TE Vwgh Erkenntnis 2005/9/7 2002/12/0146

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Veröffentlicht am 07.09.2005
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
65/01 Allgemeines Pensionsrecht;

Norm

AVG §52;
AVG §56;
PG 1965 §62j Abs2 idF 2000/I/142;
PG 1965 §9 Abs1 idF 1985/426;
PG 1965 §96 Abs2 impl;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lamprecht, über die Beschwerde des S in B, vertreten durch Dr. Wolfgang Lirk, Dr. Dietmar Lirk und Mag. Hanna Spielbüchler, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Rochusgasse 4, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. Februar 2002, Zl. 8205/368- II/4/02, betreffend Zurechnung von Jahren gemäß § 9 des Pensionsgesetzes 1965, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1960 geborene Beschwerdeführer steht seit 1. November 1998 als Revierinspektor i.R. (der Gendarmerie) in einem öffentlichrechtlichen Ruhestandsverhältnis zum Bund.

In den Akten befindet sich ein neuropsychiatrisches Gutachten des Dr. M. vom 11. Mai 1998, das auf Ersuchen des zuständigen Landesgendarmeriekommandos vom 30. März 1998 erstattet wurde. In diesem 23-seitigen Gutachten heißt es "zur Frage des Aggressionsverhaltens und der damit verbundenen Gefährlichkeit" des Beschwerdeführers bzw. seiner Verwendbarkeit im Gendarmeriedienst aus neuropsychiatrischer Sicht (zusammenfassend), die Persönlichkeit des Beschwerdeführers habe sich auf Grund einer schweren Identitätskrise im mittleren Lebensalter seit 1995 deutlich verändert. Die narzisstischen Störfaktoren der Persönlichkeit zeigten sich in einer erhöhten Selbstbezogenheit sowie in einer radikalen Veränderung seines Weltbildes. Persönlichkeitstypisch wolle er sich nun als Künstler verwirklichen und sei entschlossen, alles was ihm dabei hinderlich sei, aus dem Weg zu räumen. Dabei bestünden nicht nur erhebliche Fremdaggressionstendenzen, sondern auch Selbstaggressionstendenzen im Sinne einer Selbstmordgefährdung. In der Zusammenschau aller erhobenen Befunde sei beim Beschwerdeführer im Relevanzbereich "Gendarmerie" weiterhin ein Fremdgefährlichkeitspotenzial nahe liegend. Er sei daher im Gendarmeriedienst nicht mehr verwendbar. Eine allgemeine Gefährlichkeit bestehe hingegen nicht. Wie bereits ausgeführt, beziehe sich das Gefährlichkeitspotenzial auf den Relevanzbereich der Gendarmerie. Hier resultierten mögliche Aggressionstendenzen aus dem Wandel seiner Persönlichkeit (Persönlichkeitsstörung) sowie einem völlig veränderten subjektiven Weltbild. Der Beschwerdeführer verstehe sich als Künstler ("kehrt die gesellschaftlichen Werte um" - Zitat im Original) und könne sich vor allem mit seiner Tätigkeit als Gendarm nicht mehr identifizieren. Wie der Gutachter von vergleichbaren Persönlichkeiten wisse, könne die Tätigkeit als Künstler eine "kreative" (im Original unter Anführungszeichen) Abarbeitung affektiver Spannungen bewirken, sodass im Alltag kein erhebliches Gefährlichkeitspotenzial im Sinne der Allgemeingefährlichkeit zum Tragen komme.

Mit Schriftsatz vom 22. September 1998 beantragte der Beschwerdeführer unter Hinweis darauf, er sei ohne sein vorsätzliches Verschulden zu einem zumutbaren Erwerb unfähig geworden (seit etwa einem Monat leide er zusätzlich an Herzrhythmusstörungen), u.a. die Zurechnung von zehn Jahren gemäß § 9 PG 1965.

