TE OGH 1986/10/1 1Ob593/86

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Veröffentlicht am 01.10.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Gamerith, Dr. Hofmann und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*** W***, vertreten durch Dr. Peter Rudeck, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Erna S***, Versicherungsvertreterin, Wien 15., Hütteldorferstraße 16-22/13/13, und Hochwolkersdorf 62,

2.) mj. Barbara S***; Schülerin, 3.) mj. Stefan S***, Schüler, beide Hochwolkersdorf 62, beide vertreten durch die erstbeklagte Partei, diese vertreten durch Dr. Hans Bichler, Dr. Daniel Charim und Dr. Wolfgang Spitzy, Rechtsanwälte in Wien, wegen Aufkündigung infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 22. Jänner 1986, GZ. 41 R 1084/85-37, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 25. Juni 1985, GZ. 6 C 1277/82-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird an das Prozeßgericht I. Instanz zur ergänzenden Verhandlung und neuen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Prozeßkosten.

Text

Begründung:

Walter S*** war Hauptmieter der aufekündigten Wohnung. Er verstarb am 11. Dezember 1981. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt vom 17. Dezember 1982, A 1423/81-17, wurde der Nachlaß seiner Witwe (der Erstbeklagten) und seinen beiden ehelichen Kindern (der Zweit- und dem Drittbeklagten) je zu einem Drittel eingeantwortet. Die Familie lebte außer in der aufgekündigten Wohnung zumindest zum Teil auch in einem Einfamilienhaus in Hochwolkersdorf. Walter S*** unterrichtete in Wien und seit 1972 auch in Wiener Neustadt. Nach der Geburt der Kinder wohnte die Erstbeklagte vor allem in Hochwolkersdorf; sie fuhr nicht jedesmal mit dem Gatten in die Stadtwohnung. Die Kinder besuchten die Volksschule in Hochwolkersdorf und gehen derzeit in eine allgemein bildende höhere Schulde in Wiener Neustadt. Bald nach dem Tod ihres Gatten nahm die Erstbeklagte, die im Raum Wiener Neustadt eine Beschäftigung nicht finden konnte, um ihre finanzielle Situation etwas zu verbessern, eine Teilzeitbeschäftigung für eine Versicherung in Wien an. Sie arbeitet drei Tage in Wien und hält sich während dieser Zeit in der aufgekündigten Wohnung auf. Die Anreise von Hochwolkersdorf in die Wiener Wohnung dauert etwa eineinhalb Stunden. Vom Südbahnhof zu ihrem Arbeitsgebiet müßte die Erstbeklagte etwa eine weitere Stunde fahren.

Die klagende Partei kündigte der Verlassenschaft die Wohnung auf. Die vermietete Wohnung diene nach dem Tod des bisherigen Hauptmieters nicht mehr dem dringenden Wohnbedürfnis eintrittsberechtigter Personen.

