TE OGH 1987/3/24 14ObA31/87

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Veröffentlicht am 24.03.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Herbert Bauer und Dr. Gerald Mezriczky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Muratgül S***, Arbeiter, 6020 Innsbruck, Leopoldstraße 34, vertreten durch Dr. Peter Riedmann und Dr. G. Heinz Waldmüller, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei T*** R***- UND M*** AG, 6060 Hall in Tirol, Innsbruckerstraße 51 a, vertreten durch Dr. Ivo Greiter und Dr. Franz Pegger, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 90.653,48 S brutto samt Anhang, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 20. November 1986, GZ 1 a Cg 30/86-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Innsbruck vom 10. Juli 1986, GZ 2 Cr 17/86-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 4.243,80 S (darin 385,80 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der beklagten Partei, einem Unternehmen der Schwerindustrie, seit 31. Jänner 1977 als Arbeiter beschäftigt. Mit rechtskräftiger Strafverfügung des Bezirksgerichtes Hall i.T. vom 16. April 1986, U 116/86-12, wurde er der Vergehen der versuchten Körperverletzung und der fahrlässigen Körperverletzung nach den §§ 15, 83 Abs 1 und 88 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Das Strafgericht legte ihm zur Last, daß er am 22. Oktober 1985 in der Firmenunterkunft der beklagten Partei versucht habe, Mustafa C*** mit einem Trinkglas zu schlagen und am Körper zu verletzen. Dabei habe er Yusuf C*** getroffen und ihm fahrlässig Rißquetschwunden am Kopf beigebracht. Mit Schreiben der beklagten Partei vom 24. Oktober 1985 wurde der Kläger aus dem Grunde des § 82 lit g GewO 1859 entlassen.

Mit der am 24. Jänner 1986 eingebrachten Klage verlangt der Kläger zuletzt insgesamt 90.653,48 S brutto samt Anhang an Kündigungsentschädigung, Urlaubszuschuß, Weihnachtsremuneration, Urlaubsentschädigung und Abfertigung. Er brachte vor, zu Unrecht entlassen worden zu sein. Es sei zwar zu einem Raufhandel unter den türkischen Arbeitern gekommen, ihn treffe daran aber kein Verschulden. Die Tätlichkeiten seien auch in keinem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis gestanden.

Die beklagte Partei beantragte, das Klagebegehren abzuweisen, und wendete ein, daß ihr Arbeiterwohnheim, in dem es zu den Tätlichkeiten gekommen sei, eine "Verlängerung der Betriebsstätte" darstelle. Da etwa 50 % der Arbeitnehmer Türken und Jugoslawen seien und zwischen den Landesgruppen oft grundsätzliche Spannungen bestünden, werde durch einen Raufhandel in der Unterkunft das Betriebsklima gefährdet. Es habe die Gefahr des Ausbruchs einer Sippenfehde bestanden und die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger sei der beklagten Partei auch aus generalpräventiven Gründen nicht mehr zumutbar gewesen. Im Hinblick auf die strafgerichtliche Verurteilung des Klägers sei die Entlassung gerechtfertigt erfolgt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf folgende Feststellungen:

Mit Ausnahme einer Ermahnung wegen vorzeitiger Beendigung der Arbeit am 30. Oktober 1981 war der Kläger unauffällig. Er arbeitete anstandslos. Es gab weder im Betrieb noch im Arbeiterwohnheim, das dem Betriebsarzt unterstand, Beschwerden. In dem Haus, in dem der Kläger wohnte, waren im Erdgeschoß und im ersten Stock türkische und im zweiten Stock jugoslawische Arbeiter untergebracht. Die Benützung des Wohnheims steht den Arbeitern, die dafür eine nicht kostendeckende Miete entrichten, frei.

