TE OGH 1986/11/20 8Ob644/86 (8Ob645/86)

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Veröffentlicht am 20.11.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Maria G***, geboren am 19. Dezember 1938 in St.Valentin, Hausfrau, Siegfriedstraße 4, 4300 St.Valentin, vertreten durch Dr. Josef Lechner, Rechtsanwalt in Steyr, wider die beklagte und widerklagende Partei Rudolf G***, geboren am 29. Mai 1944 in St.Valentin, Kranführer, Rüdigerstraße 5, 4300 St.Valentin, vertreten durch Dr. Wolfgang Strasser, Rechtsanwalt in St.Valentin, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 22. Mai 1986, GZ. 15 R 87/86-47, womit infolge Berufung der klagenden und widerbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten vom 27. Dezember 1985, GZ. 2 Cg 90/84-42, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende und widerbeklagte Partei ist schuldig, der beklagten und widerklagenden Partei die mit S 3.637,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Barauslagen von S 240,-- und Umsatzsteuer von S 308,85) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 10.5.1969 vor dem Standesamt St.Valentin die Ehe geschlossen. Es handelte sich auf Seiten der Klägerin und Widerbeklagten (in der Folge als Klägerin bezeichnet) um die vierte Ehe; ihre früheren Ehen wurden geschieden. Auf Seiten des Beklagten und Widerklägers (in der Folge als Beklagter bezeichnet) handelte es sich um die erste Ehe. Der Ehe der Streitteile entstammt ein Kind, nämlich der am 6.4.1970 geborene Sohn Robert. Beide Streitteile sind österreichische Staatsangehörige; ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten sie in St.Valentin.

Die Klägerin begehrte mit ihrer am 30.8.1983 zu 2 Cg 317/83 des Erstgerichtes eingebrachten Klage die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten mit der Begründung, daß er schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG begangen habe, durch die die Ehe der Streitteile unheilbar zerrüttet worden sei. Der Beklagte habe schon bald nach Beginn der Ehe begonnen, dem Alkohol zuzusprechen und sei wiederholt betrunken nach Hause gekommen. In diesem Zustand sei er besonders aggressiv gewesen und habe der Klägerin unbegründete Vorhalte gemacht und sie beschimpft. Eine Behandlung des Beklagten im Landeskrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie in Mauer sei erfolglos geblieben. Im Jahr 1976 sei er wegen Verletzung der Klägerin strafgerichtlich verurteilt worden. Der Beklagte setze sein untragbares Verhalten nicht nur gegenüber der Klägerin, sondern auch gegenüber dem gemeinsamen Kind und den Kindern der Klägerin aus früheren Ehen. Dieser Zustand habe sich immer mehr verschlechtert. Nunmehr komme der Beklagte mehrmals wöchentlich betrunken nach Hause und beginne dann in der Wohnung zu randalieren. Er beschimpfe, bedrohe und mißhandle die Klägerin und den Sohn der Streitteile. Der Beklagte sei nicht bereit, zu Hause irgendwelche Arbeiten zu verrichten oder sich um die Erziehung des Kindes zu kümmern. Am 19.8.1983 sei der Beklagte nach der Nachtschicht um ca.6,30 Uhr völlig betrunken nach Hause gekommen und habe eine Tochter der Klägerin samt ihrem Kind aus der Wohnung geworfen und die Klägerin vor ihrem Sohn Robert geschlagen und getreten, wobei er gedroht habe, er würde sie "heimdrehen". Der Beklagte brachte am 31.8.1983 zu 2 Cg 324/83 des Erstgerichtes eine Widerklage ein, mit der er seinerseits der Klägerin schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG anlastete und die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Klägerin begehrte.

