TE Vfgh Erkenntnis 2001/9/25 B436/99

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Veröffentlicht am 25.09.2001
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
StGG Art13
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art10
DSt 1990 §1 Abs1
RAO §37
RL-BA 1977 §2
RL-BA 1977 §18
StPO §152 Abs1 Z4

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen schwerwiegender Vorwürfe gegen einen gegnerischen Rechtsanwalt in Zusammenhang mit einer Berufungsbeantwortung in einem Unterhaltsverfahren von dessen Mandantin gegen den beschwerdeführenden Rechtsanwalt in eigener Sache; keine Bedenken gegen die Regelung auch außerberuflichen Verhaltens eines Rechtsanwaltes im Disziplinarrecht; keine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit, keine Willkür, keine Verletzung im Recht auf ein faires Verfahren sowie der Unschuldsvermutung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 14. Juli 1997 wurde der Beschwerdeführer im Spruchpunkt a für schuldig erkannt, das Disziplinarvergehen der Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes dadurch begangen zu haben, daß er Rechtsanwalt Dr. Jürgen N ohne sachliche Gründe eines schweren Vergehens beschuldigt hat, indem er ihm in einer Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft Linz vorgeworfen hat

"daß (er) - durch die Erstattung einer Berufungsbeantwortung als Vertreter der beklagten Partei im Verfahren 3 C59/94 des BG Linz und das Vorbringen, daß jegliche in der Berufung begehrten Feststellungen als unrichtig und in den Verfahrensergebnissen als nicht gedeckt anzusehen seien - versucht habe, Richter des LG Linz durch Täuschung über Tatsachen dazu zu verleiten, das erstinstanzliche Urteil zu bestätigen, somit zu Handlungen zu verleiten, die (den Beschwerdeführer) am Vermögen in einem Betrag von über ATS 500.000,- schädigen sollten",

und er überdies die Maßnahme der Untersuchungshaft und die Durchführung einer Hausdurchsuchung und Beschlagnahme von Akten in den Kanzleiräumlichkeiten des Dr. Jürgen N angeregt hat.

Nach Auffassung des Disziplinarrates habe der Beschwerdeführer gegen die Bestimmungen des §9 RAO und der §§2 und 18 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: RL-BA 1977) verstoßen.

Der Disziplinarrat nahm folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

"Mit der beim BG Linz zu 3 C59/94 eingebrachten Klage hat der Disziplinarbeschuldigte von der dortig beklagten Partei Dr. Christine T, nunmehr verehel. Dr. Christine G, die Rückzahlung der von ihm für die Monate Februar bis Mai 1994 geleisteten Unterhaltsbeträge, sowie die Feststellung des Ruhens seiner Unterhaltsverpflichtung vom 01.02.1994 bis 31.05.1994 geltend gemacht.

Mit Urteil des BG Linz vom 02.02.1995, 3 C59/94-t wurde das Klagebegehren mit der Begründung abgewiesen, daß eine Lebensgemeinschaft zwischen der in diesem Verfahren Beklagten (Dr. Christine T bzw. nunmehr verehel. G) und Manfred G im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht festgestellt werden konnte.

Gegen dieses Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 02.02.1995 brachte der Disziplinarbeschuldigte, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. H, Dr. M, Dr. W, Dr. M und Dr. G-W, eine Berufung vom 11.12.1995 ein, wobei als Berufungsgründe Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtige Tatsachenfeststellung, Aktenwidrigkeit und unrichtige Beweiswürdigung und unrichtige rechtliche Beurteilung - neben der Berufung im Kostenpunkt - geltend gemacht wurden.

Am 02.02.1996 wurde von Dr. Christine T, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jürgen N, zu 3 C59/94 b beim Bezirksgericht Linz ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und sowie eine Berufungsbeantwortung eingebracht. ...

