TE OGH 1986/9/18 8Ob576/86

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Veröffentlicht am 18.09.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*** Schwechat-Fischamend-Schwadorf, reg.Gen.m.b.H., 2320 Schwechat, Bruck-Hainburgerstr. 7, vertreten durch Dr. Otto Schuhmeister, Dr. Rolf Schuhmeister, Dr. Walter Schuhmeister, Rechtsanwälte in Schwechat, wider die beklagte Partei Thomas D***, Kaufmann, 1180 Wien, Plenergasse 24/18, vertreten durch Dr. Romeo Nowak, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufhebung eines Mietvertrages (S 100.000,-) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 14. Februar 1986, GZ 48 R 22/86-25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 15. Oktober 1985, GZ C 2087/84-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte ist schuldig der Klägerin, die mit S 5.443,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Barauslagen S 1.200,-, die Umsatzsteuer S 385,80) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin beantragte die Aufhebung des zwischen Ingrid S*** und dem Beklagten hinsichtlich der Liegenschaft EZ. 1308, KG Himberg am 10. Jänner 1984 beurkundeten und mit Wirksamkeit vom 3. Oktober 1983 abgeschlossenen Mietvertrages. Der Beklagte habe diese Liegenschaft der Klägerin binnen 14 Tagen geräumt zu übergeben. Sie habe als Gläubigerin der Ingrid S*** in dem von einem anderen Gläubiger betriebenen Zwangsversteigerungsverfahren das Grundstück erworben. Trotz Kenntnis, daß ein Zwangsversteigerungsverfahren anhängig gewesen sei, hätten die damalige Eigentümerin Ingrid S*** als Vermieterin und der Beklagte als Mieter über die Liegenschaft einen Mietvertrag für die Dauer von 10 Jahren abgeschlossen, wobei als Mietzins weniger als die Hälfte des angemessenen Mietzinses vereinbart worden sei. Dadurch sei die Klägerin auch bei der Verwertung der ersteigerten Liegenschaft geschädigt worden.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und brachte vor, daß er das Grundstück in gutem Glauben gemietet habe und der Mietzins angemessen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf nachstehende Feststellungen:

Ingrid S*** war die Eigentümerin der Liegenschaft EZ. 1308, KG. Himberg. Über das Vermögen der Ingrid S*** wurde zu S 3/83 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien das Konkursverfahren eröffnet und Rechtsanwalt Dr. Heinz Wechsler zum Masseverwalter bestellt. Mit dem Beschluß vom 4. Juli 1983, E 34/83-2, wurde der betreibenden Partei Bausparkasse Gemeinschaft der Freunde Wüstenrot reg.Gen.m.b.H. gegen die verpflichtete Partei Konkursmasse Ingrid S*** zur Hereinbringung ihrer vollstreckbaren Forderung die Exekution durch Zwangsversteigerung der Liegenschaft EZ. 1308, KG Himberg bewilligt. Zugunsten der Klägerin waren auf dieser Liegenschaft zur Absicherung ihrer Forderungen Pfandrechte mit einem Gesamtbetrag von S 5,937.500,-- einverleibt. Mit dem Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 14. Juli 1983, S 3/83-47, wurde die Liegenschaft EZ. 1308 KG. Himberg aus der Konkursmasse ausgeschieden und der Schuldnerin - unbeschadet aller Rechte Dritter - zur freien Verfügung überlassen. Am 19. September 1983 übergab der Masseverwalter Dr. Wechsler der Verpflichteten Ingrid S*** aufgrund dieses Beschlusses die Liegenschaft. Zu diesem Termin erschienen auf Einladung des Masseverwalters auch Thomas D*** sen., der sämtliche nicht mit Aussonderungs- oder Absonderungsrechten belasteten Maschinen aus der Konkursmasse erworben hatte, sein Sohn (der Beklagte), und der im Zwangsversteigerungsverfahren bestellte Schätzmeister Dipl.Ing. H***. Thomas D*** sen. schaute teilweise Dipl.Ing. H*** bei seiner Tätigkeit zu und hörte den Gesprächen zwischen dem Masseverwalter und Ingrid S*** zu. Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt nach der Übergabe, aber vor der Versteigerung der Liegenschaft vermietete Ingrid S*** die Liegenschaft EZ. 1308, KG Himberg um einen wertgesicherten monatlichen Zins von S 4.000,-- an den Beklagten, wobei das Mietverhältnis mit 3. Oktober 1983 beginnen sollte. Der Beklagte wußte dabei, daß hinsichtlich dieser Liegenschaft ein Zwangsversteigerungsverfahren anhängig war. Auf Anraten von Dr. Hildegard W*** aus der Rechtsanwaltskanzlei Dr. Nowak wurde über den zunächst mündlich abgeschlossenen Mietvertrag eine schriftliche Vertragsurkunde errichtet. Der angemessene Mietzins für diese Liegenschaft beträgt mehr als S 8.000,-- monatlich. In der Versteigerungstagsatzung am 21. Februar 1984 wurde die Liegenschaft EZ. 1308, KG Himberg der Klägerin zugeschlagen. Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß die Klägerin gemäß § 934 ABGB berechtigt sei, die Aufhebung des Mietvertrages und die Rückstellung der Liegenschaft zu begehren, weil der hiefür vereinbarte Mietzins unter der Hälfte des angemessenen Mietzinsbetrages liege. Darüberhinaus hielt es auch die Voraussetzung des § 2 Abs 2 AnfO für gegeben. Ingrid S*** habe bei Abschluß dieses Mietvertrages in der Absicht gehandelt, ihre Gläubiger zu benachteiligen; dem Beklagten habe diese Absicht zumindest bekannt sein müssen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge, sondern bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung; es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteigt und erklärte die Revision aus Gründen der Auslegung der §§ 934, 1121 ABGB im konkreten Fall für zulässig. Nach der Auffassung des Berufungsgerichtes bestünde zwar grundsätzlich keine Beschlagnahme der Liegenschaft des Verpflichteten in dem Sinn, daß dieser in der Verwaltung der Liegenschaft beschränkt sei. Allerdings bewirke die Anmerkung der Einleitung des Zwangsversteigerungsverfahrens eine Verstrickung der Liegenschaft derart, daß dem Eigentümer eine schuldhafte Minderung des Wertes der Liegenschaft untersagt ist (§ 458 ABGB, § 162 StGB.). Ein dadurch geschädigter Pfandgläubiger könne schädigende Einwirkungen auch eines Dritten mit der dinglichen Devastationsklage abwehren. Die Klägerin stützte ihr Begehren in erster Linie auf § 934 ABGB. Wenn der Beklagte in seiner Rechtsrüge meint, einen Vertrag wegen laesio enormis könne nur der jeweilige Vertragspartner anfechten, nicht jedoch die Klägerin als Rechtsnachfolger, so übersehe er dabei die Bestimmungen der §§ 1120 f ABGB. Der Erwerber einer Liegenschaft (auch im Wege der Zwangsversteigerung) trete in alle Rechte und Pflichten gegenüber dem Bestandnehmer ein, wie sie sein Rechtsvorgänger hatte. So stehe ihm etwa auch die Anfechtung des Vertrages wegen Irrtums seines Vorgängers zu. Insofern werde der originäre Charakter des Eigentumserwerbs durch Zuschlag durchbrochen, als nach § 1121 ABGB die Vorschrift des § 1120 ABGB auch auf den Ersteher im Zwangsversteigerungsverfahren ausgedehnt wird. Die Klägerin sei daher berechtigt, von der laesio enormis Gebrauch zu machen, die auch bei Bestandverhältnissen zum Tragen kommt, die dem MRG unterliegen. Dies erspare den Nachweis des Verschuldens und der Minderung der Befriedigung des Pfandgläubigers, wie dies etwa bei einer Devastationsklage erforderlich wäre. Der Beklagte habe nicht erklärt, den Vertrag durch Aufzahlung auf den gemeinen Wert aufrecht erhalten zu wollen. Er habe auch keinerlei Behauptungen im Sinn des § 935 ABGB aufgestellt, nämlich daß Ingrid S*** im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit dem Beklagten der wahre Wert (ist gleich angemessener Mietzins) bekanntgewesen wäre. Es bestünden somit keinerlei Bedenken gegen die Aufhebung des Vertrages gemäß § 934 ABGB. Die Frage, welche Bestimmungen des MRG für das verfahrensgegenständliche Objekt in Anwendung kommen, sei dabei irrelevant. Soweit der Beklagte geltend macht, daß § 29 MRG taxativ alle Endigungsgründe eines Mietvertrages aufzähle und somit kein Raum für die Anwendung des § 934 ABGB sei, übersehe er, daß der Sinn dieser Regelung nur ist, den Mieter gegen einseitige willkürliche Auflösung des Mietvertrages durch den Vermieter zu schützen; unberührt durch § 29 Abs 1 blieben die allgemeinen Endigungsgründe.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision des Beklagten aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Beklagte vertritt in seinem Rechtsmittel den Standpunkt, daß die Klägerin an den abgeschlossenen Bestandvertrag gebunden sei, weil die Liegenschaft bereits vor dem Zuschlag an sie in Bestand gegeben war und das Bestandverhältnis dem MRG unterliege, das nur nach den darin taxativ angeführten Gründen aufgelöst werden könne. Im übrigen sei Ingrid S*** Kaufmann, weshalb weder sie noch die Klägerin berechtigt seien, laesio enormis geltend zu machen. Die Klägerin habe die Liegenschaft zu einem unverhältnismäßig geringen Meistbot erworben, weil sich kein anderer Interessent im Hinblick auf das Mietverhältnis zur Erwerbung der Liegenschaft bereit erklärt habe. Im übrigen seien die gesetzlich zulässigen Mietzinse weit niedriger, als Ingrid S*** und der Beklagte vereinbarten. Dazu war zu erwägen:

Nach Lehre und Rechtsprechung hat der Erwerber einer Liegenschaft - von hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen - im Sinne des § 1120 ABGB grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten dem Mieter gegenüber, wie sein Rechtsvorgänger (Klang in Klang 2 V 130; Gschnitzer, Schuldrecht-Besonderer Teil 63 f; SZ 56/72; MietSlg. 30.232; 5 Ob 511/83 u.a.). § 1121 ABGB dehnt die Vorschrift des § 1120 ABGB auf den Ersteher im Zwangsversteigerungsverfahren aus; für unverbücherte Bestandverträge besteht keinerlei Unterschied, der Ersteher tritt also gleich dem Erwerber in den Bestandvertrag ein (Würth in Rummel, Rdz 1 zu § 1121 ABGB; SZ 31/20; MietSlg. 31.235 u.a.), die §§ 1120 f ABGB durchbrechen insofern den originären Charakter des Eigentumserwerbs durch Zuschlag (Würth aaO, Heller-Berger-Stix, 1242; MietSlg. 34.276 u.a.). Der Ersteher hat demnach (insbesondere nach der Einverleibung seines Eigentumsrechtes - Heller-Berger-Stix 1243) innerhalb des dargestellten Rahmens alle Rechte des Verpflichteten und demgemäß auch die Berechtigung dieses seines Vorgängers, einen Bestandvertrag wegen Irrtums oder Verletzung über die Hälfte anzufechten (Würth in Rummel, Rdz 5 zu § 1120; SZ 37/6 und die dort dargestellte ausführliche Begründung). Daß die sogenannte laesio enormis auch gegenüber Bestandverträgen zur Anwendung kommt, wurde bereits in Lehre (Gschnitzer in Klang 2 IV/1, 558, 563 f.) und Rechtsprechung (EvBl 1970/192 u.a.) ausgesprochen. Dies kann nicht mit dem Hinweis darauf entkräftet werden, daß der Bestandvertrag nach dem MRG nur aus taxativ angeführten Gründen aufgelöst werden könne; abgesehen davon, daß die Aufzählung der Auflösungsgründe eines Mietvertrages gemäß § 29 MRG nicht taxativ ist (Würth-Zingher, MRG 100, FN 2), handelt es sich bei der Aufhebung des Vertrages wegen Verletzung über die Hälfte nicht um die Beendigung eines laufenden Bestandverhältnisses, sondern um seine Aufhebung ex tunc; diese wird vom Mietrechtsgesetz nicht berührt. Daß eine Verletzung über die Hälfte des wahren Wertes des zulässig vereinbarten Mietzinses vorliegt, geht aus den getroffenen Feststellungen einwandfrei hervor, wonach der angemessene Bestandzins mehr als 8.000,-- S monatlich beträgt (siehe auch SV-Gutachten AS 35). Schon das Berufungsgericht wies auf den geschäftlichen Charakter dieser Mietzinsvereinbarung hin, weshalb eine Bedachtnahme auf § 16 MRG im vom Rechtsmittelwerber angestrebten Sinn ausscheidet. Daß der gesetzlich zulässige Mietzins niedriger sei, als der vereinbarte, wurde vom Beklagten im Verfahren erster Instanz ebensowenig behauptet wie eine allfällige Kaufmannseigenschaft Ingrid S***s. Soweit diese Angaben erst jetzt im Revisionsverfahren bezuglos nachgetragen werden, ist darauf wegen des Neuerungsverbotes nicht weiter einzugehen.

Der Revision war somit der Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E09415

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0080OB00576.86.0918.000

Dokumentnummer

JJT_19860918_OGH0002_0080OB00576_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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