TE OGH 1986/11/12 3Ob625/86

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Veröffentlicht am 12.11.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Huber, Dr. Klinger und Mag. Engelmaier als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien Petronilla und Johann O***, Besitzer, 9991 Dölsach, Gödnach 63, vertreten durch Dr. Wilfried Seirer, Rechtsanwalt in Lienz, wider die beklagte Partei Johann F***, Besitzer, 9991 Dölsach, Gödnach, vertreten durch Dr. Robert Gasser, Rechtsanwalt in Lienz, wegen Erwirkung der Zuschreibung eines Grundstücksteiles (Wert des Streitgegenstandes S 6.000,-), infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 21. März 1986, GZ. 2 a R 594/85-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Lienz vom 19. September 1985, GZ. 2 C 405/85-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Kläger gaben den Wert des nicht in einem Geldbetrag bestehenden Streitgegenstandes (Erwirkung der Zuschreibung eines etwa 100 m 2 großen Trennstückes ihres Grundstücks 889 der Liegenschaft EZ 220 II KG Görtschach mit Gödnach zur Liegenschaft des Beklagten EZ 36 I derselben Katastralgemeinde) in der Klage mit S 6.000,- an.

Der Beklagte erhob die Einrede der Unzulässigkeit des (streitigen) Rechtsweges und beantragte im übrigen die Abweisung des Klagebegehrens.

Das Erstgericht wies die Einrede zurück und gab dem Klagebegehren statt, wobei es die Fläche des umstrittenen Trennstücks mit etwa 100 m 2 , den dafür zu entrichtenden jährlichen Grundsteueranteil mit etwa S 60,- feststellte.

Dieses Urteil wurde vom Beklagten wegen Nichtigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit Berufung angefochten. Dabei gab er das Berufungsinteresse mit S 6.000,- an. Das Berufungsgericht verwarf die Berufung, soweit sie Nichtigkeit geltend machte, gab ihr aber im übrigen Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil durch Abweisung des Klagebegehrens ab. Unter Berufung auf § 500 Abs 2 Z 1 ZPO sprach es aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, S 15.000,-, nicht aber S 300.000,- übersteige. Weiters sprach es aus, daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei. Die Entscheidungsgründe enthalten keine Begründung, warum das Berufungsgericht den vom Kläger angegebenen Wert des Streitgegenstands nicht übernahm.

In der Revision beantragen die Kläger die Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung, allenfalls die Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts und die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Der Beklagte macht in der Revisionsbeantwortung die Unrichtigkeit des Ausspruchs nach § 500 Abs 3 ZPO geltend, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO abhänge. Er beantragt, die Revision zu verwerfen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig.

Nach § 56 Abs 2 JN hat der Kläger, wenn er sich nicht erbietet, an Stelle der angesprochenen Sache eine bestimmte Geldsumme anzunehmen, oder kein alternatives Begehren auf Zuerkennung einer Geldsumme stellt, - dann ist nach Abs 1 der zitierten Gesetzesstelle die in der Klage angegebene Geldsumme für die Beurteilung der Zuständigkeit und für die Besetzung des Gerichtes maßgebend, - den Wert eines nicht in einem Geldbetrag bestehenden vermögensrechtlichen Streitgegenstandes in der Klage anzugeben. Bei Klagen auf Vornahme von Arbeiten oder anderen persönlichen Leistungen, auf Duldung oder Unterlassung, auf Abgabe von Willenserklärungen ist nach § 59 JN die vom Kläger angegebene Höhe seines Interesses als Wert des Streitgegenstandes anzusehen. Außer dem im § 60 Abs 1 JN bezeichneten Fall ist die in der Klage enthaltene Bewertung des Streitgegenstandes nach Abs 4 dieser Gesetzesstelle in Ansehung der Zuständigkeit und der Besetzung des Gerichtes sowohl für das Gericht als für den Gegner bindend. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage der späteren Zivilverfahrensnovelle 1983, 669 BlgNR 15. GP 34, führen zur vorgeschlagenen Änderung des § 56 Abs 2 JN aus, daß der Wert des Streitgegenstandes nicht nur für die Zuständigkeit und die Besetzung des Gerichtes maßgebend sei, sondern auch für eine Reihe anderer Fragen, wie etwa für die Gründe, auf die eine Berufung gestützt werden kann (§ 501 ZPO).

Hat das Erstgericht über einen Streitgegenstand entschieden, der an Geld oder Geldeswert S 15.000,- nicht übersteigt, so kann das Urteil nach § 501 ZPO nur wegen Nichtigkeit und wegen einer ihm zugrunde liegenden unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache angefochten werden. Eine mündliche Verhandlung über die Berufung ist nur anzuberaumen, wenn das Gericht diese im einzelnen Fall für erforderlich hält.