Die Klägerin habe schon bald nach Beginn der Ehe dem Beklagten Vorhaltungen über seinen angeblich zu geringen Beitrag zum ehelichen Haushalt gemacht, obwohl er ihr sein gesamtes Arbeitseinkommen zur Verfügung gestellt habe, das sie für sich und die in die Ehe mitgebrachten Kinder verwendet habe. Sie gebe ihm ständig zu verstehen, daß sie ihn in ihrer Wohnung lediglich als Gast dulde und er sich jederzeit "schleichen könne", weil sie ihn nicht brauche und ohne ihn besser auskommen würde. In diesem Zusammenhang beschimpfe sie den Beklagten mit Ausdrücken wie "Dodel, gscherter Aff, Drecksau" u.dgl. Mehrmals habe die Klägerin dem Beklagten gegenüber in Gegenwart ihrer Töchter und des Sohnes der Streitteile geäußert, daß sie ihn hasse, sein "geschissenes Geld" nicht brauche und "auf die paar Schillinge, die er verdiene", verzichten könne. Wiederholt habe sie dem Beklagten unbegründete Vorwürfe darüber gemacht, daß er daran schuld sei, daß ihre älteste Tochter auf die schiefe Bahn geraten sei. Sie werfe dem Beklagten auch grundlos vor, daß er "angesoffen" von der Arbeit nach Hause komme. Seit etwa 14 Tagen setze sie ihm nicht einmal mehr Essen vor. Am 27.8.1983 habe die Klägerin den Beklagten grundlos aus der Ehewohnung ausgesperrt. Am 29.8.1983 habe sie dem Beklagten erst über Intervention der Gendarmerie seine Gebrauchsgegenstände herausgegeben, verweigere ihm aber weiterhin den Zutritt zur Ehewohnung.

Beide Streitteile bestritten jeweils die ihnen vom Gegner zur Last gelegten Eheverfehlungen.

Die beiden Rechtssachen wurden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Am 29.11.1983 trat Ruhen des Verfahrens ein, weil zu einer für diesen Tag anberaumten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung niemand erschien.

Mit einem am 8.3.1984 beim Erstgericht eingelangten Schriftsatz beantragte der Beklagte die Fortsetzung des Verfahrens über seine Widerklage. Er brachte vor, daß ihn die Klägerin dadurch zum Nichtbesuch der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 29.11.1983 gebracht habe, daß sie Besserung versprochen habe. Am 7.2.1984 sei er mit seiner Gattin zum Bezirksgericht Amstetten gefahren. Noch im Zimmer des Richters habe die Klägerin angekündigt, daß sie den Beklagten nicht mehr in die Wohnung hineinlassen werde. Bei der Rückkehr aus Amstetten habe sich die Klägerin geweigert, den Beklagten in die Ehewohnung einzulassen; erst über Intervention der Gendarmerie habe sie ihm die notwendigsten Kleidungsstücke herausgegeben. Der Beklagte sei gezwungen gewesen, eine Unterkunft bei einem Bekannten zu suchen, wofür er monatlich S 1.500,-- bezahlen müsse. Er müsse sich auch im Gasthaus verköstigen und seine Wäsche gegen Entgelt waschen lassen. Aber bereits vor diesem neuerlichen Aussperren aus der Ehewohnung habe die Klägerin dem Beklagten laufend ungerechtfertigte Vorwürfe gemacht und ihn täglich wüst beschimpft; sie habe ihn von früh bis spät schikaniert. An einem Abend im Jänner, als sie im Bett gelegen seien, habe die Klägerin ihre Tuchent "auf seine Seite herüber entlüftet", worauf er ihr "mitsamt der Tuchent einen Taucher mit der Ferse gegeben" und gesagt habe: "Du Schweindl, könntest auch auf der anderen Seite lüften". Daraufhin sei sie aufgesprungen und habe der Gendarmerie gegenüber wahrheitswidrig angegeben, er habe sie mit dem Umbringen bedroht. Der Beklagte sei auf keinen Fall mehr bereit, die Ehe mit der Klägerin fortzusetzen.

Ein Fortsetzungsantrag bezüglich des Verfahrens über die von der Klägerin eingebrachte Klage wurde nicht gestellt.