Die Beklagte wendete ein, es bestehe ein dringendes Wohnbedürfnis der Erstbeklagten. Sie habe in Wien eine Arbeit annehmen müssen und sei dadurch gezwungen, sich in Wien aufzuhalten. Das Erstgericht stellte fest, daß die Erstbeklagte zumindest zum Teil auch in Hochwolkersdorf und nach der Geburt der Kinder vor allem dort gewohnt habe. Es erkannte die Aufkündigung für rechtswirksam und gab dem Räumungsbegehren statt. Ein dringendes Wohnbedürfnis an der aufgekündigten Wohnung wäre nur dann zu bejahen, wenn dies zur Beseitigung eines Notstandes, also eines sofort zu behebenden, nicht tolerierbaren, unzumutbaren Zustandes erforderlich wäre. Es sei wohl richtig, daß es für die Erstbeklagte mit beträchtlichen Schwierigkeiten verbunden sei, wenn sie in Hochwolkersdorf wohne, aber in Wien arbeiten müsse. Diese Schwierigkeiten erreichten aber noch nicht jene Intensität, um bereits von einem die Aufrechterhaltung des Bestandverhältnisses rechtfertigenden Notstand sprechen zu können.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000, aber nicht S 300.000 überrsteige. Die Revision erklärte es für zulässig. Es bejahte ein dringendes Wohnbedürfnis der Erstbeklagten an der aufgekündigten Wohnung, für die Beurteilung des maßgeblichen Zeitpunktes komme es aber auf den des Todes des Mieters an. Nachträgliche Änderungen könnten nur insoweit berücksichtigt werden, als sie schon zum Zeitpunkt des Todes des Mieters für die nächste Zeit zu erwarten gewesen wären. Wenn auch die Annahme der Teilzeitbeschäftigung durch den Tod des Mieters unmittelbar ausgelöst worden sein mag, so sei die Aufnahme dieser Beschäftigung durch die Erstbeklagte nicht schon vor dem Tod des Mieters geplant und nur mehr der Beginn dieser Beschäftigung in absehbarer Weise vorgesehen gewesen. Die Berufstätigkeit der Erstbeklagten müsse daher bei der Beurteilung des dringenden Wohnbedürfnisses außer Betracht bleiben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist berechtigt.

Das Eintrittsrecht nach § 14 Abs. 3 MRG ist bei einem Mietverhältnis zu einer Wohnung gegeben, wenn nahe Angehörige vorhanden sind, die im Zeitpunkt des Todes des Mieters mit diesem in der Wohnung im gemeinsamen Haushalt lebten und ein dringendes Wohnbedürfnis an der Wohnung haben (Würth in Rummel, ABGB, Rdz 4 zu § 14 MRG).

Der Gesetzgeber des Mietrechtsgesetzes wollte grundsätzlich die Kündigungsbestimmungen des Mietengesetzes keiner wesentlichen inhaltlichen Änderung unterziehen (1 Ob 567/86; 7 Ob 591/84). Die Bestimmungen über das Eintrittsrecht wurden zwar im Mietrechtsgesetz in einer eigenständigen Vorschrift niedergelegt (§ 14 MRG), an der grundsätzlichen Konzeption des Eintrittsrechtes hat sich aber nichts geändert (Fenyves in Handbuch zum MRG 328 f). Zur Frage, ob ein dringendes Wohnbedürfnis vorliegt u d wann es gegeben sein muß, kann daher weiterhin die Rechtsprechung zu § 19 Abs. 2 Z 11 MG herangezogen werden.

Dem Berufungsgericht ist beizupflichten, daß ein dringendes Wohnbedürfnis der Erstbeklagten an der aufgekündigten Wohnung besteht. Eine in einem anderen Ort liegende ausreichende und gleichwertige Wohnmöglichkeit wie sie im Fall, daß ein Einfamilienhaus als Eigentum genutzt werden kann, an sich gegeben ist, kann dennoch ein dringendes Wohnbedürfnis an einer Mietwohnung in einem anderen Ort begründen, wenn der Aufenthalt des Eintrittsberechtigten dort unabweislich notwendig ist (vgl. MietSlg. 33.373/7). Eine tägliche Fahrzeit zum Ort der Beschäftigung in der Dauer von fünf Stunden erscheint unzumutbar. Die Aufrechterhaltung der Wohnmöglichkeit dient daher anders als im Fall der Entscheidung MitSlg. 33.376 nicht bloß der Bequemlichkeit des Eintrittsberechtigten. Die Erstbeklagte wäre bei Aufrechterhalten der Kündigung genötigt, in Wien ein Untermietzimmer zu nehmen. Gerade diese Notwendigkeit zeigt aber, daß ihr dringendes Wohnbedürfnis an der aufgekündigten Wohnung zu bejahen ist (MietSlg. 18.445, 5.916).