Am 15. Februar 1998 hatte der Beschwerdeführer gemeldet, dass er in seiner Freizeit Skulpturen herstelle und zum Verkaufen anbiete. Am 18. November 1998 gab er niederschriftlich vernommen an, weder habe er Einkünfte aus dieser künstlerischen Tätigkeit erzielt noch erziele er derzeit hieraus Einkünfte. Am 19. Jänner 1999 erstattete das Bezirksgendarmeriekommando X. dem Landesgendarmeriekommando auftragsgemäß einen Bericht über diese Nebenbeschäftigung (künstlerische Tätigkeit) des Beschwerdeführers. Es heißt darin, der Beschwerdeführer übe diese Nebenbeschäftigung seit ca. 3 Jahren und besonders intensiv seit Beginn seines "Dauerkrankenstandes" Anfang 1998 aus. Im Frühjahr 1998 habe es eine Ausstellung gegeben, wobei der Verkauf "nicht schlecht" verlaufen sein solle. Es sei möglich, dass er einen Dorfbrunnen in Y. errichten werde. Sollte das Angebot entsprechen, werde er den "sicher nicht schlecht dotierten Auftrag" erhalten. Im Sommer 1998 habe er anlässlich einer Ausstellung bei der Gemeinde Z. eine Preisliste über seine Kunstwerke vorgelegt. Der Gesamtpreis für diese Ausstellungsstücke habe sich auf S 314.000,-- belaufen. Hinweisen zufolge habe er auch Exponate verkauft, sodass sein geschätzter monatlicher Nebenverdienst beträchtlich sein dürfte. Dem Bericht sind verschiedene Beilagen angeschlossen (dem Bericht zufolge ein Ausstellungskatalog bzw. eine Annonce).

Die belangte Behörde holte ein berufskundliches Gutachten des Sachverständigen H. vom 3. Juli 1999 ein. Nach Darstellung der beruflichen Laufbahn des Beschwerdeführers und des medizinischen Leistungskalküls (offenbar auf Grundlage des Gutachtens des Facharztes für innere Medizin) heißt es zur Frage, ob vom Beschwerdeführer die Verrichtung von "kalkülsadäquaten" Arbeiten erwartet werden könne, welche der bisherigen Berufslaufbahn entsprächen und als billigerweise sozial zumutbar zu bewerten seien, dass dies der Fall sei. Der Beschwerdeführer wäre trotz seines eingeschränkten Leistungskalküls in der Lage, Tätigkeiten als Registraturkraft, Kanzleikraft oder Archivkraft auszuüben (es folgt eine nähere Beschreibung dieser Berufsbilder; das Gutachten enthält auch Ausführungen zu der in diesem Beschwerdeverfahren nicht relevanten Frage, ob der Beschwerdeführer noch irgendwelche Erwerbstätigkeiten im Sinne des § 4 PG 1965 ausüben könne).

Der Beschwerdeführer äußerte sich zu diesem Gutachten ablehnend. Dabei legte er ein Attest vom 6. August 1999 eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie des Inhaltes bei, dass diese berufskundliche Beurteilung insoferne "zurückgewiesen" werde müssen, weil der Gutachter keine Bedachtnahme auf das Vorgutachten Dris. M. sowie die neuro-psychologische Beurteilung des Attestverfassers durchgeführt habe. Der Beschwerdeführer sei derzeit keineswegs in der Lage, eine regelmäßige Berufstätigkeit in seinem Beruf als Gendarm, weder im Außendienst noch im Innendienst, zu verrichten, wie sich auf Grund des Krankheitsverlaufes und der Begutachtungen gezeigt habe. Eine diesbezügliche Begutachtung würde allein einem medizinischen Sachverständigen vorbehalten bleiben.