Mit Eingabe des Disziplinarbeschuldigten vom 12.02.1996 hat dieser gegen Dr. Jürgen N und in Ergänzung seiner vorausgegangenen Strafanzeige gegen die Beschuldigten Dr. Christine T, Manfred G, Dr. Manfred S, Brigitte S, Gertrude F, Wilhelm G und Romana G eine Strafanzeige mit der Begründung erstattet, daß Dr. Jürgen N, zumindest seit 22.12.1995, in Linz, durch die Erstattung einer Berufungsbeantwortung als Vertreter der beklagten Partei im Verfahren 3 C59/94 des BG Linz, in der er unter anderem die Richtigkeit des Urteiles vom 02.02.1995 verteidigte, jegliche in der Berufung begehrte Feststellungen dahingehend, daß Manfred G seit Februar 1994 im Haus der Dr. Christine T wohnte und mit jener eine Lebensgemeinschaft eingegangen war, als unrichtig und in den Verfahrensergebnissen nicht gedeckt bezeichnet hat, versucht habe, Organe der Gerichtsbarkeit, insbesondere die für das Berufungsverfahren zuständigen Richter des LG Linz durch Täuschung über Tatsachen dazu zu verleiten, das erstinstanzliche Urteil zu bestätigen, somit zu Handlungen zu verleiten, die den Kläger (es folgt der Name des Beschwerdeführers) am Vermögen über einen Betrag von S 500.000,00 schädigen sollten und somit Dr. Jürgen N das Delikt des Betruges nach §§12, 146, 147 Abs3 StGB zur Last falle.

Gleichzeitig wurde in dieser Strafanzeige vom 12.02.1996 vom Disziplinarbeschuldigten angeregt, gegen Dr. Jürgen N die Maßnahme der Untersuchungshaft zu verhängen und eine Hausdurchsuchung und die Beschlagnahme der Akten von Dr. Christine T in seinen Kanzleiräumlichkeiten (wenn der Akt Dr. Christine T dort nicht zu finden sei, allfällig in seiner Privatwohnung) durchzuführen.

Ein Strafverfahren gegen Dr. Jürgen N wurde nicht eingeleitet, sondern gemäß §90 StPO eingestellt.

Aufgrund der Anzeige(n) des Disziplinarbeschuldigten hat die Staatsanwaltschaft Linz mit Eingabe vom 08.11.1995, 6 St 1707/94, gegen Manfred G, Dr. Christine T, Dr. Franz S, Brigitte S, Gertrude F, Wilhelm G und Romana G einen Strafantrag wegen des Verdachtes des Verbrechens der falschen Beweisaussage vor Gericht, des Vergehens des versuchten schweren Betruges als Beteiligte, des Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht, des Vergehens des Betruges (hinsichtlich Manfred G), des Vergehens der Anstiftung zur falschen Beweisaussage und des versuchten schweren Betruges (hinsichtlich Dr. Christine T), sowie des Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht und des versuchten schweren Betruges als Beitragstäter (hinsichtlich Dr. Franz S, Brigitte S, Gertrude F, Wilhelm G und Romana G) beim Landesgericht Linz gestellt.

Im diesbezüglichen Strafverfahren des Landesgerichtes Linz, 27 EHv 176/95, 27 EVr 280/95 wurden am 14.06.1996 Manfred G, Dr. Franz S, Brigitte S, Gertrude F, Wilhelm G und Romana G schuldig erkannt, im Verfahren 3 C59/94 des BG Linz als Zeugen zur Sache falsch ausgesagt zu haben, wobei Manfred G seine - falsche - Aussage sogar mit Eid bekräftigt hatte und weiters Manfred G vor dem Bezirksgericht Linz im Verfahren 3 P 119/91 falsch ausgesagt hätte, und wurde deshalb wegen des Verbrechens bzw. Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht verurteilt. Manfred G, Dr. Christine T, Dr. Franz S, Brigitte S, Gertrude F, Wilhelm G und Romana G wurden von weiteren Vorwürfen einer Falschaussage, sowie dem Vorwurf des versuchten schweren Betruges, Dr. Christine T vom Vorwurf der Bestimmung zur falschen Zeugenaussage und des versuchten schweren Betruges am 14.06.1996 rechtskräftig freigesprochen.

Aufgrund einer Wiederaufnahmsklage des Disziplinarbeschuldigten vom 20.06.1997 hat das BG Linz - bevor über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten vom 11.12.1995 entschieden wurde - mit Urteil vom 13.05.1996, 3 C59/94 t das Urteil des BG Linz vom 21.11.1994 bzw. 02.02.1995, 3 C59/94 t vollinhaltlich aufgehoben.