Die zitierten Erläuterungen führen dazu auf S 58 u.a. aus, daß die vorgeschlagene Regelung den abrupten Übergang von dem sachlich unüberprüfbaren Bagatellurteil zu einem voll anfechtbaren Urteil durch eine Übergangsstufe mildere, in der das Urteil wohl sachlich überprüfbar sei, jedoch nur aus dem - wohl

wichtigsten - Revisionsgrund nach § 503 Z 4. Für die Beurteilung des Streitwerts solle in diesen Fällen grundsätzlich - so wie nach der schon geltenden Regelung des § 501 - die Bewertung des Klägers maßgebend sein.

Zu der durch die Regierungsvorlage vorgeschlagenen Bestimmung des § 502 Abs 2 Z 2 ZPO, wonach gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts ein weiterer Rechtszug unzulässig sein sollte, soweit der Beschwerdegegenstand an Geld oder Geldeswert S 10.000,-

nicht übersteigt, sagten die zitierten Erläuterungen auf S 58 u.a., dies stelle die Konsequenz des schon in dem Vorschlag einer Änderung des § 501 ausgedrückten Gedankens dar, zwar nicht die Bagatellgrenze auf S 10.000,- anzuheben, aber doch bis zu diesem Streitwert schon die Anfechtung der erstgerichtlichen Entscheidung weitgehend einzuschränken. Der Entwurf schlage daher vor, die Untergrenze der Zugänglichkeit des Obersten Gerichtshofs, die nach der derzeitigen Fassung des § 502 Abs 2 die Bagatellgrenze sei, auf S 10.000,-

anzuheben.

Im Bericht des Justizausschusses zur späteren Zivilverfahrensnovelle 1983, 1337 BlgNR 15. GP 18, heißt es zu § 501 ZPO u.a., auch bei der neuen Regelung bleibe die bisherige Rechtsprechung zum Bagatellverfahren anwendbar, daß der Kläger dem Beklagten nicht durch eine offensichtliche Unterbewertung die Rechtsmittelmöglichkeit beschränken dürfe, daß daher das Gericht eine offensichtliche Unterbewertung richtigzustellen habe (Fasching, Komm. III 867 f).

In der bezogenen Kommentarstelle (Anm 5 zu § 448 ZPO) führt Fasching aus, bei einem nicht in einer Geldsumme bestehenden Streitgegenstand, der vom Kläger gemäß § 56 Abs 2 und 57 ff JN bewertet werden müsse, binde die Bewertung des Klägers das Gericht nur für die Zuständigkeit und die Gerichtsbesetzung. Das Gericht könne von Amts wegen oder auf Antrag eine von ihm als offenbar erkannte oder vom Beklagten bewiesene Unterbewertung richtigstellen. Das gelte auch für die Überbewertung des Klägers.

In seinem Lehr- und Handbuch zum Zivilprozeßrecht führt Fasching bei der Behandlung der beschränkten Berufung des § 501 ZPO u.a. aus, daß bei nicht in einer Geldsumme bestehenden Begehren die Bewertung gemäß §§ 56 ff JN maßgebend sei (RZ 1836). die Revision sei bei Verfahren mit einem S 15.000,- nicht übersteigenden Streitwert generell unzulässig (RZ 1839). Nach früherer Lehre und Rechtsprechung sei trotz der Anfechtungsbeschränkungen für das damalige Bagatellverfahren zur Klärung der Frage, ob eine Bagatellsache vorliege, der volle Instazenzug offengestanden. Dies müsse auch jetzt und hier für die Frage gelten, ob die Rechtsmittelbeschränkungen der §§ 501 und 517 ZPO anzuwenden seien. Werde etwa ein Rekurs gemäß § 517 ZPO deswegen zurückgewiesen, weil es sich um eine Streitsache mit einem S 15.000,- nicht übersteigenden Streitwert handle und keiner der Ausnahmsfälle des § 517 ZPO vorliege, dann sei ein Rekurs zur Prüfung der Frage, ob § 517 ZPO überhaupt angewendet werden könne, zulässig. Entsprechendes müsse auch für die Revision gelten, mit der ein Berufungsurteil bekämpft werde, das unter Berufung auf die - nach Meinung des Revisionswerbers zu Unrecht

angenommene - Unterschreitung der Grenze des § 501 ZPO die Bekämpfung der Tatfrage oder der Verfahrensmängel nicht behandelt habe (RZ 1840).

Zu § 502 Abs 2 Z 2 ZPO lehrt Fasching, diese Bestimmung schließe alle Revisionen gegen Urteile der Berufungsgerichte aus, deren Streitgegenstand S 15.000,- nicht übersteige. Dazu gehörten nicht nur Berufungsurteile gemäß § 501 ZPO, bei denen der Streitgegenstand des Ersturteils S 15.000,- nicht übersteige und die Berufung nur wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und wegen Nichtigkeit zulässig sei... (RZ 1869).