In der Stellungnahme des Beschwerdeführers heißt es unter anderem, der berufskundliche Sachverständige sei in keiner Weise darauf eingegangen, ob eine Tätigkeit dem Beschwerdeführer "in der Gesamtheit seiner Persönlichkeit" zugemutet werden könne, sondern stelle nur darauf ab, ob dieser physisch in der Lage wäre, eine Tätigkeit als Registraturkraft, Kanzleikraft bzw. Archivkraft auszuüben. Auf die Ausführungen des Sachverständigen Dris. M. im Gutachten vom 11. Mai 1998 sei der berufskundliche Sachverständige überhaupt nicht eingegangen (wird näher ausgeführt). Dieses Gutachten sei daher unzureichend.

In dieser Angelegenheit befindet sich der Beschwerdeführer mittlerweile im zweiten Rechtsgang vor dem Verwaltungsgerichtshof. Mit dem im ersten Rechtsgang angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde seinen Antrag vom 22. September 1998 auf Zurechnung von Jahren gemäß § 9 Abs. 1 PG 1965 im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, der Beschwerdeführer könnte auf Grund seiner verbliebenen körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit mehrere im berufskundlichen Gutachten angeführte Verweistätigkeiten ausüben, die ihm vom Standpunkt der sozialen Wertung aus betrachtet billigerweise zumutbar seien. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer die Tätigkeit eines Bildhauers nachhaltig ausgeübt, was als weiteres Indiz dafür zu werten sei, dass er zu einem zumutbaren Erwerb fähig sei.

Im ersten Rechtsgang hob der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid mit Erkenntnis vom 17. August 2000, Zl. 99/12/0295, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf und führte hiezu - soweit dies aus der Sicht des Beschwerdefalles von Bedeutung ist - Folgendes aus:

"Nach § 9 Abs. 1 PG 1965, BGBl. Nr. 340, in der Fassung BGBl. Nr. 426/1985, hat die Oberste Dienstbehörde dem Beamten, der ohne sein vorsätzliches Verschulden zu einem zumutbaren Erwerb unfähig geworden ist, aus Anlass der Versetzung in den Ruhestand den Zeitraum, der für die Erlangung des Ruhegenusses im Ausmaß der Ruhegenussbemessungsgrundlage erforderlich ist, höchstens jedoch 10 Jahre, zu seiner ruhegenussfähigen Bundesdienstzeit zuzurechnen.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass die Behörde die in einem Verfahren nach § 9 PG 1965 entscheidende Rechtsfrage, ob der Beamte noch 'zu einem zumutbaren Erwerb' fähig ist, nach den Verhältnissen zur Zeit der Versetzung des Beamten in den Ruhestand zu lösen hat. Hiebei hat die Behörde zunächst auf der Grundlage eines mängelfreien und schlüssigen ärztlichen Gutachtens die Frage zu beantworten, ob der Beamte überhaupt noch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit fähig ist; bejahendenfalls hat sie sodann auf der Grundlage dieses sowie eines mängelfreien und schlüssigen berufskundlichen Gutachtens die Frage zu klären, ob dem Beamten jene Erwerbstätigkeiten, die er nach seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit vom medizinischen Standpunkt aus noch auszuüben vermag, zugemutet werden können. Letzteres ist dann der Fall, wenn diese Tätigkeiten ihrer sozialen Geltung nach der früheren Beschäftigung, der dienstlichen Stellung und der Fortbildung des Beamten annähernd gleichkommen und wenn die Aufnahme solcher Tätigkeiten vom Beamten auch nach seinen sonstigen Lebensumständen billigerweise erwartet werden kann. Ob dem Beamten eine solche Beschäftigung, die an sich Gegenstand des allgemeinen Arbeitsmarktes ist, tatsächlich vermittelt werden kann, ist für die abstrakt vorzunehmende Beurteilung der Erwerbsfähigkeit ohne Bedeutung (siehe das Erkenntnis vom 31. Mai 1996, Zl. 96/12/0091, m.w.N.).