Am 14.07.1997 lag im Verfahren 3 C59/94 t des BG Linz über das damit wieder in 1. Instanz verfahrensgegenständliche Klagebegehren (Leistungs- und Feststellungsbegehren) eine weitere meritorische Entscheidung noch nicht vor."

1.2. Mit Erkenntnis vom 14. Dezember 1998 gab die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) der Berufung gegen das Straferkenntnis des Disziplinarrates im Hinblick auf dessen Spruchpunkt a keine Folge und verhängte über den Beschwerdeführer gemäß §16 Abs1 Z2 Disziplinarstatut 1990, BGBl. Nr. 474/1990 (im folgenden: DSt 1990), die Disziplinarstrafe der Geldbuße in der Höhe von ATS 15.000,-. Die OBDK konnte in der Berufungsbeantwortung des Dr. Jürgen N, insbesondere in den dort getroffenen Aussagen, wo etwa darauf hingewiesen wurde

       "daß ... einzelne unterschwellige, insbesondere die den

subjektiven Teil betreffenden Feststellungen nicht durch die vom Kläger angeführten Beweismittel gedeckt sind ..."

oder wenn ausgeführt wird,

       "... selbst wenn man von den zwar generell bestrittenen (mit

Ausnahme der explizit angeführten) Feststellungswünschen des Klägers ausginge, so lassen diese noch keinen zwingenden Schluß auf eine Lebensgemeinschaft zu ..."

keine Täuschungshandlung iS der §§146, 147 Abs3 StGB iVm. §12 StGB erblicken. Der Beschwerdeführer hätte bei sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage von vornherein davon ausgehen müssen, daß Dr. Jürgen N durch die Erstattung der Berufungsbeantwortung keinen Prozeßbetrug als Beitragstäter zu verantworten habe. Der Beschwerdeführer habe aber neben der Erstattung der Strafanzeige zudem noch die Verhängung einer Untersuchungshaft gegen Dr. Jürgen N und die Durchführung einer Hausdurchsuchung sowie die Beschlagnahme der Akten der Dr. Christine T in den Kanzleiräumlichkeiten oder allenfalls in der Privatwohnung des Dr. Jürgen N angeregt. Er habe dadurch den Rechtsanwalt der Gegenpartei einerseits "unnötig in den Streit gezogen" und "persönlich angegriffen" (§18 RL-BA 1977) sowie anderseits "sachlich nicht gerechtfertigte Druckmittel angewendet" (§2 RL-BA 1977).

2. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Freiheit der Meinungsäußerung sowie im Recht auf ein faires Verfahren und auf Unschuldsvermutung (Art6 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

3. Die OBDK als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch keine Gegenschrift erstattet.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Nach Auffassung des Beschwerdeführers finden die hier präjudiziellen Bestimmungen der §§2 und 18 RL-BA 1977 in der RAO - konkret in §37 RAO - keine Deckung. §37 RAO erlaube nicht, Regelungen für das Vorgehen eines Rechtsanwalts in eigener Sache zu treffen. Die Bestimmungen seien daher gesetzwidrig oder sie müßten verfassungs- und gesetzeskonform in der Weise interpretiert werden, daß "sie nicht das Verhalten des Rechtsanwaltes als Prozeßpartei" normieren dürfen. Es sei gleichheitswidrig, daß jede Privatperson - auch bei dünner Beweislage - gegen einen Dritten innerhalb der Grenzen der §§114 (gemeint wohl: §111) und 297 StGB eine Strafanzeige erstatten dürfe, ein Rechtsanwalt in eigener Sache jedoch nicht. Dem Beschwerdeführer könne keinesfalls der Vorwurf einer wider besseren Wissens erhobenen Strafanzeige gemacht werden, weil zum entscheidenden Zeitpunkt der Anzeigenerstattung die Staatsanwaltschaft Linz ebenfalls der Auffassung war, daß der Mandantin des Dr. Jürgen N Prozeßbetrug zur Last zu legen sei. Die von der OBDK offenbar vorausgesetzte Annahme, daß Dr. Jürgen N die Beweise mit seiner Mandantin nicht genauestens erörtert hätte, entspreche überdies nicht der Lebenserfahrung. Der Beschwerdeführer sieht sich aus diesen Gründen in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Freiheit der Meinungsäußerung und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

1.2. Unter dem Titel der Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein faires Verfahren und auf Unschuldsvermutung bringt der Beschwerdeführer vor, daß die OBDK dem Zeugen Rechtsanwalt Dr. Jürgen N in "willkürlicher Auslegung" der Zeugnisentschlagungsgründe in der StPO ein Entschlagungsrecht zugebilligt habe, obwohl der Beschwerdeführer den Rechtsanwalt nur zu seiner subjektiven Tatseite hinsichtlich der §§146 f StGB befragen wollte. Dieses Beweisthema sei keine vom Mandanten anvertraute Tatsache oder im Zuge der Vertretung erfahrene Tatsache iS des §152 Abs1 Z4 StPO (iVm. §9 Abs2 RAO).

2. Zum Vorwurf der Anwendung gesetzwidriger Verordnungsbestimmungen:

2.1. Die §§2 und 18 RL-BA 1977 lauten:

"§2.

Der Rechtsanwalt darf keinen Auftrag annehmen, dessen Ausführung Ehre und Ansehen seines Standes beeinträchtigt. Er darf nur solche Mittel anwenden, die mit Gesetz, Anstand und Sitte vereinbar sind. Er darf weder Ansprüche mit unangemessener Härte verfolgen noch sachlich nicht gerechtfertigte Druckmittel ankündigen oder anwenden.

§18.

Der Rechtsanwalt darf den Rechtsanwalt einer anderen Partei nicht umgehen und es auch nicht ablehnen, mit diesem zu verhandeln; er darf ihn weder unnötig in den Streit ziehen noch persönlich angreifen."

Der vom Beschwerdeführer angezogene §37 RAO lautet (auszugsweise):

"§37.

Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag kann Richtlinien erlassen

1. zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs;

2. zur Überwachung der Pflichten des Rechtsanwalts;

2a. ... - 6 ... ."

2.2. Wenn der Beschwerdeführer vermeint, die hier präjudiziellen Bestimmungen der §§2 und 18 RL-BA 1977 finden für den Fall, daß sie auch das Verhalten eines Rechtsanwaltes "in eigener Sache" regeln, in §37 RAO keine Deckung, verkennt er bereits, daß die RL-BA 1977 nicht nur durch §37 RAO gesetzlich determiniert werden, sondern inhaltlich insbesondere auch durch die Bestimmungen des II. Abschnittes der RAO ("Rechte und Pflichten der Rechtsanwälte") sowie auch durch §1 Abs1 DSt 1990. Daß die Standesrichtlinien - insbesondere auch die hier präjudiziellen Bestimmungen der §§2 und 18 RL-BA 1977 - grundsätzlich auch außerberufliches Verhalten eines Rechtsanwaltes regeln dürfen, ergibt sich aus dem verfassungsrechtlich unbedenklichen §1 Abs1 DSt 1990, wonach ein Rechtsanwalt nicht nur dann ein Disziplinarvergehen begeht, wenn er schuldhaft die Pflichten seines Berufes verletzt, sondern auch dann, wenn er inner- oder außerhalb seines Berufes durch sein Verhalten die Ehre oder das Ansehen des Standes beeinträchtigt (so bereits VfSlg. 11840/1988 zu §3 RL-BA 1977; zur Unbedenklichkeit des §1 DSt 1990 vgl. VfSlg. 12915/1991, 13260/1992, 13526/1993, 13762/1994, 14237/1995, 14905/1997, 15585/1999, VfGH 21.6.2000, B578/00; sowie zu §2 DSt 1872 - der Vorgängerbestimmung des §1 DSt 1990: grundlegend VfSlg. 11776/1988, ebenso VfSlg. 3290/1957, 5643/1967, 5967/1969, 7494/1975, 7905/1976, 9160/1981, 11007/1986, 11350/1987, 11840/1988 und 12032/1989). Zur gesetzlichen Deckung der §§2 und 18 RL-BA 1977 vgl. VfSlg. 12243/1989 (zu §18 RL-BA 1977) sowie VfSlg. 12507/1990, 12796/1991, VfGH 25.9.2000, B1405/98 (zu §2 RL-BA 1977). Der Verfassungsgerichtshof sieht sich durch das Beschwerdevorbringen nicht veranlaßt, in eine Prüfung dieser Verordnungs- und Gesetzesbestimmungen einzutreten.

Eine Verletzung des Beschwerdeführers in Rechten wegen Anwendung gesetzwidriger Verordnungsbestimmungen bzw. verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen hat sohin nicht stattgefunden.

3. Zu den behaupteten Vollzugsmängeln:

3.1. Nach Art13 Abs1 StGG hat jedermann das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder bildliche Darstellungen seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern. Das Recht der freien Meinungsäußerung ist zwar nur innerhalb der gesetzlichen Schranken gewährleistet, doch darf auch ein solches Gesetz keinen Inhalt haben, der den Wesensgehalt des Grundrechtes einschränkt (vgl. VfSlg. 6166/1970, 11404/1987). Eine nähere Bestimmung dieses Wesensgehaltes findet sich in Art10 EMRK. Diese Bestimmung bekräftigt den Anspruch auf freie Meinungsäußerung und stellt klar, daß dieses Recht die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten über Ideen einschließt, sieht aber im Hinblick darauf, daß die Ausübung dieser Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft zB zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind. Da sich die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Verhängung der Disziplinarstrafe über den Beschwerdeführer auf verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsvorschriften stützen kann, könnte die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung nur dann stattgefunden haben, wenn dem Gesetz fälschlich ein verfassungswidriger, hier also: den besonderen Schranken des Art10 EMRK mißachtender, Inhalt unterstellt oder wenn das Gesetz denkunmöglich angewendet worden wäre, was aber nur dann der Fall wäre, wenn die Behörde einen einer Gesetzlosigkeit gleichkommenden Fehler begangen hätte (vgl. VfSlg. 7907/1976 und die dort angeführte Vorjudikatur).

Derartiges kann der belangten Behörde, die aufgrund der Anzeigenerhebung des Beschwerdeführers den Tatbestand eines Disziplinarvergehens als verwirklicht angesehen hat, nicht vorgeworfen werden: Der belangten Behörde kann - in Ansehung des Inhaltes der in Rede stehenden Berufungsbeantwortung - aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn sie dieses Verhalten des Beschwerdeführers als sachlich nicht gerechtfertigte Druckausübung dem §2 RL-BA 1977 unterstellt sowie als persönlichen Angriff des gegnerischen Rechtsanwaltes bzw. als unnötiges in Streit ziehen dieses Anwaltes iS des §18 RL-BA 1977 wertet und damit eine nicht unverhältnismäßige Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit im Dienste des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung vornimmt. Dem Einwand des Beschwerdeführers, die Anzeige sei als Reaktion auf die von Dr. Jürgen N eingebrachte Berufungsbeantwortung gerechtfertigt gewesen, weil durch diese Berufungsbeantwortung falsche Zeugenaussagen im Unterhaltsprozeß vor dem Bezirksgericht Linz bekräftigt werden, von deren Unwahrheit Rechtsanwalt Dr. Jürgen N in Kenntnis sein mußte, ist zu entgegnen, daß sich Anhaltspunkte für eine Erhärtung dieses Verdachtes gegen diesen Rechtsanwalt weder aus dem Wortlaut noch aus dem Inhalt dieses Schriftsatzes ergeben. Wenn der Beschwerdeführer im einzelnen vorbringt, der Vorwurf der leichtfertig erhobenen Anzeige fuße auf einer Beweiswürdigung, die der Lebenserfahrung widerspricht, wirft er damit lediglich Fragen des (Beweis-)Verfahrens vor den Disziplinarbehörden auf, die nicht in die Verfassungssphäre reichen. Die richtige Anwendung von Gesetzen oder Verordnungsbestimmungen ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen (vgl. dazu auch Punkt II.3.2.).

Der Beschwerdeführer wurde nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt.