Die Klägerin bestritt lediglich das Vorbringen des Beklagten in seinem Fortsetzungsantrag und führte dazu aus, daß sie der Beklagte am 6.1.1984 mit dem Umbringen bedroht habe; am 7.2.1984 habe sie den Beklagten aus der Ehewohnung ausgesperrt, weil er sie ständig mißhandelt und mit dem Umbringen bedroht habe (ON 19). In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 10.9.1985 erklärte die Klägerin, sie sei zur Versöhnung mit dem Beklagten bereit. Sie ersuchte ihn, die Ehegemeinschaft mit ihr wieder aufzunehmen, was der Beklagte jedoch ablehnte (ON 40 S 143).

Das Erstgericht schied die Ehe und sprach aus, daß das überwiegende Verschulden die Klägerin treffe.

Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Der Beklagte ist ein einfacher Fabriksarbeiter, der seine Arbeit als Kranführer zur vollen Zufriedenheit seines Arbeitgebers im Warmwalzwerk der Firma V*** A*** in Linz versieht. Auf Grund der an seiner Arbeitsstätte herrschenden Hitze trinkt er pro Schicht einige Flaschen Bier und kommt fallweise leicht alkoholisiert nach Hause. Die Klägerin ist eine dem Beklagten überlegene resolute Frau, die den Haushalt betreut, den Sohn der Streitteile erzieht und ihre schwer kranke und bettlägerige Mutter, die in der Nähe bei einer Schwester der Klägerin wohnt, pflegt.

Die Klägerin machte dem Beklagten, wenn er hie und da leicht alkoholisiert von der Arbeit heimkam, häufig übertriebene Vorwürfe wegen seines Alkoholkonsums. Außerdem hielt sie ihm vor, er verdiene zu wenig und stelle ihr nicht genug Geld zur Verfügung, obwohl er ihr ohnedies den Großteil seines Verdienstes übergab. Dabei sparte sie nicht mit Schimpfworten und gehässigen Bemerkungen, die den Beklagten, der sich bei Beginn der Vorwürfe meist ruhig verhielt, in Zorn brachten, sodaß er zurückschimpfte oder die Beklagte sogar leicht mißhandelte, ohne sie allerdings zu verletzen. Am 15.6.1974 unternahm der Beklagte nach einer solchen Auseinandersetzung mit der Klägerin einen Selbstmordversuch, indem er sich mit einem Luftdruckgewehr in den Kopf schoß. Er verletzte sich dabei nur leicht, wurde aber zwei Wochen im Landeskrankenhaus Mauer stationär behandelt.

Am 3.3.1976 fügte der Beklagte der Klägerin bei dem Versuch, sie während einer solchen Auseinandersetzung aus dem Schlafzimmer zu drängen, eine Kratzwunde zu und wurde dafür vom Bezirksgericht Haag wegen vorsätzlicher leichter Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt.

Am 29.8.1983 sperrte die Klägerin den Beklagten ohne triftigen Grund aus der Ehewohnung, einer Mietwohnung, die sie schon vor der Eheschließung mit ihm besaß, aus. Da die Klägerin ihn nicht mehr hineinließ, mußte er, um seine persönliche Habe aus der Wohnung holen zu können, die Hilfe der Gendarmerie in Anspruch nehmen. Während des Auszuges beschimpfte die Klägerin den Beklagten heftig. Beide Streitteile nahmen diesen Vorfall zum Anlaß, die vorliegenden Ehescheidungsklagen zu erheben. Nachdem sie sich im November 1983 wieder versöhnt hatten, ließen sie die Scheidungsverfahren ruhen und der Beklagte zog wieder in die Ehewohnung zurück.

Am Abend des 6.1.1984 kam der Beklagte leicht alkoholisiert von der Arbeit nach Hause und legte sich neben der Klägerin ins Ehebett. Die Klägerin "wachelte als Ausgleich für den vom Beklagten verbreiteten Alkoholgeruch übelriechende Darmgase mit der Tuchent zu ihm hinüber", worauf er mit dem Fuß gegen sie trat, ohne sie zu verletzen. Die Klägerin ließ daraufhin durch eine Nachbarin die Gendarmerie verständigen, die aber keinen Grund zum Einschreiten fand.