Nach der in türkischer und serbo-kroatischer Sprache angeschlagenen Hausordnung, die als Bestandteil der Vereinbarung über die Zuteilung einer Werksunterkunft gilt, sind die Bewohner unter anderem verpflichtet, ab 22.00 Uhr Nachtruhe einzuhalten, sich ruhig zu verhalten und lärmende Versammlungen sowie übermäßigen, lärmauslösenden Alkoholgenuß zu unterlassen. Verstöße gegen die Hausordnung sind mit dem Verlust der Werksunterkunft bedroht. In dieser Unterkunft kam es am 22.Oktober 1985 gegen 18.30 Uhr wegen einer Zigarette zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und dem ebenfalls türkischen Staatsangehörigen Mustafa C***, der in einer anderen Abteilung des Betriebs der beklagten Partei arbeitete und mit dem der Kläger am Arbeitsplatz nicht in Kontakt stand. Nach gegenseitigen Beschimpfungen schlugen der Kläger und Mustafa C*** aufeinander ein. Während C*** unverletzt blieb, erlitt der Kläger Kratz- und Schürfwunden im Gesicht und eine Prellung des rechten Zeigefingergrundgelenks. Arbeitskollegen trennten die beiden, und diese gaben kurzfristig Ruhe. Als der Kläger mit einem Glas in der Hand wiederum auf Mustafa C*** losgehen wollte, traf er beim Ausholen den Yusuf C*** und verletzte ihn. Dieser erlitt zwei tiefe, stark blutende Rißquetschwunden am Kopf und eine leichte Schädelprellung, was eine Gesundheitsstörung und Berufsunfähigkeit von zwei Wochen zur Folge hatte. Für die beklagte Partei war vor allem die Verletzung Yusuf C*** für die Entlassung ausschlaggebend. Sippenfehden sind ebensowenig nachweisbar wie eine Verschlechterung des Arbeitsklimas durch die Auseinandersetzung.

In der rechtlichen Beurteilung dieses Sachverhalts vertrat das Erstgericht die Ansicht, daß es bei der Prüfung des Entlassungsgrundes nach § 82 lit g GewO 1859 auf den beabsichtigten Angriff des Klägers gegen Mustafa C***, nicht aber auf die fahrlässige Verletzung des Yusuf C*** ankomme. Auch wenn Auseinandersetzungen zwischen Arbeitskollegen vom Entlassungsgrund umfaßt seien, komme es bei außerdienstlichen Vorfällen darauf an, ob eine mittelbare oder unmittelbare Auswirkung auf das Arbeitsverhältnis vorliege. Diese Voraussetzung treffe nicht zu. Der einzige Zusammenhang mit dienstlichen Belangen bestehe darin, daß die Tätlichkeiten im Arbeiterwohnheim der beklagten Partei erfolgten. Ansonsten habe es sich um einen privaten Streit in der Freizeit gehandelt. Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis seien nicht zu erwarten gewesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es führte das Verfahren gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG neu durch und traf dieselben Feststellungen wie das Erstgericht. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß der Entlassungsgrund nach § 82 lit g GewO 1859 verwirklicht worden wäre, wenn der Kläger das festgestellte Verhalten an seinem Arbeitsplatz gesetzt hätte. Das Arbeiterwohnheim der beklagten Partei stehe wohl auf dem Betriebsgelände, es sei aber nicht der Betriebsstätte selbst zuzuordnen. Bei gegenteiliger Ansicht hätten die Bewohner des Heims keine Privatsphäre mehr. Sie würden vielmehr vom Dienstgeber im Rahmen der Dienstaufsicht 24 Stunden lang kontrolliert werden können. Der Aufenthalt im Wohnheim müsse daher der Privatsphäre des Klägers zugerechnet werden. Der Grund für die Berechtigung einer sofortigen Entlassung eines Arbeitnehmers sei die tiefgreifende Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, der eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung unzumutbar mache. Daraus ergebe sich stets ein Bezug zum Arbeitsverhältnis. Eine zusätzliche Bestrafungsmöglichkeit der Arbeitnehmer für privates Fehlverhalten durch Entlassung komme dem Arbeitgeber nicht zu. Dadurch, daß die Tätlichkeit des Klägers im Arbeiterwohnheim stattgefunden habe, sei wohl ein gewisser Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis gegeben gewesen, dieser reiche aber nicht aus, um die Entlassung zu rechtfertigen. Die Hausordnung habe der beklagten Partei die Möglichkeit eingeräumt, den Kläger aus dem Heim zu entfernen. Ein solcher Heimverweis wäre hier die angemessene Reaktion auf das außerdienstliche Fehlverhalten gewesen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Nach § 82 lit g GewO 1859, welche Bestimmung zufolge § 376 Z 47 GewO 1973 noch aufrecht ist, kann ein Dienstnehmer ohne Kündigung sofort entlassen werden, wenn er sich einer groben Ehrenbeleidigung, Körperverletzung oder gefährlicher Drohung gegen den Gewerbeinhaber oder dessen Hausgenossen, oder gegen die übrigen Hilfsarbeiter schuldig macht. Unter den "übrigen Hilfsarbeitern" sind alle beim selben Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer zu verstehen, weil der Schutzzweck der Norm im selben Maße auf alle Arbeitnehmer eines Betriebes zutrifft (Kuderna, Das Entlassungsrecht 55, 74 f, 78). Dies wurde entgegen der Ansicht der Revisionswerberin von den Vorinstanzen nicht verkannt. Es geht hier vielmehr um die Frage des für die Tatbestandsmäßigkeit des Entlassungsgrundes erforderlichen Zusammenhanges mit dem Arbeitsverhältnis. Die beklagte Partei beharrt dazu auf ihrem Standpunkt, daß der Entlassungstatbestand bereits erfüllt sei, wenn ein Mitarbeiter einen anderen am Körper verletze. Eine Einschränkung der Rechtsfolgen auf eine Tätlichkeit im Dienst sei dem Gesetz nicht zu entnehmen.