Die Erwerbsfähigkeit setzt aber jedenfalls eine im Arbeitsleben grundsätzlich notwendige gesundheitlich durchgehende Einsatzfähigkeit voraus. Es ist zu berücksichtigen, ob die Einsatzfähigkeit im Hinblick auf die üblichen Erfordernisse der Arbeitswelt (beispielsweise Einhaltung der Arbeitszeit, Fähigkeit zur Selbstorganisation) gegeben ist (siehe dazu die hg. Erkenntnisse vom 24. September 1997, Zl. 96/12/0353, und vom 16. Dezember 1998, Zl. 95/12/0194, je m.w.N.).

Zutreffend macht der Beschwerdeführer geltend, dass das Ermittlungsverfahren mangelhaft geblieben sei. Zum einen hat der Sachverständige Dr. M. in seinem Gutachten vom 11. Mai 1998 nicht eigens zu der in diesem Beschwerdeverfahren relevanten Frage der Eingliederbarkeit des Beschwerdeführers in die Arbeitswelt Stellung genommen; diese Frage lässt sich auch nicht mit der erforderlichen Sicherheit aus diesem Gutachten beantworten (sodass die weitere Frage dahingestellt bleiben kann, ob dieses Gutachten vom 11. Mai 1998 ausreichend wäre, die maßgeblichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Versetzung des Beschwerdeführers in den Ruhestand beurteilen zu können). Diesbezüglich bedarf es daher einer entsprechenden Gutachtensergänzung. Allerdings ist auch nicht erkennbar, dass der berufskundliche Sachverständige auf diese psychische Komponente in seinem Gutachten Bedacht genommen hätte, wie der Beschwerdeführer zutreffend rügt. Es wäre daher gegebenenfalls auch eine Ergänzung dieses Gutachtens erforderlich (allenfalls nach Ergänzung des neuropsychiatrischen Gutachtens)."

Im weiteren Verfahren erstattete der Sachverständige Dr. M. am 26. November 2001 - nach Darstellung seiner bisherigen Ausführungen - folgendes

"ERGÄNZUNGSGUTACHTEN:

Zunächst darf auf unser Vorgutachten vom 11.5.1998 verwiesen

werden.

Es wurden folgende Diagnosen erstellt:

Zyklothymie, Persönlichkeitsstörung sowie Alkoholmissbrauch. Damit ist ausgedrückt, dass der Beschwerdeführer unter Stimmungsschwankungen, einer erhöhten Selbstbezogenheit der Persönlichkeit (Narzissmus) leidet. Ferner hat er zu diesem Zeitpunkt - zumindest zeitweise - einen erheblichen Alkoholmissbrauch betrieben.

Wie im Gutachten eingehend ausgeführt, war der Beschwerdeführer zum damaligen Untersuchungszeitpunkt aufgrund seiner erhöhten Selbstbezogenheit Argumenten Dritter, was die Fortsetzung seiner beruflichen Tätigkeit bei der Gendarmerie betrifft, völlig unzugänglich. In diesem Relevanzbereich bestand auch eine ausgeprägte Wut- und Aggressionsneigung, sodass aufgrund dieser persönlichkeitstypischen Fremdgefährlichkeit aus neuropsychiatrischer Sicht die 'Verwendbarkeit im Gendarmeriedienst' nicht mehr gegeben war. Damit ist ausgedrückt, dass sich die beschriebenen psychobiologischen Störungen wesentlich auf die Tätigkeit bei der Gendarmerie negativ auswirken. In anderen Relevanzbereichen (in Bezug auf andere berufliche Tätigkeiten) sind die psychobiologischen Störungen nicht so erheblich, dass damit Dienstunfähigkeit einherginge.

Berücksichtigt man den kognitiven Bereich, so ist dieser weitgehend ungestört. Der Beschwerdeführer verfügt über eine überdurchschnittliche intellektuelle Ausstattung. Die Hirnleistungsfunktionen wie Konzentration, Gedächtnis und Aufmerksamkeit sind nicht gestört. Auch die Realitätskontrolle ist ausreichend gut. Eine Neigung zur wahnhaften Fehlinterpretation der Realität besteht nicht. Ferner zeigte sich keine Störung aus dem neurologischen Fachgebiet.

Dem Beschwerdeführer waren daher zu diesem Zeitpunkt folgende Tätigkeiten weiterhin zumutbar:

Leichte, mittelschwere und schwere körperliche Arbeiten sowohl im Freien als auch in geschlossenen Räumen. Diese Tätigkeiten können im Sitzen, Stehen und Gehen ausgeführt werden. Bezüglich des Anmarschweges bestehen keine Einschränkungen.

Aufgrund der emotionalen Labilität mit Erregbarkeitsneigung sollten die Tätigkeiten jedoch ohne Zeitdruck erfolgen. So sind beispielsweise Tätigkeiten als Registraturkraft, Kanzleikraft oder Archivkraft bei üblicher Arbeitszeit zumutbar. Insgesamt sind die Tätigkeiten, welche im berufskundlichen Sachverständigengutachten vom 3.7.1999 (zur Frage der Verweisbarkeit) aufgeführt sind, auch aus neuropsychiatrischer Sicht zumutbar." (Anonymisierung in Kursivdruck durch den Verwaltungsgerichtshof)

Der (anwaltlich vertretene) Beschwerdeführer erstattete zu diesem Ergänzungsgutachten am 28. Jänner 2002 eine Stellungnahme, in der er ausführte, nach dem vom Bundespensionsamt eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten zur Leistungsfeststellung vom 30. März 1999 seien ihm u.a. monotone Tätigkeiten nicht zumutbar, worunter auch Arbeiten als Registratur-, Kanzlei- oder Archivkraft fielen. Da er nach den Ausführungen des neuropsychiatrischen Gutachters auf Grund seiner erhöhten Selbstbezogenheit Argumenten Dritter völlig unzugänglich sei, komme auch eine Tätigkeit im Bereich der genannten Berufe nicht in Betracht, weil diese durch geringe Selbstbestimmtheit und strikte Weisungsgebundenheit gekennzeichnet seien. Zur Zumutbarkeit der genannten Tätigkeiten, insbesondere auch eines 8-Stunden-Arbeitstages, wird auf ein fachärztliches Attest des Dr. Ma. verwiesen (das den vorgelegten Verwaltungsakten allerdings nicht angeschlossen ist). Danach sei der Beschwerdeführer auf Grund seiner emotionalen Labilität und Erregbarkeitssteigerung aus psychiatrischer Sicht für keine ständige Arbeit einsetzbar. Er würde bei jeglichem Parteienverkehr bzw. auch im Rahmen von Bürotätigkeit und anderen Arbeiten, die regelmäßig durchgeführt werden müssten, immer wieder Schwierigkeiten bereiten. Aggressions- und Wutneigungen würden immer wieder (nicht nur im Rahmen des Gendarmeriedienstes) auftreten. Im Hinblick darauf und den geringen Umfang neuer Aussagen durch den Sachverständigen Dr. M. beantrage er die Einholung eines weiteren neuropsychiatrischen Gutachtens sowie die Ergänzung des berufskundlichen Sachverständigengutachtens.

Mit dem ohne weiteres Verfahren erlassenen angefochtenen Bescheid vom 18. Februar 2002 gab die belangte Behörde dem Antrag des Beschwerdeführers vom 22. September 1998 auf Zurechnung von Jahren gemäß § 9 Abs. 1 PG 1965 nicht statt.

Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der Rechtslage stellte die belangte Behörde fest, der Sachverständige Dr. M. habe sich konkret darauf bezogen, ob die Verweisungstätigkeiten aus neuropsychiatrischer Sicht zumutbar seien. Dr. W. habe am 30. März 1999 u.a. ausgeführt, dass monotone Tätigkeiten in Anbetracht der psychischen Situation (des Beschwerdeführers) zu vermeiden seien. Dem sei zu entgegnen: "Registratur-, Kanzlei- oder Archivkräfte finden im Bund, in verschiedenen Gebietskörperschaften und in der Privatwirtschaft Beschäftigung. Gemeinsamkeit der Berufe ist die Arbeit mit Informationsmaterialien. Es geht dabei vor allem um Aufgaben der Beschaffung, Erhaltung, Darstellung, Zugänglichmachung. Informationsmaterialien können alle Arten von Medien (z.B. Zeitungen und Zeitschriften, Bücher, Fotos, Filme), Urkunden, Dokumente, EDV-Datenträger sein. Es kann sich dabei um allgemeine Einrichtungen, ohne thematische Eingrenzungen oder um spezifische Informationsstellen handeln. In diesem Tätigkeitsfeld wird die Auseinandersetzung mit den neuen Kommunikationstechnologien zunehmend wichtiger (Quelle: AMS)." Aus der Vielzahl der aufgelisteten Tätigkeiten sei ersichtlich, dass eine besondere Monotonie dieser Verweisungstätigkeiten nicht gegeben sei.

Im Hinblick auf "eine erhöhte Selbstbezogenheit Argumente Dritter" seien psychologische Störungen im Ausmaß einer Dienstunfähigkeit nur für die berufliche Tätigkeit als Gendarmeriebeamter, nicht aber in Bezug auf andere berufliche Tätigkeiten zu bejahen. Das erwähnte fachärztliche Attest des Dr. Ma. sei der Dienstbehörde nicht vorgelegt worden.

Die angeführten Verweisungstätigkeiten kämen der sozialen Geltung der früheren Beschäftigung des Beschwerdeführers annähernd gleich und seien ihm auch billigerweise zumutbar. Die Gesellschaftsordnung reihe nämlich die Tätigkeit eines eingeteilten Gendarmeriebeamten nicht höher ein als die im berufskundlichen Gutachten aufgelisteten Tätigkeiten einer Kanzleikraft. Auf Grund der Krankengeschichte, der vorliegenden ärztlichen Gutachten und des berufskundlichen Gutachtens habe schlüssig festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer noch zu einem zumutbaren Erwerb fähig sei, sodass wie im Spruch zu entscheiden gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides lautete § 62j (nunmehr § 96) Abs. 2 des Pensionsgesetzes 1965 (kurz: PG 1965) in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2001, BGBl. I Nr. 142/2000, auszugsweise:

"§ 62j ...

(2) Auf Personen, die vor dem 1. Oktober 2000 Anspruch auf eine monatlich wiederkehrende Leistung nach diesem Bundesgesetz haben, sind die §§ 4, ... in der am 30. September 2000 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden. ..."

Im Übrigen geht die Rechtslage aus dem im ersten Rechtsgang ergangenen hg. Erkenntnis vom 17. August 2000, Zl. 99/12/0295, hervor.

Der Beschwerdeführer rügt als Verletzung von Verfahrensvorschriften, dass die belangte Behörde die ihr im ersten Rechtsgang erteilten Aufträge zur Verfahrensergänzung teilweise unbeachtet gelassen hat.

Damit ist die Beschwerde im Ergebnis im Recht:

Mit hg. Erkenntnis vom 17. August 2000, Zl. 99/12/0295, wurde der belangten Behörde eine nähere Abklärung der Eingliederbarkeit des Beschwerdeführers in die Arbeitswelt aufgetragen, wobei die Rechtsansicht überbunden wurde, dass die Frage der Fähigkeit zu einem zumutbaren Erwerb nach den Verhältnissen zur Zeit der Versetzung des Beamten in den Ruhestand (hier also zum 1. November 1998) zu prüfen sei. Dazu wurde allenfalls auch die Ergänzung des berufskundlichen Sachverständigengutachtens für erforderlich gehalten, wobei der berufskundliche Sachverständige auch auf die psychische Situation des Beschwerdeführers in seinem ergänzenden Gutachten Bedacht zu nehmen hätte.