Am 7.2.1984 suchten die Streitteile gemeinsam das Bezirksgericht Amstetten auf, um sich nach den Voraussetzungen einer einvernehmlichen Ehescheidung zu erkundigen. Sie erkannten aber gleich, nachdem der Richter Dr. A*** darauf hingewiesen hatte, daß hiefür auch die Regelung der Unterhaltsfrage nötig sei, daß eine solche für sie derzeit nicht in Frage komme, weil die Klägerin vom Beklagten für die Zeit nach der Ehe Unterhalt beanspruchen wollte, den dieser nicht zu leisten gewillt war. Daraufhin erklärte die Klägerin ohne konkreten Anlaß, sie lasse den Beklagten gar nicht mehr in die Wohnung, sondern werde ihm seine Sachen beim Fenster hinunterwerfen. Der Beklagte räumte daraufhin zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit seine Sachen unter gehässigen Bemerkungen der Klägerin aus der Wohnung, während über Ersuchen des Richters Gendarmeriebeamte darauf achteten, daß der Auszug des Beklagten ruhig verlief.

Seither leben die Streitteile getrennt. Versuche der Klägerin, den Beklagten noch einmal zur Wiederaufnahme der Ehegemeinschaft zu bewegen, sind an dessen Weigerung gescheitert. Seitdem leistet der Beklagte nur mehr Unterhalt für den Sohn der Streitteile und weigert sich, auch Unterhalt für die Klägerin zu zahlen.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentichen dahin, die Ehe der Streitteile sei so tiefgreifend zerrüttet, daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr erwartet werden könne. Schuld an der Zerrüttung sei zum überwiegenden Teil die Klägerin, die dem Beklagten häufig grundlos oder in übertriebener Weise Vorwürfe gemacht, unnötigerweise die Gendarmerie gegen ihn zu Hilfe gerufen und ihn zweimal ohne Grund aus der Ehewohnung gewiesen habe. Dagegen seien die Verfehlungen des Beklagten, die vorwiegend in unrichtigen oder übertriebenen Reaktionen auf das vorangehende provozierende Verhalten der Klägerin bestanden hätten, als geringgradig einzustufen. Die Ehe der Streitteile sei daher gemäß § 49 EheG unter Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Klägerin zu scheiden.

Der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil keine Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und führte rechtlich im wesentlichen aus, daß sich die Klägerin, soweit sie geltend mache, die Klage sei mangels Vorliegens von Scheidungsgründen nach dem März 1984 abzuweisen, weil die bisherigen als verziehen angesehen werden könnten, nicht nur von ihrem bisherigen Prozeßstandpunkt distanziere, sondern auch nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgehe. Danach sei es im Februar 1984 nicht zu einer Versöhnung gekommen; vielmehr sei der Beklagte von seiner Ehegattin endgültig und ohne triftigen Grund aus der Wohnung gewiesen worden, wobei er seine notwendigsten Bedarfsgegenstände und Kleidungsstücke nur mit Gendarmerieassistenz abholen habe können. Leichtfertige oder gar grundlose Anzeigen in der Hoffnung, sich eine günstigere Position im Scheidungsverfahren zu sichern, stellten eine schwere Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG dar. Es genüge daher, darauf zu verweisen, daß das Erstgericht zutreffend der Klägerin das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe zugewiesen habe, da diese dem Beklagten häufig grundlos und in übertriebener Weise Vorwürfe gemacht habe, unnötigerweise die Gendarmerie gegen ihn zu Hilfe gerufen und ihn zweimal ohne Grund aus der Ehewohnung gewiesen (und ihm überdies die Mitnahme seiner Bedarfsgegenstände und Dokumente verweigert) habe. Möge auch eine einmalige tätliche Mißhandlung der Klägerin durch den Beklagten im Jahr 1976 erwiesen sein, so rechtfertige dieser Umstand allein nicht, de Beklagten die überwiegende Schuld zuzuweisen, zumal sein Fehlverhalten tatsächlich vorwiegend in unrichtigen oder übertriebenen Reaktionen auf das vorangehende provozierende Verhalten der Klägerin bestanden habe. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin. Sie bekämpft es aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Abweisung des Scheidungsbegehrens des Beklagten abzuändern; in eventu beantragt sie die Abänderung des angefochtenen Urteils dahin, "daß das überwiegende Verschulden des Beklagten an der Ehezerrüttung festgestellt wird." Der Beklagte hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision der Klägerin keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Klägerin versucht mit ihren Revisionausführungen darzutun, daß die Ehe deswegen nicht zu scheiden wäre, weil ihr vor dem November 1983 gesetztes ehewidriges Verhalten verziehen sei und sie nachher keine Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG gesetzt habe. Selbst wenn man diese Ansicht nicht vertrete, wäre vom überwiegenden Verschulden des Beklagten an der Ehezerrüttung auszugehen. Was zunächst die Frage betrifft, ob die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe der Streitteile nach § 49 EheG vorliegen, ist zunächst klarzustellen, daß die Klägerin entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes auch im Berufungsverfahren nicht nur den Verschuldensausspruch, sondern auch die Scheidung der Ehe bekämpft hat. Der Ausspruch der Scheidung der Ehe ist daher nicht etwa in Rechtskraft erwachsen.