Wie die Revisionswerberin selbst ausführt, dient § 82 lit g GewO 1859 unter anderem dazu, die Ruhe und Ordnung im Betrieb aufrechtzuerhalten. Jede Entlassung beruht weiters grundsätzlich auf der Überlegung, daß die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber auch nur für die Kündigungsfrist unzumutbar erscheint (Kuderna, aaO 9; Floretta, Arbeitsrecht 2 I, 225). Es ist daher nach neuerer Lehre und Rechtsprechung bei allen Begehungsarten des § 82 lit g GewO 1859 ein Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis erforderlich. Das außerdienstliche tatbestandliche Verhalten des Dienstnehmers setzt eine mittelbare oder unmittelbare Auswirkung auf das Dienstverhältnis voraus (Kuderna aaO 79, 63 mit FN 156;

Martinek-Schwarz, AngG 6 635; Martinek-Schwarz, Abfertigung 179;

ZAS 1980/13). Die von der Revisionswerberin für ihren Standpunkt herangezogenen Belegstellen sind überholt. Praunegger (Österreichisches Gewerberecht I/2, 1. Aufl. 1924, 1534 ff) und Heller (Kommentar zur Gewerbeordnung und zu ihren Nebengesetzen, 1. Aufl. 1912, 1051) zitieren lediglich ältere Judikatur wie etwa die auch in der Revision aufgegriffene Entscheidung des Gewerbegerichtes Mährisch-Ostrau vom 18. Februar 1905, Slg. 1206. Aus Floretta-Spielbüchler,-Strasser, Arbeitsrecht 2 I, 228, ist für die beklagte Partei ebenso wenig zu gewinnen wie aus den in Arb. 4295 und 6384 veröffentlichten Entscheidungen. Nach den getroffenen Feststellungen war für die beklagte Partei vor allem die Verletzung Yusuf C*** Entlassungsgrund. C*** wurde vom Kläger aber nur fahrlässig verletzt, weshalb seine Verletzung für die Tatbestandsmäßigkeit nach § 82 lit g GewO 1859 ausscheidet (Kuderna aaO 79). Auch wenn dabei wohl zu berücksichtigen ist, daß die fahrlässige Verletzung im Zuge einer beabsichtigten Verletzung eines anderen erfolgte, ist der Vorfall an sich nicht so schwerwiegend, daß nicht zusätzlich der Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis geprüft werden müßte.

Es ist den Vorinstanzen beizupflichten, daß diese Tätlichkeiten keine mittelbare oder unmittelbare Auswirkung auf das Dienstverhältnis zur beklagten Partei hatten oder auch nur konkret befürchten ließen. Die Auseinandersetzung stand in keinem Zusammenhang mit betrieblichen Belangen oder der Ausübung des Dienstes. Sie erfolgte in der Freizeit, und es bestand entgegen den Behauptungen der beklagten Partei keine Gefahr von "Sippenfehden". Auch eine konkrete Gefahr einer Verschlechterung des Arbeitsklimas durch diese Auseinandersetzung war nicht nachweisbar. Die Tätlichkeiten waren nicht geeignet, den Ruf der beklagten Partei als Betriebsinhaber zu schmälern. Der Aufenthalt im Arbeiterwohnheim war der Privatsphäre des Klägers zuzurechnen, wobei es belanglos ist, daß sich das Arbeiterwohnhaus auf dem Betriebsgelände der beklagten Partei befindet. Soweit es durch das Zusammenleben der Arbeiter auf engem Raum zu einer Einschränkung ihrer Privatsphäre kommt, ist diese Einschränkung nicht den Arbeitnehmern anzulasten. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50 und 41 ZPO.

Anmerkung

E10721

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:014OBA00031.87.0324.000

Dokumentnummer

JJT_19870324_OGH0002_014OBA00031_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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