Aus den wiedergegebenen Erläuterungen zur späteren Zivilverfahrensnovelle 1983 zeigt sich die Absicht des Gesetzgebers, daß Urteile des Erstgerichts über einen an Geld oder Geldeswert S 15.000,- nicht übersteigenden Streitgegenstand künftig - anders als bisher in Bagatellsachen ergangene erstrichterliche Urteile - nicht nur wegen der im § 477 Abs 1 Z 1 bis 8 ZPO aufgezählten Nichtigkeiten, sondern wegen jeder Nichtigkeit und überdies auch wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit Berufung angefochten werden können, daß aber bei einem nicht in einem Geldbetrag bestehenden vermögensrechtlichen Streitgegenstand, der an Geldeswert S 15.000,- nicht übersteigt, dem Berufungsgericht nicht die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, durch einen nicht durch ein Rechtsmittel anfechtbaren Bewertungsausspruch nach § 500 Abs 2 ZPO die Revision zu ermöglichen.

§ 501 ZPO regelt daher den Rechtszug gegen Urteile des Erstgerichts über einen an Geld oder Geldeswert S 15.000,- nicht übersteigenden Streitgegenstand abschließend (RZ 1984/69; 1 Ob 668/84; 1 Ob 639/85; 8 Ob 658/85 und 1 Ob 1505/86, vgl auch JBl 1985, 113).

Diese Entstehungsgeschichte ergibt folgende Auslegung der insgesamt sicher nicht sehr klaren Gesetzesbestimmungen:

Wenn schon das Erstgericht über einen Streitgegenstand entschieden hat, der an Geldeswert S 15.000,- nicht übersteigt, ist das Gericht zweiter Instanz an den vom Kläger als Wert des Streitgegenstandes angegebenen Betrag gebunden, außer es liegt eine offensichtliche Unterbewertung vor. Weder § 501 ZPO noch § 517 ZPO enthalten nämlich den in § 500 Abs 2 ZPO vorkommenden Satz, daß das Gericht zweiter Instanz nicht an die Bewertung des Klägers gebunden sei. Und die Unzulässigkeit eines Rechtsmittels an die dritte Instanz ist hier in § 502 Abs 2 Z 2 ZPO bzw. § 528 Abs 2 Z 5 ZPO auch jeweils ganz gesondert geregelt. Damit ergibt sich für diesen Bereich nach der Zivilverfahrens-Novelle 1983 die Rechtslage, die früher für Bagatellsachen galt. Aus der Beseitigung der Bestimmungen des § 502 Abs 2 Z 2 ZPO bzw § 517 Abs 1 und 2 ZPO jeweils in der Fassung vor der Zivilverfahrens-Novelle 1983 ist also nicht abzuleiten, daß jetzt auch in diesen Fällen keine Bindung an die vom Kläger vorgenommene Bewertung gelten soll.

Hat jedoch das Erstgericht über einen Streitgegenstand entschieden, der an Geldeswert S 15.000,- übersteigt, dann (aber nur dann) kommt die Bestimmung des § 500 Abs 2 ZPO zum Tragen, daß das Gericht zweiter Instanz nicht an die Geldsumme gebunden ist, die der Kläger als Wert des Streitgegenstandes angegeben hat. Im ersten Fall steht es daher dem Gericht zweiter Instanz nicht frei, abweichend von der Bewertung des Klägers auszusprechen, daß eine der in § 500 Abs 2 Z 1-3 ZPO genannten Wertgrenzen überschritten wurde, ausgenommen es liegt eine offensichtliche Unterbewertung vor. Und der Oberste Gerichtshof ist hier, wenn für eine solche offensichtliche Unterbewertung keine Anhaltspunkte vorliegen, auch nicht an einen diesbezüglich unrichtigen Ausspruch der zweiten Instanz gebunden (RZ 1984/69 u.a.).

Im zweiten Fall steht es hingegen dem Gericht zweiter Instanz grundsätzlich frei, den Wert abweichend von der Bewertung des Klägers selbständig zu bestimmen. Hier ist der Oberste Gerichtshof an die Bewertung der zweiten Instanz grundsätzlich gebunden, außer es läge eine offensichtlich unrichtige Bewertung und damit ein willkürlicher Rechtsmittelausschluß oder eine rechtsmißbräuchliche Rechtsmittelerweiterung vor oder es würden sonstige Bewertungsrichtlinien der §§ 54 - 60 JN verletzt (ÖBl. 1985, 166 u.a.).

Der vorliegende Akt bietet keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Kläger ihr Interesse am Streitgegenstand mit S 6.000,-

offensichtlich unterbewertet hätten, weil es um die Erwirkung der Abschreibung eines etwa 100 m 2 großen Trennstücks eines landwirtschaftlich genutzten Grundstückes geht.

Die Aussprüche des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 und 3 ZPO sind daher im Sinne der obigen Ausführungen bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision nicht zu berücksichtigen (RZ 1984/69 und die schon zitierten nichtveröffentlichten Entscheidungen). Die unzulässige Revision ist daher zurückzuweisen.

Die Revisionsbeantwortung, in der der gegebene Zurückweisungsgrund nicht geltend gemacht wurde, ist zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht notwendig, so daß ihre Kosten nicht zu ersetzen sind (§§ 40, 41 und 50 ZPO).

Anmerkung

E09564

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0030OB00625.86.1112.000

Dokumentnummer

JJT_19861112_OGH0002_0030OB00625_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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