge ihrer mangelnden fachlichen Erfahrung und Überschätzung der eigenen Kenntnisse unrichtig reagiert (AS 51, 71, 137).

Demnach ist davon auszugehen, daß das Schadensereignis durch die zufolge des geringen Ausbildungsstandes und der demgemäß fehlenden Kenntnisse unsachgemäß vorgenommene ärztliche Tätigkeit der Zweitbeklagten herbeigeführt wurde, bei Beaufsichtigung durch einen Oberarzt aber mit größter Wahrscheinlichkeit - absolute Sicherheit ist nicht erforderlich - vermieden worden wäre. Damit fällt ihr aber nicht nur ein Verstoß gegen die zitierten Schutznormen des Ärztegesetzes, sondern auch eine Übernahmefahrlässigkeit im Sinne des § 1299 ABGB zur Last. Sie hätte erkennen müssen, daß sie nach kaum zweimonatiger Ausbildung noch keinesfalls in der Lage sein werde, bei Auftreten von Komplikationen gleich einem jahrelang ausgebildeten Anästhesisten sachgemäß zu reagieren. Gerade mangels entsprechender Kenntnisse geschah es dann vorliegendenfalls auch, daß sie Maßnahmen unterließ, welche ein erfahrener Anästhesist mit größter Wahrscheinlichkeit geradezu automatisch vorgenommen hätte. Die Zweitbeklagte hat daher auch insoweit die Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt bei Übernahme einer ärztlichen Tätigkeit und, gemessen an den gewöhnlichen Kenntnissen und Fähigkeiten eines Fachmannes im Sinne des § 1299 ABGB, einen offenkundigen Behandlungsfehler zu vertreten. Ein solcher liegt grundsätzlich in jedem Fehlverhalten des Arztes bei der Heilbehandlung, das zu einer Schädigung führt (vgl. Holzer in Schick, Die Haftung des Arztes in zivil- und strafrechtlicher Sicht unter Einschluß des Arzneimittelrechtes, 75; Giesen, Wandlungen des Arzthaftpflichtrechtes, 12 ff). Die Haftung des Arztes nach § 1299 ABGB geht allgemein von einem objektiven Maßstab aus, wobei auf die Kenntnisse und Fähigkeiten abzustellen ist, welche die Fachkollegen im allgemeinen aufweisen. Da sich die Zweitbeklagte hier die speziellen Kentnisse und Fähigkeiten im Sinne der vorgenannten Gesetzesstelle zugemutet hat, muß sie für deren Mangel einstehen. Entgegen den weiteren Revisionsausführungen kann von einem Notfall, in welchem für die Zweitbeklagte ein sofortiges Einschreiten aus ärztlicher Pflicht geboten gewesen wäre, beim gegebenen Sachverhalt schon deswegen nicht die Rede sein, weil sich festgestelltermaßen erfahrene Anästhesisten im Klinikbereich befanden. Wenn die Zweitbeklagte, wie sie angibt (AS 115), vorher noch nie bei einer eingeschobenen Operation tätig war und noch nie so plötzlich vom Operateur gefragt wurde, ob sie die Narkose verabreichen könne, ist ihr gewiß zuzugestehen, daß sie durch dieses von einer mit der Praxis solcher Einschiebungen vertrauten Oberärztin gestellte Ersuchen irritiert werden konnte und vielleicht auch aus Gründen der Hilfsbereitschaft nur ungern ablehnte. Der Sachverständige erklärte auch (AS 135, 139), nach dem üblichen Dienstweg hätte die Chirurgin den diensthabenden Oberarzt für Anästhesiologie von der eingeschobenen Akutoperation verständigen und ihn befragen müssen, ob er die Zustimmung gebe, daß die bereits im Operationssaal anwesende Zweitbeklagte die Anästhesie vornehme. All dies und auch die grundsätzlich gesetzwidrige Praxis der Klinik für Anästhesiologie, noch in Ausbildung stehende Ärzte - so auch die Zweitbeklagte - fallweise bereits zur unbeaufsichtigten Verabreichung von Narkosen zuzuteilen, woraus jedenfalls Zweifel an der strengen Verbindlichkeit der Vorschriften resultieren konnten, läßt das Verhalten der Zweitbeklagten zwar in milderem Licht erscheinen, ändert aber im Ergebnis nichts an der ihr obliegenden Verpflichtung, eine selbständige ärztliche Tätigkeit im Sinne der Bestimmungen des Ärztegesetzes sowie im Hinblick auf die - hier leicht erkennbar - noch völlig unzureichende eigene fachliche Ausbildung jedenfalls zu unterlassen. Sie hat daher für die nachteiligen Folgen ihres schuldhaften Fehlverhaltens einzutreten. Die drittbeklagte Partei war gegenüber Birgit M*** auf Grund des geschlossenen Behandlungsvertrages zu einer sachgemäßen Heilbehandlung verpflichtet. Im Sinne der neueren Rechtsprechung (6 Ob 623-626/81; 5 Ob 652/81; 6 Ob 560/82, 5 Ob 317-319/84) gilt nicht nur bei Nichterfüllung, sondern auch bei Schlechterfüllung eines Vertrages (positive Vertragsverletzung) die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB. Entgegen ihren Revisionsausführungen hätte die drittbeklagte Partei daher ihrerseits einen Entlastungsbeweis im Sinne dieser Gesetzesstelle erbringen müssen. Dieser Beweis ist nicht gelungen, denn es steht fest, daß die Zweitbeklagte schuldhaft gegen die Bestimmungen des Ärztegesetzes verstoßen und eine auf mangelnde Fachkenntnis und mangelnde Erfahrung zurückzuführende Fehlbehandlung zu vertreten hat. Die drittbeklagte Partei haftet daher gemäß § 1313 a ABGB ebenfalls für die Folgen der bei Birgit M*** eingetretenen Gesundheitsschädigung. Auf die Frage eines mitwirkenden Organisationsverschuldens ihrerseits war mangels entsprechenden Vorbringens nicht einzugehen.

Der Revision war demgemäß ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E08980

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0020OB00599.85.0909.000

Dokumentnummer

JJT_19860909_OGH0002_0020OB00599_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten