TE Vwgh Erkenntnis 2005/9/7 2003/08/0183

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Veröffentlicht am 07.09.2005
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Index

E3R E05204020;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

31972R0574 WanderarbeitnehmerV DV Art109;
ASVG §3 Abs3;
ASVG §33 Abs1;
ASVG §53 Abs3 litb;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der R GmbH in F, vertreten durch Dr. Manfrid Lirk und DDr. Karl Robert Hiebl, Rechtsanwälte in 5280 Braunau am Inn, Stadtplatz 50/2, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 11. August 2003, Zl. Vd-SV-1001-1-416/4/Br, betreffend Beitragsnachverrechnung nach dem ASVG (mitbeteiligte Partei: Tiroler Gebietskrankenkasse in 6020 Innsbruck, Klara-Pölt-Weg 2-4), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 10. April 2003 wurde die Beschwerdeführerin verpflichtet, auf Grund von Entgeltdifferenzen, die im Rahmen einer Beitragsprüfung festgestellt worden waren, einen Betrag von EUR 1.015,94 zu entrichten. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass auf Grund eines vom Landesgericht Innsbruck übermittelten Urteils Abrechnungsdifferenzen betreffend einen namentlich genannten Dienstnehmer festgestellt worden seien, welche sich aus einer Kündigungsentschädigung (16. Dezember 1999 bis 22. Dezember 1999), einer Sonderzahlung (1999) und einer Urlaubsersatzleistung (23. Dezember 1999 bis 3. Jänner 2000) ergäben.

Der gegen diesen Bescheid erhobene Einspruch der Beschwerdeführerin wurde von der belangten Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt. In der Begründung führte die belangte Behörde - nach Wiedergabe des wesentlichen Inhalts des erstinstanzlichen Bescheides sowie des Einspruchs und der weiteren Stellungnahmen im Einspruchsverfahren - aus, dass auf Grund der Bestimmung des Art. 109 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 der Arbeitgeber, der keine Niederlassung in dem Mitgliedstaat habe, in dessen Gebiet der Arbeitnehmer beschäftigt sei, und der Arbeitnehmer vereinbaren könnten, dass dieser die (grundsätzliche) Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung der Beiträge wahrnehme. Nach dem "von Österreich übernommenen EU-Recht" sei nur im Falle einer Vereinbarung zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer der Dienstnehmer zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge verpflichtet. Dass eine solche Vereinbarung nicht getroffen worden sei, habe die Beschwerdeführerin selbst in ihrer Stellungnahme im Einspruchsverfahren ausdrücklich betont. Da der Arbeitnehmer, auf den sich die Beitragsnachverrechnung bezieht, weder Österreicher noch deutscher Staatsangehöriger sei, sei allerdings noch die Frage zu prüfen gewesen, ob die "zitierten EWG-Verordnungen" auch auf ihn Anwendung zu finden hätten. Dies sei im österreichischdeutschen Sozialversicherungsabkommen BGBl. III Nr. 138/1998 eindeutig bejaht.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit dem Sitz in Deutschland. Im Zeitraum, auf den sich die Nachverrechnung bezieht, hatte sie in Österreich nach ihrem eigenen Vorbringen "keinen Sitz und keine Betriebsstätte". Der angefochtene Bescheid enthält hiezu keine ausdrücklichen Feststellungen, doch ist die belangte Behörde, wie sich aus der von ihr vorgenommenen rechtlichen Beurteilung ergibt, offenkundig davon ausgegangen, dass das von der Beschwerdeführerin bereits im Einspruchsverfahren erstattete diesbezügliche Vorbringen zutrifft. Dies stimmt auch mit dem bereits im Verfahren vor der mitbeteiligten Partei vorgelegten Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht überein, nach dessen Feststellungen die Beschwerdeführerin einen Betriebsstandort in Österreich (erst) "seit dem Jahre 2000" unterhalte. Die Beitragsprüfung, welche zur Beitragsnachverrechnung geführt hat, wurde auch nicht in einer Betriebsstätte der Beschwerdeführerin, sondern in den Räumen ihres in Österreich ansässigen Wirtschaftsprüfers vorgenommen.

2. Die belangte Behörde geht offenkundig, obgleich auch dies nicht ausdrücklich festgestellt wurde, weiters davon aus, dass der Arbeitnehmer, auf den sich die Beitragsnachverrechnung bezog, seinen Wohnsitz im Inland hatte und auch im Inland beschäftigt war. In der im Verwaltungsakt erliegenden Anmeldung bei der mitbeteiligten Partei ist als Beschäftigungsort "Baustellen in ganz Österreich" angegeben; in der Beschwerde behauptet die Beschwerdeführerin - übereinstimmend mit den Feststellungen im Urteil des Landesgerichtes Innsbruck, das bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorlag -, dass der Dienstnehmer, für den die Nachverrechnung von Sozialversicherungsbeiträgen erfolgte, "in der BRD, in Südtirol und in Tirol" zum Einsatz gekommen sei.