Diese im genannten Vorerkenntnis getroffene Feststellung des Verwaltungsgerichtshofes lässt es aber zu, dass auch der medizinische Sachverständige die demnach gebotene Abklärung übernehmen durfte. Dr. M. hat in seinem Ergänzungsgutachten vom 26. November 2001 auftragsgemäß zu dieser Frage Stellung genommen und die (einleitend) näher dargestellten Verweisungsberufe aus neuropsychiatrischer Sicht für zumutbar erklärt. Unter diesem Gesichtspunkt, der auch im ersten Rechtsgang vor dem Verwaltungsgerichtshof eine Rolle gespielt hat, war somit eine Ergänzung des berufskundlichen Gutachtens nicht zwingend erforderlich.

Die Ergänzung dieses Gutachtens erweist sich jedoch deshalb als geboten, weil eine schlüssige Beurteilung der Zumutbarkeit einer Ausübung der von Dr. M. genannten Verweisungsberufe angesichts des Fehlens von Feststellungen zur Frage der "Monotonie" der einzelnen verwiesenen Berufstätigkeiten, worauf der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 28. Jänner 2002 hingewiesen hat, andernfalls nicht möglich ist.

Im Übrigen rügt der Beschwerdeführer das Fehlen einer Ergänzung des neuropsychiatrischen Gutachtens Dris. M., wobei er eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes ins Treffen führt. Dabei handelt es sich allerdings um eine erstmals im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltend gemachte und daher unzulässige Neuerung. Hinzuweisen ist auf die - bereits dargestellte - Maßgeblichkeit der Verhältnisse zur Zeit der Versetzung des Beamten in den Ruhestand (hier also zum 1. November 1998). Dem Gesundheitszustand zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. M. (Ende April 1998) oder einer später erfolgenden Gutachtensergänzung, die auf den aktuellen Gesundheitszustand abstellte, kann somit keine Bedeutung zukommen, sofern aus ihm keine Schlüsse auf den Gesundheitszustand zum maßgeblichen Zeitpunkt gezogen werden. Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang allerdings den großen zeitlichen Abstand (von 6 Monaten) zwischen der Befundaufnahme durch Dr. M. (Ende April 1998) und dem Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung (mit Ablauf des 31. Oktober 1998) moniert und meint, diese "Fehlleistung" könnte von der belangten Behörde durch spätere nach der Ruhestandsversetzung durchgeführte Untersuchungen nicht mehr saniert werden, ist dem zu entgegnen, dass regelmäßig auch zeitversetzte Untersuchungen, falls dies in der gutachtlichen Auseinandersetzung entsprechend begründet wird, ausreichende Rückschlüsse auf den gesundheitlichen Zustand zum rechtlich maßgebenden Zeitpunkt erlauben.

Im Übrigen bezieht sich der Beschwerdeführer auf ein in den Akten fehlendes, von der belangten Behörde nicht verwertetes Attest von Dr. Ma. vom 18. Jänner 2001, das er seiner Stellungnahme vom 28. Jänner 2002 angeschlossen habe. Dabei ist er darauf hinzuweisen, dass es an ihm liegen wird, dieses (möglicherweise verloren gegangene) Attest im fortgesetzten Verfahren der belangten Behörde vorzulegen. Für den Fall, dass Dr. Ma. - wie der Beschwerdeführer behauptet - seit dem Frühjahr 1998 sein behandelnder Arzt war, wird dieser als (sachkundiger) Zeuge für die eben dargestellte Frage in Betracht kommen, dessen Aussage und Behandlungsunterlagen zu deren Klärung beitragen könnten.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine vollständige Aufnahme der dargestellten, auch vom Beschwerdeführer beantragten Beweise zu einem anderen Verfahrensergebnis geführt hätte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der gemäß ihrem § 3 Abs. 2 anzuwendenden VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 7. September 2005

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten Gutachten Beweiswürdigung der Behörde Gutachten Ergänzung Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2002120146.X00

Im RIS seit

29.09.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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