3.2. Der Beschwerdeführer erachtet sich weiters im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

Bei der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen käme eine Gleichheitsverletzung nur in Frage, wenn der Behörde eine willkürliche Rechtsanwendung anzulasten wäre. Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10337/1985, 11436/1987).

Wie unter Punkt II.3.1. dargelegt, sind die Ausführungen der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe die Strafanzeige gegen Rechtsanwalt Dr. Jürgen N leichtfertig erstattet, was gleichzeitig ein unnötiges in Streit ziehen des gegnerischen Rechtsanwaltes bzw. einen persönlichen Angriff gegen ihn bedeute, zumindest vertretbar. Die vorgelegten Verwaltungsakten geben auch keinerlei Anhaltspunkt dafür, daß die Standesbehörden den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt, sein Vorbringen ignoriert oder den konkreten Sachverhalt außer acht gelassen hätten.

Auch der Hinweis darauf, daß das Verhalten eines Rechtsanwaltes, der in eigener Sache auftritt, disziplinäre Folgen nach sich gezogen habe, wogegen grundsätzlich das gleiche Verhalten von anderen Rechtsunterworfenen keine derartigen Folgen nach sich ziehe, zeigt eine willkürliche Vorgangsweise der belangten Behörde nicht auf, weil sie die Anzeigenerhebung des Beschwerdeführers an der verfassungsrechtlich unbedenklichen Bestimmung des §1 Abs1 DSt 1990 zu beurteilen hatte, wonach auch außerberuflich gesetztes Verhalten von Rechtsanwälten disziplinär geahndet werden kann. Ob das Erkenntnis der OBDK auch in richtiger Anwendung des Gesetzes getroffen wurde, hat der Verfassungsgerichtshof - und zwar auch in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem eine Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art133 Z4 B-VG nicht in Betracht kommt - nicht zu prüfen (vgl. etwa VfSlg. 13419/1993, 14408/1996).

Die behauptete Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes liegt sohin nicht vor.

3.3. Der Verfassungsgerichtshof kann auch nicht finden, daß durch die Inanspruchnahme des auf §152 Abs1 Z4 StPO (Zeugnisbefreiung für Verteidiger, Rechtsanwälte, Notare und Wirtschaftstreuhänder) gestützten Zeugnisentschlagungsrechts durch Rechtsanwalt Dr. Jürgen N das Verfahren vor den Disziplinarbehörden nicht insgesamt fair abgelaufen sei. Hätte Rechtsanwalt Dr. Jürgen N darüber Auskunft geben müssen, ob seine in der Berufungsbeantwortung vorgenommene Argumentation wissentlich auf unrichtige Tatsachen gestützt war, hätte er - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - zwangsläufig auch Informationen seiner Mandantin aus dem Unterhaltsverfahren preisgeben müssen (ein Umstand, der eine Anwendung des §152 Abs1 Z4 StPO iVm. §77 Abs3 DSt 1990 durch den Disziplinarrat rechtfertigte). Eine Verpflichtung des Dr. Jürgen N zur Aussage bzw. eine Beschlagnahme der Akten seiner Mandantin in seinen Kanzleiräumlichkeiten oder in seiner Wohnung stünde auch im Widerspruch zu dem aus Art6 Abs1 EMRK abzuleitenden Anspruch seiner Mandantin auf eine "effektive Vertretung" im Unterhaltsprozeß vor den Zivilgerichten (vgl. dazu VfSlg. 10291/1984). Daß letztlich das Ergebnis des Disziplinarverfahrens - die Verurteilung des Beschwerdeführers - aus seinem Blickwinkel unbefriedigend sein mag, indiziert nicht bereits eine Verletzung im Recht auf ein faires Verfahren vor den Disziplinarbehörden.

Aus den dargestellten Gründen kann auch nicht gefunden werden, daß der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unschuldsvermutung verletzt wurde.

Der Beschwerdeführer wurde nicht in seinen gemäß Art6 EMRK garantierten Rechten auf ein faires Verfahren und auf Vermutung seiner Unschuld verletzt.

4. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Meinungsäußerungsfreiheit, Rechtsanwälte, Disziplinarrecht, fair trial, Strafprozeßrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:B436.1999

Dokumentnummer

JFT_09989075_99B00436_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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