Es kann dem Berufungsgericht aber nicht darin gefolgt werden, daß der Kündigungsgrund dennoch gegeben sei, weil dieses dringende Wohnbedürfnis nicht bereits zum Zeitpunkt des Todes des Hauptmieters bestanden habe. Der Grundsatz, daß das dringende Wohnbedürfnis des Eintrittsberechtigten nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Todes des bisherigen Mieters zu beurteilen ist, wurde immer dahin verstanden, daß nachträgliche Änderungen insoweit berücksichtigt werden müssen, als sie zum Zeitpunkt des Todes des Mieters für die nächste Zeit zu erwarten waren (MietSlg. 31.410, 29.351, 25.325, 24.334; 8 Ob 504/86; Würth aaO Rdz 10 zu § 14 MRG); nur auf ungewisse, in der Zukunft liegende Verhältnisse ist bei Beurteilung des dringenden Wohnbedürfnisses nicht Bedacht zu nehmen (MietSlg. 29.351). Daß die Erstbeklagte nach dem Tod ihres Gatten, der nach der Aktenlage Professor an einer Höheren Technischen Lehranstalt und dem Wirtschaftsförderungsinstitut war, aus finanziellen Gründen eine Beschäftigung in Wien annahm, war nicht nur durch den Tod des Hauptmieters verursacht, sondern gerade aus diesem Grund auch in naher Zukunft zu erwarten. Ein durch den Tod des Hauptmieters entstandenes dringendes Wohnbedürfnis an der aufgekündigten Wohnung ist als im Zeitpunkt des Todes bestehend anzusehen.

Ob aber die Erstbeklagte die Eintrittsrechte geltend macht, zum Zeitpunkt des Todes ihres Gatten mit diesem in der aufgekündigten Wohnung im gemeinsamen Haushalt lebte, kann aufgrund undeutlicher Feststellungen des Erstgerichtes, das diese nicht für streitentscheidend hielt, noch nicht abschließend beurteilt werden. Gemeinsamer Haushalt besteht in auf Dauer berechnetem gemeinsamem Wohnen und Wirtschaften. Der eintretende nahe Angehörige muß zum Todeszeitpunkt seinen Lebensschwerpunkt in der Wohnung gehabt haben (MietSlg. 35.555, 34.485, 33.368, 32.378 uva; Würth aaO Rdz 8 zu § 14 MRG). Entsprechend der besonderen familiären Situation können auch zwei Haushalte im Sinne des § 14 MRG selbständige Schwerpunkte der Wirtschaftsführung gebildet haben

(MietSlg. 26.291). Das Erstgericht stellte sowohl fest, daß die Familie in der aufgekündigten Wohnung und zumindest zum Teil auch in Hochwolkersdorf lebte, als auch, daß nach der Geburt der Kinder (1969 und 1973) die Erstbeklagte vor allem in Hochwolkersdorf wohnte. Hätte die Erstbeklagte etwa ab dem Zeitpunkt, als ihr Gatte einen Teil seiner Unterrichtstätigkeit in einer Wiener Neustädter Schule aufnahm, oder ab Geburt ihrer Kinder ihren Lebensschwerpunkt nach Hochwolkersdorf verlegt und nicht zwischen beiden Wohnungen aufgeteilt, sodaß nur mehr oder vor allem ihr Gatte die Wiener Wohnung nicht aus familiären, sondern bloß aus beruflichen Gründen nutzte, hätte das gesetzliche Erfordernis der gemeinsamen Haushaltsführung in der aufgekündigten Wohnung nicht mehr bestanden. Auf die vom Erstgericht nicht eindeutig festgestellten tatsächlichen Verhältnisse in der letzten Zeit vor dem Tod des Hauptmieters kommt es aber an (MietSlg. 28.343).

Um die Feststellungen in dieser Richtung zu präzisieren, erscheint gemäß § 510 Abs. 1 ZPO die Aufhebung der Urteile der Vorinstnzen und die Verweisung der Rechtssache an das Prozeßgericht erster Instanz zur Ergänzung und neuen Entscheidung notwendig. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E09114

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0010OB00593.86.1001.000

Dokumentnummer

JJT_19861001_OGH0002_0010OB00593_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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