Daß die Ehe der Streitteile im Sinne des § 49 EheG so tief zerrüttet ist, daß die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden kann, ist auf Grund der Feststellungen der Vorinstanzen augenscheinlich und wird auch in der Revision der Klägerin nicht ernstlich bestritten.

Die unheilbare Zerrüttung der Ehe ist dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat (EFSlg 43.629, 46.178 uva.). Daß diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben sind, ist nicht zweifelhaft; die Streitteile leben seit 7.2.1984 getrennt und der Beklagte ist nicht mehr bereit, die Ehegemeinschaft mit der Klägerin fortzusetzen.

Nun ist es sicher richtig, daß im Sinn des § 56 EheG verziehene Eheverfehlungen nicht unmittelbar zur Begründung eines auf § 49 EheG gestützten Scheidungsbegehrens herangezogen werden können; sie können aber im Sinne des § 59 Abs 2 EheG zur Unterstützung einer auf andere Eheverfehlungen gegründeten Scheidungsklage geltend gemacht werden. Liegen also nicht verfristete oder verziehene und nicht bloß als belanglos anzusehende Eheverfehlungen eines Ehegatten vor, so ist der andere berechtigt, zur Stützung seines Scheidungsbegehrens auch auf solche Vorfälle zurückzugreifen, die allein bereits verfristet wären oder verziehen wurden (EFSlg 36.381, 38.773, 43.674 ua.).

Entgegen der Rechtsmeinung der Klägerin ist vor allem ihr festgestelltes Verhalten am 7.2.1984 keinesfalls als belanglos anzusehen; es begründet vielmehr ganz eindeutig eine schwere Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG. Wenn die Klägerin in ihrem Rechtsmittel dartun will, daß sie den Beklagten an diesem Tag gar nicht ernstlich aus der Ehewohnung gewiesen hätte, setzt sie sich nicht nur mit den Feststellungen der Vorinstanzen, sondern auch mit ihrem eigenen Vorbringen im Verfahren erster Instanz in Widerspruch, wo sie angab, daß sie an diesem Tag den Beklagten aus der Ehewohnung ausgesperrt habe, weil er sie ständig mißhandelt und mit dem Umbringen bedroht habe (ON 19 S 79). Da nach den Feststellungen der Vorinstanzen diese (neuerliche) Aussperrung des Beklagten aus der Ehewohnung grundlos erfolgte, kann kein Zweifel daran bestehen, daß dieses Verhalten der Klägerin am 7.2.1984, das zum endgültigen Zerfall der Ehegemeinschaft der Streitteile führte, als schwere Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG zu qualifizieren ist. Es liegt also eindeutig eine nicht verziehene und verfristete Eheverfehlung der Klägerin vor, die im Sinne des § 59 Abs 2 EheG auch die Berücksichtigung früherer (verziehener) Eheverfehlungen der Klägerin rechtfertigt. Tut man dies, dann kann, geht man von den Feststellungen der Vorinstanzen aus, in keiner Weise bezweifelt werden, daß die Klägerin dem Beklagten gegenüber ein grob ehewidriges Verhalten setzte (ständige grundlose oder übertriebene Vorwürfe gegen den Beklagten, Beschimpfungen, grundlose Veranlassung von Gendarmerieintervention, zweimaliges grundloses Aussperren des Beklagten aus der Ehewohnung), das zu der bestehenden unheilbaren Zerrüttung der Ehe der Streitteile führte und im Sinne des § 49 EheG die Scheidung dieser Ehe aus dem Verschulden der Klägerin rechtfertigt.