3. Nach der Aktenlage handelt es sich bei dem Dienstnehmer, für den die Beitragsnachverrechnung erfolgte, nicht um einen österreichischen oder EWR-Staatsbürger, sodass im verfahrensgegenständlichen Zeitraum (der Beschäftigungszeitraum, für den die Beitragsnachverrechnung erfolgte, lag im Jahr 1999) die Bestimmungen des (nach Art. 50 B-VG vom Nationalrat genehmigten) Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über soziale Sicherheit, BGBl. III Nr. 138/1998, zur Anwendung kommen.

Gemäß Art. 3 Abs. 2 dieses Abkommens gilt dieses auch für Personen, die nicht vom persönlichen Geltungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 erfasst sind und für die die Rechtsvorschriften eines oder beider Vertragsstaaten gelten oder galten. Dies ist im vorliegenden Fall gegeben, weil der Dienstnehmer auf Grund seines inländischen Wohnsitzes gemäß § 3 Abs. 3 ASVG als im Inland beschäftigt gilt. Gemäß Art. 5 des Abkommens finden im Verhältnis zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und die Verordnung (EWG) Nr. 574/72 sowie die zu ihrer Durchführung getroffenen Vereinbarungen entsprechend Anwendung, soweit in diesem Abkommen nichts anderes bestimmt ist.

Gemäß Art. 13 der - auf Grund des Verweises im Abkommen BGBl. III Nr. 138/1998 im vorliegenden Fall daher anzuwendenden - Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 unterliegen - mit hier nicht relevanten Ausnahmen - Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates. Soweit nicht die Art. 14 bis 17 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 etwas anderes bestimmen, gilt, dass eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaates abhängig beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staates unterliegt, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates hat. Gemäß Art. 14 Z. 2 lit. b unterliegt eine Person, die gewöhnlich im Gebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten abhängig beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dessen Gebiet sie wohnt, wenn sie ihre Tätigkeit zum Teil im Gebiet dieses Staates ausübt.

Nach diesen Rechtsvorschriften ist daher auf das Beschäftigungsverhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und dem Dienstnehmer, für den die Beitragsnachverrechnung erfolgte, österreichisches Sozialversicherungsrecht anzuwenden, und zwar unabhängig davon, ob dieser nur in Österreich oder - wie dies die Beschwerdeführerin behauptet - in Österreich, Deutschland und Italien beschäftigt wurde.

4. Gemäß § 53 Abs. 3 lit. b ASVG hat, wenn der Dienstgeber im Inland keine Betriebsstätte (Niederlassung, Geschäftsstelle, Niederlage) hat, der Dienstnehmer die Beiträge zur Gänze zu entrichten. Gemäß § 35 Abs. 4 ASVG hat der Dienstnehmer die in den §§ 33 und 34 ASVG vorgeschriebenen Meldungen selbst zu erstatten, wenn der Dienstgeber im Inland keine Betriebsstätte (Niederlassung, Geschäftsstelle, Niederlage) hat.

Da im vorliegenden Fall nach dem diesbezüglich unwidersprochenen Beschwerdevorbringen der Dienstgeber im gegenständlichen Zeitraum im Inland keine Betriebsstätte hatte (Baustellen sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht als Betriebsstätten im Sinne des § 53 Abs. 3 lit. b bzw. § 35 Abs. 4 lit. b ASVG anzusehen; vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2005, Zl. 2002/08/0165), erweist sich die mit dem angefochtenen Bescheid vorgenommene Beitragsnachverrechnung gegenüber dem Dienstgeber als rechtswidrig.

5. Daran ändert auch die von der belangten Behörde und der mitbeteiligten Partei herangezogene Bestimmung des Art. 109 der Verordnung (EWG) Nr. 574/7 nichts. Nach dieser Bestimmung kann der Arbeitgeber, der keine Niederlassung in einem Mitgliedstaat hat, in dessen Gebiet der Arbeitnehmer beschäftigt ist, mit dem Arbeitnehmer vereinbaren, dass dieser die Pflichten des Arbeitgebers zur Zahlung der Beiträge übernimmt. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem soeben zitierten Erkenntnis vom 26. Jänner 2005 ausgesprochen hat, werden mit dieser Bestimmung die nationalen Vorschriften zwar harmonisiert, es wird aber eine (durch Vertrag abdingbare) Beitragspflicht des Arbeitgebers nicht statuiert, sondern vorausgesetzt. Soweit das nationale Recht unter bestimmten Voraussetzungen daher eine Beitragspflicht des Arbeitgebers gar nicht vorsieht, führt auch Art. 109 der Verordnung (EWG) 574/72 zu keiner anderen Beurteilung.

6. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Das Kostenmehrbegehren der Beschwerdeführerin war abzuweisen, da im zugesprochenen Pauschbetrag für Schriftsatzaufwand die Umsatzsteuer bereits enthalten ist und im Hinblick auf die auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende sachliche Gebührenfreiheit gemäß § 110 ASVG keine Eingabengebühr zu entrichten war.

Wien, am 7. September 2005

Schlagworte

Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003080183.X00

Im RIS seit

21.10.2005

Zuletzt aktualisiert am

17.05.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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