Dem Rechtsmittel der Klägerin kann aber auch insoweit nicht gefolgt werden, als der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Beklagten angestrebt wird.

Nach dem Schuldausspruch des Erstgerichtes trifft beide Ehegatten ein Verschulden; das der Klägerin überwiegt.

Im Sinne des § 60 EheG hätte das Erstgericht über ein Verschulden des Beklagten gar nicht absprechen dürfen, weil im Verfahren über die Scheidungsklage der Klägerin Ruhen eintrat und dieses Verfahren nicht fortgesetzt wurde (fortgesetzt wurde nur das Verfahren über die Widerklage des Beklagten) und ein Mitschuldantrag im Sinne des § 60 Abs 3 EheG von der Klägerin nicht gestellt wurde. Wenn das Erstgericht trotzdem über ein Verschulden des Beklagten absprach, liegt darin ein der Verletzung der Vorschrift des § 405 ZPO ähnlicher Verfahrensverstoß. Der durch diesen Verfahrensverstoß allein beschwerte Beklagte hat aber die Entscheidung des Erstgerichtes überhaupt nicht bekämpft und auch die Klägerin hat im Rechtsmittelverfahren dazu nichts vorgebracht.

Soweit über das Verschulden des Beklagten abgesprochen wurde, blieben somit die Entscheidungen der Vorinstanzen unangefochten. Auf den dargestellten Verfahrensverstoß ist daher im Revisionsverfahren nicht mehr einzugehen.

Die materiellrechtliche Überprüfung des vom Berufungsgericht bestätigten Verschuldensausspruches des Erstgerichtes ergibt aber seine Richtigkeit.

Nach ständiger Rechtsprechung kommt es bei der Verschuldensabwägung im Sinne des § 60 EheG nicht auf eine Gegenüberstellung der einzelnen von den Ehegatten begangenen Eheverfehlungen an, sondern auf ihr Gesamtverhalten in seinem Zusammenhang (EFSlg 43.684, 46.231 ua.). Das überwiegende Verschulden eines Teiles ist nur auszusprechen, wenn der Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile erheblich ist und augenscheinlich hervortritt (EFSlg 43.691; 8 Ob 558, 559/86 ua.).

Wenn auch im vorliegenden Fall die dem Beklagten anzulastenden Eheverfehlungen (im wesentlichen Beschimpfungen und Mißhandlungen der Klägerin) weit über den Rahmen entschuldbarer Reaktionshandlungen hinausgehen, ist doch zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, daß es nach den Feststellungen der Vorinstanzen die Klägerin war, die durch ständige übertriebene Vorwürfe, Beschimpfungen und Gehässigkeiten dieses Fehlverhalten des Beklagten provozierte. Zieht man dazu noch in Betracht, daß die Klägerin den Beklagten zweimal grundlos aus der Ehewohnung vertrieb, wobei die letzte Aussperrung offensichtlich zur endgültigen unheilbaren Zerrüttung der Ehe führte, dann ist unter den dargestellten rechtlichen Gesichtspunkten im Verschuldensausspruch der Vorinstanzen ein materiellrechtlicher Rechtsirrtum zum Nachteil der Klägerin nicht zu erkennen.

Der Revision der Klägerin mußte daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E09872

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0080OB00644.86.1120.000

Dokumentnummer

JJT_19861120_OGH0002_0080OB00644_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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